SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst Poesie und Komik Die Lyrik Robert Gernhardts Autor: Eberhard Falcke Redaktion: Anja Brockert Regie: Alexander Schuhmacher Sendung: Donnerstag, 13.12. 2012, 8.30 Uhr, SWR 2 _________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Manuskripte für E-Book-Reader E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. 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Und ich weiß auch noch, dass ich sofort dachte: Ja, das ist auch Kunst, Gott sei Dank, das kann ja auch heiter sein, das muss Kunst sein, sonst ist Kunst für mich einfach zu dröge. ANSAGE: Poesie und Komik. Die Lyrik Robert Gernhardts. Eine Sendung von Eberhard Falcke. ERZÄHLERIN: Robert Gernhardt war Zeichner, Satiriker, Fernseh- und Filmautor. Was von ihm aber mehr als alles andere bleibt, so steht zweifelsfrei fest, das stiftete er als Dichter. Trotzdem möchte ihn Professor Lutz Hagestedt keineswegs zum Denkmal versteinert sehen. O-TON 2 (Lutz Hagestedt) Ich würde ihn nicht auf den Sockel stellen, sondern ich würde den Gernhardt mit ins Bett nehmen. Der gehört einfach auf den Nachttisch, und wenn man ihn dort liegen hat und gelesen hat, dann werden die Träume schäumen. ERZÄHLERIN: Robert Gernhardt wurde heute vor 75 Jahren, am 13. Dezember 1937 als Sohn einer deutsch-baltischen Familie im estländischen Reval alias Tallinn geboren. Gestorben ist er als verdientes Multitalent und großer deutscher Dichter am 30. Juni 2006 in Frankfurt am Main. Als ein Poet, bei dem das Publikum stets viel zu lachen und zu jauchzen hatte, einer 2 nach dem man sich eben auch umdrehte. Und keiner kann behaupten, Gernhardt hätte die höchsten Stellen vor dem Verlust durch seinen frühen Tod nicht gewarnt. ZITATOR Mich gibt es doch nur einmal Mich kann man doch nicht abserviern Mich will man halten, nicht verliern Und - Teufel auch! - begraben. Ich bin bei Gott ein Einzelstück So'n Stück gibt man doch nicht zurück Das hebt man auf und preist sein Glück: Wie schön, daß wir dich haben! ERZÄHLERIN: Mit Robert Gernhardt verließ einer die Szene, der beim Seltenheitswettbewerb jeden weißen Elefanten ausgestochen hätte: ein Schriftsteller, der Gedichte schrieb und der trotz Ausübung dieser verrufenen Minderheitenkunst wahre, gründliche und weitverbreitete Popularität genoss. Wie konnte es dazu kommen? Es begann jedenfalls nicht mit schmalen Lyrik-Bändchen eines scheuen Nachwuchspoeten. Gernhardt studierte Malerei an den Kunstakademien in Stuttgart und Berlin, er arbeitete als Zeichner und Karikaturist. Vor allem aber wirkte er bald federführend an satirischen Presseorganen mit, wie den für die geistige Entwicklung der Nation zweifellos unentbehrlichen Satiremagazinen „Pardon“ und „Titanic“. O-TON 3 (Lutz Hagestedt) Also es waren zunächst die Pardon-Leser, die ihn entdeckt haben. ERZÄHLERIN ... erinnert sich Lutz Hagestedt, Professor für Neuere und Neueste deutsche Literatur an der Universität Rostock, Gernhardt-Liebhaber seit je und einer der besten Kenner von Autor und Werk. O-TON 4 (Lutz Hagestedt) Seit Anfang, Mitte der Sechziger Jahre hat Gernhardt ja für das Satiremagazin «Pardon» gearbeitet und 1981 erschien dann im Zweitausendeins Versand sein Gedichtband „Wörtersee“. Das ist der Beginn, wo sich Gernhardt ernsthaft als Lyriker versteht. Bei Zweitausendeins haben sich dann auch seine früheren Bücher „Die Wahrheit über Arnold Hau“, „Die Blusen des Böhmen“, „Besternte Ernte“ zu Steady-Sellern, teilweise sind diese Bücher seit vierzig und mehr Jahren lieferbar, entwickelt. ERZÄHLERIN Wie es sich nach Avantgarde-Vorbild damals gehörte, gründete Gernhardt in den sechziger Jahren einen furchtlosen Künstler-Stoßtrupp, gemeinsam mit F.W. Bernstein, Bernd Eilert, Eckhard Henscheid, Peter Knorr, Chlodwig Poth, Hans Traxler und F.K. Waechter. Ansässig in Frankfurt am Main nannte sich die Gruppe „Neue Frankfurter Schule“, mit ironischer Reverenz an die Frankfurter Schule von Max Horkheimer und 3 Theodor W. Adorno. Allerdings waren die kritischen Spaßmacher in gewissem Sinne erfolgreicher als die Kritischen Theoretiker. Denn sie konnten die deutschen Humorverhältnisse stärker verändern als jene die gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie hatten, so ließe sich sagen, das strenge Diktum, mit dem Adorno in die Sackgasse fuhr, auf befreiende Weise weitergedacht: Wenn es schon kein richtiges Leben im falschen geben kann - ein richtiges Lachen gibt es trotzdem. Und wo es mit der Philosophie nicht weiter ging, konnte Robert Gernhardt jederzeit die befreienden Kräfte des Nonsens mobilisieren. Besonders hochprozentig gelang ihm das in seinem Gedicht „Theke - Antitheke - Syntheke“. O-TON A Robert Gernhardt (1) (aus: CD „Im Glück und anderswo“) Beim ersten Glas sprach Husserl: »Nach diesem Glas ist Schlusserl.« Ihm antwortete Hegel: »Zwei Glas sind hier die Regel.« »Das kann nicht sein«, rief Wittgenstein, »Bei mir geht noch ein drittes rein.« Worauf Herr Kant befand: »Ich seh ab vier erst Land.« »Ach was«, sprach da Marcuse, »Trink ich nicht fünf, trinkst du se.« »Trinkt zu«, sprach Schopenhauer, »Sonst wird das sechste sauer.« »Das nehm ich«, sagte Bloch, »Das siebte möpselt noch.« Am Tisch erscholl Gequietsche, froh trank das achte Nietzsche. »Das neunte erst schmeckt lecker!« »Du hast ja recht, Heidegger«, rief nach Glas zehn Adorno: »Prost auch! Und nun von vorno!« ERZÄHLERIN Wie gesagt, der Zeichner, Satiriker und Spaßvogel Gernhardt machte Karriere. Doch obwohl er schon bald Verse schmiedete und reimte, was das Zeug hielt, oft in vollendeter Verbindung mit seinen Zeichnungen, passte er lange Zeit einfach nicht zu den üblichen 4 Vorstellungen von einem ernsthaften Lyriker. Doch mancher jüngere Poet wie Steffen Jacobs war bereits hellhörig geworden. O-TON 5 (Steffen Jacobs) Was mich persönlich angeht erinnere ich mich, daß 1987 der Gedichtband „Körper in Cafés“ von Gernhardt für mich so eine Art kleiner Weckruf, ja vielleicht sogar ein Erweckungserlebnis war. Und das war das erste Buch von Gernhardt, das ich überhaupt bewusst gelesen habe und da fiel natürlich auf, das da mit Formen gearbeitet wird. Und dann kamen drei Jahre später 1990 diese «Gedanken zum Gedicht», das war so ein kleines Büchlein bei Haffmans und das waren sozusagen diese ersten poetologischen Äußerungen von Gernhardt, wo er eben sich für Merkbarkeit ausgesprochen hat. ERZÄHLERIN Schließlich musste eben doch ein kleiner Putsch, eine Revolte sein, damit Gernhardt sein Dichten und Trachten durchsetzen konnte. Das kleine Büchlein „Gedanken zum Gedicht“ war nichts Geringeres als ein Angriff auf die Herrschaftsverhältnisse im Poetenwinkel der Nation. Lutz Hagestedt erinnert sich an die Attacke Gernhardts, bei der er Reim, traditionelle Gedichtformen und schlagkräftige Argumente ins Feld führte. Gegen wen und was war dieser Vorstoß im Einzelnen gerichtet? O-TON 6 (Lutz Hagestedt) Also es ging in keinem Fall gegen das Experiment, Gernhardt war sehr für das Experiment. Ging es gegen hermetische Tendenzen oder den müden Parlandoton der Nachkriegslyrik? Ich glaube beides trifft zu. Und es ging gegen Beliebigkeit. Das vor allem. Und das kritisiert er bei prominenten Kollegen wie Ingeborg Bachmann. ERZÄHLERIN Gernhardt liebte es, außer mit der Sprache, mit den Worten auch mit den Formen zu spielen. Mit dem gewagten, ironischen, überraschenden Reim, mit
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