Copenhagen den 21en November 1820 Ehe ich, verehrter Freund!1 zur Beantwortung Ihres in Hamburg begonnenen und in Ffurt vollendeten mir so lieben Epistel schreite, muß ich wohl erst unsre finanziellen Verhältnisse berühren; Sie haben mich vielleicht schon im Verdacht der Windbeuteley gehalten - vielleicht sind schon einige freundliche Vorwürfe unterwegs für oder gar an mich. Diese und noch mehrere[.] Vielleicht quälten mich sooft ich an den alten Baggesen dachte (wie oft dazu in der letzten Zeit Vorbeilaßung war, hat Courl.2 Ihnen berichtet) und demnach zögerte ich theils freywillig mit einem begegnenden Briefe, theils verschob ich das Schreiben unwillkürlich, und zwar aus dem ganz einfachen Beweggrunde, daß ich meinem Briefe gerne die Rouensche Addresse einverleiben wollte an welche Ihr Lisse[?] &c: gegangen, und daß ich durch überhäufte Geschäfte, mehr durch die Abwesenheit meines Associé's herbey geführe als durch brilliante Geschäfts[?]-Conjuncturen, verhindert wurde, auch nur Einen nicht-mercantilischen Brief zu schreiben. Letzteres habe ich nun dadurch beseitigt, daß ich einen Spät-Abend und einen Früh-Sonntag zu Hülfe genommen. Erstens aber, die Aufgabe der Rouenschen Addreße, dürfte sich solange verzögern, daß ich, wenn ich abreise[,] lange gegen Sie schweige, die Vorwürfe verdiente, welche ich an mich bereits unterwegs wähne. Sämtliches Gepäck liegt nehmlich schon längst in Elseneur3, wo auch wöchentlich Schiffsgelegenheit ist - weil aber die durchpassierenden Schiffer, mehr auf Volumen als auf Gewicht und Werth sehend, eine unmäßige Fracht von 60 Franken fördern, so hielten unsre Comißionairs4 sich nicht frei befügt, unter so (seite 2) schädlichen Bedingungen die Verladung zu bewerkstelligen. Auf diese Weise blieben mehrere Gelegenheiten unbenutzt. Jetzt habe ich indeßen durch Comißionairs beordert allenfalls 50 fres5 zuzugestehen, und erwarte noch täglich Schiffe aus der Osten nach Havre und Rouen bestimmt, erwartet, worunter wohl ein Billigeres sich finden wird. Sobald ich Ihnen hierüber etwas mit Gewißheit sagen kann, werde ich Sie dann in Kenntniß setzen. Im schlimmsten Falle müßen wir das Frühjahr abwarten, wo die Versendung zu billigerem Fracht, Jahreszeit- und Concurrenz-halber, und auch unter leichteren Assuranz-Prämie geschehen Kann. Courler meint, daß die Sachen Ihnen nicht so wichtig oder nothwendig wären, daß man einem früheren Versande ein zu großes Opfer bringen sollte. Soweit die Erörterung ("Entschuldigung" mag ich nicht sagen, da ich bis jetzt gegen Sie wirklich nicht gefehlt habe) Ihres Comissionairs. Nun die Erläuterung Ihres salva venia6 Banquiers. Als wir uns ganz wohl zu verständigen glauben, muß doch ein Mißverständniß obgewaltet haben: ich verstand nehmlich, daß um Decbr Termin R@ 1500 Silber7 zu heben seyen, und in diesem Wahne versprach ich Sie bey Rougemt8 für[?] 4000 fres als approximativen Betrag zu accreditieren. Als ich aber mit der vollmacht mich bey den Finanzen meldete, erfuhr ich, daß Sie die 3 Trimestres bereits erhoben hätten, und am 11n december folglich nur R@ 375 zu heben seyen. Demnach modificirte ich den versprichenen Vorschuß ebenfalls auf 1/4 und accreditirte Sie bereits am 14n Octbr für 1000 fres. Sagen Sie mich nun gef[älligs]t, ob so Ihnen richtig ist, für noch 1000 fres accreditirt zu seyn. In dieser Geldknappen Zeit bin ich lieber frey - wenn Sie so aber wünschen, so will ich meine Convenienz der Ihrigen unterordnen, und, sobald Ihr (seite 3) Quartal bey mir in Casse ist, wird um fres 1000 bey Rougemt oder Rothschild (wo Sie wünschen) zu Ihre Verfügung stellen. Nun zur Beantwortung Ihres lieben, lieben Schreibens. Ich muß alle meinen angestammten 1 Jens Baggesen (1764-1826), dänischer Dichter. Hat 1791 aus Bewunderung für Kant den Vornamen Immanuel angenommen. Siehe http://www.denstoredanske.dk/Dansk_Biografisk_Leksikon/Kunst_og_kultur/Litteratur/Digter/Jens_Baggesen 2 Martin Sigismund Wilhelm Courlænder (1784-1832), http://tom.brondsted.dk/djgdb/?pid=I53862&ged=1 3 Dänische Hafenstadt Helsingør, nördlich von Kopenhagen 4 Makler 5 Wohl Französische Francs 6 "mit Verlaub zu sagen" 7 Wohl Dänische Rigsbankdaler Sølvværdi (Reichbankthaler Silberwert), siehe http://danmarkshistorien.dk/leksikon- og-kilder/vis/materiale/statsbankerotten-af-1813/ 8 Abram Denis Alfred de Rougemont (1802-1868), Pariser Banquier Unverschämtheit und Dristigkeit zusammen nehmen um zukünftig[?] einen falschen Brief zu antworten, und ich versichere Sie daß ich nie verlegen war, was und wie zu schreiben. Könnte diese Antwort gehaltreich werden, so würden Sie vielleicht die Form mit Güte übersehen, oder wüßte ich die Form weniger Werth zu geben, so könnte diese Ihnen die Schaalheit des Inhalts vielleicht ersetzen, aber das Gefühl, oder ich will ehrlich seyn: als F[]ht, einen an Form und Gehalt gleich nicht-schönen Brief zu liefern lähmt mir Geist und Seele - und ich bin überzeugt, daß ich an jeden Anderen besser schreiben könnte als an Baggesen. Ich bin dießen ebenso sehr erzeugt, als ich zu wißen glaube, daß Oehlenschläger9 in den letzten Jahren [] darum so schlecht, doch viel schlechter als früher schrieb, weil er für Sie zu schreiben - wähnte - Furcht vor ernste Critik [] bey dem Gefühle der Schwäche nur schlechte Bücher und - schlechte Briefe gebähren. Ich schäme mich nicht, Ihnen meine Eitelkeit zu gestehen: Hätte ich nicht über unsre Geld-Angelegenheit an Sie schreiben müßen, und hätte ich mir nicht die Fortsetzung Ihres mir so theuren Briefwechsels um jeden Preis suchen[?] wollen, so wären Sie bestimmt ohne Brief von mir geblieben. Schreiben Sie mir recht oft (ich verwahre die Briefe wie ein Heiligthum) und verboeten Sie mir das Antworten - und Sie machen mich doppelt glücklich. Dadurch sicherten Sie Sich auch wie[?] vergeblich auf eine Antwort von mir warten zu dürfen. Ueber dir mir so gütig mitgetheilten 3 Gedichten mag ich nichts (seite 4) sagen; Sie wissen ich glaube an Sie, und - bete an! Verdient Eines den Preis vor den anderen Beyden, so ist es, meiner Meynung nach, das 2te wie[?] die jüngste und (wie Sie sagen, was ich aber dem Gedichte ungesagt fast abgelauscht hätte) schönste Tochter10. Wie mich die Aussicht ergötzt, wenigstens vierteljährig dergleichen Lebens-Atteste von Ihnen erwarten zu dürfen, glauben Sie mir; wissen Sie. Ich sterke[?] bestimmt den Brief zu mir, wenn ich zu Collin11 gehe, um das Geld zu heben, und, frägt er mich dann: "men lever ogsaa Baggesen"?12 so zeige ich ihm die Gedichte, und frage ihn statt aller Antwort, ob er glaubt, daß ich sie gemacht oder bey Oehlenschläger bestellt hätte. Ist der Mann im Arten[?] nicht ganz versauert, so wird er den lebenden, vielleicht den wieder aufgelebten B. darin erkennen. Ich glaube auch noch nicht, daß er nach Beweisen Ihres Lebens fragen werde: ist er nun nicht ganz eingedäuert, so wird er sich schämen, nach dem Lebens-Attest des Unsterblichen zu fragen. Daß Sie nicht in Hamburg einen Verleger suchten, war gewiß recht. Lotz13 der Verleger der Originalien, []ßt jetzt gar[?] sehr verlegen seyn, da er sein Blatt fortwährend mit anonymen 9 Adam Gottlob Oehlenschläger (1779-1850), dänischer Dichter, siehe http://www.denstoredanske.dk/Dansk_Biografisk_Leksikon/Kunst_og_kultur/Litteratur/Forfatter/Adam_Oehlensch läger. Gerson hat 2 Gedichte von Oehlenschläger vertont (G.48 und G.66) 10 Vielleicht "Sieg der Liebe", von Gerson 1819 als dramatische Szene vertont (G.152) 11 Jonas Collin 1776-1861, https://da.wikipedia.org/wiki/Jonas_Collin 12 "Lebt denn auch Baggesen?" 13 Hans Georg Lotz (1784-1844), Schriftsteller und Belletrist, gründete 1817 eine Zeitschrift, die "Originalien", deren Redaction er bis zu seinem Tode leitete. Siehe http://www.deutsche-biographie.de/sfz54455.html. "Baggesens offentlige literaire Virksomhed i disse halvandet Aar var høist ubetydelig og indskrænker sig til Digtningen af nogle enkelte Sange ... samt til Meddelelsen af nogle tydske Digte i det af Georg Lotz i Hamborg udgivne Literaturblad »Originalien«", Jens Baggesens biographie. Udarbeidet fornemmeligen efter hans egne Haandskrifter og efterladte litteraire Arbeider. Ved August Baggesen. Fjerde Bind, Kopenhagen 1856, Seite 268 Bruchstücken aus dem Freßgedichte14 und mit dito Erzählungen von Ingemann15 anfüllt. Dr Zimmermann16 hat sich auch seit Langem vom der Thatercritik zurückgezogen; seitdem liefert jemand, der mit einem a sich bezeichnet, mit a-a aber besser angedeutet wäre, einen nur panegyrischen Theater-Brief17. Das Blatt ist demnach jetzt ganz ungenießbar, wenn gleich viele Enten, Kalbsköpfe und Kohlsäcke darin vorkommen. Es wird mich interessieren zu erfahren, wie es Ihnen mit Varentrapp18 gegangen, denn (seite 5) darin sind wir wohl einig, daß ein fester Verleger Ihnen nothwendig ist - und soviel ich aus Ihrem Schreiben abrechnen kann, ist der Varentrapp wohl Ihr Mann. So beschränkt auch meine Zeit ist, kann ich dies doch nicht schließen, ohne Ihnen einiges hier Passierendes in aller Kürze mitzutheilen. Es wird Ihnen schon zu Ohren gekommen seyn, daß Dr Dampe19 die Dänen hat constitutionieren wollen. Er wählte die Straße nicht gut, nähmlich die Ihnen so liebe Broläggerstraße; in der Wahl des Hauses in dieser Straße war er aber weniger glücklich, indem es von einem - Polizeybeamten bewohnt war. Ich finde das Ganze sehr characteristisch. Noch muß ich hierzufügen, daß sein Auditorium aus Handwerkern bestand, worunter Schmiede und Goldschmiede die Pluralität bildeten. Das Ganze war vorläufig eine Art Clubb, wo Vorlesungen gehalten wurden. Etwas ausführliches über den ganzen Vorgang soll in der Staats-Zeitung stehen. 14 Freßgedicht: ein Hinweiß
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages5 Page
-
File Size-