Aufklärung Habsburgisch. Staatsbildung, Wissenskultur Und

Aufklärung Habsburgisch. Staatsbildung, Wissenskultur Und

Franz Leander Fillafer Aufklärung habsburgisch Franz Leander Fillafer Aufklärung habsburgisch Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850 WALLSTEIN VERLAG Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF): PUB-734-G Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Der Band ist gemäß der Förderrichtlinien des Wissenschaftsfonds FWF im Open Access unter der Creative-Commons-Lizenz CC-BY-NC 4.0 lizensiert. DOI: https://doi.org/10.46500/83533745 © Wallstein Verlag, Göttingen 2020; zugl. teilw. Universität Konstanz, Diss., 2012. www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, SG-Image, Düsseldorf, unter Verwendung von Hieronymus Löschekohl, Kaiser Leopold II. vor Minos’ Richterstuhl, kolorierter Kupferstich von 1792, Wien Museum, Inv.-Nr. 38671. Lithografien: SchwabScantechnik, Göttingen ISBN 978-3-8353-3745-9 Inhalt Einleitung . 11 I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 . 23 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels . 24 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen . 30 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker . 39 4. Zwischenresümee . 49 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft . 51 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft . 57 Ergebnisse . 64 II. Die katholische Aufklärung . 67 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte . 67 2. Die theresianischen Reformen . 71 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis . 76 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment . 83 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag . 96 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung . 107 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur . 110 Ergebnisse . 122 III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar . 125 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren . 125 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose . 137 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz . 152 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus . 160 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« . 163 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismus Bartholomäus Kopitars . 174 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat . 181 Ergebnisse . 192 IV. Wissenskulturen des Vormärz . 197 1. Kant im restaurativen Wissensregime . 199 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik . 209 3. Bolzanisten versus Herbartianer . 219 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik . 223 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext . 240 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« . 248 Ergebnisse . 252 V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum . 255 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen . 258 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft . 274 3. Sonnenfels’ Œuvre . 278 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht . 284 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein . 291 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen . 303 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus . 309 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion . 310 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 . 315 Ergebnisse . 331 VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte . 335 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren . 339 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe . 354 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« . 361 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe . 373 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee . 381 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB . 383 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz . 388 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem . 401 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz . 407 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer . 418 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 . 423 Ergebnisse . 443 VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration . 455 1. Die Josephiner und die Revolution . 455 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette . 467 3. Josephiner versus Romantiker . 471 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration . 476 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus . 489 Ergebnisse . 492 VIII. Überblick . 497 IX. Was war Aufklärung? . 513 Das Gesamtbild . 525 Anhang . 529 Abbildungen . 529 Archivalien . 530 Siglen- und Abkürzungsverzeichnis . 532 Quellen und Literatur . 539 Personen- und Sachregister . 620 Was Ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln Faust I, 575-577 Einleitung Dies ist ein Buch über die Aufklärung und ihr Erbe in der Habs- burgermonarchie, genauer: über die rivalisierenden Ausprägungen der Aufklärung in Zentraleuropa, darüber, weshalb diese Vielfalt aus der Geschichte verschwand und wie sich das Erbe der Aufklärung im Sin- gular an ihre Stelle setzte. Dabei wirkte die Französische Revolution als Katalysator: Seit den 1790er Jahren wurde der geschichtliche Ort der Aufklärung festgelegt, nun speiste sie sich aus der Reformation und gipfelte in der Französischen Revolution, als ihre Hauptmerk- male galten das Naturrecht und der Deismus, die Volkssouveränität und die rational-mechanistische Philosophie, sie wurde als gottlos und geschichtsfeindlich dargestellt. Die Aufklärung wurde als Ursprung der Moderne glorifiziert und verteufelt. Dass sie sich auch in der ka- tholischen Welt entfaltet hatte, geriet in Vergessenheit. Das auf diese Weise entstandene Geschichtsbild vermag weder den Feinaufbau der Aufklärung vor der Revolution zu erfassen, noch zu erklären, was mit jenen Spielarten der Aufklärung geschah, die nicht diesem Schema entsprachen. Eben das beabsichtigt das vorliegende Buch. Die Aufklärung war also kein einförmiges Ganzes, dazu wurde sie erst durch die rückwirkende geschichtspolitische Zurichtung in der Revolutionsära.1 Diese Studie rekonstruiert die mehrschichtige und 1 Zur Pluralität der Aufklärung anregend John G.A. Pocock, Clergy and com- merce. The conservative Enlightenment in England, in: Raffaele Ajello (Hg.), L’età dei lumi. Studi storici sul Settecento europeo in onore di Franco Venturi, 2 Bde., Napoli 1985, Bd.I, 523-562; ders., The Re-Description of Enlighten- ment, in: PBA 125 (2006), 101-117; ders., Historiography and Enlightenment: A View of their Relationship, in: MIH 5 (2008), 83-96. John Robertson legt die Aufklärung auf die politische Ökonomie und die damit verbundene, mit Moraldidaxen gesättigte stufenförmige Geschichte des Menschengeschlechts fest; sie beruht auf einer Fusion des christianisierten Epikureismus Gassendis mit der augustinischen Konkupiszenztheologie Pierre Nicoles und Pascals, John Robertson, The Case for the Enlightenment. Scotland and Naples, 1680- 1760, Cambridge 2005, 1-51; vgl. Sophus A. Reinert, In margine a un bilancio sui Lumi europei, in: RSI 118 (2006), 975-986. Zu Jonathan Israels Archäo- logie der Radikalaufklärung vgl. unten Kap. IX. Zur Wasserscheidenfunktion der Revolution, die der Aufklärung einen programmatischen Sinn verlieh, hervorragend Bronislaw Baczko, Lumières, in: François Furet, Mona Ozouf (Hg.), Dictionnaire critique de la Révolution française, Paris 1988, 776-785, Roger Chartier, Les origines culturelles de la Révolution française, Paris 1990, 112-113 und Robert Wokler, The Enlightenment Project as Betrayed by Modernity, in: HEI 24 (1998), 301-313. 12 Einleitung vielgestaltige Aufklärung in der Habsburgermonarchie und macht die dabei gewonnenen Ergebnissen fruchtbar, um die allmähliche Verferti- gung des Aufklärungserbes im 19. Jahrhundert zu analysieren. Sobald man erkennt, dass die Aufklärung keinen festgefügten Block bildete, erübrigt es sich, von ihrem Zerfall um 1800 zu sprechen oder sich ihre »Überwindung« durch Historismus, Romantik und Idealismus auszu- malen. Dieses Buch zeigt im Gegenteil auf, wie man die Ausprägungen der Aufklärung rekalibrierte und aufbrach, wie sie umgeschmolzen, kaschiert und neu sortiert wurden. Das erlaubt es wiederum, die sakro- sankte, überscharfe Epochengrenze um

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