Jazzletter 5

Jazzletter 5

Nr. 5 März 2002 ► swissjazzorama jazzletter Das Schweizer Jazzmuseum Liebe Leserinnen liebe Leser Q£ Auch in dieser Ausgabe stellen wir O keinen Musiker ins Zentrum, sondern den am 22. November letzten Jahres in Genf verstorbenen Norman Granz, ei­ □ nen Impresario und Schallplatten Pro­ LU duzenten von einmaligem Zuschnitt. Er war sozusagen der Erfinder der be­ rühmten Jazz at the Philharmonie- Konzerte. Granz brachte die grossen Jazz- Koryphäen der 40er- und 5Oer-Jahre auf die Bühnen der grossen Konzert­ säle, wo man bis anhin nur klassische Musik nach Noten spielte, und Hess sie über die sogenannten Jazzstandards improvisieren. Dass dies ohne Noten ablief, versteht sich von selbst. M it diesem Jam-Session-Jazz setzte er be­ wusst einen Gegenpol zu einer Musik, bei der jede Note für jedes Instrument vom Komponisten vorausbestimmt ist. Vorausbestimmt bei den Granzschen Konzerten war lediglich das musikali­ sche Thema und die Tonart. Wir freuen uns, mit Pierre Bouru einen A utoren gewonnen zu haben, dem es auf Grund seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Granz gelang, das Bild einer Persönlichkeit zu zeich­ nen, die - ohne selbst Musiker zu sein - den Gang der Jazzgeschichte nach­ haltig beeinflusst hat. Von Jammin’ the Blues zu Pablo: Norman Granz (6. August 1918-22. November 2001 ) Kaum einem Jazzfan ist der Name Norman ren vielfältiger Natur: lokaler Konzertorgani­ Granz kein Begriff. Als etwa zwanzigjähriger sator, Schallplattenproduzent, Produzent des Philosophie- und Jusstudent begeisterte sich Kultfilmes Jammin’ the Blues, Organisator Norman Granz für den Jazz, und seit Mitte von Konzerttourneen, Schöpfer der legendä­ derVierzigerjahre hatte er die gesamte Jazz­ ren Jazz at the Philharmonie-Konzerte Das SwissJazzOrama CREDIT entwicklung m iterlebt Seine Aktivitäten wa­ und der berühmten Schallplattenmarken wird unterstützt durch SUISSE In h a lt: I Norman Granz (1918-2001) 4 Das Klavier im Jazz 6/7 N otre Page en français: 20 ans Fabrikjazz - Michel Pilet: Memo­ ries of you: Buck Clayton et Cat Anderson 8 Ein Preis für Fernand Schlumpf - Hazy 80 - Aus dem Jazzarchiv - Aus dem Jazzmuseum Verve und, gegen Ende seines Lebens, Pablo. Opfer. Obwohl es zwischen uns manch­ on vereinigte verschiedene Musiker, die Zudem war er der alleinige Impresario von mal auch laut zu und her ging, wurde ich nach getaner A rbeit ohne jeden vertrag­ Ella Fitzgerald und Oscar Peterson. Viele der nie ein solches Opfer... lichen Zwang seitens des Klubs spontan grössten Jazzmusiker verdanken Norman miteinander spielen wollten. Man spielte Granz, dem Organisator weltweiter Konzert­ Ein absoluter Profi after hours am Ende einer Nacht gratis, tourneen, einen Teil ihres Ruhms und Vermö­ Es wäre vermessen, das Leben und das oft nur vor ca. einem Dutzend Zuhörern! gens: N at King Cole, Dizzy Gillespie, Stan W erk von Norman Granz in einigen Zei­ Norman Granz entwickelte das Konzept Getz, Duke Ellington, Count Basie, das len oder Seiten wiedergeben zu wollen. der organisierten und in den grossen Kon­ Modern Jazz Quartet, Stan Kenton, Ray Bis heute hat auch noch niemand diesen zertsälen programmierten Jam-Session, Charles und natürlich Ella und Oscar. Versuch unternommen, da er Jounalistin- die jetzt natürlich nicht mehr unentgelt­ Der Autor dieses Artikels, Pierre Bouru, nen und Journalisten, Fotografinnen und lich war: Das Publikum bezahlte, und die organisierte viele Konzerte m it Künstlern und Fotografen verabscheute. Die Presseleu­ Musiker erhielten ihren Teil. Alle waren Künstlerinnen, deren Impresario oder Produ­ te zahlten es ihm damit heim, dass sie ihm zufrieden, und der (überwältigende) Er­ zent Norman Granz war. Er stand mit ihm zu keiner grossen Medienpräsenz verhal- folg Hess nicht lange auf sich warten! während 18 Jahren (zwischen 1970 und fen oder ihm alle nur möglichen Fehler Granz schuf das Label Verve, das Clef 1988) häufig in persönlichem Kontakt Oft anhängten. und Norgran ersetzte. Der dadurch be­ organisierte er mit ihm zusammen Konzerte Seine Leidenschaft für den Jazz, sei­ wirkte Synergieeffekt ermöglichte es je­ in der Schweiz. ne Intelligenz und seine Zielstrebigkeit dermann, die Musiker entweder live auf machten aus ihm jedoch einen grossen der Bühne zu hören und zu sehen oder Der Mensch Norman Granz Impresario und Produzenten. Nachdem sich die Musik der besten A uftritte durch Ich hätte gerne gesagt, dass ich ihn gut Granz sein Studium an der Universität von den Kauf der Schallplattenmarke Verve zu kannte und dass wir Freunde geworden Los Angeles beendet hatte, organisierte verschaffen. Es handelte sich dabei um die sind. Aber dem ist leider nicht so. Nie­ er m it 24 Jahren sein erstes Konzert (mit Elite des Weltjazz zwischen 1945 und mand kann behaupten, er habe Norman Nat King Cole und Lester Young). Weite­ 1965: Dizzy Gillespie, Charlie Parker, J.J. Granz wirklich gekannt, und nur ganz re Konzerte folgten, was schliesslich zur Johnson, W ardell Gray, Charlie Mingus, wenige können von sich behaupten, seine Gründung der legendären Konzertorga­ Stan Getz, Roy Eldridge, Lester Young, Freunde gewesen zu sein. nisation J.A.T.P. (Jazz at the Philharmonie) Benny Carter, Coleman Hawkins (der die Norman Granz war eine sehr komp­ führte. 1946 gründete er das Label Clef, Tourneen auch darum schäme, weil er lexe, nur wenig menschliche W ärme aus­ mit dem er seine aufgenommenen Kon­ sich dabei in den besten Kleidergeschäf­ strahlende Persönlichkeit: Alle Kontakte zerte vermarktete. Etwa zur gleichen ten Londons einkleiden konnte!), Nat mit ihm blieben oberflächlich. Er war dis­ Zeit produzierte er den schönsten Jazz­ King Cole (als er noch kein Unterhal­ tanziert, unnahbar, schroff, autoritär und film aller Zeiten: den Kurzfilm Jam m in'the tungsstar war), der elegante und weltge­ selten herzlich. Er verunsicherte seine Blues, in dem man Lester Young, Harry wandte Hank Jones, der noch unbekann­ Partnerinnen und Partner, da man hinter Edison, Jo Jones, Illinois Jacquet und Sid­ te Kanadier Oscar Peterson (der sich auf dieser nicht gerade einladenden Fassade ney Cattlet hören und sehen kann. Die­ französisch vorstellte!), die Gitarristen einen kultivierten, entschlossenen und ser Film ist tontechnisch, fotografisch und Irving Ashby und Barney Kessel (die im passionierten Menschen wahrnahm. Er musikalisch von ausserordentlicher Qua­ Duo spielten), die swingenden W itzbolde war ein Feinschmecker und seine grosse lität. J.A.T.P.-Konzerte fanden überall in Slim Gaillard und Slam Steward (die - als Leidenschaft galt dem klassischen Jazz den USA statt, bevor sie bald nach Euro­ Clowns oder Musiker? - m it ihren Gags und der modernen Kunst. Dies machte pa, nach Japan und um 1955 nach Austra­ das Publikum mitrissen), Ray Brown (der ihn, trotz seiner schwierigen Charakter­ lien führten. ehemalige Ehemann von Ella Fitzgerald), eigenschaften, zu einer einnehmenden Sidney Cattlet (auf den es Louis A rm ­ Person. Er besass zudem grosse Qualitä­ Jazz at the Philharmonie strong abgesehen hatte), J.C. Heard, Jo ten: So war er absolut loyal und völlig ehr­ Die Idee, die zur Gründung von Jazz at Jones (der Basie verliess, weil er nicht lich. Leuten, die für ihn arbeiteten, ver­ the Philharmonie führte, war einfach: Das mehr im zweiten Glied stehen wollte!), traute er vollkommen. Wenn jedoch et­ Konzept der spontanen Jam-Session Gene Krupa und Buddy Rich (deren was nicht so lief, wie er es sich vorgestellt wurde auf die grosse Konzertbühne spektakuläre Einlagen grosse Publikums­ hatte, fiel man seiner Verachtung zum übertragen. Die ursprüngliche Jam-Sessi­ erfolge waren), und natürlich Ella und Typische Beispiele von LP-Hüllen,die Granz vom berühmten Grafiker David Stone Martin gestalten liess. Billie Holiday (die beim Publikum gerade­ zu «Hühnerhaut» hervorriefen). Im März 1955 bezahlte Granz aus sei­ ner eigenen Tasche die Begräbniskosten für Charlie Parker, damit Bird seiner Be­ deutung entsprechend bestattet werden konnte. Erfolge m it Tourneen Aber nach zwanzig Jahren lief sich das Konzept J.A.T.P. tot. Granz liess es fallen und verkaufte den Katalog Verve an die Polygram. Seit Beginn der Siebzigerjahre organisierte er Konzerte mit einzelnen Ella Fitzgerald und Oscar Peterson. Sie waren während vielen Jahren in Konzerten und auf Musikerinnen und Musikern oder Bands Schallplatten die grossen Stars der Granzschen Truppe. und nicht mehr m it zusammengewürfel­ ten Gruppen. Er wurde Tourneeprodu­ se anlässlich segregationistischer Kund­ Konzertsälen. Von diesem Augenblick an zent von Count Basie, Ray Charles, des gebungen, deren Opfer manchmal gewis­ gab es nicht mehr die geringsten Proble­ Oscar Peterson Trios, des Modern Jazz se seiner Künstlerinnen und Künstler me, die granzsche Organisationsmaschi­ Quartets und sogar von Stan Kenton und waren. ne setzte sich in Bewegung, und alles lief John Coltrane! Die Konzerte wurden wie­ genau so ab, wie es ein für allemal vorge­ der interessanter. Granz nahm sie w eiter­ Ein Lebensstil sehen war. An den Konzertabenden war hin auf, diesmal auf sein neues, Picasso zu Für die Koordination derart unterschied­ er zufrieden, manchmal sogar gesprächig, Ehren Pablo genanntes Label. Granz war licher Aktivitäten braucht es eine ausser- aber er lächelte selten. Milt Jackson hat ein grosser Bewunderer von Picasso. (An­ gewöhnliche Organisation. Granz hatte einmal von Granz gesagt: «Niemand hat merkung des Übersetzers: Kunstsinn hat sein Büro in Los Angeles, m it dem er je­ Norman je lächeln sehen.» W ie ein Spie­ Granz auch m it der Anstellung des gros­ den Tag oder, je nach Zeitverschiebung, ler, der auf eine Zahl oder

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