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Schriftenreihe der Stiftung Schulgeschichte des Bezirksverbandes Weser-Ems der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Herausgeber Klaus Klattenhoff im Auftrag des Kuratoriums der Stiftung Schulgeschichte Hans-Gerd de Beer Josef Kaufhold, Klaus Klattenhoff, Stefan Störmer, Friedrich Wißmann Mit der Schriftenreihe Regionale Schulgeschichte werden Theorie und Praxis der Pädagogik und Schule in ihren konkreten Handlungs- bezügen und Bezugsfeldern vorgestellt. Geschich te der Pädagogik war lange Zeit Geschichte der die Erziehung bewegenden Ideen. Geschichte der Schule war – wenn sie überhaupt geschrieben wurde – meistens Staats- und Ländergeschichte, Geschichte der Schulorganisation und Schulverwaltung, nicht zuletzt also Geschichte staatlicher Macht- politik. Regionale Schulgeschichte stellt den Betrachtungswinkel enger. Dadurch rücken die Einzelheiten und die vor Ort handelnden Personen deutlicher ins Bild. „Geschichten des Schulwesens einzelner Städte und Länder; Lebens- beschreibungen von Lehrern und Schülern, vor allem Biographien hervorragen der Schulmänner, Rektoren, Schulräte, Organisatoren ... daran fehlt es sehr“, fand vor mehr als hundert Jahren Friedrich Paulsen im Vorwort zur zweiten Auflage seiner berühmten „Geschichte des gelehrten Unterrichts“. Noch mehr fehlt es an solchen Darstellungen für das Elementar- und Schulwesen, zumal auf dem Lande und in unserer Nord-West-Region zwischen Weser und Ems. Vieles von dem ist in Orts- und Schulchroniken, Kirchenbüchern, privaten Sammlungen und persönlichen Erinnerungen festgehalten. Diese Dokumente sind eng mit den Schicksalen von Personen verbunden. Sie und die Lebensbedingungen der Lehrer, Schüler und Eltern für die wissen schaftliche Geschichtsschreibung zu erschließen, darin sehen wir eine der wichtigsten Aufgaben für die Arbeit an der regionalen Schulgeschichte. Regionale Schulgeschichte Die Herausgeber Band 10.5 Josef Kaufhold, Klaus Klattenhoff (Hrsg.) Entnazifizierung der Lehrerschaft in Ostfriesland Beiträge zur Schulgeschichte Ostfrieslands Folge 5 BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Oldenburg, 2016 Verlag / Druck / Vertrieb BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Postfach 2541 26015 Oldenburg E-Mail: [email protected] ISBN 978-3-8142-2355-1 Inhalt Vorwort 9 Klaus Klattenhoff Entnazifizierung 11 Josef Kaufhold Entnazifizierungspolitik in der britischen Besatzungszone und die Entnazifizierung der Lehrer in Ostfriesland 23 Friedrich Wißmann Das Erlebnis der Entnazifizierung – Das Beispiel des Lehrers Harm Aper aus Neufirrel in Ostfriesland 45 Peter Bahlmann „Ein erprobter Lehrkörper mit bodenständigem Kern“ – Der Fall des Lehrers Hermann Hanss in Esens 61 Rudolf Nassua „Wilhelm Harms ist in einem demokratischen Staat als Lehrer untragbar“ 93 Paul Weßels Wilhelm Leopold – Ein beurlaubter Lehrer als Funktionär der Hitler-Jugend 105 Paul Weßels Ait Janssen Aits – Hitlerjugendführer und Sportfunktionär 117 Helmut Sprang Lehrer Tadino Swyter, Sozialdemokrat, entnazifiziert, Stufe V „Entlastet“ 125 Burkhard Schäfer Heinrich Engelbertus Hermann Franzen – Ein Schulrat der ersten Stunde 141 Josef Kaufhold Die Entnazifizierung des Lehrers Johann Memming 149 Ingeborg Schmidt-Vilmar Meine Entnazifizierung 179 Auszug aus der Schulchronik Holtland 1945–1961 Verfasser: Erich Leipner, Hauptlehrer 189 Josef Kaufhold Wirkungen der Entnazifizierung auf die Lehrerschaft, die Schule und das Dorf – Anmerkungen zu einem Zeitbild. Bericht über die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg 207 Josef Kaufhold Der Musikpädagoge und Lehrer Erich Leipner – Kategorie IV: „Nur nomineller Nazi-Unterstützer“ 211 Josef Kaufhold Edo Christophers – Die Zwänge des Lebens im NS-Staat 217 Josef Kaufhold „Täglich viermal und mehr zwecks Besprechungen bei dem Britischen Erziehungsoffizier“ – Leben und Wirken des Regierungs- und Schulrates Arthur Bibow 231 Anlagen 241 Vorwort Mit den „Beiträge(n) zur Schulgeschichte Ostfrieslands“ erscheint innerhalb der Schriftenreihe „Regionale Schulgeschichte“ eine Folge von Sammlun- gen, in der verschiedenartige Abhandlungen und Quellen zur ostfriesischen Schulgeschichte vorgestellt werden. Der vorliegende Band ist ein Themenband, in dem der Blick auf die Zeit des Übergangs von der nationalsozialistischen Diktatur zur neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland, vom Ende des verlorenen Zweiten Weltkriegs und den dadurch verursachten Zerstörungen und daraus resultierenden Nöten hin zum Auf- und Ausbau notwendiger Lebensgrundlagen in Staat und Ge- sellschaft eines demokratischen Rechtsstaats gelenkt wird. Im Mittelpunkt stehen Abschnitte aus Lebensläufen einzelner Pädagogen, die das Entnazifi- zierungsverfahren mitmachen mussten. Außerdem sind Dokumente abge- druckt, die für das Entnazifizierungsverfahren eine wesentliche Bedeutung hatten. Aufsätze und Dokumente sollen einerseits ein Zeitbild entstehen las- sen und andererseits Charakterbilder von Personen zeigen, die sich mit sich und ihrem Leben in der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen mussten und dabei ganz verschiedene Persönlichkeitsprofile entwickelten. Josef Kaufhold Klaus Klattenhoff 9 Klaus Klattenhoff Entnazifizierung Zur Situation nach Kriegsende 1945 in Deutschland Die Lebensbedingungen und der geistig-moralische Zustand der Bevölkerung in Deutschland waren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges desolat. Nach zwölf Jahren Diktatur, die Hälfte davon mit Krieg, befanden sich die Deut- schen in ihrer überwiegenden Mehrheit in prekären Situationen auf vielen Gebieten. Hier einige der wichtigsten historisch „gewachsenen“ Gründe: Ein demokratisches Bewusstsein war nicht durchgehend vorhanden, allenfalls bei einer kleinen Minderheit ausgeprägt. Ein Jahrhundert ge- schichtlicher Ereignisse und Erfahrungen hatten das in Deutschland nicht aufkommen lassen: - Die sich im „Vormärz“ entwickelnden bürgerlich-demokratischen Einheits- und Unabhängigkeitsbestrebungen wurden durch militäri- sche Gewalt blutig niedergeschlagenen (1848, „Bürgerliche Revolu- tion“). - Die Einigung der deutschen Staaten wurde mit „Eisen und Blut“ (Bismarck) vollzogen. - Das Deutsche Reich von 1871 war ein autoritärer Obrigkeitsstaat mit Weltmachtambitionen, besonders in der Phase des Wilhelminismus (Regentenzeit von Kaiser Wilhelm II). - Der Erste Weltkrieg ging verloren und die Frage nach der Kriegs- schuld und den Gründen der Niederlage blieb unaufgearbeitet und konnte deshalb zum Agitationsfeld rechtsradikaler Gruppen werden („Dolchstoßlegende“ u. a.). - Der erste Demokratieversuch scheiterte am fehlenden demokrati- schen Bewusstsein, am fehlenden Engagement von überzeugten Demokraten und konnte deshalb von antidemokratischen Kräften zerstört werden (Weimarer Republik). - Herrenmenschenmentalität, Rassenwahn, Nationalismus, Militaris- mus und die Einteilung der eigenen Bevölkerung in volksgemein- 11 schaftswürdige und minderwertige Menschen, bestimmten die Poli- tik und das Alltagsgeschehen und prägten das Bewusstsein der Be- völkerung (Nationalsozialistische Diktatur). Einher mit dem fehlenden demokratischen Bewusstsein ging ein man- gelndes Bewusstsein von Menschenrechten und Menschenwürde, ein Mangel an humaner Grundüberzeugung. Zu verarbeiten waren für viele Menschen die Trauer um Tote, Verletzte, Vermisste und die Sorge um die noch nicht aus der Gefangenschaft zu- rückgekehrten Männer. Große Teile der Bevölkerung waren aufgrund von Kriegsverlusten ein- schließlich Flucht und Vertreibung verstört und hatten keine konkret er- kennbare Zukunftsperspektive. Hinzu kam eine Mangelsituation in Bezug auf wichtige Güter der Ver- sorgung mit Nahrungsmitteln sowie anderen alltäglichen Gebrauchsgü- tern zur Lebensgestaltung. Fast alle Familien waren davon betroffen, viele hatten darüber hinaus trau- matische Kriegserlebnisse zu verkraften. Lebensträume und Zukunftspläne waren durch diese Erfahrungen zerstört worden. Was die Alliierten bei Bestandsaufnahmen in Deutschland vorfanden, über- stieg ihre furchtbarsten Visionen und Befürchtungen: Konzentrationslager mit Bergen von Leichen, dem Hungertod geweihten und durch die Lager krank gepeinigten Menschen. Eine Bevölkerung, die die Verantwortung dafür ablehnte, die die Mit- schuld daran oder auch nur eine Kenntnis davon bestritt. Fehlendes Unrechtsbewusstsein für das, was Deutsche in der Welt, im eigenen Land und mit sich selbst angerichtet hatten. Eine Mauer des Schweigens, die Tätern zugute kam und Opfern Aner- kennung und Unterstützung versagte. Nazifizierung als Prozess und Ergebnis Zwölf Jahre lang waren die Deutschen mit Hilfe von Propaganda, aber auch mit Druck und Versprechungen auf das nationalsozialistische Welt- und Menschenbild eingeschworen worden. In diesem Prozess hatte sich eine gif- 12 tige Saat entfalten können und Früchte hervorgebracht: Das Selbstverständnis der Deutschen war geformt, war verformt worden. Zu allen Lebenslagen und -situationen fand das schleichende Gift der Ideologisierung und Indoktrina- tion Zugang und wirkte sich darin aus. Das Bestreben der Nationalsozialisten, eine in ihrem Sinn einheitliche Volksgemeinschaft zu schaffen, war von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auf allen Ebenen mit ihren Organisationen und darüber hinaus verfolgt worden, in Wirtschaft und Gesellschaft, in den gesellschaftlichen Institutionen, in den Erziehungs- institutionen, in den Medien und in der Verwaltung. Betroffen waren alle Bereiche des öffentlichen, aber auch große Teile des privaten Lebens. Wie dieser Zugriff auf das Bewusstsein der deutschen Bevölkerung aussah und wie die daraus resultierende

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