Deutschland Gute Fee im bösen Traum Mit sanfter Strenge mahnt Generalsekretärin Merkel zur Abwendung vom Patriarchen Kohl. ie fremd ihr die CDU einmal ge- Strenge mahnt sie das Parteivolk zum Ab- nen hatte, es sich wieder in der eigenen wesen war, hatte Angela Merkel schied vom Übervater. Er müsse „unbe- Vergangenheit bequem zu machen. Wfast vergessen. Die blasse junge dingt ausrichten, wie toll Frau Merkel das Immer mühsamer versuchte Merkel in Wissenschaftlerin aus dem Brandenbur- macht“, gab die niedersächsische Land- den vergangenen Monaten gegen den Be- gischen, die zur Wendezeit für den De- tagsfraktion ihrem Chef Christian Wulff harrungswillen ihrer Partei anzureden. mokratischen Aufbruch in Ost-Berlin die vergangene Woche mit auf den Weg. Dass Gerhard Schröder kein Kanzler sei, ersten freien Wahlen vorbereitete, beäug- So wie das Selbstbewusstsein der CDU trug Schäuble selbst stetig vor. Die CDU te die Kohl-Partei mit gemischten Ge- lange auf dem mächtigen Helmut Kohl versank in Selbstgefälligkeit. fühlen: An „ältere Männer in schwarzen ruhte, gründen viele Hoffnungen der Par- Mit Erbitterung beobachteten Schäuble Anzügen mit Lackschuhen“ erinnerte sie tei nun in fast rührender Weise auf der und Merkel, wie sich Helmut Kohl wieder die Bonner CDU. Ein bisschen ver- meist ungeschminkten Physikerin. Sie sol- in den Vordergrund schob und als Kanz- lockend, ein bisschen bedrohlich, aber le doch „machen, dass das alles schnell ler der Reserve feiern ließ. Immer offener ganz bestimmt nicht ihre Welt. vorbeigeht“, bat ein Kreisvorsitzender im begann Kohl zugleich gegen Merkel zu Sie begann dann trotzdem im breiten heimatlichen Stralsund, als sei Merkel eine mobben, die ihm Privilegien – der Patri- Schatten des Einheitskanzlers ihre politi- gute Fee und die Vorwürfe gegen die CDU arch wollte Wahlkampfauftritte wie früher sche Karriere. Die Pfarrerstochter aus nur ein böser Traum. Auf ihre Nachfrage, arrangiert wissen – verweigerte. Templin trat, enttäuscht von ihrem da- wie sie das denn tun solle, erwiderte der So wie sie sich nun vollzieht, hat sich maligen Vorbild Wolfgang Schnur, der sich Mann treuherzig: „Na, einfach schnell be- die Generalsekretärin die Erneuerung ih- als Stasi-Agent entpuppte, 1990 der CDU weisen, dass das alles nicht stimmt.“ rer Partei gewiss nicht vorgestellt. Mona- bei. Sie machte sich in Berlin und Bonn Vielleicht ist ihr da der Satz ihres frühe- telang hatte sie mit einer Kommission am nützlich, bis Kohl „das Mädchen“ zur Mi- ren Mathelehrers eingefallen, den sie bei Leitantrag für den Kleinen Parteitag ge- nisterin erkor. Als die Regierung 1998 ab- einem Auftritt im rheinischen Königswin- arbeitet, auf dem an diesem Montag eine gewählt wurde, stieg sie ohne, ja gegen ter zitierte: „Sie können nur denken, moderne Familienpolitik beschlossen wer- ihren einstigen Mentor zur Generalse- wenn Sie auch ein paar Fakten kennen.“ den soll. Ein Startschuss für die Zukunft kretärin auf. Schon Merkels Ankündigung „rück- sollte es werden, jetzt beherrscht der Alt- Merkel wollte die CDU der Zukunft haltloser Aufklärung ohne Ansehen der kanzler Denken und Fühlen der Partei- aufbauen. Doch plötzlich ist das Erinne- Person“ und ihre mehr als vorsichtige Er- familie. rungsbild von grauen Herren mit schwar- mahnung, „es gibt keine Alternative zur Als sie Anfang November hörte, dass zen Lackschuhen wieder da. Und sie muss Wahrheit“, ist offenbar eine Zumutung ein Waffenhändler einen Koffer mit einer für die neue und die alte CDU einstehen. für eine Partei, die unter dem Eindruck Million Mark an die CDU übergeben Es grenzt an Persönlichkeitsspaltung, was glänzender Umfragewerte damit begon- habe, beschlich die 45-Jährige ein mulmi- sie in diesen Tagen vorführt: Auf der ei- nen Seite arbeitet sie daran, das System Kohl ein für allemal zu beenden. Auf der anderen Seite muss sie es verteidigen. Die Spendenaffäre um den früheren Schatzmeister Walther Leisler Kiep und den Altkanzler Helmut Kohl berührt die Partei in ihren Grundfesten. Der Alte war „Seele, Geschichte und Identität in ei- nem“, wie selbst einer seiner Gegner ein- räumt. Jeder Versuch, sich von ihm zu distanzieren, hätte für Merkel ebenso wie für Parteichef Wolfgang Schäuble ins Ab- seits geführt. Deshalb, und nur deshalb, halten sich die beiden so sehr mit Kritik am Ehrenvorsitzenden zurück. Die Ostdeutsche musste viel lernen auf ihrem Weg zur gesamtdeutschen Polit- prominenz. Deshalb versteht sie beson- ders gut, was es bedeutet, wenn das hal- be Leben in Frage gestellt wird und nichts von dem mehr stimmt, was gestern noch richtig war. Denn das halbe Leben, das sind 25 Jahre Kohl für die CDU. Auch deshalb kann Merkel heute glaub- würdiger argumentieren als der langjähri- G. OHLENBOSTEL ge Kohl-Intimus Schäuble. Mit sanfter Christdemokratin Merkel: „Es gibt keine Alternative zur Wahrheit“ 32 der spiegel 50/1999 ne Partei eine solche Unbotmäßigkeit zu- mute.Auf der Sondersitzung immerhin gab er dem Druck der Parteifreunde nach und sagte zu, dem Wirtschaftsprüfer jede Fra- gen beantworten zu wollen. Andere wichtige Zeugen wie der frühe- re Hauptabteilungsleiter Rüdiger May, der sich weigerte, den internen Rechenschafts- bericht 1987 abzuzeichnen, bekamen eben- so wenig einen Fragebogen wie Kohls erster Büroleiter Wolfgang Burr, der später im Verteidigungsministerium verantwortlich den Panzerdeal mit Saudi-Arabien ab- wickelte und deshalb bereits von der Staatsanwaltschaft vernommen wurde. Bis zum Wochenende waren nur be- langlose Bögen beim Bundesgeschäftsfüh- M. URBAN / MELDEPRESS M. URBAN rer eingetroffen.Weder Weyrauch noch der Parteifreunde Kohl, Merkel*: „In jeder Not steckt eine Chance“ einstige Schatzmeister Walther Leisler Kiep noch dessen ehemaliger Generalbevoll- ges Gefühl. Sie hoffe, erklärte sie bang, rechtgemacht haben? Vorletzte Woche je- mächtigter Uwe Lüthje noch Kohl hatten „dass ich mein Vorstellungsvermögen denfalls musste Hans Terlinden, Hauptab- geantwortet. Dafür gingen bizarre Hin- nicht noch erheblich erweitern muss“. teilungsleiter Verwaltung und treuer Kohl- weise ein wie der eines Abgeordnetenmit- Was dann kam, sprengte ihr Vorstel- Vasall, seinen Posten räumen. Er hatte vor- arbeiters, der ein privates Anderkonto sei- lungsvermögen. Das System Kohl hatte vergangene Woche das Protokoll der staats- nes Chefs meldete: Das sei ihm schon im- offenbar die Flick-Affäre unbeeindruckt anwaltschaftlichen Vernehmung Weyrauchs mer verdächtig vorgekommen. gelassen. Der Mann, der sich gegenüber Kohl zugeschustert, vorbei an Schäuble. Die Partei hat sich in 25 Jahren Vorsitz der Partei gern den Anschein besonde- Terlinden hatte schon zu Zeiten der Kohl offenbar bis über das Ende seiner rer Korrektheit gab, hatte anscheinend Flick-Affäre die Unterlagen im Sinne des Amtszeit an das Finanzgebaren des Pfäl- jahrelang mit Millionen an der Partei großen Vorsitzenden vorsortiert (siehe Sei- zers gewöhnt. So traf sich der stellvertre- vorbeijongliert, um sich die Zuneigung te 36). Der Mainzer war es auch, der Kohl tende CDU-Vorsitzende Volker Rühe erst seiner Landesverbände zu sichern. Dass mittelbar eine seiner seltenen Niederlagen in diesem Sommer in der CDA-Fortbil- er, um der Entdeckung zu entgehen, im CDU-Präsidium bescherte. dungsstätte Königswinter mit einem, des- auch noch die neue Parteispitze umging, 1981 wollte der CDU-Chef seinen Kum- sen Geschäfte den jetzt eingesetzten Un- schlug der spröden Ostdeutschen, die pan als Bundesgeschäftsführer durch- tersuchungsausschuss beschäftigen werden: den Politfilz im Arbeiter-und-Bauern- drücken. Doch die Unionisten mochten den Der Lobbyist Dieter Holzer steht im Ver- Staat stets verabscheute, aufs Gemüt. mutmaßlichen Spion auf dem Schlüsselpos- dacht, der Privatisierung der ostdeutschen Graugesichtig, die Mundwinkel noch ten nicht. Den Job bekam Peter Radunski. Leuna-Raffinerie mit Provisionen nachge- ein bisschen tiefer gezogen als sonst, saß Auf wundersame Weise scheint Terlin- holfen zu haben. Merkel vor der Fernseh-Nation. Sie ver- den auch an der Schließung des letzten der Die beiden, so habe es ein CDA-Ange- suchte, sich den Schmuddelkram mit ju- geheimnisvollen Treuhand-Anderkonten stellter mitgehört, unterhielten sich über ristisch abgewogenen Politikerphrasen bei der Frankfurter Hauck-Bank mitge- eine Wahlkampfspende. Der schleswig-hol- vom Hals zu halten. Doch sie konnte wirkt zu haben. Denn kaum hatte der neue steinische Spitzenkandidat Rühe bestätigt ihre Gefühle schlecht verbergen. Am Schatzmeister Matthias Wissmann Ende das Treffen, will aber bis zur Begrüßung liebsten wäre sie daheim geblieben, das 1998 nachdrücklich wissen lassen, mit ihm nicht gewusst haben, mit wem er es zu tun konnte jeder sehen. gebe es „keine krummen Sachen“, wurde haben würde. Am Ende aber siegte die kühle Ana- der letzte trübe Geldspeicher aufgelöst. Das Treffen hatte der frühere sachsen- lytikerin in ihr. Angela Merkel hat sich Dennoch versuchte Terlinden, die neue anhaltinische Sozialminister Werner entschlossen, „da durchzugehen“. Wohl Führung zu überrumpeln. So wollte er – Schreiber aus dem Saarland mit den Wor- nicht nur aus Pflichtgefühl oder „weil wenn auch erfolglos – verhindern, dass der ten vermittelt: „Ich habe da einen Be- ich wieder Spaß an der Politik haben neue Kassenwart, der sorgfältige Anwalt kannten, der will was spenden.“ Die Wohl- wollte“, wie sie in einer Talkshow er- Wissmann, den Überblick über Einnahmen tat, laut Schreiber „keine Million, ein über- klärte, sondern weil sie erkannt hat, dass und Ausgaben erhält. schaubarer Betrag“, hat Rühe ein paar es um ihre politische Zukunft geht.
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages2 Page
-
File Size-