Jüdische Zahnärzte in Nürnberg und Fürth im Nationalsozialismus. Leben und Schicksal. Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Direktor: Prof. Dr. med. Karl-Heinz Leven Der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des Doktorgrades Dr. med. dent. vorgelegt von Marina Salzner aus Nürnberg Als Dissertation genehmigt von der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Tag der mündlichen Prüfung: 26.06.2014 Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Dr. h.c. J. Schüttler Gutachter: Prof. Dr. K.-H. Leven Prof. Dr. U. Hirschfelder Meiner Familie in Liebe und Dankbarkeit Inhaltsverzeichnis: Deutsche Zusammenfassung S. 1 a) Hintergrund und Ziele b) Methoden c) Ergebnisse und Beobachtungen d) Praktische Schlussfolgerungen English Summary S. 2 a) Background and aims b) Methods c) Results d) Practical conclusion 1. Einleitung S. 3 1.1 Aktueller Forschungsstand und Fragestellungen S. 3 1.2 Vorgehen S. 14 2. Allgemeines S. 18 2.1 Jüdisches Leben in Nürnberg und Fürth S. 18 2.2 Universitätsleben jüdischer Zahnmedizinstudenten S. 29 2.3 Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die Zahnheilkunde S. 35 3. Deportationen und Ghettos S. 43 3.1 Deportationen S. 43 3.2 Das Ghetto Riga S. 47 3.3 Das Ghetto Izbica S. 52 3.4 Das Lager und Ghetto Theresienstadt S. 55 4. Wiedergutmachung S. 60 4.1 Allgemeines S. 60 4.2 Beispiele für Wiedergutmachungsverfahren S. 66 5. Einzelschicksale S. 69 6. Resümee S. 121 Literaturverzeichnis S. 125 a) Ungedruckte Quellen S. 125 b) Literatur S. 130 c) Internetquellen S. 140 Abkürzungsverzeichnis S. 143 Danksagung S. 146 1 Deutsche Zusammenfassung a) Hintergrund und Ziele Die vorliegende Arbeit beschreibt Leben und Schicksal der jüdischen Zahnärzte in Nürnberg und Fürth zur Zeit des Nationalsozialismus. Außer- dem zeigt sie die Lebensumstände jüdischer Studenten und Zahnärzte zu dieser Zeit in Hinblick auf die Entwicklung der jüdischen Gemeinden in Nürn- berg und Fürth, das Leben an der Universität und die Entwicklungen in der Zahnärzteschaft. b) Methoden Auf Basis archivalischer Quellen aus sechs Archiven und aktueller Forschungsliteratur wurde die Gesamtzahl der jüdischen Zahnärzte und Dentisten in Nürnberg und Fürth ermittelt. Anschließend wurde für jede Person eine Biographie verfasst. c) Ergebnisse und Beobachtungen Von den 29 ermittelten Zahnärzten und Zahnärztinnen überlebten 16 den Holocaust, neun fielen ihm zum Opfer und vier verstarben bereits in den Anfangszeiten des ,Dritten Reichs‛ bzw. ihr genaues Schicksal ist nicht be- kannt. d) Praktische Schlussfolgerungen Diese Arbeit soll einen Beitrag zu den Forschungen über den Natio- nalsozialismus leisten. Außerdem ist sie ein Gedenkbuch für die vorgestell- ten Personen und somit ein Teil der Erinnerungskultur. 2 English Summary a) Background and aims The presented thesis is supposed to give an overview of the Jewish dentists‛ life and destiny in Nuremberg and Fürth during the National Socialists‛ reign. Moreover you get an impression of the Jewish students‛ and dentists‛ living conditions as well as the development of the Jewish communities, the life at university and the general advancement concerning the dentists‛ organisations in these years. b) Methods The first step was to investigate the Jewish dentists‛ total number in Nuremberg and Fürth with the help different scientific sources. The second one was to search for the single persons‛ fate. c) Results 29 male and female dentists were found in Nuremberg and Fürth. 16 survived the Holocaust and nine became victims. Four persons already died at the beginning of the socalled “Third Reich” or it was not possible to receive any information about their personal fate. d) Practical conclusion The thesis has been written to be a contribution to the research of the National Socialism. The second aim has been to light up the lives and fates of some Holocaust victims and therefore preserve important memories for future generations. 3 1. Einleitung 1.1 Aktueller Forschungsstand und Fragestellungen Die Verstrickung der Medizin in Politik und Ideologie des Nationalso- zialismus war in den Jahren 1946 und 1947 im Zuge des Nürnberger Ärzte- prozesses offenkundig geworden und juristisch bearbeitet worden. So veröffentlichte Max Weinreich bereits 1946 das Buch „Hitlerʼs Professors. The Part of Scholarship in Germanyʼs Crimes Against the Jewish People“, in dem er sich mit den führenden Medizinern und Wissenschaftlern des ,Dritten Reichs‛ beschäftigte.1 Im Anschluss daran vergingen Jahrzehnte, in denen die Forschung über die NS-Vergangenheit der Medizin ruhte. Erst ab 1980 wurden diese Forschungen wieder aufgenommen und nach einigen Jahren von den Ärzte- kammern auf Bundes- und Landesebene gefördert.2 Die Initiative dafür ging 1980 vom Berliner Gesundheitstag aus, dessen Eröffnungsveranstaltung „Tabuisierte Vergangenheit – ungebrochene Tradition“ thematisierte.3 Etwa zur gleichen Zeit trat das Themengebiet ,Zahnmedizin im Nationalsozialismus‛ in den Fokus der historischen Forschung. Zuvor er- schienen mehrere Werke über die Geschichte und Entwicklung der Zahn- heilkunde, die im Folgenden kurz vorgestellt werden. 1973 veröffentlichte Walter Hoffmann-Axthelm sein zweiteiliges Buch „Die Geschichte der Zahn- heilkunde“. Darin schilderte er die Entwicklungen in der Zahnmedizin von der Zeit des ägyptischen Pharaonenreichs bis ins 18. Jahrhundert. Das Zeit- alter des Nationalsozialismus wurde nicht erwähnt, auch in der 1985 er- schienenen Neuauflage nicht.4 1974 wurde auf dem Deutschen Zahnärztetag beschlossen, „eine ge- 1 Vgl. Weinreich (1946) Hitlerʼs Professors. 2 Vgl. Rauh, Leven (2013) Ernst Wilhelm Baader (1892-1962) S. 18-19. 3 Vgl. Süß (2011) Medizin und Nationalsozialismus S. 13. 4 Vgl. Hoffmann-Axthelm (1973 und 1985) Die Geschichte der Zahnheilkunde Teil 1 und 2. 4 schichtliche Betrachtung der Entwicklung der Zahnärzteschaft in Deutsch- land“5 ab 1845 zu erstellen. Laut Meinung der Bundeszahnärztekammer wäre nun der passende Zeitpunkt gekommen, um sich mit der Vergangen- heit auseinanderzusetzen. Diese „Geschichte des deutschen Zahnärzte- Standes“ wurde von den Zahnärzten Kurt Maretzy und Robert Venter ver- fasst. In ihrem Werk lag der Fokus auf der Entwicklung der Ausbildung, der Berufsstände und dem Konflikt zwischen Zahnärzten und Dentisten. Der NS- Zeit wurde zwar ein ganzes Kapitel gewidmet, eine wirklich kritische Ausein- andersetzung fand aber nicht statt.6 15 Jahre später beschäftigte sich Wolfgang Strübig ebenfalls mit der „Geschichte der Zahnheilkunde“. Seine Arbeit bot, ähnlich wie die von Hoffmann-Axthelm, einen Überblick über die Entwicklungen in der Zahn- medizin vom Altertum bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Allerdings wurde auch hier die NS-Zeit nicht erwähnt.7 Historische Forschung gab es aber nicht nur in der Bundesrepublik, in der DDR beschäftigten sich Historiker ebenfalls mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Noch 1989 wurde „Medizin unterm Hakenkreuz“ von Achim Thom und Genadij Ivanovic Caregorodcev veröffentlicht, zu dem Thomas Nickol ein Kapitel über Zahnmedizin im Nationalsozialismus beitrug. Er schilderte unter anderem die Umstrukturierung der Zahnärzteschaft nach 1933, Veränderungen im Studium und Anpassungen an die nationalsozialistische Ideologie.8 Neben Thomas Nickol gab es seit den 1980er Jahren noch einige andere Forscher, die sich allgemein mit dem Themengebiet ,Zahnmedizin im Nationalsozialismus‛ beschäftigten. 1982 begann Norbert Guggenbichler mit seiner Dissertation „Zahnmedizin unter dem Hakenkreuz”. Sie wurde 1988 als Buch veröffentlicht. Bereits 1984 stellte Guggenbichler erste Ergebnisse auf dem Bremer Gesundheitstag vor. Diese wurden dann 1987 im Sammel- 5 Maretzky, Venter (1974) Geschichte des deutschen Zahnärzte-Standes S. 3. 6 Vgl. ebd. S. 3-4. 7 Vgl. Strübig (1989) Geschichte der Zahnheilkunde. 8 Vgl. Nickol (1989) Zur Entwicklung der Zahnheilkunde in Deutschland von 1933-1945. 5 werk „Zahnmedizin und Faschismus” von Herausgeber Wolfgang Kirchhoff veröffentlicht. „Zahnmedizin unter dem Hakenkreuz” beschäftigte sich mit der Umgestaltung des Zahnärztestandes, der Ausschaltung ,nichtarischer‛ und politisch missliebiger Zahnärzte und der Auflösung der Zahnkliniken.9 „Zahnmedizin und Faschismus” sollte ein erster Versuch zur Aufarbeitung der Geschichte der Zahnheilkunde im ,Dritten Reich‛ sein. In diesem Sam- melwerk finden sich unter anderem Beiträge von Wolfgang Kirchhoff selbst, von Wolfgang Abendroth und von Gunther Richter.10 Im Anschluss an diese allgemeinen Forschungen begann die Auseinandersetzung mit den Opfern und Tätern des NS-Regimes, vor allem in Form von Dissertationen. 1993 wurden Ulrich-Wilhelm Depmer mit „Weg und Schicksal verfolgter Zahnmediziner während der Zeit des Nationalsozialismus”, 1994 Michael Köhn mit „Zahnärzte 1933–1945. Berufsverbot. Emigration. Verfolgung” und 1997 Ilan Golan mit „Schicksal der jüdischen Zahnärzte und Dentisten aus Freiburg und Umgebung aus der Zeit des Nationalsozialismus“ promoviert. Depmer beschäftigte sich in seiner Arbeit zunächst allgemein mit der Bedeutung der Juden im deutschen Kulturkreis, außerdem mit verschiede- nen Aspekten der Emigration und schließlich schilderte er mehrere Einzel- schicksale von jüdischen Zahnärzten, unter anderem auch dasjenige von Alfred Kantorowicz (1880-1962), einem Professor der Universität Bonn.11 Köhns Arbeit entstand 1994 auf Anregung der Berliner Zahnärztekam- mer mit dem Ziel, das „Schicksal der verfolgten, vertriebenen und ermordeten
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