Dezember 2001 Buddhismus 29 In der Defensive Asiens Buddhismus zwischen Tradition und Sektenwesen Als der Buddha starb, soll er nach werden, ist eine Abstufung der Würden- der großen Konfession Jodo Shinshu oft Auskunft der heiligen Schriften seinen träger nach Rangordnung bereits vor- mit dem Kaiserhaus verwandt. Schülern gesagt haben, er hinterlasse gegeben. Hohe Würdenträger werden keinen Nachfolger, denn seine Lehre nach ihrem Tod in der wiedergebore- Auch der chinesische Buddhismus weist sei sein einziger Nachfolger. Offenbar nen Gestalt gesucht. Doch gibt es in in seinen verschiedenen Richtungen wollte er, der den Menschen die Nichtig- den Nyingma- und Sakya-Traditionen eine derart starke hierarchische Glie- keit ihres Ichs zeigte, keine Hierarchien des tibetischen Buddhismus auch den derung auf. Doch was ihn und seine etablieren. Doch schon unmittelbar Brauch, dass religiöse Ämter in Fami- Hierarchien von den zuvor genannten nach seinem Tod kam es zu Streitigkei- lien vererbt werden, ein Relikt der Feu- Ländern unterscheidet, ist die Tatsache, ten um Kompetenzen und Führerschaft dalzeit. dass der Buddhismus in China auch in der damals noch jungen buddhisti- vor Mao nicht mit der Staatsmacht schen Religionsgemeinschaft. Heute ist verbunden war. Die aus Indien einge- der Buddhismus sicher die am meisten In den vergangenen Jahrzehnten führte Religion war im konfuzianischen hierarchisch strukturierte Religion der ist das Phänomen zu beobachten, China immer verdächtig und wurde im Erde. Zwar hat es für den Buddhismus dass die offiziellen, historisch Lauf der Zeiten oft verfolgt und unter- als ganzen nie eine dem Papstum ver- oder aktuell meist mit dem Staat drückt. gleichbare Institution mit internatio- verbundenen buddhistischen nalem Wirkungsbereich gegeben. Aber In den vergangenen Jahrzehnten ist nun die einzelnen buddhistischen Richtun- Gemeinschaften in ganz Asien das Phänomen zu beobachten, dass die gen sind in einer überaus strikten an Anhängern verlieren. offiziellen, historisch oder aktuell meist Weise strukturiert. Die Form der Hier- mit dem Staat verbundenen buddhisti- archie ist in den verschiedenen Ländern schen Gemeinschaften in ganz Asien an und Konfessionen des Buddhismus sehr Eine solche Erblichkeit von hierarchi- Anhängern verlieren. Die Gründe dafür unterschiedlich. In den Ländern des schen Ämtern im Buddhismus ist in sind vielfältig: Die tibetische Hierarchie Theravada, also in Südostasien, steht Japan besonders ausgeprägt. Nicht nur hat sich durch die Exilsituation heillos ein zölibatärer Mönch („Sangharaja“) die Stellung der Oberhäupter buddhis- zerstritten. Von nahezu allen Würden- an der Spitze der organisierten Religion. tischer Konfessionen (wie z.B. Jodos- trägern, deren Wiedergeburten man in Da der Buddhismus in diesen Ländern hinshu, Nichiren, manche Richtungen den vergangenen Jahren suchte, gibt zumeist Staatsreligion ist, steht der des Zen) und die Positionen der Äbte es zumindest zwei Kandidaten, deren Sangharaja in Thailand stets der Königs- wichtiger Tempel, sogar die Priesterstel- jeweilige Parteien unversöhnlich gegen- familie nahe, in Republiken mit einer lungen in jedem normalen Dorftempel einander stehen. Fast alle Konfessionen „sozialistisch-buddhistischen“ Staats- werden hier seit Jahrhunderten vom des tibetischen Buddhismus haben sich verfassung (Sri Lanka, Myanmar) sind Vater auf den Sohn vererbt. Auch da, im Exil gespalten. Dies betrifft auch die religiöse Oberhäupter eng mit der Regie- wo der Zen-Buddhismus mit seiner Gelugpa-Schule des Dalai Lama, von rung verknüpft. Betonung meditativer Verwirklichung der sich die „Neue Kadampa Schule“ noch so funktioniert, wie es bei seinen abtrennte. In den Ländern des Thera- In Tibet, wo bis zur chinesischen Über- historischen Anfängen vorgesehen war, vada lässt zweifellos die zunehmende nahme in den fünfziger Jahren die ist der Buddhismus strikt hierarchisch: Übernahme westlicher Zivilisation und Gelugpa-Schule des Buddhismus den Nur der verwirklichte Meister kann entsprechender Konsumgewohnheiten Staat regierte und mit dem Dalai Lama dem Schüler seine Verwirklichung und das Interesse an Religion zurückgehen. das Staatsoberhaupt stellte, entwik- damit das Aufsteigen in der Rangord- Dazu kommt die einseitige und oft mit kelte sich die wohl stärkste Hierarchie nung bestätigen. Bis zur Niederlage rassistischen Untertönen vermengte innerhalb des Buddhismus. Da die Japans gegen Amerika 1945 war auch Parteinahme der Hierarchie des Bud- Praxis des tibetischen Buddhismus auf der japanische Buddhismus eng mit dhismus in Sri Lanka gegen die tami- Einweihungen in geheime Übungen der Staatsmacht verbunden. Die Fami- lische Minderheit oder Enthüllungen und Lehren beruht, die vom wissenden lien, welche Oberhäupter der buddhis- über Skandale und Verbrechen in thai- Meister an den Schüler weitergegeben tischen Schulen stellen, sind wie im Fall ländischen Klöstern. Insgesamt betrach- 30 Dossier forum 212 tet, ist der Buddhismus Asiens in einer er den Dualismus einer hellen und der Anonymität der neuen Ballungs- schweren Krise. Die Menschen entfer- dunklen letzten Wirklichkeit (Dham- zentren mit kleinen Gesprächskreisen, nen sich von der Hierarchie. makaya), wobei er selbst als Verkör- zu denen Mitglieder sich treffen. perung des Hellen gegen die Mächte Ein Symptom dafür ist das Sektenwe- der Finsternis kämpfe. Kritiker, die sich Eine weitere Ursache für das Wuchern sen, das sich im gesamten buddhis- auf den obersten Patriarchen, den Sang- des Sektenwesens im buddhistischen tischen Kulturkreis beobachten lässt. haraja Thailands berufen, fordern für Kulturkreis ist die Tatsache, dass der Während der offizielle Buddhismus Phra Dhammachayo die Aberkennung von den offiziellen Hierarchien getra- der Hierarchen an Interesse verliert, des Mönchsstatus. Doch entschlossen gene Buddhismus oftmals nur noch Tra- wachsen allerorten neue dynamische sich die zuständige Behörden bislang dition und Ritus ist, der keine religiösen Gemeinschaften, die meist nach dem Erfahrungen mehr vermittelt, wie es Zweiten Weltkrieg entstanden oder eigentlich der Anspruch des Buddhis- groß wurden. Überall versucht der eta- Eine Ursache für das mus als Religion der Meditation wäre. blierte Buddhismus nach Möglichkeit Wuchern des Sektenwesens Ein gutes Beispiel für eine Bewegung, die dies zu kompensieren versucht, gegen diese Bewegungen anzukämpfen. im buddhistischen Kulturkreis Der Dalai Lama verbot vor wenigen ist die Bewegung Falun Gong, deren Jahren den Kult des „Dorje Shugden“ ist die Tatsache, dass der von tausenden Mitgliedern getragene als sektiererisches Unternehmen und von den offiziellen Hierarchien Proteste in Bejing und anderen Teilen verlangt von allen Beamten seiner Exil- getragene Buddhismus oftmals Chinas weltweit für Schlagzeilen sorg- regierung eine Erklärung, dass sie damit nur noch Tradition und Ritus ten. Das darauf erlassene Verbot der nichts zu tun hätten. In Japan sind ist und keine religiösen Gruppierung durch die chinesische seit dem Giftgasanschlag der buddhis- Erfahrungen mehr vermittelt. Regierung konnte manchem westlichen tischen Sekte Aum Shinrikyo auf die Beobachter als erneuter Beleg für die U-Bahn in Tokyo einige der sehr zahl- intolerante Haltung der chinesischen und mitgliederreichen neuen buddhis- nicht dazu. Für die dynamisch wach- Führung dienen. Doch liegen die Dinge tischen Bewegungen ins Kreuzfeuer der sende Bewegung wirken 881 Priester, in diesem Fall komplizierter, um sie in Kritik geraten. 116 männliche und 369 weibliche Mis- einem Schwarz-Weiß-Gemälde unter- sionare sowie 615 weitere Mitarbeiter. zubringen. In Thailand versucht man moderne reli- Dazu kommen 10.000 ehrenamtliche giöse Bewegungen mit Hilfe des Religi- Helfer. Dhammakaya ist für spektaku- ons- wie Strafrechts zu unterdrücken. läre Massenveranstaltungen bekannt. Das Beispiel Falun Gong „Dhammakaya“ heißt eine der wich- Letztes Jahr fand eine Aufnahmezere- In seinen Büchern bezieht sich Li tigeren neuen buddhistischen Sekten monie mit 100.000 Teilnehmern statt. Hongzhi, der inzwischen in New York Thailands mit Zentrum in Pathum lebende Gründer, oft auf den Buddhis- Die Erklärung Phra Dhammachayos Thani. Seit zwei Jahren wird gegen mus, was häufig schon im Titel der zum Ketzer würde die große Orga- sie wegen angeblichem Verstoß gegen Schriften deutlich wird. Während die nisation endgültig zur Sekte jenseits Gesetze zum Grunderwerb, unerlaub- Praxis auf der chinesischen Tradition des anerkannten Buddhismus machen. ter Bautätigkeit und falscher Angabe des Qi Gong beruht und im Daoismus Zudem erklärte Phra Dhammachayo vor über ihr Vermögen polizeilich ermit- wurzelt, kommen viele der begleiten- einer Massenversammlung von Anhän- telt. Durch etwa hundert Scheinfirmen den Theorien aus dem Buddhismus, gern, dass er in einem solchen Falle ster- soll die Organisation ihren Besitz ver- etwa die Lehre vom Karma. Li Hongzhi ben wolle. Die bekannte Journalistin schleiert haben. Neben Vorwürfe in will unmittelbare religiöse Erfahrung Ekachai Sanitsuda schrieb unlängst in weltlichen Belangen treten solche an vermitteln, indem er ein “ intelligentes einem Kommentar der Zeitung „Bang- Missionspraktiken: Man stelle als Wer- Rad des Gesetzes”, wie es auch das kok Post“, die Affaire habe zumindest bung Wunder zur Schau, behaupte, reli- Symbol des Buddhismus ist, durch den positiven Aspekt, dass die Öffent- giöses Verdienst sei durch Zahlungen übernatürliche Energie im Unterleib lichkeit mit Fragen der buddhistischen zu erlangen, missioniere unter Reichen des Anhängers zum rotieren bringt, Nirvana-
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