Martin Reeh: Linkspartei Nach Leipzig: Auf Zum Letzten Gefecht?

Martin Reeh: Linkspartei Nach Leipzig: Auf Zum Letzten Gefecht?

Kommentare und Berichte 9 Martin Reeh Linkspartei nach Leipzig: Auf zum letzten Gefecht? Am Ende lief in Leipzig wieder die In- Grenzen geben sollte und wenn ja, wo ternationale vom Band: „Völker hört sie liegen. Aber warum können wir das die Signale, auf zum letzten Gefecht!“ nicht sachlich tun, ohne Diffamierun- Ein paar Delegierte reckten die Faust, gen?“, fragte Wagenknecht. „Wenn mir während viele schon Richtung Haupt- und anderen Genossinnen und Genos- bahnhof unterwegs waren. Leipzig sen aus den eigenen Reihen Nationa- hatte zwar nicht das letzte Gefecht der lismus, Rassismus und AfD-Nähe vor- Linkspartei gebracht. Aber nach dem geworfen wird, ist das das Gegenteil Göttinger Parteitag von 2012, bei dem einer solidarischen Debatte!“ Gregor Gysi vom „Hass in der Frak- Etwas mehr als die Hälfte des Saa- tion“ gesprochen hatte, wurde in der les klatschte am Ende der Rede, Kip- Messestadt wieder sehr deutlich, dass ping und Riexinger in der ersten Reihe die Linke immer noch nicht gelernt notgedrungen auch. Das Tagungsprä- hat, mit inhaltlichen Unterschieden sidium hatte zu dieser Zeit die Berliner produktiv umzugehen. Landesvorsitzende Katina Schubert in- Fraktionschefin Wagenknecht ge- ne, eine erklärte Gegnerin von Wagen- gen Parteichefin Kipping: So laute- knechts Positionen. Ans Mikrofon trat te schon in den Monaten vor dem Par- Berlins Sozialsenatorin Elke Breiten- teitag die Schlachtanordnung. Für of- bach. Nachfragen zu einer Parteitags- fene Grenzen, gegen offene Gren- rede – ein Novum. „Du ignorierst die zen, für eine Sammlungsbewegung Position der Mehrheit dieser Partei und oder dagegen. Kippings Ko-Parteichef du hast jetzt wieder nachgelegt“, sag- Bernd Riexinger stand etwas weniger te Breitenbach mit aller Schärfe und im Rampenlicht, aber an Kippings Sei- traf damit auf begeisterte Reaktionen te, Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch in der anderen Hälfte der Delegierten. versuchte zu vermitteln, stand aber im Eine einstündige Debatte folgte: Der Zweifelsfall zu Wagenknecht. Hass war wieder da, die Linkspartei In Leipzig folgte nun die Attacke gespalten. Selbst der mit großer Mehr- des Kipping/Riexinger-Lagers auf Wa- heit verabschiedete Leitantrag wird genknecht: Zwar wurden Kipping und beim Punkt Asyl von beiden Seiten un- Riexinger am Samstag nur mit schwa- terschiedlich ausgelegt. chen Ergebnissen im Amt bestätigt: Anders als im Grundsatzprogramm Riexinger erhielt 73,8 Prozent, Kipping ist nicht von „offenen Grenzen für al- sogar nur 64,6.1 Dabei hatten Wagen- le“ die Rede, sondern nur von „offe- knecht und Bartsch nicht einmal Ge- nen Grenzen“ im Zusammenhang mit genkandidaten gefunden. Fluchtbewegungen.2 „Alle Parteien dis- Dann kam Wagenknechts Rede 2 Wörtlich heißt es: „Wir wollen das Sterben im am Sonntagmittag: „Wir streiten über Mittelmeer und an den europäischen Außen- die Frage, ob es für Arbeitsmigration grenzen beenden. Dafür brauchen wir sichere, legale Fluchtwege, offene Grenzen und ein menschenwürdiges, faires System der Auf- 1 Bei der Wahl 2016 hatten Kipping und Riexin- nahme von Geflüchteten und einen Lasten- ger noch 74 bzw. 78,5 Prozent erhalten. ausgleich in Europa“. Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2018 10 Kommentare und Berichte kutieren die Flüchtlingspolitik, nie- PDS und WASG auf. Eine neue, links- mand hat abschließende Positionen, sozialdemokratische Partei sollte dem deshalb wird die Debatte auch nicht Sozialabbau von Rot-Grün Einhalt ge- nach unserem Parteitag beendet sein“, bieten. Aber die Wirklichkeit war kom- sagte Wagenknecht. „Es muss offene plizierter: Der Reformerflügel aus der Grenzen für Verfolgte geben, aber wir PDS war etwa als Teil der rot-roten dürfen auf keinen Fall sagen, dass jeder, Berliner Landesregierung mitbeteiligt, der möchte, nach Deutschland kommen als dort Wohnungen privatisiert wur- kann, Anspruch auf Sozialleistungen den. Viele Lafontainisten hielten die hat.“ Für Kipping und Riexinger bedeu- Bartsch-Anhänger daher für Wieder- tet der Leitantrag dagegen keine Ab- gänger des rechten SPD-Flügels. kehr von offenen Grenzen für alle – der Aus der SPD wechselten dage- Konflikf war wieder da. gen nur wenige in die Linkspartei. So war Lafontaine im innerparteilichen Machtkampf auf ein Bündnis mit Zwei Zeitreisen Linksradikalen angewiesen, etwa mit der trotzkistischen Gruppe Linksruck. Wenn man den Streit in der Linken Nach der Wahl von Kipping und wirklich begreifen will, muss man Riexinger ist der Krieg vorbei, vorerst. zwei Zeitreisen machen. Die eine führt Nun setzt die Guerillataktik ein. In die ins Jahr 2012. Damals, am Ende des Medien sickern bald kleine, schmutzi- Göttinger Parteitags, skandieren Dele- ge Leaks aus dem alltäglichen Partei- gierte: „Ihr habt den Krieg verloren, ihr kampf. 2013 berichtet „Die Welt“ über habt den Krieg verloren!“ Damit ver- ein „Liederbuch für fröhliche Bart- höhnen Linke normalerweise Nazide- schisten“, das Stücke wie „Auf, auf zum monstrationen. Hier ist mit „Krieg“ die Bartsch“ enthält mit Zeilen wie: „Die ro- Auseinandersetzung zwischen dem ten Haare werden wir ihr roden, der He- Lager der Reformer aus dem Osten um xe Kipping verweigern wir die Hand.“ Dietmar Bartsch und der Parteilinken Trotzdem geschieht 2015 ein kleines um Oskar Lafontaine gemeint. Wunder: Bartsch und Wagenknecht be- Bartsch fällt in Göttingen bei der erben Gregor Gysi als Fraktionschef. Wahl zum Parteichef durch, knapp ge- Gemeinsam, als Doppelspitze. Beide wählt wird der eher unbekannte Stutt- haben Vertrauen während der gemein- garter Gewerkschafter Bernd Riexin- samen Arbeit als stellvertretende Frak- ger, den das Lafontaine-Lager ins Ren- tionschefs gewonnen. Das sogenann- nen geschickt hat. Seine Ko-Vorsit- te Hufeisen ist geboren: das Bündnis zende wird Katja Kipping, deren Strö- von Parteilinken und Parteirechten; die mung Emanzipatorische Linke damals Mitte um Kipping und Riexinger behält nur eine geringe Hausmacht hat. Aber den Parteivorsitz. Ab da hätte Frieden von vielen wird sie zu den Reformern in der Linken herrschen können, wenn gerechnet, sie stammt wie Bartsch nicht gerade zu diesem Zeitpunkt meh- aus dem Osten. Deshalb hat der Ostler rere Hunderttausend Flüchtlinge nach und Reformer Bartsch schlechte Kar- Deutschland gekommen wären. ten, als Kipping den Frauenplatz in der Damit beginnt die zweite Zeitreise, Doppelspitze besetzt. Das begründet sie geht weiter zurück – bis 1990: Die den bis heute anhaltenden Hass des Mauer ist gefallen, Oskar Lafontaine Bartsch-Lagers auf Kipping. SPD-Kanzlerkandidat und Minister- In Göttingen steht die Zukunft der präsident im Saarland. Schon im Ju- Linkspartei erstmals auf der Kippe. li haben fast 100 000 Flüchtlinge einen Dabei 2005 alles so gut angefangen: Antrag auf Asyl gestellt. In der saarlän- Gregor Gysi und Oskar Lafontaine rie- dischen Kleinstadt Lebach sind rund fen zur Gründung der Linkspartei aus 1400 Romaflüchtlinge untergebracht. Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2018 Kommentare und Berichte 11 Diebstähle sollen sich häufen. Bürger Linken auf zwei Weisen: Viele halten demonstrieren: „Lebach wird zur Geis- mehr oder weniger an den alten Rege- terstadt/weil’s so viel Zigeuner hat“, lungen fest, auch am alten Asylrecht. heißt es auf einem Transparent. So handhabt es auch die PDS, die in ih- Lafontaine zieht daraus einen rem Programm von 1993 „offene Gren- Schluss: „Das Asylrecht muss so gestal- zen für Menschen in Not“ fordert. tet sein, dass die Bevölkerung es akzep- Zudem gibt es die „No border“-Be- tiert.“ Noch aber blockt die SPD. Doch wegung, die Ende der 90er Jahre ent- zwei Jahre, Hunderttausende Bürger- steht und grenzenlose Bewegungsfrei- kriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawi- heit fordert. In sie wandern auch Tei- en, rechtsradikale Brandanschläge auf le des postautonomen Milieus ab, das Migranten und einige Wahlerfolge der dort seinen Maximalismus auslebt. Die Republikaner später ist es so weit: Die Postautonomen betonen das Recht von SPD beschließt 1993 die sogenannte Individuen, ihren Bedürfnissen nach- Petersberger Wende und verstümmelt zugehen: Wer nach Deutschland zie- mit der Union des Asylrecht. Es gilt nur hen will, darf in seinem Willen nicht noch für jene, die nicht über einen si- eingeschränkt werden. Der Staat hat in cheren Drittstaat kommen – also für fast ihrem Denken höchstens die Aufgabe, niemanden mehr. Das Problem wird auf dafür Hilfen zur Verfügung zu stellen. die EU-Grenzstaaten verlagert: auf Ita- Der „No border“-Bewegung ge- lien, Spanien, Griechenland. lingt es in den folgenden Jahren, Slo- Die Konsequenz: Die Asylbewerber- gans wie „Kein Mensch ist illegal“ und zahlen gehen massiv zurück; die An- „Bleiberecht für alle“ zu popularisieren schläge und Wahlerfolge der Rechtspo- und in einer breiteren Linken zu veran- pulisten auch. 1998 gewinnen SPD und kern, für die auch Kipping steht. Zudem Grüne die Bundestagswahl. Asyl spielt strömt ein Teil des postautonomen Mili- keine Rolle im Wahlkampf, Themen eus in die Linkspartei, besetzt einfluss- der sozialen Gerechtigkeit dominie- reiche Jobs in der Parteizentrale und in ren. Lafontaine hat der SPD mit der Pe- der Rosa-Luxemburg-Stiftung. tersberger Wende den Wahlsieg 1998 Als die Linkspartei 2011 in Erfurt und damit die Hoffnung auf eine sozi- ihr erstes Parteiprogramm beschließt, alere Politik in Deutschland ermöglicht schreibt sie nach einem Änderungsan- – die aber ausbleibt, weil Lafontaine trag aus Sachsen die Forderung nach Schröder die Kanzlerkandidatur über- „offenen Grenzen für alle Menschen“ lassen hat und nach einem halben Jahr hinein – im Entwurf des Bundesvor- als

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