Bibliothek des Widerstands · Band 9 Herausgegeben von Willi Baer und Karl-Heinz Dellwo Panteón Militar LAIKA-Verlag Inhalt Osvaldo Bayer 30 Jahre danach – Zu den Folgen der Militärdiktatur in Argentinien 11 Klaus Eichner Argentinien Militär – Geheimdienste – Terror 23 Dokumentation 87 Elvira Ochoa/Frieder Wagner Die dunkle Seite des Sterns: Mercedes Benz und die stille Kollaboration mit der argentinischen Diktatur 97 Gaby Weber Die Verschwundenen von Mercedes Benz 115 Filmografie 133 Biografische Notiz 135 Inhalt der DVD 144 5 24 März 1976 Buenos Aires, Panzer vor dem Regierungspalast Die Diktatur dauerte von 1976 – 1983 Bilanz: 30 000 Verschwundene, ein verlorener Krieg gegen England um die Falklandinseln und eine heruntergewirtschaf- tete und ausgesaugte Ökonomie Unter der Führung von Emilio Eduardo Massera, Jorge Rafael Videla und Orlando Agosti wurden etwa 30 000 Subversive und die, die man dafür hielt, in Argentinien zuerst gefoltert und dann ermordet Die Militärs waren sich der deutschen Unterstützung sicher Vier Wochen vor dem Putsch informierte Massera den deutschen Botschafter Jörg Kastl über den Putsch Kastl selber riet Massera: »Sie brauchen Standgerichte mit einem Ausnahmezustand, dann begreift das Ihr Volk und das begreift dann sicher auch das Ausland« Auf Jörg Kastl folgt der Botschafter Joachim Jaenicke, der nach den bereits bekannten Morden an Klaus Zieschank und Elisabeth Käsemann, nach den Berichten über Folter und Mord erklärt, dass Argentinien keine Diktatur sei Später schreiben argentinische Zeitungen über die »Deutsche Mitwirkung beim argentinischen Genozid« Klaus Eichner Argentinien. Militär – Geheimdienste – Terror »Argentinien wird erschüttert und vergewaltigt von der letzten Militärdiktatur und allen Diktaturen Lateinamerikas, die von der Doktrin der Nationalen Si- cherheit eingesetzt wurden. Die Militärputsche und ihre Terrormechanismen sind in unserem Gedächtnis: die Methodologien des Mordes, der Folter, des Ver- schwindenlassens von Personen und der Zerstörung der Produktivkraft des Lan- des, und auch die Tausende in der Welt verstreuten Exilierten.« Nationalpreisträger Adolfo Perez Esquivel aus Anlass des 30 Jahrestages des Putsches der argentinischen Militärs Kurzer geschichtlicher Rückblick ach Ende des Zweiten Weltkrieges war Argentinien bevorzug- tes Zielland für hochbelastete Nazi- und Kriegsverbrecher (zum Beispiel Adolf Eichmann, Josef Mengele oder Walter Rauff). Präsident Juan Domingo Perón (erste Amtszeit 1946-1955) sympathisierte mit faschistischem Gedankengut und verfolgte das Ziel, in Argentinien einen Spezialdienst für den antikommunistischen Kampf Naufzubauen. Dazu brauchte er die Hilfe der Spezialisten aus dem faschistischen Deutschland. Die zweite Amtszeit von Präsident Perón (1973 bis zu seinem Tode 1974) und seiner dritten Ehefrau Isabel Perón als Nachfolgerin, war geprägt durch politische Instabilitäten, interne Machtkämpfe und innenpolitischen Terror; Isabel Perón 23 Panteón Militar - Kreuzzug gegen die Subversion war nur eine Marionette der monopolistischen Kräfte in Argentinien. Mit Dekre- ten ihrer Regierung wurde die Militärführung unter dem späteren Juntageneral Jorge Rafael Videla autorisiert, die »Subversion zu liquidieren«. In späteren Unter- suchungen legte man Isabel Perón zur Last, dass sie die Aktivitäten der rechtsext- remen Todesschwadronen – Alianza Anticomunista Argentina - AAA – genannt Triple A – zur systematischen Liquidierung von Oppositionellen gekannt und gedeckt hat. Diese Alianza war nur eine der Todesschwadronen, von denen zwi- schen 1970 und 1975 circa zwanzig Formationen in Argentinien wirkten. Einer der Gründer von Triple A war José López Rega, von 1971 bis 1973 Privatsekretär von Präsident Perón und anschließend Minister für Wohlfahrt in der Regierung von Isabel Perón. Ein Teil der Mitarbeiter der AAA war als Angehöriger des Mi- nisteriums getarnt. Die Todesschwadron hatte ein eigenes Publikationsorgan – das Magazin El Caudillo – dessen Standort zugleich als Hauptquartier der Triple A fungierte.1 Am 26. März 1976 kam es zum Sturz der Regierung Perón und zu ihrer Ablösung durch eine Militärjunta unter Führung von General Jorge Rafael Videla. Der Terror im Inneren, die Verfolgung und Ermordung innenpolitischer Kritiker und Oppositionel- ler nahmen immer größere Ausmaße an. Mit Hilfe von Todesschwadronen und unter massivem Einsatz der Folter in Geheimgefängnissen sollten alle progressiven Entwick- lungen im Lande beseitigt werden. Die Begründung dafür leiteten die putschenden Militärs aus der Forderung ab, die Ordnung im Lande wieder herzustellen, indem vor allem die Guerilla-Aktivitäten zu beenden seien. Diese »Wiederherstellung der Ord- nung« wurde als Prozess der Nationalen Reorganisation (Proceso de Reorganisación Nacional) deklariert. Der Reorganisationsprozess enthielt die Forderungen nach Mo- dernisierung der Wirtschaft, Beseitigung der Korruption in der Regierung und nach einer grundlegenden Reform der Bildung. Eine unvollständige Auflistung der Opfer dieser »Reorganisation« der Gesell- schaft ergab, dass es zwischen 1976 und 1983 zu 7.840 Entführungen und zu 7.122 vermutlichen Mordfällen gekommen war, also allein in diesen Fällen fast 15.000 der insgesamt geschätzten 30.000 Opfer der Militärjuntas.2 Die Verfolgung der politischen Gegner des Regimes erfuhr mit der Macht- übernahme durch die Militärs einen entscheidenden Bedeutungswandel. Wurden zuvor Guerilla-Aktivitäten als Teil krimineller Vergehen verfolgt, erklärten die putschenden Generale alle oppositionellen Aktivitäten zu Terrorhandlungen und deren Verfolgung zu einem »Krieg gegen den Terror« – eine Bewertung weit vor den Ereignissen des 11. September 2001! 24 Klaus Eichner · Argentinien Militär – Geheimdienste – Terror Mit der Niederlage Argentiniens 1982 im Falkland-Konflikt wurde Junta-Prä- sident Leopoldo Galtieri zum Rücktritt gezwungen. Der neue Junta-Chef, Gene- ral Reynaldo Benito Bignone (1981-1983), sah sich gezwungen, einen Prozess der Wiederherstellung ziviler Machtverhältnisse einzuleiten. Im Ergebnis dieser Entwicklung wurden Wahlen abgehalten, aus denen die Bürgerlich-Radikale Union (Union Civica Radical – UCR) als Sieger und ihr Ver- treter Raul Alfonsin als gewählter Präsident hervorgingen. Präsident Alfonsin hat- te als Aktivist der Menschenrechtsbewegung in der Zeit der Militärjunta ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Von Präsident Alfonsin gingen Aktivitäten aus, um die Verantwortlichen der Militärjunta vor Gericht zu stellen und eine öffentliche Aufarbeitung der Zeiten der Diktatur voranzutreiben. Jedoch unter dem zunehmenden Druck der Militärs wurden diese Bemühun- gen immer weiter zurückgedrängt. In den Jahren 1986 und 1987 erließ Präsident Alfonsin zwei Amnestiegesetze, durch die die Militärs für ihre Verbrechen in der Diktatur weitgehend straffrei gestellt wurden. 1989 gewann der Perónist Carlos Menem die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen und sprach schon kurz nach seinem Amtsantritt eine weitreichende Begnadigung für das ehemalige Militär- regime aus. Gleichzeitig forcierte Menem ein von den Militärs eingeführtes neoli- berales Wirtschaftsprojekt, das Argentinien einen starken Wirtschaftsaufschwung und 2001 eine tiefgreifende Wirtschaftskrise mit massiven sozialen Einschnitten brachte. Erst mit dem Regierungsantritt von Nestor Kirchner (2003) erhielt die staat- liche Menschenrechtspolitik einen neuen Aufschwung. Senat und Oberster Ge- richtshof annullierten im Jahre 2005 die Amnestie- und Straflosigkeitsgesetze. Fluchtwege belasteter Nazis – Die Rattenlinien Entgegen allen Vereinbarungen der Anti-Hitler-Koalition realisierten die amerikani- schen Geheimdienste – in Deutschland und Österreich vor allem das Counter Intelli- gence Corps (CIC), der Abwehrdienst der US-Streitkräfte – vielfältige Maßnahmen zur nachrichtendienstlichen Nutzung von Spezialisten der faschistischen Geheimdienste für die aktuellen Ziele der US-Nachkriegspolitik. Dabei spielte es keine Rolle, dass da- runter auch hochbelastete Nazi- und Kriegsverbrecher waren. Der Sowjetexperte der später gegründeten CIA, Harry Rositzke resümierte: »Es war unbedingt notwendig, dass wir jeden Schweinehund verwendeten, Hauptsache, er war Antikommunist.« 25 Panteón Militar - Kreuzzug gegen die Subversion Trotz und neben der geheimen Zusammenarbeit der amerikanischen Geheim- dienste mit belasteten Nazis traten jedoch immer wieder Situationen auf, wo selbst die amerikanischen Agenten oder auch andere Personen und Gruppen durch die antifaschistische Öffentlichkeit entlarvt wurden und deren Aburteilung gefordert wurde. Als Notausstieg aus diesen Situationen hatte die Spezialisten des CIC ille- gale Fluchtlinien geschaffen, die sie intern die »Rattenlinie« (Rat Line) nannten. Im westlichen Spionagejargon wird der Begriff Rattenlinie generell für Flucht- wege von Geheimdienstagenten, gefährdeten Personen und Ähnliches verwendet, wobei die Wortwahl die Einstellung zu ihren Mitarbeitern charakterisiert. Im engeren Sinne handelt es sich um die Gesamtheit der Schutz- und Flucht- operationen für belastete Nazi- und Kriegsverbrecher von 1945 bis Anfang der Fünfziger Jahre von Europa aus, vorwiegend nach Südamerika. Die operative Führung lag ursprünglich vorrangig beim 430th CIC-Detach- ment in Österreich, später erfolgte eine Übergabe an die CIA, da diese laut einem internen CIC-Dokument die Verantwortung für alle Ausschleusungsoperationen übernommen hatte. Die amerikanische Autorin Mary Ellen Reese bezeichnet dieses System nach intensivem Studium von Originaldokumenten der amerikanischen Geheimdienste als ein
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