Unterwegs RUND UM DIE WILDSPITZE Fotos: Bernd Ritschel Fotos: Über 250 Dreitausender bilden zwischen Reschenpass Die Nordwand der Wildspitze (3770 m) bietet eine der begehrtesten Touren der und Timmelsjoch den Alpenhauptkamm: die Ötztaler Ötztaler Alpen und ist dementsprechend häufig besucht. Alpen. Die größte Massenerhebung der Ostalpen bietet neben Skizirkus und Modetouren immer noch eine Viel- zahl stiller Gipfelziele. Das klassische Tourengebiet stellt NICHOLAS MAILÄNDER vor. Berühmt, umschwärmt... und dennoch einsam 18 DAV Panorama Nr. 1/2001 Nr. 1/2001 Unterwegs RUND UM DIE WILDSPITZE Im Winter offenbaren sich die Ötztaler Gipfel als weiße Wildnis, in der Skiberg- steiger abseits vom großen Rummel die Ursprünglichkeit der Berge erleben können. Links die Hintere Schwärze (3628 m) und Similaun (3606 m) rechts. Schafe am Rofenberg im obersten Ötztal zu weiden. Noch heute machen sich in jedem Juni die Schafe aus dem mittleren Vinschgau und dem Schnalstal auf den langen Marsch nach Norden. Am dritten Tag geht es über die Gletscher am Hoch- oder Niederjoch und hinunter auf die Weiden im Rofen- und Niedertal.Rund 3000 Tiere sind heute noch an der Gletscherkarawane beteiligt. Sie ist ein Relikt aus jener Zeit, als das Oberötztal von Süden her wesentlich leichter erreicht Hoch über dem tief eingeschnittenen werden konnte als von Norden. Ein Blick Rofental thront einsam die Fineilspitze auf die Karte zeigt, warum: Die beiden (3516 m) mit ihrem markanten Nordgrat. Quelltäler der Ötztaler Ache sind durch brei- te,relativ einfach zu überschreitende Jöcher mit dem Vinschgau verbunden; um von Gletscherwelt, hatte sich von seinen ersten Norden ins Innerötztal vorzudringen, muss- Amtsjahren an intensiv um die Ausbildung ten dagegen auf einem gefährlichen Saum- der örtlichen Bergführer gekümmert. Und pfad schroffe Klammen überwunden wer- nicht zuletzt dem hervorragenden Ruf der den. Kein Wunder, dass die Hochtäler von Führer von Vent war es zu verdanken, dass Süden her besiedelt wurden, und dass sich der Ort bald international als Bergsteiger- seine Bewohner über Jahrhunderte hin dem dorf bekannt wurde. Der einsetzende öko- Etschtal zugehörig fühlten! nomische Aufschwung änderte jedoch we- echt haben sie gehabt, doch gefallen,der wenige Schritte entfernt aus ei- dass der Mann aus der Jungsteinzeit, der nig an der katastrophalen finanziellen Situ- nicht ins Tal abzusteigen! Denn ner mit Wasser und Schneematsch gefüllten später unter dem Namen „Ötzi“ Weltbe- Ein Bauernbub ation des jungen Kuraten, dem der neue der labilen Luftdrucklage zum Vertiefung ragt: „Schau mal, was da liegt, rühmtheit erlangen sollte, höchstwahr- „startet“ den DAV Wohlstand zu verdanken war.Hilfe suchend Trotz spannt sich ein strahlend- Erika!“ Auf den ersten Blick sieht das merk- scheinlich aus dem Schnalstal in Richtung An dieser Südorientierung der Menschen in wandte der sich an den 1862 in Wien ge- Rblauer Himmel über den Ötztalern.Ein wah- würdige Objekt aus wie eine Puppe. Doch Ötztal unterwegs gewesen war. Fachleute den Tälern, die im Kessel von Vent zusam- gründeten Österreichischen Alpenverein. res Kaiserwetter! Früh um neun Uhr sind dann stellen die Simons mit Schaudern fest, vermuten seinen Lebensraum drunten im menlaufen, änderte sich erst etwas, als im Die Herren im Vorstand lobten zwar mit Erika und Helmut Simon, beide Mitglieder dass es ein menschlicher Oberkörper ist,der damals schon dichtbesiedelten Vinschgau, Jahr 1860 ein junger Theologe in der kleinen Franz Senn (1831 – 1884) der Ewald Weiß Archiv Foto: wohlgesetzten Worten Senns Initiative,seine der DAV-Sektion Nürnberg, von der Simi- ihnen zu Füßen aus dem Eis ragt.Der von ei- in einer kleinen Dorfgemeinschaft, die sich Gemeinde die frei gewordene Kuratenstelle „Gletscherpfarrer“, zählte zu den maßgeb- wiederholten Anträge auf Bezuschussung launhütte aufgebrochen und haben gegen ner pergamentartigen Haut überzogene durch Ackerbau und Viehwirtschaft ernähr- übernahm.Franz Senn,1831 in der Ortschaft lichen Erschließern der Ötztaler Alpen. des Wegebaus lehnten sie jedoch „als ein in Mittag den Gipfel der Fineilspitze erreicht. Kopf liegt mit dem Gesicht nach unten im te. Allerdings gibt es keinen Beleg für die Längenfeld im mittleren Ötztal geboren,war 1869 wirkte er bei der Gründung des DAV seinen Wirkungen schließlich zweifelhaftes, Es ist der 19. September 1991. Unmittelbar Gletscherwasser. Schnell macht Helmut ein kühne Annahme, bereits der Ötzi habe im beseelt von dem Gedanken, der bitteren entscheidend mit. kostspieligen Einflüssen ausgesetztes Unter- vor den Füßen des Ehepaars bricht die fels- paar Aufnahmen. Dann eilen die Simons da- Sommer Schaf- und Ziegenherden über die Armut in dem abgeschnittenen Erdenwinkel nehmen“ ab. Dem Gletscherpfarrer wurde durchsetzte Nordwand der Fineilspitze ab von, um den Fund in der nahegelegenen hohen Jöcher des Hauptkammes getrieben, an der Zweitausendergrenze ein Ende zu Kurat hatte weitergehende Pläne.Denn was immer klarer,dass die Wiener Alpenvereins- auf den Hochjochferner.Dahinter eine Glet- Similaunhütte zu melden. Nie hätten sie da- um sie auf den Hochweiden des oberen Ötz- setzen.Wenn es gelänge, die zwar schönen, nützte die schönste Unterkunft, wenn sie honoratioren sich für das Hochgebirge vor scherlandschaft von arktisch anmutenden mals geahnt, dass der von ihnen entdeckte tals zu hüten:Die Profis im Bundeskriminal- jedoch von wirtschaftlicher Not geplagten nur mühsam und gefährlich über armselige allem in theoretischer Hinsicht interessier- Dimensionen,aus der breite,wuchtige Berg- Mann im Gletscher sehr bald die Aufmerk- amt in Wiesbaden fanden weder an der Gebirgstäler den zwar betuchten, aber der Ziegenpfade zu erreichen war? Voll Gottver- ten.Kein Wunder,dass in Senn der Gedanke gestalten aufragen. Im Osten zum Greifen samkeit der Weltöffentlichkeit auf die Eisre- Mumie noch an der Ausrüstung irgendwel- Natur entfremdeten Städtern zugänglich zu trauen steckte Senn sein letztes Geld in den von der Gründung eines Alpinverbandes zu nahe der Gipfel des Similaun. Erst gestern gion im Herzen der Ötztaler Berge lenken che Spuren von Schafhaaren. Doch immer- machen, könnte beiden Seiten geholfen Bau einer Straße durch die Schluchten, die keimen begann, der dem praktischen Berg- sind sie dort drüben am Gipfelkreuz gestan- würde. hin bestätigt der Fund,dass sich Jäger,Hirten werden. seinen Kirchenflecken bislang vom unteren steigen gleichermaßen verpflichtet sein soll- den, konnten die herrliche Aussicht wegen und Händler schon vor Urzeiten an verglet- Voll Tatendrang machte sich der junge Ötztal abgeschnitten hatten und schreckte te wie den sozialen Belangen der Bevölke- des starken Nordwindes aber nicht so recht Nach Norden abgeschnitten scherte Übergänge im Alpenhauptkamm he- Kurat daran, im hinteren Ötztal eine geeig- auch nicht davor zurück, Schulden aufzu- rung im Hochgebirge. Ein Zufall kam dem genießen. Heute lassen die Simons sich da- Die Abteilung für Forensische Medizin der ranwagten. Und zwar auf Steigen, die heute nete Infrastruktur für den Fremdenverkehr nehmen.Er wurde sie bis zu seinem Lebens- Pfarrer zu Hilfe.Im August 1867 hielten sich für Zeit und dehnen die Gipfelrast aus, bis Universität Innsbruck, wo der Körper am noch begangen werden! aufzubauen. Als am 7. August 1862 in Vent ende nicht mehr los.Insgesamt 8000 Gulden die Münchner Buchhändler Trautwein und sich die Augen satt gesehen haben. Dann 23. September 1991 unter die Lupe genom- Wenn er auch zu Zeiten des Ötzi noch das neue Widum – das Pfarrhaus – einge- mussten aufgebracht werden, bis der Weg Waitzenbauer im Venter Widum auf,um von steigen sie vorsichtig über den exponierten men wurde,stellte zweifelsfrei fest,dass das nicht üblich war,so dürfte der spektakuläre weiht wurde, waren dort auch Räumlich- 1866 fertiggestellt war. hier aus Hochtouren zu unternehmen.Beide Nordostgrat hinunter in Richtung Haus- Ehepaar Simon auf einen prähistorischen Almauftrieb vom Vinschgau in die Venter keiten für 18 Fremdenbetten entstanden. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich war- zeigten für Senns Anliegen viel Verständnis. labjoch. Kurz vor dem Sattel zwingt ein Fund gestoßen war.Die anschließenden Un- Hochtäler doch weit älter sein als die Ur- Allerdings hatte die Baumaßnahme einen ten:Von nah und fern kamen die Hochtou- Als dann im Folgejahr der renommierte Schmelzwassersee das Ehepaar zu einem tersuchungen ergaben,dass der mumifizier- kunden, die ihn belegen. Zum Beispiel jene großen Teil von Franz Senns Privatvermögen risten nach Vent und brachten Wohlstand Bergsteiger Johann Stüdl von der Wildspitze Linksschlenker. Plötzlich bleibt Helmut te Leichnam rund 5000 Jahre im Gletscher vom 13. Januar 1357, die den Einwohnern verschlungen – den Erlös aus dem Verkauf ins Tal. Senn, selbst begeisterter Bergsteiger zurückkehrend das Pfarrhaus in Vent auf- Simon stehen. Ein Gegenstand ist ihm auf- gelegen hatte. Wissenschaftler nehmen an, des Schnalstals das Recht bestätigt, ihre (2) Bernd Ritschel Fotos: des elterlichen Hofes.Doch der idealistische und ein exzellenter Kenner der Ötztaler suchte, setzte Senn alles daran, den Prager 20 DAV Panorama Nr. 1/2001 Nr. 1/2001 DAV Panorama 21 Unterwegs RUND UM DIE WILDSPITZE gung des höchsten Gipfels der Ötztaler Alpen machten dann die Einheimischen un- ter sich aus:Es ist anzunehmen,dass Leander Klotz, der bedeutendste Vertreter der Berg- führerdynastie der „Klötz von Rofen“ be- reits 1848 auf dem Südgipfel stand; dass er 1861 den 3770 Meter hohen Hauptgipfel er- reichte,steht auf jeden Fall fest. Just zu jener Zeit griff auch Kurat Senn ins alpine
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