Die Ursprünge Des Freikletterns

Die Ursprünge Des Freikletterns

Eine Schlüsselfigur in der Ideengeschichte des welchen andere solcher bedürfen, so ging ich bald Freikletterns ist zweifellos der Wiener Kletterer auch auf Höhen, welche die Führer, die zünftigen Die Ursprünge Paul Preuß. Er war einer der prominentesten Ver­ wenigstens, nicht zu betreten wagen. Ich durch- treter der sogenannten Wiener Schule des Klet­ streifte Gebirge, in welchen man vergeblich nach terns, die um 1880 von den führenden Alpinisten Führern fragt, – ich erstieg Gipfel, deren Namen man der Donaumetropole begründet wurde. Im Au­ in den umliegenden Thälern nicht kennt. Den Einge- des Freikletterns gust 1911 veröffentlichte Preuß in der Deutschen borenen der Alpen, den Jägern und Hirten, mochte Alpenzeitung seinen Epoche machenden Beitrag ich neue Pfade lehren und von dem Gemswild liess Die Bewegung der Führerlosen und die Wiener Schule „Künstliche Hilfsmittel auf Hochtouren“. Einer der ich die meinigen mir weisen.3 >> Nicholas Mailänder Kernsätze lautet: Ich halte die Sicherung durch ein- Von Barth schilderte seine Erfahrungen in dem getriebene Mauerhaken, in vielen Fällen Sicherung Werk „Aus den Berchtesgadener Alpen“. Es enthält überhaupt, sowie das Abseilen und alle anderen Seil- ein flammendes Plädoyer für das selbständige manöver, die so oft die Besteigung von Bergen er- Bergsteigen: Oder wer möchte das schrankenlose, möglichen oder wenigstens dabei angewendet wer- bloß auf eigene Erfahrung, Gewandtheit und Kraft den, für künstliche Hilfsmittel und daher vom Stand- gestützte Umherklettern in den Felsen, bis man nach punkt des Alpinisten wie des Klettersportlers als mancher Mühe, manchem mißlungenen Versuche nicht einwandfrei, als nicht berechtigt.1 den angestrebten Gipfel erreicht hat – nun allein, Wie war Preuß zu diesem seinem Gedanken­ von keinem lebenden Wesen gehört noch gesehen, gut gekommen? Paul Preuß sah sich sehr bewusst auf der schroffen Felsenspitze thront, da und dort in der Tradition des führerlosen ostalpinen Berg­ alte, auf gleiche Weise gewonnene Bekannte grü- steigens, die im letzten Drittel des 19. Jahrhun­ ßend – wer möchte dies nicht als das Ideal des Berg- derts entstanden war. Nicht umsonst hingen in steigens betrachten?4 seinem Zimmer die Fotografien von Georg Wink­ Es war allerdings eine Idee, für die sich vorerst ler und Emil Zsigmondy – zwei von Preuß beson­ kaum jemand begeistern konnte. Erst Ende der ders verehrte Pioniere dieser alpinsportlichen Be­ 1870er­Jahre entstand in München eine kleine wegung.2 Gruppe besonders leistungsfähiger Alpinisten. Initiator des führerlosen Bergsteigens in den Franz Kilger, Heinrich Schwaiger und Dr. Alois Zott Unter alpinhistorisch bewanderten Menschen in Ostalpen war der Jurist und Geograf Hermann wurden allgemein als die Erben Hermann von Deutschland und Österreich hält sich bezüglich des Freiherr von Barth gewesen, der sich als Erschlie­ Barths gesehen und folgten seinen Spuren führer­ ßer und Erforscher der Nördlichen Kalkalpen ei­ los im Karwendel und Wettersteingebirge. Entstehens und der Verbreitung des Freiklettergedankens nen Namen gemacht hatte (siehe auch Berg­ In Wien waren es die Brüder Emil und Otto ein zählebiger Mythos. Demnach soll das Freiklettern Welten, Seite 41 ff.). Im Sommer 1868 hatte der Zsigmondy, die mit der selbständigen Erklette­ gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Sachsen entstanden 23­jährige Rechtspraktikant in Begleitung eines rung schwieriger Grate und Wände in den Enns­ und das Elbsandsteingebirge der erste alpinsportliche Berg führers den Hochkalter und die Watz mann­ taler Alpen und in der Hochschwabgruppe auf Mittelspitze bestiegen, um die Touren dann selb­ sich aufmerksam machten. Im Sommer 1879 sorg­ Kulturraum gewesen sein, in welchem die „Freikletterei“ ständig zu wiederholen. Bald machte er sich von ten die Brüder mit der Besteigung des als unmög­ ab 1913 „absolut gebietsumfassend“ durchgesetzt den Führern so weit wie möglich unabhängig. Wir lich geltenden Feldkopfes in den Zillertaler Alpen wurde.* Das Sichten der historischen Quellen führt lassen Hermann von Barth am besten selbst von für eine Sensation. Bald versammelte sich um die jedoch auf eine andere Spur. seinem Abnabelungsprozess berichten: Und rasch Zsigmondy­Brüder eine Gruppe Gleichgesinnter entwickelte sich das neue Treiben; brauchte ich an- – Feuerköpfe wie Eugen Guido Lammer, August Kletterer im Bereich des fänglich keine Führer auf Hochgebirgsfahrten, zu Lorria, Louis Friedmann, Demeter Diamantidi, Ro­ Col du Géant im bert Hans Schmitt und Ludwig Purtscheller. Alle­ Mont-Blanc-Gebiet: * de.wikipedia.org/wiki/Freiklettern am 16. August samt brannten sie darauf, den alpinen „Pharisäern“ Das Bild aus dem Jahr 1906 stammt aus dem 2014 sowie Brief von Dietrich Hasse an Walter zu beweisen, dass im Gebirge unwiderruflich ein Fotoalbum des Düssel- Welsch vom 12. Januar 2015. neues Zeitalter angebrochen war. Für Lammer dorfer Bergsteigers 1 Paul Preuß, Künstliche Hilfsmittel auf Hochtouren, Fritz Reimann. Wer der Deutsche Alpenzeitung 1911/1912, S. 242–244, hier Herr im Bild ist und ob S. 242. 3 Hermann von Barth: Aus den Nördlichen Kalkalpen, er ein Freikletterer war, 2 Vgl. Reinhold Messner, Freiklettern mit Paul Preuß, Gera 1874, XIX f. ist nicht bekannt. München Wien Zürich 1986, S. 31 f. 4 Ebd., S. 235. © Archiv des DAV, München 148 | BergSteigen BergSteigen | 149 Adler oder dem Sturm. Nichts mehr ließen wir gelten den Durchstieg durch die Südabstürze des Dach­ ßen. Worauf dieser zurückzuführen ist, muss noch als das ungehemmte Ausleben der starken Persön- steinmassivs mit erheblichem technischen Auf­ untersucht werden. Die Vermutung liegt nahe, lichkeit nach den innersten Gesetzen ihrer eigenen wand zu erzwingen: Wir hatten uns (…) mit allen dass die Nachwuchselite aus der Donaumetropo­ Natur. Denkt an Nietzsche, den treuesten Spiegel sei- nöthigen Instrumenten versehen. Anhäuser hatte le vom englischen Sportsgeist mit seinem von ner Zeit, den ich aber damals noch nicht kannte!5 auch Dynamit bei sich, dass wir nöthigenfalls spren- Mummery propagierten „by fair means“ beein­ Das von Wiener Alpinrebellen propagierte Le­ gen können. (…) Seile, Eisenstiften und ein Hammer flusst war. 11 ben „auf des Messers Schneide“ war klarerweise zum Stufenhauen waren zur Vorsicht mitgenom- Den Erfolg fuhr schließlich im Sommer 1889 weder am Seil eines allen Anforderungen souve­ men.8 Der Grazer Georg Geyer, Verfasser des Über­ ihr Kollege Robert Hans Schmitt ein. Obwohl er rän gewachsenen professionellen Führers zu ha­ sichtsartikels, in welchem der Bericht von Johann einige Haken zur Rettung aus brenzligen Situatio­ ben noch an künstlichen Steighilfen, sondern nur Knauss veröffentlicht wurde, kommentierte die­ nen dabeihatte, so blieben sie bei seinem Durch­ im selbstverantwortlichen Vorstoß in die Gefah­ sen lakonisch: Es hat sich somit gezeigt, dass ohne stieg doch im Rucksack: Abermals stand ich unter renzone des unerschlossenen alpinen Ödlands. Anwendung künstlicher Hilfsmittel die Südwand des dem Überhange und trachtete dem glatten, rundbu- Kein Wunder, dass für Lammer der Alleingang die Dachsteins nicht ersteigbar ist.9 Damit prägte Geyer ckeligen Gestein Halt abzugewinnen; genau über- bergsportliche Idealform darstellte: Ist es nicht ein einen Begriff, dem bis heute in der sportethischen legte ich, wie hoch ich mich aufziehen müsste, um ritterliches Kämpfen? Zu den Gefahren und Schau- Diskussion des Felskletterns eine Schlüsselrolle das Knie in den Riss zu klemmen; dass ich mich dann ern, die das Gebirg über alle hinschüttet, die ihm na- zukommt. würde halten können, wusste ich. Langsam, um das hen, fügt der Alleingeher aus freier Wahl noch alle Der damalige Präsident des Österreichischen Gleichgewicht nicht zu stören, zog ich mich, eng an Schauer der Verlassenheit hinzu, eh‘ der Kampf be- Alpen­Klubs, Julius Meurer, unterschied 1882 in die Wand geschmiegt, empor und gelangte in den ginnt. Alle Trümpfe dir, mein Berg. Mir allein die Kraft.6 seinem Bericht über die Erstbesteigung des Dent Riss, durch den ich mich weiter hinaufarbeitete. End- Den Einsatz von Haken lehnte Lammer vehe­ du Géant zwischen den „technischen Hilfsmitteln“ lich langte ich am Beginn der Felsrinne an, wo ich Eugen Guido Lammer, ment ab: Einst – bis in die Neunziger Jahre hob sich und den „usuellen Bergsteiger-Utensilien Gletscher- mich auf einem Block zur Rast niederließ, von dem Vordenker der Führerlo- die Leistung des Alleingehers viel weniger ab als die Seile, Eispickel und Steigeisen“ 10. In diesem Sinn aus ich den Sack samt Pickel und Stock heraufziehen sen (oben), und Julius des Seiltouristen: Wenn der Vorankletternde an ge- verstanden die Vertreter der Wiener Schule des konnte.12 Meurer, Gründungspräsi- dent des Österreichi- fährlichen Stellen 10, 15, 20 Meter höher stand als Bergsteigens unter „künstlichen Hilfsmitteln“ – Zwei Jahre danach, im August 1891, hatte sich schen Alpenklubs der Zweite, so blieb er sich beständig bewusst: „Erst außer Seil, Eispickel und Steigeisen – alle Gerät­ der meinungsstarke und sprachgewaltige Eugen (unten). und die meisten seiner Mitstreiter war das Berg­ nach einem Sturz von 20, 30, 40 Meter kann mich schaften und alles Material, die zur Besteigung ei­ Guido Lammer die Erstbegehung des Nordwest­ © Laternbildsammlung, Archiv steigen viel mehr als Sport – nämlich praktizierte das Seil halten, vermutlich als Schwerverletzten, nes Berges eingesetzt werden konnten. Zum Bei­ grates des früheren Feldkopfes im Abstieg zum des ÖAV, Innsbruck Lebensphilosophie. Lassen wir ihn das am besten wenn es dann nicht reißt. (…) Sobald er jedoch be-

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