Portrait Splendeur fatale Salome, Elektra, Medea, Lady Macbeth,Antigone – in extremen Partien Zeitpunkt zwölf, und diese Einspielung hat Inge Borkh, die Ende Mai ihren 80. Geburtstag feiert, Maßstäbe wurde Teil meines Alltags – obwohl sie natürlich alles andere als alltäglich war. gesetzt. Dass sie nicht nur als Expressionistin des Musik-Theaters, Aber sie war immer verfügbar,und das war sondern auch als Sängerin eine Kategorie für sich war, zeigen etliche gut zu wissen, besonders während äußerst Aufnahmen. Eine Hommage von Thomas Voigt. unangenehmer Schulstunden. Die Aus- sicht, nach Hause zu kommen und diese er lebenslänglich Platten die verlorene Unschuld. Aber es gibt Auf- herrlich hysterische, ekstatische, besesse- hört, dürfte diese Erfahrung nahmen,die all diesen Veränderungen der ne Elektra zu hören, ließ mich manches Wkennen: dass manche Auf- eigenen Wahrnehmung mühelos stand- mit Gleichmut ertragen. nahmen, die man zuerst ganz toll fand, im halten. Dazu gehört in meinem Leben die Ihren bewegenden Gesang in der Orest- Laufe der Zeit erheblich an Faszination Elektra der Inge Borkh. Sie war die Erste, Szene wusste ich damals noch nicht so zu verlieren. Man ist älter, vielleicht auch rei- die ich in dieser Rolle hörte. Nicht live schätzen. Was ich mit wachsender Be- fer geworden, ist durch etliche Eindrücke (leider, der Nachteil der späten Geburt), geisterung hörte, war die Szene mit Kly- verwöhnt, wenn nicht verdorben. Auch sondern in der klassischen Dresdner tämnestra, der grandiosen Jean Madeira, beim Platten-Hören gibt es so etwas wie Einspielung unter Böhm. Ich war zu dem deren satter, erdiger Contraalt wie eine 36 FONO FORUM 6/01 Orgel tönte. Noch beim x-ten Mal fand im Leid, in der Liebe, in der Einsamkeit. ich diese Mutter-Tochter-Szene so span- Und Inge Borkh hat sich ihnen rückhalt- nend wie das Duell zwischen Bette Davis los ausgeliefert, in der Überzeugung, dass und Olivia de Havilland in „Wiegenlied Oper kein Spiegelbild des Alltags sein für eine Leiche“. darf, dass Theater immer mit Überhö- Heute, fast 30 Jahre später, höre ich vie- hung zu tun hat. les mit anderen Ohren, auch diese Auf- Außerhalb des Theaters lebt sie lieber in nahme. Dennoch ist sie eine Konstante Balance.Als ich ihr zum ersten Mal begeg- geblieben, und je öfter ich sie höre, desto nete, 1990 bei einem Gesangswettbewerb mehr schätze ich sie. Vor allem deshalb, in Wien, traf ich eine elegante Sportlerin: weil man hier die seltene Einheit von Wort groß, kräftig und von beneidenswerter und Ton, Schauspiel und Musik erlebt. Kondition. Vom Sprachgestus her ist sie Inge Borkh ist keine „Hochdramatische“, mehr Schauspielerin als Kammersänge- sondern immer die Figur: keine Rache- rin, sehr akzentuiert in der Diktion, jedes Furie, sondern eine Kämpferin für Recht Wort mit Ausdruck, jeder Vokal und Kon- und Gerechtigkeit. Zugleich eine unend- sonant so prägnant wie Sprachübungen lich Einsame, seelisch Versehrte; eine, die aus dem „Kleinen Hay“. Diese hatte sie sich immer wieder ihre alten Wunden sich schon als Kind verinnerlicht, um ihr aufreißt.Wenn sie den Geist des Vaters Stottern loszuwerden. Und sie war ja Die zentralen Rollen in ihrem Leben: oder das Traumbild des Bruders be- Schauspielerin gewesen, ganz am Anfang Salome (großes Foto links) und Elektra. schwört, klingt die Stimme anrührend ihrer Laufbahn, allen Vorbestimmungen weich; und wenn sie sich den Tag des gro- zum Trotz. Denn die Großmutter war kleine und kleinste Rollen, manchmal nur ßen Gerichts in allen Details ausmalt („So Sängerin, die Mutter war Sängerin, und einen Satz pro Abend. Doch selbst auf den wird das Blut aus hundert Kehlen stür- schon vor ihrer Geburt war es beschlosse- stürzte sich die 16-Jährige mit Begeis- zen“), hat ihre Besessenheit nichts Absto- ne Sache, dass die kleine Ingeborg eben- terung. ßendes. Selbst beim Triumph über Kly- falls Sängerin werden sollte. Der Vater, So früh die Schauspiel-Laufbahn be- tämnestra („Ich steh da und seh dich end- Konsul Simon,war mit diesen Plänen sehr gann, so schnell war sie auch wieder zu lich sterben!“) erregt sie mehr Mitleid als einverstanden. In seinem Haus in Mann- Ende. Bei ihrem nächsten Engagement in Grauen. Diese Phrase, wie auch den heim fanden regelmäßig künstlerische Basel riet der Regisseur Josef Kahlbeck Schluss des Monologs, trompetet Inge Veranstaltungen statt, und wenn seine ihrem Vater, sie lieber in eine Kochschule Borkh keineswegs so sieghaft heraus wie Frau auch nach der Heirat dem Theater zu schicken. Schweren Herzens lernte Birgit Nilsson. Dennoch (oder gerade entsagen musste – zu Hause durfte sie sin- Ingeborg kochen, machte aber noch einen deshalb?) wirkt ihr Portrait viel stärker. gen, so viel sie wollte.Von ihr lernte Inge- Versuch.Wie war das mit der Singerei? Ein Welche Wirkung von ihrer Elektra im Kollege von der Basler Oper, der Theater ausging, veranschaulichen fol- Bassist Fritz Ollendorff, hatte gende Auszüge aus einer Besprechung von Tanzen, aber nicht ihr dringend geraten, die Stim- Jean-Jacques Gautier im „Figaro“ (Mai me ausbilden zu lassen. Vater 1960): „Endlich habe ich eine Tragödin schweigen Simon ließ sich erweichen und gesehen. ... Sie nennt sich Inge Borkh und schickte sie zum Gesangsstu- ist die Inkarnation der Elektra. ... Sie ist borg die Grundlagen des Singens, schaffte dium nach Mailand, zu Vittorio Moratti. frenetische Leidenschaft, erhabene Liebe, sogar das dreigestrichene f der Königin Aus der Schauspielerin Ingeborg Simon phantastischer Hass....Sie wird vom heili- der Nacht. Aber sie wollte partout zum wurde die Sängerin Inge Borkh, ein hoher gen Feuer verzehrt,von den Furien fortge- Schauspiel. Sopran zwischen Lyrik und Koloratur. rissen. ... Sie hat die ‚splendeur fatale‘,von Von den Nazis wegen seiner jüdischen Umso erstaunlicher, dass sie ihr Opern- der Mallarmé spricht. Eine Stunde und Abstammung diffamiert und bedroht, Debüt ausgerechnet mit einer Contraalt- vierzig Minuten hält sie den Zuhörer in zog Simon 1933 mit seiner Familie nach Partie machte, der Czipra im „Zigeuner- atemloser Spannung, bis zur Erschöp- Wien.Auf diese Weise kam Ingeborg ihrer baron“. Damals war sie gerade zwanzig fung. Ein theatralischer Spasmus.“ Traumwelt ein großes Stück näher. Kaum, und hatte ein Engagement auf Probe am Als moderne Sängerin der 50er und dass sie das Nötigste an Schulbildung hin- Stadttheater Luzern.Doch sehr bald über- 60er Jahre, als Expressionistin des damals ter sich gebracht hatte, nahm sie Unter- nahm sie große Sopranpartien: Pamina, noch jungen Musik-Theaters hat sich Inge richt bei einer Schauspiel-Lehrerin des „Figaro“-Gräfin, Komponist, „Trouba- Borkh fast nur solche Rollen zu Eigen ge- Reinhardt-Seminars, sang und tanzte ne- dour“-Leonore, Margarethe,„Tiefland“- macht, die ihrem Darstellungsdrang ent- benbei beim Ronacher vor, um den be- Martha, Tosca und Senta. 1945 wechselte sprachen: die extremen. Medea und Anti- gehrten „Artistenpass“ zu erwerben und sie nach Bern, wo sie zwei Jahre später ihre gone,„Fidelio“-Leonore und Magda So- studierte die großen Heroinen fürs Vor- erste Salome sang, und das gleich in An- rel, Salome und Färberin, Tosca und sprechen. Mit dem Vorsprechen klappte wesenheit von Richard Strauss. Der war Turandot, Lady Macbeth und Katerina es, nur mit den Heroinen noch nicht. Ihr von ihrem Singen beeindruckt, meinte Ismailova – alle überlebensgroß im Hass, erstes Engagement, 1937 in Linz, brachte aber bezüglich ihrer übertriebenen Gestik 6/01 FONO FORUM 37 Portrait Ich kam stimmlich von oben, hatte eine leichte Höhe und habe in der Mitte immer schlank gesungen. Diese breite Mittellage, die man für eine Brünnhilde unbedingt braucht, hat mir gefehlt. Insofern war ich keine Hochdramatische. Das hat man vielmehr aus mir gemacht, weil man mich vorwiegend als Typ eingesetzt hat. Sonst wäre ich sicher einen mehr lyrischen Weg gegangen.“ In diesem Zusammenhang äußert sie sich auch sehr selbstkritisch über ihre Turandot:„Die hat meine Stimme eigent- lich überfordert. Ich hatte einfach nicht das Volumen von der Birgit.“ Glück- licherweise gab es zu ihrer Zeit noch stimmkundige Kapellmeister wie Fausto Cleva, mit dessen Hilfe sie diese Partie auch in dem riesigen War Memorial „Ich komm' vom Theater nicht los“: Inge Borkh als Chanson-Sängerin. House in San Francisco bewältigte. Und ihre Aufnahme der Partie unter Alberto beim Abstieg Jochanaans in die Zisterne: der abgenutzte Begriff vom „Singschau- Erede ist für meine Begriffe eine echte Al- „Sie soll net so viel machen, das ist doch spieler“ konkret bedeutet: eben keine Ex- ternative zu den Referenz-Einspielungen schon alles komponiert!“ pression auf Kosten der Tonproduktion, der Nilsson. Doch während die vokal ab- Später versuchte sie sich während des sondern die totale Verschmelzung von solut unangefochtene Schwedin in Franco dramatischen Orchester-Zwischenspiels Darstellung und Gesang. Corelli einen ebenbürtigen Partner hatte, mit lautem Sprechen in Spannung zu hal- Die nächsten Stationen waren Wien fand die differenziertere Interpretation ten: „Nein, bleib hier, ich will dich, ich und Paris, 1952 folgte Bayreuth (Sieg- der Borkh bei Mario del Monaco leider muss dich haben!“ rief sie dem Objekt ih- linde), 1953 San Francisco (Elektra, Tu- keinen Widerhall; wie in so vielen Auf- rer Begierde nach. Worauf Hans Hotter randot), 1955 die Scala (Respighis „Fiam- nahmen schaltete der Tenor auch diesmal ganz ungerührt erwidert haben soll:„Nix ma“), 1956 Chicago, 1958 das Debüt an auf Dauer-Forte. da, ich geh jetzt in die Kantine!“ der Met (Salome). Bis zu ihrem Bühnen- Mehr Glück mit den Partnern hatte sie Ein anderer Jochanaan, Alexander We- abschied im Jahr 1973 sang Inge Borkh als Salome: Aus München stammt eine litsch, gab mit Freuden nach und wurde „immer und überall und fast zu viel“.Als akustisch sehr ordentliche Aufführung ihr Partner fürs Leben. Dass die beiden moderne Darstellerin wurde sie natürlich unter Keilberth mit Max Lorenz und auch im Opern-Geschäft ein Gespann Hans Hotter; aus der Met eine wurden, brachte hin und wieder Proble- Rundfunk-Übertragung unter me.Zum Beispiel,als Karajan ihr die Salo- Durchbruch mit Mitropoulos, leider mit einem me an der Scala anbot. Da der Prophet rabiaten Strich im Schluss- schon mit einem anderen Bariton besetzt Menottis „Konsul“ gesang.
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