Elke Heidenreich Fotografie Tom Krausz Der Rhein Eine Reise | Bilder | Geschichten Zu des Rheins gestreckten Hügeln, hochgesegneten Gebreiten, Auen, die den Fluss bespiegeln, weingeschmückten Landesweiten möget, mit Gedankenflügeln, ihr den treuen Freund begleiten. Johann Wolfgang von Goethe, 1814 Inhalt Alles fließt 13 Der Rhein und ich 17 Die Quellen 25 Der junge Rhein 39 Der Rhein wird erwachsen 51 Ein letztes Aufbäumen 61 Es wird ungemütlich 69 Basel 77 Die Schiffsreise beginnt 87 Der Rhein kriegt ein Korsett 95 Der Rhein als Zankapfel 99 Straßburg 103 Seele und Charakter 111 Das Rheingold 115 Speyer 123 Worms, Nibelungen, Luther – das ganze Programm 135 Erst noch richtig Dreck, dann aber wirklich Wein 145 Mainz und Wiesbaden 159 Die Burgen 165 Die Loreley 179 Die Germania und die Drosselgasse 187 Mein Köln 199 Drachenfels und Rolandseck 211 Das Ruhrgebiet 225 Der Niederrhein 235 Wieder zuhause oder: Peking 249 Anhang 251 Hamburg Bremen Nordsee Amsterdam Ijssel Rotterdam Rhein 13 Maas Nimwegen Lippe Xanten Holland Duisburg Ruhr Deutschland Alles fließt Düsseldorf Wupper Köln uf unserer Reise entlang des Rheins sahen und erlebten Belgien Sieg A wir vor allem eins: »Alles fließt.« Das hat der antike grie- Bonn chische Philosoph Heraklit gesagt, panta rhei, alles fließt. Rhea, Lahn die Fließende – sie war eine Titanin und die Gemahlin ihres Rhein Bruders Kronos, mit dem sie gemeinsam den ewigen Fluss der Koblenz Zeit und der Generationen bestimmte. Wiesbaden »Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen«, auch Main das sagte Heraklit. Ja, man sieht auch nicht zweimal denselben Bingen Mainz Fluss. Weil alles fließt, verändert sich alles, und so sehen, so Luxem- Mosel sahen wir den Vater Rhein mit unseren Augen, der Fotograf Tom burg Worms Krausz und ich, die Erzählerin. Saar Ludwigshafen Mannheim NürnbergWir sind am Rhein entlang gewandert, mit dem Auto ge- fahren, wir haben ihn von Basel bis Amsterdam per Schiff be- Speyer Jagst reist, wir waren ihm auf der Spur, von seinen beiden Quellen Lauter bis zu seinen beiden Mündungen – im Frühjahr und Sommer Rhea Kybele, Karlsruhe 2017. Und wir hatten einige der zahllosen Bücher im Gepäck, Skulptur im Schloss- park Schönbrunn Murg die über Vater Rhein – einen der bekanntesten Väter der Welt, in Wien höchstens vergleichbar mit Mütterchen Russland – schon ge- Straßburg Meurthe Neckar schrieben wurden: wann er entstand, wie er begradigt wurde, was er alles an Kriegen, Eroberungen, Kämpfen erlebt hat. Das Ill alles kann man nachlesen, akribisch, von sehr interessant bis Rhein Mosel sehr langweilig. Unentwegt wurde und wird der Rhein befahren, Frankreich von Eroberern, Kaufleuten und Touristen. Im 19. Jahrhundert haben ihn die Maler gemalt, die Dichter besungen, im 20. Jahr- Schaffhausen hundert war es mit der romantischen Sicht vorbei, die Indus- Lindau trie nahm sich des Flusses an. Aber noch immer wird der Rhein Thur Basel glorifiziert als Sitz der Romantik und abgetan als Kloake der In- Limmat Birs Reuss dustrie, jeder Ufermeter wurde erforscht, wir wissen eigentlich Aare Öster- alles über diesen Strom. Vaduz reich Reichenau Ilanz Chur Saane 0 20 40 60 80 100 km Vorderrhein n Schweiz Hinterrhei Lyon Mailand 14 Alles fließt Alles fließt 15 Warum ist es aber am Rhein so schön, wie ein bekanntes Lied aus den 20er-Jahren doch behauptet? Ich musste es meinem Opa Albert immer wieder auf meinem Kinderakkordeon vorspie- len. Es ist am Rhein so schön, sagt das Lied, weil die Mädel so lustig sind und die Burschen so durstig, weil so heiß das Blut und der Wein so gut, weil selbst aus Burgruinen Hoffnung grünt, weil das Auge hier vor lauter Heimatstolz leuchtet, weil die Sagen uns fesseln, kurzum: »weil dort sorglose Herzen fröhlich lachen und scherzen, darum ist es am Rhein so schön, am Rhein so schön.«1 Das mag ja alles sein. Aber der Rhein ist mehr als 1200 km lang, er fließt durch sechs Länder, er kann ja nun nicht nur so schön sein, weil die Mädel überall lustig und die Burschen über- all durstig sind. Wir wollten es genauer wissen. Wir wollten sel- ber sehen, riechen, fühlen, hören, nachdenken, erfahren. Tom Warum ist es am wollte seine Fotos machen, ich meine Eindrücke in Texten fest- Rhein so schön? halten, wie wir es schon auf vielen gemeinsamen Reisen in der Notenblatt ganzen Welt getan haben. Und am Ende, dachten wir, würden Gegenüber: wir schon wissen, warum es am Rhein denn nun eigentlich so- Der junge Rhein was von schön ist. durchschreitet das erste Tal im Wir haben jetzt zumindest eine Ahnung. Und wir haben Res- Gotthardmassiv pekt vor diesem Fluss, der so zart und klein in den Alpen be- ginnt und dann zu einer der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt wird. Reisen Sie mit uns! Und dann entscheiden Sie für sich selbst, ob und warum es am Rhein so schön, so schön ist … Elke Heidenreich und Tom Krausz, 2017 1 Frohsinn am Rhein, Band 1 für Akkordeon 17 Der Rhein und ich ch wohne seit dreißig Jahren am Rhein, und das sogar in einer IStraße, die nach einem weitgehend unbekannten Dichter em- phatischer Rheinverse benannt ist, der Arzt war und Mitglied des Vorparlaments der Paulskirche. Während seines Medizinstudi- ums in Bonn suchte er die Nähe der Schriftsteller Freiligrath und Köln Simrock, später in Paris traf er auf Heinrich Heine und Georg Herwegh. Er wollte lieber Dichter sein als Doktor, und tatsächlich wurde er unter dem Beinamen Wolfgang Müller von Königswin- ter bekannt für seine Rheingedichte – ach, Gedichte! Hymnen! »Mein Herz ist am Rheine, im heimischen Land, mein Herz ist am Rhein, wo die Wiege mir stand, Dom ✱ wo die Jugend mir liegt, wo die Freunde mir blühn, wo die Liebste mein denket mit wonnigem Glühn; O möget ihr immer dieselben mir sein: Wolfgang Müller von Wo ich bin, wo ich gehe, mein Herz ist am Rhein!«2 Königswinter Von meiner Haustür zum Rheinufer hinunter sind es genau fünf- hundertzweiundfünfzig Schritte und vierzehn Stufen, ich habe es beim täglichen Gang mit dem Hund mehrmals gezählt. In Köln ist der Rhein sehr breit – ich schätze, um die dreihundert Meter. Ich könnte die exakte Zahl jetzt in verlässlichen Sachbü- chern nachschlagen, aber genau dazu habe ich keine Lust: Es ist MEIN Rhein, ich blicke auf ihn und mache mir meine ei- genen Gedanken. Also: Sagen wir rund dreihundert Meter, und er fließt ruhig dahin, wie es sich für einen mächtigen Strom bei Kilometerzahl 684 gehört. Man hört ihn nicht, und man riecht ihn nur bei extremem Hoch- oder Niedrigwasser, leicht sumpfig. Auf meiner Rheinseite ist er befestigt, ein schöner langer Ufer- 2 Wolfgang Müller von Königswinter, Junge Lieder 18 Alles fließt Der Rhein und ich 19 weg, Treppen zur Straße hinauf, Hochwassertüren, die bei Be- darf oben an der Rheinuferstraße eingesetzt werden können. Sie sollen verhindern, dass er wieder diese so sehr befahrene Rheinuferstraße lahmlegt und an dem Briefkasten steht, in den ich immer meine Post einwerfe – 1993 und 1995 tat er das bei einem Pegel von über zehn Metern, normal sind um die drei Meter. Köln hat in den letzten Jahren viele Millionen in den Hochwasserschutz investiert. Ab einem Pegel von acht Metern spiel zuzusehen. In einem weißen Kleid und mit einer riesigen Die Südbrücke wird der Schiffsverkehr eingestellt, ab 9,40 Meter werden die Stoffgiraffe im Arm spazierte Angie Hiesl, ein Engelskind, hoch in Köln Hochwassertüren an der Rheinuferstraße geschlossen, ab elf oben über den höchsten Brückenbogen, die Bahn hatte die Ober- Metern steht trotzdem die Altstadt unter Wasser. Auf der an- leitungen stillgelegt und die Stadt Absicherung mit Seil verlangt, deren Rheinseite, der sogenannten »schäl Sick« mäandert der Angie hätte es schlafwandlerisch sicher auch ohne das gemacht. Fluss zu normalen Zeiten sanft an den Poller Wiesen vorbei, Der Rhein wurde während der Vorführung für die Schifffahrt ge- auf denen die Schafe weiden und die Liebespaare lagern. Bei sperrt, nur die Boote mit uns Kunstliebhabern waren zugelassen. Hochwasser hat er dort Platz zum Ausweichen und spült den Und da schwebte todesmutig dieses Mädchen in schwindelnder Campingplatz weg, auf dem meine frühere Haushaltshilfe Frau Höhe, riss sich am höchsten Punkt das nun brennende weiße Elke mit Mops Bretzel mit ihrem Mann einen Wohnwagen stehen hatte. Ei- Kleid vom Körper, am Ufer sang ein Chor dazu, wir staunten über Don Vito bei Rhein- gentlich wohnten sie in Köln Kalk, aber freitags, erzählte Frau so viel grazile Schönheit, diesen Mut, diese schwebende Poesie, kilometer 684 in Köln Bretzel freimütig, gingen sie und ihr Mann in den Wohnwagen dass Tränen flossen. Alles fließt, eben auch Tränen. Und sie flie- zum »Sie wissen schon, zuhause sind ja die Kinder, da kann man ßen auch darüber, wie weit diese mutlos und grau gewordene das nicht machen«. Bei Hochwasser fiel»Sie wissen schon« aus. Stadt Köln heute von solcher Schönheit und Poesie entfernt ist. Die Südbrücke, für mich die schönste aller Rheinbrücken, führt Ich bin seit meiner Kindheit mit dem Rhein eng vertraut. Auf- sozusagen von der Südstadt hinüber ins Nichts. Man kann zu gewachsen bin ich an einem seiner Nebenflüsse, an der Ruhr in Fuß oder mit dem Fahrrad rüber zu den Schafen auf den Poller Essen. Die Ruhr schenkte uns den Baldeneysee, in dem wir jeden Wiesen, die Güterzüge donnern nachts mit geheimnisvoller und Sommer schwammen und der mir meine glücklichsten Kindheits- sicher oft giftiger Fracht hinüber, und im Krieg erlaubte Kardinal erinnerungen an lange Sonnentage mit Freunden bescherte. Die Frings, dass man sich hier auf der Brücke rasch ein paar Koh- Ruhr kommt aus dem Rothaargebirge, und bei Duisburg-Ruhrort len
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