HC18014.Booklet.Chorales.qxp_PH?????_Booklet_Gamben/Handel 20.03.19 15:24 Seite 1 Johann Christoph ALTNICKOL Johann Christoph Friedrich BACH Bach́s Family Choral Motets Kammerchor Stuttgart FRIEDER BERNIUS HC18014.Booklet.Chorales.qxp_PH?????_Booklet_Gamben/Handel 20.03.19 15:24 Seite 2 Bachs Familie · Choral‐Motetten DEUTSCH Kein Komponist der Musikgeschichte hat „seines Vaters Claviercompositionen am so viele hochbegabte Schüler hervor ge- fertigsten vorgetragen“ habe. Anfang bracht wie Johann Sebastian Bach. Da er Januar 1750 erhielt er auf dessen Em- etliche von ihnen in seiner Wohnung pfehlung eine Anstellung als Kammermu- beherbergte, konnten sie tiefe Einblicke in siker am Hofe des Grafen Wilhelm von sein Schaffen gewinnen. Unter seinen Schaumburg-Lippe in Bückeburg, einem komponierenden Söhnen stand Johann der Aufklärung verpflichteten, sozial enga- Christoph Friedrich, der sogenannte „Bücke- gierten, charismatischen Adligen, dessen burger Bach“, am wenigsten im Rampen- Neigungen viel eher den schönen Künsten licht der Öffentlichkeit. Als „Externus“ be- als höfischem Repräsentationsbedürfnis suchte der zweitjüngste Sohn zunächst die galten. Mitunter dirigierte er die Kapelle Thomasschule, erhielt musikalischen Unter- seiner Residenz selbst. Seine Gattin ließ richt vom Vater und wurde darüber hinaus sich von Johann Christoph Friedrich Bach durch seinen entfernten Meininger Cousin unterrichten und beschenkte ihn reichlich. Johann Elias Bach in außermusikalischen Dessen Jahresgehalt belief sich zeitweise Fächern unterwiesen. An der Leipziger auf stolze 1.000 Reichstaler. Er blieb – ab- Universität immatrikulierte er sich für das gesehen von einer Reise nach London zum Fach der Jurisprudenz, doch brach er sein jüngeren Bruder Johann Christian – Zeit Studium schon vorzeitig wieder ab. Bereits seines Lebens in Bückeburg. Dort heiratete seit Mitte der 1740er Jahre zählte er zu er die Sopranistin Lucia Münchhausen. den Mitwirkenden bei den Aufführungen Unter seinen neun Kindern erwies sich seines Vaters – gelegentlich als Kopist, Wilhelm Friedrich Ernst als der musikalisch vor allem aber als Cembalist. Unter den begabteste. Brüdern galt er nach Wilhelm Friedemann Bachs Urteil als der „stärkste Spieler“, der 2 HC18014.Booklet.Chorales.qxp_PH?????_Booklet_Gamben/Handel 20.03.19 15:25 Seite 3 Bei der wohl schon Ende August 1750 migen Kantionalsatz „Gloria sei dir gesun- erfolgten Teilung des väterlichen Noten- gen“ am Ende des Werkes entlehnte er erbes gelangten zahlreiche Werke in sei- der gleichnamigen Kantate seines Vaters nen Besitz. Er machte von diesen in seiner (BWV 140). Ein konkreter Entstehungsan- neuen Stellung am Bückeburger Hofe lass für die Motette ist unbekannt, auch mehrfach Gebrauch. Eigene Kirchenwerke lässt sich das Werk nur annähernd auf die schuf er nur gelegentlich, da in der Resi- Jahre um 1785 datieren. Manche sänge- denz an regulären Sonntagen nur aus- risch-virtuosen Passagen stehen noch un- nahmsweise musiziert wurde. Eingehend mittelbar in der Tradition seines Vaters, der studierte er die Choralsätze seines Vaters, die Singstimmen oft instrumental behan- bei deren Erstveröffentlichung er den Halb- dekte – gemäß seiner Grundüberzeugung: bruder Carl Philipp Emanuel wohl unter- „Es muß alles möglich zu machen seyn“. stützt hatte. Er verfolgte die bereits 1765 Für die Sänger erwies sich dieser Kom- begonnene Edition jedenfalls mit großer positionsansatz zuweilen als enorme Anteilnahme. Herausforderung. In mehreren seiner Kirchenwerke hat er Die vierstimmige Motette „Ich lieg und schlafe Choralsätze aus Kantaten, Passionen und ganz mit Frieden“ (B R - J C F B H 100) Oratorien des Vaters aufgenommen; mit- ist im Autograph des Komponisten mit unter erscheinen diese sogar an exponier- dem Schlussvermerk „1780 SDG“ [Soli ter Stelle – so auch in der kuntrapunktisch Deo Gloria] überliefert. Sie entstand mög- kunstvoll gearbeiteten Motette auf das licherweise für den am 7. September bekannte Kirchenlied von Otto Nicolai 1780 im Alter von nur 21 Jahren verstor- (1566–1608) „Wachet auf, ruft uns die benen Erbgrafen Karl Wilhelm Ernst von Stimme“ (B R -J C F B H 101). Den vierstim- Schaumburg-Lippe, dessen Begräbnisfeier 3 HC18014.Booklet.Chorales.qxp_PH?????_Booklet_Gamben/Handel 20.03.19 15:25 Seite 4 Bachs Familie · Choral‐Motetten am 11. September 1780 in Stadthagen meistens aber als Vocal-Bassiste sich stattgefunden hatte. Das Werk basiert auf exhibiret [erwiesen hatte]“. Der vielseitig dem letzten Vers des 4. Psalms und der begabte Schüler war mithin einer der 1. Strophe des Kirchenliedes „Es ist noch unverzichtbaren Helfer des Thomaskan- eine Ruh vorhanden“ aus der Feder des tors, nicht nur als aktiver Sänger (Bassist) Köthener Dichters Johann Sigismund Kunth und Instrumentalist, sondern auch als des- (1700–1779). Überraschend sind stellen- sen Notenkopist. Sein Theologiestudium weise fast frühromantische Züge in diesem scheint er zugunsten der Musikausübung eigentlich der empfindsamen Klangästhetik zunehmend vernachlässigt zu haben. jener Zeit verpflichteten Werk. Nachdem eine Bewerbung um das Orga- nistenamt an der Dresdner Sophienkirche Der in den letzten Dezembertagen des als Nachfolger von Wilhelm Friedemann Jahres 1719 in Berna (Oberlausitz) ge- Bachs erfolglos geblieben war, empfahl borene Johann Christoph Altnickol erhielt ihn dessen Vater in einem Empfehlungs- seine ersten musikalischen Anregungen als schreiben vom 1. Januar 1748 für das Sänger und Hilfsorganist an der Kirche Organistenamt in Niederwiesa (bei Greif- St. Magdalenen zu Breslau. Im März fenberg) mit dem Hinweis „Er ist ein 1744 wurde er Student der Theologie an Ecolier [Schüler], deßen ich mich nicht zu der Universität Leipzig und wohl schon schämen haben darf“. Er bekam die bald darauf Schüler Johann Sebastian Stelle, doch hielt es den Bach-Schüler nur Bachs, bei dem er zeitweise auch logierte. wenige Monate in der schlesischen Pro- Dieser attestierte ihm, er habe „seit vinz, da eine viel lukrativere Stelle in- Michaelis anno 1745 dem Choro Musi- zwischen vakant geworden war: Das co unausgesetzet assistiret, indeme Er Organistenamt an der Kirche St. Wenzel bald als Violiste, bald als Violoncelliste, zu Naumburg, für das er sich – abermals 4 HC18014.Booklet.Chorales.qxp_PH?????_Booklet_Gamben/Handel 20.03.19 15:25 Seite 5 mit einer Empfehlung seines Lehrers – er- Das letztgenannte Werk wurde seinem folgreich bewarb und fortan die einzig- Lehrer Bach zeitweise irrtümlich zuge- artige, von Zacharias Hildebrandt zwei schrieben (BWV Anh. III 164). Die fünf- Jahre zuvor fertiggestellte Orgel spielen stimmige Komposition wird von einem durfte. Am 20. Januar 1749 heiratete er mehrfachen Wechsel zwischen homo- Bachs Tochter Elisabeth Juliane Friederica. phonen und freipolyphonen Abschnitten Nach gut 10jähriger Ehe verstarb er am geprägt. Sie steht unmittelbar an der 25. Juli 1759, bevor er nicht einmal das Schwelle jenes um 1750 erfolgten Stilum- 40. Lebensjahr erreicht hatte. In seinem bruchs in der Vokalmusik. Trotz einer un- Besitz befanden sich verschiedene Werke verkennbaren Nähe zum Kompositionsstil seines Lehrers und Schwiegervaters. Als seines Lehrers tendieren Harmonie und dessen Musikaliennachlass im August Melodik bereits zur Tonsprache der Emp- 1750 aufgeteilt wurde, war Altnickol mit findsamkeit. Beziehungsvoll eingebettet in seiner Frau unter den Erben. den Choraltext des Liederdichters Martin Rinckart (1586–1649) ist eine Textstelle Wir wissen nicht, wie umfangreich Alt- aus den Apokryphen der Bibel „Er gebe nickols musikalisches Schaffen war. Nur uns ein fröhlich Herz“ (Sirach 50, 24–26). wenige Kompositionen aus seiner Feder Jene Verse sind in den Zeiten nach der sind überliefert: Neben einigen Klavier- Reformation viel gelesen worden und werken, einem Ricercare und dem Cemba- waren offenbar sehr beliebt. Den abschlie- lokonzert g-Moll existieren zwei Sanctus- ßenden Cantionalsatz „Lob Ehr und Preis Vertonungen, zwei Festkantaten sowie die sei Gott“ entlehnte Altnickol einer 1735 beiden für die vorliegende Einspielung entstandenen Sammlung von Chorälen ausgewählten Choralmotetten „Befiehl du seines Lehrers Bach. Möglicherweise ist deine Wege“ und „Nun danket alle Gott“. die Motette vor 1750 in Leipzig entstan- 5 HC18014.Booklet.Chorales.qxp_PH?????_Booklet_Gamben/Handel 20.03.19 15:25 Seite 6 Bachs Familie · Choral‐Motetten den und wäre dann noch unter dessen deutlich. In den letzten Lebensjahren hat Aufsicht komponiert worden. Bach hatte Johann Sebastian Bach vor allem jene dem Schüler jedenfalls „gantz besondre Meister hoch zu schätzen gewusst. Geschicklichkeit in der Composition“ Andreas Glöckner (2019) attestiert. Dr. Andreas Glöckner (geb. 1950) ar- Namentlich die Choralmotette „Befiehl du beitete von 1979 bis 2015 als wissen- deine Wege“ wird diesem ausdrücklichen schaftlicher Mitarbeiter am Leipziger Bach- Lob seines Lehrers gerecht. Altnickol hat Archiv und ist seitdem ehrenamtlich dort alle 12 Strophen des von Paul Gerhard tätig. Von 1991 bis 2006 war er Mit- gedichteten Kirchenliedes als Choralmo- arbeiter der Neuen Bach-Ausgabe und tette per omnes Versus vertont. Allerdings von 1994 bis 2016 Dramaturg der Leip- ist die Choralmelodie von Bartholomäus ziger Bachfeste. Seit 2001 ist er für die Gesius (1562–1613) lediglich in die Programmgestaltung des „Köthener Herb- Sätze 1, 6, 9 und 12 direkt eingeflossen. stes“ verantwortlich. An den Universitäten Das unmittelbare Vorbild für die Komposi- in Dresden und Leipzig übernahm er tion war unverkennbar die fünfstimmige regelmäßig Lehraufträge, ist Autor von Motette seines
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