Kunst und Fernsehen - Partizipation statt Reproduktion Offenheit, Unbestimmtheit und Leerstellen in der TV-Serie Fargo (2017) Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts im Studiengang Digitale Medienkultur an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, 2019 Verfasserin: Lea Emilia Meer Email: [email protected] Matrikel-Nummer: 10144 1. Gutachter: Prof. Dr. habil. Lothar Mikos 2. Gutachter: Prof. PD Dr. phil. habil. Stefan Winter Kurzfassung Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit waren Überlegungen zum Verhältnis von Kunst und Medien, speziell dem Verhältnis von Kunst und dem Massenmedium Fernsehen. Dieses Verhältnis wurde und wird im gesellschaftlichen Diskurs und vom Standpunkt der Künste aus häufig negativ bestimmt. Doch gibt es gegenüber dieser negativen Verhältnisbestimmung Positionen, welche die Beziehung von Anfang an als ein Verhältnis von Interferenz und Interaktion beschreiben. Beispiele dafür, wie Fernsehen als Teil unserer Welt, besonders auch sein Einfluss auf unsere Sicht der Welt, künstlerisch reflektiert wird, lassen sich finden, aber lässt sich das Fernsehen auch als künstlerisches Ausdrucksmittel nutzen? Diese Arbeit ist in ihrem ersten Teil als Literaturarbeit und in ihrem zweiten Teil als Serienanalyse konzipiert. Aus der Perspektive ausgewählter medientheoretischer Literatur soll zunächst der Beginn des Diskurses um Kunst und Massenmedien historisch verortet werden. Wie dieser Diskurs unter Einbeziehung wesentlicher Prämissen der Rezeptionsästhetik medientheoretisch weitergeführt wurde, soll dann im Überblick skizziert werden. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei den Konzepten der Offenheit, Unbestimmtheit und Leerstelle zu. Im zweiten Teil dieser Arbeit soll untersucht werden, ob und in welcher Ausgestaltung sich fünf Leerstellen-Kategorien - wie sie Nadine Dablé für das audiovisuelle Erzählen entwickelt hat - in der 3. Staffel der Fernsehserie Fargo (2017) auffinden lassen. Auf diesem Weg soll eine Entscheidung darüber ermöglicht werden, ob der untersuchten Fernsehserie, ähnlich wie literarischen Texten, eine Appellstruktur zueigen ist, die den Zuschauer*innen eine aktive Partizipation im Prozess der Rezeption abverlangt. Die ästhetische Qualität dieser Fernsehserie würde dann also darin bestehen, dass sich die televisuelle Narration in der Rezeption der Zuschauer als „Kunstwerk“ konkretisiert. Selbstständigkeitserklärung Hiermit versichere ich, Lea Emilia Meer, Matrikel-Nummer: 10144 , dass ich die Arbeit mit dem Titel „Kunst und Fernsehen - Partizipation statt Reproduktion. Offenheit, Unbestimmtheit und Leerstellen in der TV-Serie Fargo (2017)“ selbstständig verfasst und dabei keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Sämtliche Stellen der Arbeit, die im Wortlaut oder dem Sinn nach Publikationen oder Vorträgen anderer Autoren entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher weder gesamt noch in Teilen einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. _________________________________________________ Ort, Datum Unterschrift Inhaltsverzeichnis I. Kunst, Medien und Zugang zur Welt .........................................................................2 II. Zum methodischen Vorgehen ....................................................................................4 III. Zur Konkurrenz um die Imagination .........................................................................5 IV. Zum Prinzip der Offenheit .........................................................................................8 V. Zum Prinzip der Unbestimmtheit und Leerstelle ....................................................10 V.1. Formen der Leerstelle im audiovisuellen Erzählen ........................................18 VI. Partizipation statt Reproduktion ..............................................................................22 VI.1. Serien als Kunstform des Fernsehens? ...........................................................22 VI.2. Zu Fargo ..........................................................................................................26 VI.3. Offenheit, Leerstellen und Unbestimmtheit in Fargo Staffel 3 .......................29 VI.4. Ergebnisse .......................................................................................................48 VII. Fazit .........................................................................................................................49 VIII.Literatur- und Medienverzeichnis ...........................................................................52 I. Kunst, Medien und Zugang zur Welt Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit waren Überlegungen zum Verhältnis von Kunst und Medien, speziell dem Verhältnis von Kunst und dem Massenmedium Fernsehen. Dieses Verhältnis wurde und wird im gesellschaftlichen Diskurs häufig negativ bestimmt. Fernsehen gilt als Medium ohne Kunst, wenn nicht sogar als Antikunst (vgl. Daniels 2002: 241). Als Massenmedium per se scheint es keinen Platz für die Idee einer künstlerischen Avantgarde zu lassen.1 Vor allem mit der Einführung des Privatfernsehens in Europa schien der Konflikt zwischen Kommerz und Kultur eindeutig entschieden zu sein: „Die Einschaltquote wird damit zum einzigen Kriterium für Erfolg oder Scheitern, und die spricht von Anfang an für die Kommerzialisierung“ (Daniels 2004 a: 1). Auch vom Standpunkt der Künste aus wurde das Fernsehen als ein hoffnungsloses Medium betrachtet: „Das effizienteste Reproduktions- und Distributionsmedium der Menschheitsgeschichte hat im zurückliegenden halben Jahrhundert kaum etwas ausgebildet, was als eine dem Medium eigene Kunstform bezeichnet werden könnte.“ (Daniels 2002: 242) Gegenüber dieser negativen Verhältnisbestimmung gibt es jedoch Positionen, welche die Beziehung zwischen Kunst und Medien von Anfang an als ein Verhältnis von Interferenz und Interaktion beschreiben. Audio-visuelle Medien besetzten zwar „stückweise ein Gebiet der menschlichen Wahrnehmung, das zuvor ausschließlich den klassischen Künsten und ihren verschiedenen Gattungen (Malerei, Musik, Theater) reserviert war“ (Daniels 2004 a: 1), 1 In den 1960er Jahren wird das Fernsehen zum weltweit beherrschenden Medium der Masse, dessen meinungsbildender Einfluss schnell die Presse und das Radio übertrumpft (vgl. Daniels 2002: 241). Zeitgleich entsteht der Begriff des „Massenmediums“, welcher Presse, Radio und Film zwar mit einschließt, doch es scheint als würde „nur das Fernsehen […] als Synthese von deren Wirkungen den Begriff umfassend […] verkörpern“ (ebd.: 241). Der noch heute gängige Begriff hat dabei eine tendenziell negative Konnotation, wobei er an sich nur aussagt, dass sich das Medium an eine anonyme, heterogene Masse richtet (vgl. Mikos 2008: 21). !2 von 55! doch führen diese Prozesse gerade nicht zum Verschwinden der einzelnen künstlerischen Gattungen, sondern zur Entwicklung neuer künstlerischer Positionen in Auseinandersetzung mit einer fortschreitenden Medientechnik.2 Spitzt man diese Gedanken weiter zu, lässt sich die These in den Raum stellen, dass alle moderne Kunst auch Medienkunst ist „weil sie sich, positiv oder negativ, in Beziehung zu den Medien und der von ihnen geformten Weltsicht definiert“ (Daniels 2002: 166). Audio-visuelle Medien sind heute Teil von Welt, mit welcher sich Kunst auseinander setzt; Sie sind heute auch Medien mit und in denen Künstler*innen ihre Auseinandersetzung mit Welt gestalten und transportieren.3 Fotografie, Film und Video, Ton und Musik, digitale und interaktive Medien haben unbestreitbar einen großen Einfluss auf die Bildende Kunst der Gegenwart, aber welche Rolle spielt das Fernsehen? Beispiele dafür, wie Fernsehen als Teil unserer Welt, besonders auch sein Einfluss auf unsere Sicht der Welt, künstlerisch reflektiert wird, lassen sich finden, aber lässt sich das Fernsehen auch als künstlerisches Ausdrucksmittel nutzen?4 Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, ist es nötig, neue Fragen und auch alte Fragen neu zu stellen: Was ist ein Kunstwerk? Was macht eine Fotografie oder einen Film zum Kunstwerk? Gibt es ästhetische Kriterien, die sich nicht nur auf die klassischen Gattungen der Kunst, sondern auch auf sogenannte Medienkunst anwenden lassen? Auch auf das Fernsehen? Es ist keine Frage, dass sich in der Auseinandersetzung mit einer veränderten Kunstpraxis auch die Theorien der Künste verändern. 2 So kann z.B. in der Malerei die Entwicklung von Impressionismus, Kubismus und Surrealismus als Antwort-Versuche auf die mit der Erfindung der Fotografie neu entstandenen ästhetischen Fragen verstanden werden (vgl. Daniels 2004 a: 1). 3 Wenn Marshall McLuhan davon ausgeht, dass Medien die Art und Weise der Weltwahrnehmung bestimmen, spricht er diesen also ein klassisches Merkmal der Kunst zu. 4 Künstler*innen treten im Fernsehen auf, machen das Fernsehen zum Inhalt ihrer Kunstwerke und arbeiten mit dem Fernseh-Gerät, doch gibt es auch eine televisuelle Ästhetik und eigene Kunstformen des Fernsehens? !3 von 55! In Worten Paul Valérys (1934): „Man muss sich darauf gefasst machen, daß so große Neuerungen die gesamte Technik der Künste verändern, dadurch die Invention selbst beeinflussen und schließlich vielleicht dazu gelangen werden, den Begriff der Kunst selbst auf die zauberhafteste Art zu verändern.“5 Welche Theorien der Kunst gibt es heute, die eine Beurteilung audiovisueller Medien unter ästhetischen Gesichtspunkten erlauben? Mit welchen Konzepten arbeiten sie? Welche Beurteilungs-Kriterien entwickeln sie? Und welche Erkenntnisse bringt ihre Anwendung bei der Analyse einer
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