UMARMUNG UND GEWALT in Dokumenten Undbildern Der Gewerkschaften 1933 Die Zerschlagung Region Nordwürttemberg

UMARMUNG UND GEWALT in Dokumenten Undbildern Der Gewerkschaften 1933 Die Zerschlagung Region Nordwürttemberg

Region Nordwürttemberg Am 2. Mai 1933 wurden die freien Gewerkschaften durch die Nazis zerschlagen, die Gewerkschaftshäuser besetzt und die Arbeiterkultur für lange Zeit zerstört. Ein Lesebuch mit vielen Originaldokumenten und Bildern UMARMUNG UMARMUNG UND GEWALT Die Zerschlagung der Gewerkschaften 1933 Ein symbolträchtiges Bild: Tausende feiern den 1. Mai 1946 in Freiheit nach 12 Jahren Terror vor der Kulisse des im Zweiten in Dokumenten und Bildern Weltkriegs zerstörten Neuen Schlosses in Stuttgart UMARMUNG UND GEWALT Die Zerschlagung UMARMUNG UMARMUNG UND GEWALT der Gewerkschaften 1933 in Dokumenten und Bildern Am 2. Mai 1933 wurden die freien Gewerkschaften durch die Nazis zerschlagen, die Gewerkschaftshäuser besetzt und die Arbeiterkultur für lange Zeit zerstört. Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die vom Terror der Nazizeit berichten können. Deshalb wollen wir mit diesem Lese- buch und vielen originalen Dokumenten und Bilder zei- gen, was vor unsere Haustüre geschah. Herausgegeben von der DGB-Region Nordwürttemberg UMARMUNG UND GEWALT | VORWORT VORWORT | UMARMUNG UND GEWALT Vorwort den Mitgliedern der ADGB-Gewerkschaften entscheidet ... in allen betrieblichen Angelegen- setzung dokumentiert. Sie erhebt weder An- waren Ende Juni 1932 43,6% der Gewerk- heiten ... Er hat für das Wohl der Gefolgschaft spruch auf Vollständigkeit noch auf wissen- schaftsmitglieder arbeitslos, 21,7% in Kurz- zu sorgen. Diese hat ihm die in der Betriebs- schaftliche Perfektion. Die Schwerpunkte sind arbeit. Bei der kommunistischen RGO (Re- gemeinschaft begründete Treue zu halten ... im Wesentlichen auf Heilbronn und Stuttgart volutionäre Gewerkschafts-Opposition) sah 5HLFKVJHVHW]EODWW7HLO6b bzw. Esslingen gelegt. Aber auch in anderen es noch viel katastrophaler aus: dort waren Städten der Region Nordwürttemberg gab es Am 2. Mai 2013 jährte sich mehr als die Hälfte der Mitglieder ohne Be- Den Nazis blieb nur eine Möglichkeit: Die Veranstaltungen zu diesem Thema, so z. B. in ]XP0DOGLHˌ¦FKHQ- schäftigung. Gewerkschaften zu vereinnahmen und den Backnang. deckende und general- Besitz und das Vermögen der Mitglieder zu stabsmäßige Besetzung Die Zeit zwischen Januar und Mai 1933 wur- rauben. Das Zusammentragen der Informationen und der Gewerkschaftshäuser de von einer vermutlich auch für die Wei- die Diskussionen dazu können wir leisten, UND GEWALT UMARMUNG UMARMUNG im gesamten Deutschen marer Republik unglaublichen Gewaltwelle Wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschaf- weil Menschen in ihrer Freizeit mit Herzblut Reich durch die SA, SS und die NSBO (Natio- überschwemmt. Die Gewaltexzesse und ter wissen, das die Geschichte der Menschheit recherchierten und es wichtig ist, die Zusam- nalsozialistische Betriebszellenorganisation). Horrormeldungen tauchten im Tagesrhyth- eine Geschichte von Verteilungskämpfen menhänge und Lehren darzustellen. Leben- Auch in der Region Nordwürttemberg wurden mus auf. Die Zeitungsausschnitte in diesem ist, dieser Prozess ist bis heute ununterbro- dige Geschichte – dies sehen wir als unsere viele Büros überfallen. Buch dokumentieren hervorragend die Zeit chen. Und wir wissen auch, dass uns nichts Aufgabe an. des Umbruchs, des Verschwindens jeglicher geschenkt wird. Deshalb haben wir, zur Erin- Wir haben dieses Projekt Umarmung und Ge- demokratischer Grundwerte. Mit einer Selbst- nerung, zur Mahnung und auch als Ansporn %HUQKDUG/¸IˌHU walt genannt, weil es die vielschichtige Aus- verständlichkeit werden „Verordnungen des einen kleinen Ausschnitt dieser Auseinander- DGB-Regionsvorsitzender Nordwürttemberg einandersetzung eines relativ kurzen Zeit- Innenministeriums über die Schutzhaft“ ab- raumes sehr treffend beschreibt. Die gängige gedruckt neben den Wochenmarktöffnungs- Geschichtsschreibung geht stets von einer zeiten, oder dem „Absägen der Hitlerlinde“ Art Zweikampf aus, Arbeiterbewegung (also nachts gegen 1 Uhr in Nürtingen, wie voller die Gewerkschaften, SPD und KPD) gegen Empörung festgestellt wird. In unverblümter die NSDAP. Im Zuge dieses „Kräftemessens“ Offenheit war auch die Sprache an Brutalität hätte die Arbeiterbewegung, um es mal sa- nicht zu überbieten. lopp zu sagen, den Zeitpunkt zur Kehrtwende am 30.1.1933 verschlafen, also dem Tag der Die Nazis hatten so gut wie keinen Zugang Ernennung von Hitler durch Reichspräsident zur Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Hindenburg. Dies wäre jedoch eine Verkür- Sie huldigten stets der „Arbeit“, niemals zung des Zeitgeschehens. Es gab diesen einen jedoch den arbeitenden Menschen. Dement- Moment nicht. Aber es existierte eine große sprechend wurde die Notwendigkeit von sozi- Allianz von den Nazis über das bürgerliche aler Gerechtigkeit und Mitbestimmung igno- Lager bis zu den Unternehmern, die der NS- riert. In dem am 20.1.1934 erlassenen „Gesetz DAP das Feld Terror und Zerstörung von De- zur Ordnung der nationalen Arbeit“ lässt sich mokratie und Rechte gerne überließen. das im Klartext erkennen: §1. Im Betrieb arbeiten die Unternehmer als Auch wurde die betriebliche Kampfkraft der Führer des Betriebes, die Angestellten und Ar- Gewerkschaften reichlich überschätzt: Von beiter als Gefolgschaft. Der Führer des Betriebes Die Verhaftung des Heilbronner Gemeinderats Ernst Riegraf – mehr dazu auf Seite 29 2 3 UMARMUNG UND GEWALT | STUTTGART UND ESSLINGEN STUTTGART UND ESSLINGEN | UMARMUNG UND GEWALT Wo blieb der Widerstand? Noch zu Beginn des Jahres 1933 war die Die Nazis benötigten dringend die Arbeiter- der Zerschlagung der freien Gewerkschaften, [...] [Ich gehörte] zu den „politisch belasteten“ Arbeiterbewegung im Deutschen Reich die bewegung, um ihre Pläne, die Zerstörung der wurden im Tagesrhythmus die elementaren Bonzen [...], die ihre Entlassung bekamen, wesentliche Basis der Gesellschaft. Oft wird Republik, auszuführen – daher die Umar- Grundlagen einer demokratischen und ge- um den Weg zur nationalen Erneuerung deshalb gefragt, wieso die Nationalsozialisten mung. Die Gewalt war so hemmungslos, wie rechten Gesellschaft hinweg gefegt. Sadisten der Gewerkschaften nach der Idee Leiparts so leichtes Spiel bei der Zerschlagung der sich auch hartgesottene Zeitgenossen dies in der SA, SS, der Gestapo und weiteren Um- freizumachen. [...] Vom März an war ich mächtigen Organisationen hatten. nicht vorstellen konnten. Zwischen dem 30. feldorganisationen bekamen Absolution für vogelfrei. In der Nacht vom 7. auf den 8. März Januar 1933, dem Tag der Ernennung Hitlers ihre Brutalitäten, während der Führerstaat habe ich auf eigene Initiative in Stuttgart Wir haben diese Broschüre Umarmung und zum Reichskanzler durch Reichspräsident gleichzeitig die gesetzlichen Grundlagen her- versucht, den Kampf auszulösen. Als alle Gewalt genannt, um genau diese Frage damit Hindenburg, und dem 2. Mai 1933, dem Tag stellte, um sich einen legalen Anspruch zu den Kopf verloren hatten, alarmierte ich zu beantworten. geben. als Reichsbannerführer das Reichsbanner. Die ganze Nacht lagen ca. 2.000 Mann Über 20.000 Menschen wurden in dieser bewaffnet den Nazis gegenüber. Wir wollten Zeit im Deutschen Reich verhaftet. Der Wi- in dieser Nacht die Nazis aus allen von ihnen derstand war also auch um diese Zahl an besetzten Punkten heraushauen. Das wäre politisch und gewerkschaftlich Aktiven ver- uns auch für Stuttgart gelungen, wohl sehe Reichstagswahlen ringert. Es ging nicht mehr darum, wer poli- ich heute ein, daß es auf Stuttgart begrenzt am 5.3.1933 tisch der mächtigere Flügel war. Die NSDAP geblieben wäre und wir schon in den ertränkte die gesamte Arbeiterbewegung in nächsten Tagen zusammenkartätscht worden Stuttgart Esslingen Blut. wären. Die Herren Parteibonzen haben mich NSDAP 33,8% 35% aber an der Herausgabe des Schießbefehls SPD 23,7% 27% durch ihr Intrigenspiel gehindert, so daß ich den Einrückbefehl geben musste [...]. KPD 14,8% 16% Bericht von Karl Molt, ehem. stv. Bezirksleiter des Von Mehrheiten kilometerweit Einheitsverbandes der Eisenbahner Deutschlands über entfernt – die NSDAP konnte den 7./8. März 1933 (Freischärlermobilmachung nach gerade mal ein Drittel der der Reichstagswahl) in einem Brief an Hans Jahn vom Stimmen erringen 9.4.1936 Eßlinger Zeitung vom 10.4.1933 Joseph Goebbels: „Wir Nationalsozialisten haben ... niemals Wie unbedeutend die Wahlen behauptet, daß wir Vertreter eines für die politische Stoßrichtung demokratischen Standpunktes seien, der NSDAP waren, lässt sich auf diesem Bild erkennen. sondern wir haben offen erklärt, daß wir Am 7. März 1933 hissen uns demokratischer Mittel nur bedienen, um 1D]LV+DNHQNUHX]ˊDJJHQ die Macht zu gewinnen, und daß wir nach am Landtagsgebäude der Machteroberung unseren Gegnern alle Ecke Kronprinzstraße und die Mittel versagen würden, die man uns in Eßlinger Zeitung vom 4.5.1933 Kanzleistraße Zeiten der Opposition zugebilligt hatte.“ 4 5 UMARMUNG UND GEWALT | STUTTGART STUTTGART | UMARMUNG UND GEWALT Lüge als Prinzip Die Betriebsrätewahlen 1933 im Reich waren Und so liest sich eine Woche später dieser für die Nazis ein Fiasko. Sie wurden auf ein Umstand in derselben Zeitung, allerdings un- Maß zusammen gestutzt, welches ihre Nicht- ter den neuen Besatzern: verankerung in der Arbeiterschaft symboli- So wenig wie die NSDAP sozialistisch war, so Jürgen Kuczynski: sierte. Deshalb wurden die Wahlen per Gesetzetz wenig war sie auch eine Arbeiterpartei. Die- „Man [kann] sagen, daß es den Faschisten am 4.4.1933 abgebrochen. Bis dahin waren sen Nimbus hatte sie sich selbst gegeben, um nicht gelungen war in der Arbeiterklasse 0DQGDWHLQ%HWULHEHQPLWIROJHQQ- im Arbeitermilieu einen Fuß in die Tür zu be- LUJHQGHLQHQHUQVWHQLGHRORJLVFKHQ(LQˊX¡]X dem Ergebnis

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