Ein Schön New Lied« Musik Und Reformation

Ein Schön New Lied« Musik Und Reformation

1 »EIN SCHÖN NEW LIED« MUSIK UND REFOrmatiON Eröffnungskonzert Thomaskirche Freitag, 09. Juni 2017, 17.00 h Wir bitten Sie, Ihr Handy während des Konzerts auszuschalten und auf das Fotografieren zu verzichten. Aus urheberrechtlichen Gründen sind Film- und Tonaufnahmen nicht gestattet. Die Kollekte kommt der Erhaltung der Thomaskirche zugute. / We kindly ask you to switch off your mobiles and to refrain from taking photographs during the concert. Sound or image recordings are not permitted for copyright reasons. The collection will help maintain St. Thomas’s. Bachfest-News: www.facebook.com/bacharchiv Hauptförderer des Bachfestes Leipzig 2017 PROgramm Johann Sebastian Bach (1685–1750) Toccata F-Dur, BWV 540/1 Wir gläuben all an einen Gott, BWV 680 Choralbearbeitung für Orgel aus: Klavierübung Teil III Begrüssung Burkhard Jung Oberbürgermeister der Stadt Leipzig Einführung Sir John Eliot Gardiner Präsident des Bach-Archivs Johann Sebastian Bach Ein feste Burg ist unser Gott, BWV 80 Kantate zum Reformationsfest für Sopran, Alt, Tenor, Bass, vierstimmigen Chor, 3 Oboen, 2 Oboen d’amore, Oboe da caccia, Taille, Violine, Streicher und Basso continuo in der von Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784) um 3 Trompeten und Pauken erweiterten Besetzung In der Schatzkammer des Bach-Museums ist der Erstdruck der Partitur (Breitkopf & Härtel, Leipzig 1821) ausgestellt. Kurze Umbaupause Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) Sinfonie Nr. 2 B-Dur »Lobgesang«, op. 52, MWV A 18 für 2 Soprane, Tenor, vierstimmigen Chor und Orchester Thomasorganist Ullrich Böhme Katja Stuber, Sopran Marie-Claude Chappuis, Mezzosopran Martin Petzold, Tenor Henryk Böhm, Bass Thomanerchor Leipzig ThomasSchulChor (Michael Rietz, Einstudierung) Händelfestspielorchester Halle Stefan Altner, Continuo-Orgel Michaela Hasselt, Continuo-Cembalo Leitung: Thomaskantor Gotthold Schwarz Das Konzert wird von MDR Kultur mitgeschnitten und heute Abend ab 20.05 Uhr übertragen. Präsentiert von der SEHR geehrte DAMEN UND HERREN, LIEBE FREUNDE DER MUSIK, es ist mir eine besonders große Freude, ausgerechnet im Jahr 2017 die Schirm- herrschaft des Bachfestes in Leipzig zu übernehmen. Zum Reformations- jubiläum kommt nämlich auch ein weiteres Festjahr hinzu: 2017 feiert Finnland sein 100-jähriges Bestehen als selbstständige Nation. Dieses Festjahr möchten wir zusammen mit allen Freunden Finnlands feiern – das Bachfest bietet eine wunderbare Gelegenheit hierzu. Musik hatte schon immer eine verbindende Kraft, weit über die Landesgrenzen hinaus. Während des Bachfestes 2017 setzen sich über hundert Ensembles mit den Werken Bachs auseinander. Neue Interpretationen kommen in den Begeg- nungen mit anderen Komponistinnen und Komponisten zu Stande. Deutsche Musik spielte schon immer eine wichtige Rolle in Finnland und der Austausch zwischen den beiden Ländern trug maßgeblich zum Aufbau des finnischen Musiklebens bei. Leipzig und Finnland verbindet die hohe Wertschätzung der musikalischen Bildung. Auch der finnische Nationalkomponist Jean Sibelius besuchte regelmäßig Leipzig während seiner Aufenthalte in Deutschland. Während der deutsch-finnischen Chorakademie 2017 treffen zwei Chöre aus Finnland (Dominante) und Deutschland (Kammerchor der Stadt Leipzig) auf- einander und präsentieren als Ergebnis ein einzigartiges Konzert in der Tho- maskirche: »Bach trifft Sibelius«. Weitere Highlights sind die Auftritte des Knabenchors Cantores Minores zusammen mit dem Mendelssohn Kammeror- chester Leipzig sowie das Open-Air-Konzert von Iiro Rantala und Ulf Wakenius. Jazz kann auch Bach und vice versa! Ich wünsche allen Besucherinnen und Besuchern ein inspirierendes Bachfest 2017 – und lade Sie herzlich ein, dieses ganz besondere Jahr mit uns zu feiern. Ritva Koukku-Ronde Botschafterin von Finnland Ladies AND GENTLEMEN, Dear MUSIC LOVERS, It is an especially great pleasure for me to be the patron of the Leipzig Bach Festival in this particular year, 2017. Because in addition to marking the anni- versary of the Reformation, it also marks another anniversary: in 2017, Finland celebrates its 100th year as an independent nation. We want to celebrate this anniversary year with all friends of Finland – and the Bach Festival offers us a wonderful opportunity to do so. Music has always had the power to unite people across national boundaries. During the 2017 Bach Festival, more than one hundred music ensembles will be engaging with Bach’s works. New interpretations arise from encounters with other composers. German music has always played an important role in Finland, and exchanges between the two countries greatly contributed to the develop- ment of Finnish music. Leipzig and Finland are united by the value they place on the teaching of music. Finland’s most famous composer, Jean Sibelius, regularly visited Leipzig during his stays in Germany. In the 2017 German- Finnish Choir Academy, two choirs from Finland (Dominante) and Germany ( Leipzig Kammerchor) will be coming together to present a unique concert in St. Thomas’s Church entitled »Bach meets Sibelius«. Other highlights include performances by the Cantores Minores boys’ choir and the Leipzig Mendels- sohn Kammerorchester, as well as an open-air concert by Iiro Rantala and Ulf Wakenius. Jazz can also do Bach, and vice versa! I wish all visitors an inspiring Bach Festival in 2017 – and warmly invite you to celebrate this very special year with us. Ritva Koukku-Ronde Ambassador of Finland ZUM PROgramm Im Jahr 1597 veröffentlichte Thomaskantor Sethus Calvisius, der eigentliche ›Vater‹ des Thomanerchors, das erste Leipziger Cantional, also ein Gesangbuch, das vierstimmige Sätze zu »Kirchengesängen und Geistlichen Liedern Dr. Lutheri und anderer frommer Christen« bietet. Es gab alsbald in den ört- lichen Gottesdiensten und beim Kurrendesingen der Thomaner auf den Gassen den Ton an. In der Vorrede des Cantionals thematisierte Calvisius seine Grund- überzeugung, nämlich dass gesungene Lieder »die Gemüter der Menschen viel- mehr und kräftiger bewegen und zur Andacht erwecken, als wenn die Wort nur bloß geredet und gehört werden«. Und die Erfahrung hatte den passionierten Pädagogen ebenfalls gelehrt, »daß nichts leichter eingehe, auch bey den Kin- dern, als was man ihnen mit Gesang beybringet«. Beide Standpunkte waren zutiefst lutherisch. Denn der Reformator selbst hat nicht nur mehrfach seiner Begeisterung und Verehrung für die Musik Ausdruck verliehen – einer »göttlichen Kunst«, die er, gleich nach der Theologie, als die bedeutendste unter den Wissenschaften erachtete. Vielmehr war es Luther wichtig, die göttliche Botschaft, also die Worte der Bibel, nachhaltig unter das Volk zu bringen. Deshalb war es sein erklärtes Ziel, die Musik stärker als ehedem – und auch jenseits der Klostermauern – in den Dienst der Wort ver- kündung zu stellen. In der Vorrede des »Geistlichen Gesangbüchleins« (Wittenberg 1524), dem ersten Chorgesangbuch der evangelischen Kirche, erläuterte er seinen Plan: Er wolle »alle Künste, sonderlich die Musica, gern sehen im Dienst dessen, der sie geben und geschaffen hat«. Mit anderen Wor- ten: »Gottes Wort will gepredigt und gesungen sein« (Fastenpostille 1525), denn: »Wer singt, betet doppelt!« Es war also eine unmittelbare Folge von Luthers Liebe zur »Frau Musica«, dass in Sachsen und Thüringen, den Kerngebieten der Reformation, das Unter- richtsfach Musik in den neuen Schullehrplänen eine Hauptrolle spielen sollte. Alsbald versetzten aller Orten neugegründete Schulchöre und Laienkantoreien die Kirchenemporen allsonntäglich in Schwingungen; prächtige Orgeln wurden selbst in kleinste Ortschaften gesetzt. Fleißige Kantoren (»Ein Schulmeister muß singen können, sonst sehe ich ihn nicht an«, Luther 1538) und Organisten schufen nach Kräften immer wieder »newe Lieder« und Vertonungen von Gottes Wort: Kirchenlieder, Motetten, geistliche Konzerte, Kantaten, Passi- onen – selbstverständlich auf der Basis von Luthers epochaler Bibelüberset- zung. Und so verwandelte sich Mitteldeutschland binnen eines Jahrhunderts von einem musikalischen Entwicklungsland in einen außerordentlich frucht- baren Nährboden, aus dem bald die berühmtesten deutschen Komponisten sprießen sollten, einschließlich Johann Sebastian Bach. »Thuringia cantat!« Der lutherische Kirchenmusiker Bach war in der ersten Hälfte seines beruf- lichen Lebens freilich weniger darauf fokussiert gewesen, die Worte der Heili- gen Schrift in Gesänge zu verwandeln. Als Organist in Arnstadt, Mühlhausen und schließlich, 1708 bis 1717, als Hoforganist in Weimar war es vielmehr seine Kernaufgabe, in den Gottesdiensten auf der Königin der Instrumente mit prächtigen Improvisationen aufzuwarten und die Gemeinde auf die angeschla- genen Kirchenlieder einzustimmen. Die virtuos funkelnde Toccata F-Dur, BWV 540/1, die sich – wie die meisten Orgelwerke Bachs – nur abschriftlich erhalten hat, scheint eine Frucht jener Weimarer Jahre zu sein, vielleicht aus der Zeit um 1714. Jedenfalls griff Bach in der ungestümen Toccata – der längsten in seinem Oeuvre – eine Idee auf, die Antonio Vivaldi zu Beginn seines berühmten Dop- pelkonzerts für zwei Violinen in d-Moll, RV 565, unlängst zum Programm erho- ben hatte: Zwei kanonisch geführte Stimmen streiten, ergo konzertieren miteinander. Jenes Vivaldi-Konzert hatte sich der Weimarer Hoforganist, damals systematisch die europäischen Nationalstile erkundend, zu eigen gemacht, indem er es sich kurzerhand für Orgel arrangierte. In der Toccata verarbeitete er seine neu gewonnenen Einblicke in die moderne italienische Concerto-Form und vermischte sie gleichsam spielerisch mit der Improvisati-

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