dieute auf Seite 3; Veutscfttantf - wohin gehst Vu? ®£m IDftpuuMIatt UNABHÄNGIGE WOCHENZE1TUNG FQR DEUTSCHLAND Jahrgang 26 — Folge 4 2 Hamburg 13, Parkallee 84 / 25. Januar 1975 C 5524 C Weltwirtschaftskrise in Sicht? Finstere Aussichten für die nahe Zukunft — Vor einem Sturzflug in die große Krise Der Bonner Bundeskanzler Helmut Schmidt spricht mit zwei Zungen — je nach dem Publi• kum, das er vor sich hat. Seit August letzten Jahres äußert er vor Ver• trauten und im Plausch mit westlichen Premiers und Präsidenten regelmäßig die Befürchtung, eine Weltwirtschaftskrise ä la 1929/30 sei kaum noch abzuwenden. Vor größerem Publikum je• doch oder bei Interviews beteuert der studierte Ökonom ebenso selbstsicher: „Eine Weltwirt• schaftskrise wie zu Anfang der dreißiger Jahre wird sich mit Sicherheit nicht wiederholen!" Doppelzüngig wie der deutsche Kanzler müs• sen derzeit alle führenden Politiker der west• lichen Welt reden: in Washington und London, in Paris und Rom. Würden sie nämlich der Öffentlichkeit eingestehen, wie schlecht es um Weltwirtschaft und Welthandel bestellt ist, so würde der allgemeine Pessimismus den Sturz• flug in die ganz große Krise nur noch beschleuni• gen. Nüchterne Zahlen Wie ernst die Lage schon jetzt ist, beweisen Zustände, die es seit den dreißiger Jahren in den westlichen Industrieländern nicht mehr ge• geben hat: # über 12 Millionen Arbeitslose allein in den USA und den EG-Staaten; 9 zweistellige Inflationsraten in allen bedeu• tenden Industrienationen außer der Bundes• republik; # keine oder nur noch minimale Zuwachsraten bei den volkswirtschaftlichen Gesamtleistun• gen (reales Bruttosozialprodukt); # weltweite Umsatzeinbrüche bei den Wirt• schaftszweigen mit Schlüsselfunktion: Auto• Am 30. Januar 1933 zog durch Berlin der Fackelzug der Braunhemden. Das Aufkommen Hitlers wurde durch den wirtschaftlichen Niedergang mobilindustrie, Bauwirtschaft, Konsumgüter. entscheidend begünstigt. Heute ziehen durch Ost-Berlin die Kolonnen der SED, für eine sozialistische Zukunft demonstrierend, die nicht auf Mitteldeutschland beschränkt bleiben soll. Die Kommunisten hoffen, daß anwachsende Wirtschaftssorgen auch in der Bundesrepublik Besser als die auf Zweckoptimismus abgestell• einen Kuck nach links bringen. Foto AP ten Politiker-Worte, deutlicher auch als die un• heilvollen Wirtschaftszahlen lassen die Aktien• 5. Wie 1929 gab es an der Wallstreet die börsen erkennen, was im Laufe des Jahres 1975 ersten (drei) Selbstmorde von Börsenprofis; wie auf uns zukommen wird: damals machten Hunderte von Brokern und In den Stürmen der Zeit Finsterster Pessimismus herrscht an allen Maklern dicht. Allein in New York sollen der• wichtigen Börsenplätzen der Welt — in New zeit 15 000 Anlageberater arbeitslos sein. H. W. — „Runde Daten" haben es an sich. chismus möglich sein soll, unserer Jugend wie• York wie in London, in Paris wie in Zürich, In den 20 Jahren des wirtschaftlichen Auf• Gemeint sind damit jene Daten, an denen zum der ein gesundes Nationalgefühl zu vermitteln, Tokio oder Frankfurt. Seit nunmehr zwei Jah• schwungs waren nicht nur Politiker, sondern 10., zum 25. oder wie in diesem Jahre zum ist ein anderes Kapitel und mancher Blick in ren sinken die Kurse ohne Unterlaß, und kein auch Wirtschaftswissenschaftler einhellig über• 30. Male die Wiederkehr bestimmter Ereignisse die Massenmedien läßt bange Zweifel auf• Funken Hoffnung signalisiert ein Ende der Tal• zeugt: eine Weltwirtschaftskrise kann es nie in das Bewußtsein der Bürger gerufen wird. Der kommen. fahrt. wieder geben. Enge internationale Zusammen• 30. Januar, der kalendermäßig in diesen Tagen Mit der Geschichte leben, heißt vor allem, ansteht, erinnert an Hitlers Machtübernahme im die Geschichte des eigenen Volkes zu kennen Wer die Erfahrung akzeptiert, daß die Börsen arbeit und ganze Kataloge von konjunkturbele• Jahre 1933 und in den Mai dieses Jahres fällt und zu wissen, wo die Ursachen für das Unheil deutlicher als alle anderen Indikatoren die künf• benden Maßnahmen werden jede schwere Krise die 30. Wiederkehr der Kapitulation der deut• zu suchen sind. Es war keineswegs teutonische tige Wirtschaftsentwicklung signalisieren, der im Keim ersticken. schen Streitkräfte, über lange Jahrzehnte hat Lust, die im Jahre 1933 einen Großteil der deut• kommt nicht umhin, Vergleiche mit der Welt• Inzwischen sind jedoch die Experten nicht eine gewisse Publizistik davon gelebt, den toten schen Wähler veranlaßte, auf dem Stimmzettel wirtschaftskrise vor 45 Jahren anzustellen: mehr so sicher, daß ihr Instrumentarium aus• Hitler immer wieder — möglichst in Fortset• Hitlers Partei den Vorzug vor den Kommu• reicht, eine Katastrophe abzuwenden. Die Lehr• zungsserien — zu verkaufen. Einmal bot diese 1. Nach dem berüchtigten „Schwarzen Freitag" nisten zu geben. Dafür gab es andere und hand• buch-Rezepte gegen die Inflation nämlich erwie• literarische Aufbereitung gewissen Autoren und (25. Oktober 1929) stürzte der amerikanische greiflichere Gründe. Wenn wir uns heute schon sen sich in den vergangenen Jahren als nicht Regisseuren willkommene Atzung, zum ande• Aktienindex innerhalb von drei Jahren von 370 Gedanken darüber machen, was wohl werden praktikabel; wie man den Geldwertverfall und ren aber war der Rückgriff auf die braune Ver• auf 50 Punkte ab. Von Mitte 1973 bis Ende 1974 soll, wenn wir von einer Million Arbeitslosen die Arbeitslosigkeit zugleich bekämpft, wissen gangenheit aus dem Grunde beliebt, weil die hören, dann müssen wir uns daran erinnern, fiel der Dow-Jones-Index (er zeigt die Durch• die Wirtschaftsstrategen nicht, weil eine Stagfla• Gefahr einer roten Zukunft nicht so stark in daß bei Hitlers Machtantritt über sieben Millio• schnittskurse der 30 meistgehandelten US-Indu• tion in diesem Ausmaß etwas Neues ist. Bei das Bewußtsein der Betrachter trat. nen Arbeitslose registriert waren. Rechnet man strieaktien) von 1050 auf 580 Punkte. Das be• allen früheren Rezessionen behielt zumindest die Familienangehörigen hinzu, vermag man zu deutet in der Praxis: die meisten der über Es soll hier keineswegs der Versuch unter• das Geld seinen Wert. erkennen, welch großer Teil unseres Volkes 30 Millionen amerikanischen Aktiensparer ha• nommen werden, Unheil und Schuld, die anzu• von karger Arbeitslosenunterstützung leben ben in 18 Monaten gut 40 Prozent ihrer Erspar• prangern sind, unter den Tisch zu kehren. Doch mußte. nisse verloren — ein lautloses, aber ungleich Hoffnungen und Sorgen gewinnt man heute nicht selten den Eindruck, größer dimensioniertes Herstatt-Fiasko. daß die Schatten der Vergangenheit deshalb Wenn heute über den Bildschirm die „golde• Daß dies heute anders ist, liegt hauptsächlich auf die Gegenwart drücken sollen, damit Mil• nen 20er Jahre" flimmern, dann wird schamhaft 2. Die Kursentwicklung bei einzelnen, beson• am Preisdiktat der ölländer. Die Explosion der lionen an Reparationen bewirkt werden können. verschwiegen, wie hoch zum Beispiel allein in ders populären Papieren zeigt das Ausmaß der Energiekosten hat schon nach einem Jahr das Da sich in diesem Jahre die Kapitulation der Berlin die Selbstmordziffer emporgeschnellt war. Katastrophe noch deutlicher: die Aktie des größ• komplizierte Währungssystem der westlichen Deutschen Wehrmacht zum 30. Male jährt, wird Keineswegs aus Lust am Tode oder als Betriebs• ten Industriegiganten der Welt, General Motors, Welt ins Wanken gebracht; die meisten Indu• mit Sicherheit der Zweite Weltkrieg mit seinen unfall, nur eben deshalb, weil das Rauschgift stürzte von 110 auf 30 Dollar. Der Wert des so striestaaten, allen voran England, Frankreich, Schrecken und Folgen erneut in die Spalten der falsch dosiert war, sondern ganz einfach aus hochgelobten und angeblich zukunftsträchtigen Italien und die USA, sind als Folge der Devisen• Zeitungen und vor den Bildschirm gebracht wer• Verzweiflung. Weil Männer und Frauen nicht IBM-Paiers halbierte sich von 340 auf 170 Dol• verluste für ölimporte am Rande der Zahlungs• den. Man wird sich mit einem Eifer, der einer mehr ein noch aus wußten und ihnen der Frei• lar. Der Kamera-Konzern Polaroid schließlich, fähigkeit, ganz zu schweigen von den armen besseren Sache wert wäre, dieses Themas an• tod als letzter Ausweg erschien. der vor wenigen Monaten noch mit 150 Dollar Entwicklungsländern. nehmen, so daß die Frage auftritt: Cui bono? Die Wiege des Nationalsozialismus stand nicht notiert wurde, ist inzwischen auf 20 Dollar ab• Wem nutzt das? Verständlich, wenn die Kom• im Münchener Hofbräuhaus, sondern in Ver• In dieser Situation steht die Bundesrepublik gesackt. munisten versuchen, die Deutschen in einem sailles. Diese exakte Feststellung hat einmal mit vergleichsweise bescheidener Inflation und Schuldgefühl zu erhalten. Theodor Heuss getroffen. Mit der aus dem 3. Noch dramatischer als an der Wallstreet, den größten Währungsreserven der Welt noch Schaffen sie doch damit die Voraussetzungen „Versailler Vertrag" überkommenen nationalen wo mehr Aktien gehandelt werden als in der recht gut da. Innerhalb weniger Monate jedoch dafür, daß wir immer wieder zur Kasse gefor• Not und dem wirtschaftlichen Elend wuchs die gesamten übrigen Welt, verlief die Talfahrt kann sich 1975 die Szene wandeln: wann, wie dert werden können. Die Sowjets, in deren Land Verzweiflung und verband sich die Hoffnung, der Kurse an der Londoner Börse. Hier wurden zu fürchten steht, die Handelspartner in ver• heute Schikanen gegen jüdische Bürger an der daß Hitlers Parole „Freiheit und Brot" eine ständlichem Eigeninteresse ihre Importe aus der sogar noch schnellere und größere Verluste Tagesordnung sind, gelten keineswegs
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