PORTRAIT THOMAS HENGELBROCK SICUT ERAT · JAN DISMAS ZELENKA MISERERE C-MOLL ZWV 57 · GLORIA PATRI II · AM 31.10.2008 · KANTATE WEINEN, KLAGEN, SORGEN, ZAGEN BWV 12 · JOHANN SEBASTIAN BACH ANTONIO LOTTI · MISSA A TRE CORI ET IN TERRA PAX · GRATIAS AGIMUS TIBI · SO KLINGT NUR DORTMUND. 2,50 E KONZERTHAUS DORTMUND · Portrait Thomas HenGEL- BROCK · SO KLINGT NUR DORTMUND Abo: Zeitinsel III – Portrait Thomas Hengelbrock Chorklang Wir bitten um Verständnis, dass Bild- und Tonaufnahmen während der Vorstellung nicht gestattet sind. 4 I 5 Portrait Thomas HenGELbrock – Chormusik des 18. Jahrhunderts Dauer: ca. 1 Stunde 40 Minuten inklusive Pause Balthasar-Neumann-Chor · Balthasar-Neumann-Ensemble · Thomas Hengelbrock Dirigent · Tanya Aspelmeier Sopran (Zelenka, Lotti) · Heike Heilmann Sopran (Lotti) · Marion Eckstein Alt (Bach, Lotti) · Antonio Lotti (1667–1740) Bernhard Landauer Alt (Lotti) · Julian Podger Tenor (Bach) · Marek Rzepka Bass (Bach, Lotti) Missa a tre cori Kyrie I Christe Jan Dismas ZELenka (1679 –1745) Kyrie II Miserere c-Moll ZWV 57 Gloria in excelsis Miserere I Et in terra pax Miserere II Laudamus te Gloria patri I Gratias agimus tibi Gloria patri II Domine Deus, Rex coelestis Sicut erat Domine fili Miserere III Domine Deus, Agnus Dei Qui tollis Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Qui sedes Kantate »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen« BWV 12 (Leipziger Fassung) Quoniam tu solus sanctus Sinfonia Cum Sancto Spiritu Coro »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen« Recitativo »Wir müssen durch viel Trübsal« Aria »Kreuz und Kronen sind verbunden« Aria »Ich folge Christo nach« Aria »Sei getreu« Choral »Was Gott tut, das ist wohlgetan« – Pause – 6 I 7 ProGramm Balthasar-Neumann-Chor 8 I 9 NachhaLtiGE BeziehunGen Jan Dismas ZELenka, Johann Sebastian Bach In Dresden war Zelenka nach seiner Rückkehr in erster Linie für die katholische Kirchenmusik und Antonio Lotti bei Hofe zuständig. Neben der Komposition eigener Werke – Messen, Musik für die Vesper, Li- taneien und Kompositionen für die Karwoche – gehörte auch die Beschaffung und Einrichtung Das Diktat der Mode war auch in der musikalischen Welt über Jahrhunderte hinweg ein mäch- von Musik anderer Komponisten zu seinen Aufgaben. Unter den Musikalien, die Zelenka für die tiger Faktor, der die komplexe Wechselbeziehung zwischen Komponisten und ihren Auftragge- Dresdner Kirchenmusik einrichtete, finden sich auch Werke des früheren Hofkapellmeisters bern und Zuhörern maßgeblich beeinflusste. Musik veraltete innerhalb weniger Jahrzehnte Lotti, darunter eine nur aus Kyrie und Gloria bestehende Messe in g-moll/G-Dur, der Zelenka zur oder gar Jahre, und so wurden viele Werke, die man bei ihrem ersten Erklingen mit Wohlwollen Unterscheidung von anderen Messen den Namen »Missa Sapientiae« gab. wahrnahm, rasch vergessen, so dass sie allenfalls noch eine Nischenexistenz im Bewusstsein Nach Mitteilung des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel gehörte Zelenka zu jenen Musikerkol- einiger Gelehrter oder treusorgender Archivare und Bibliothekare führen konnten. legen, die Johann Sebastian Bach persönlich kannte und sehr schätzte. Dokumente, die nähere Eine Ausnahme bildete die geistliche Musik. Innerhalb der Kirche neigte man spätestens seit Auskunft darüber geben könnten, in welcher Weise die beiden Komponisten sich austauschten, der Reformation und den von ihr angestoßenen konfessionellen Umbesinnungsprozessen ohne- sind bislang nicht aufgetaucht, doch hatte Bach offenkundig Zugriff auf Zelenkas kirchenmu- hin mehr und mehr dazu, das einmal als gut Erkannte zu bewahren und im Bewusstsein präsent sikalische Sammlung: In seiner eigenen Notenbibliothek fand sich Zelenkas Abschrift und Ein- zu halten. Der auf äußere Schlichtheit bedachte strenge musikalische Kontrapunkt, wie er im 17. richtung der »Missa Sapientiae« Lottis. Jahrhundert aus dem Erbe Palestrinas und anderer Meister der Spätrenaissance weiterentwickelt und zum altehrwürdigen »stile antico« erhoben wurde, blieb auch im 18. Jahrhundert noch zentraler Bezugspunkt für viele Komponisten sakraler Musik, die den »alten Stil« teils in seiner reinen Aufschrei der reue Jan Dismas ZELenka Miserere C-MOLL ZWV 57 Gestalt, teils in sensibler Anpassung an den Geschmack ihrer eigenen Zeit gebrauchten. Jan Dismas Zelenka, Johann Sebastian Bach und Antonio Lotti – alle drei Komponisten be- Für die Karwoche des Jahres 1738 vertonte Zelenka den Bußpsalm »Miserere mei, Deus« als herrschten den traditionellen Kirchenstil und seine Anverwandlung auf eine Weise, die schon von Abfolge stark kontrastierender Sätze. Der komplette Text des Psalms selbst erscheint im zweiten den Zeitgenossen bewundert wurde. Obwohl sie sich zu dritt nie begegneten, sind sie über die der fünf Sätze; ihm schließt sich die über zwei Sätze verteilte Doxologie, das »Gloria Patri« an. Person Zelenkas doch miteinander verbunden. Lotti, 1676 in Venedig geboren, verbrachte den Den äußeren Rahmen bilden zwei Chöre, die nur den Anfangsvers »Miserere mei, Deus« um- größten Teil seines Lebens in seiner Vaterstadt, wo er – wie so viele Musiker seiner Zeit – sowohl fassen. Zelenka hat diese Bitte um Erbarmen als heftigen Aufschrei komponiert: Über erregten als Kirchenmusiker wie auch als Opernkomponist tätig war. 1717 folgte er einem Ruf an den Rhythmen bohren sich zunächst die Orchesterstimmen dissonant ineinander, dann tritt der Chor Dresdner Hof, wo er für gut zwei Jahre mit größtem Erfolg wirkte, bevor er 1719 wieder nach hinzu und entfaltet einen Klagegesang von ungeheurer Eindringlichkeit. Venedig zurückkehrte. Fünf Opern schuf er für Dresden, doch war er mit den italienischen Im Gegensatz zu vielen anderen Komponisten wie Leonardo Leo oder auch Lotti, die sich von Musikern, die ihn ins »Elb-Florenz« begleitet hatten, auch in der Hofkirche tätig. Davon zeugen der Bildhaftigkeit des Textes zu Werken von großem Abwechslungsreichtum der Affekte und eine stattliche Zahl geistlicher Werke Lottis, von denen er einen Teil eigens für Dresden kom- Tonfälle inspirieren ließen, wählte Zelenka für seine Vertonung einen geradezu archaisch anmu- poniert, einen anderen Teil aus Italien mitgebracht hatte. tenden Weg. Er griff auf ein Ricercar Girolamo Frescobaldis zurück, das Teil seiner in Wien Als Lotti seinen Dienst antrat, war Zelenka bereits seit einigen Jahren als Kontrabassist in der angelegten Sammlung mit Abschriften von Werken alter Meister war, und macht Frescobaldis Dresdner Hofkapelle tätig, weilte allerdings im Gefolge des sächsischen Thronfolgers Friedrich vierstimmigen Tonsatz von strenger Kontrapunktik zur Grundlage seines eigenen Vokalsatzes, August vor allem in Wien, wo er, die Gelegenheit nutzend, bei dem kaiserlichen Hofkapellmeister der sich im wesentlichen an die rund 100 Jahre alte Vorlage hält. Johann Joseph Fux, einer der geschätztesten Kapazitäten auf dem Gebiet der klassischen Kon- Ein differenziertes Eingehen auf Ausdrucksnuancen des Textes ist unter diesen Umständen trapunktlehre, studierte. In Wien legte sich Zelenka zudem eine Werksammlung mit Hand- nicht möglich – und es ist offenkundig auch gar nicht beabsichtigt. Die Dignität des alttestamen- schriften alter Meister an, auf die er später verschiedentlich zurückgriff. tarischen Textes wird durch die Altehrwürdigkeit des strengen Frescobaldischen Tonsatzes 10 I11 Werke unterstrichen. Die Kernbotschaft des Psalms aber, der klagende Aufschrei der Seele, bildet – vom Trauer und Freude im Kontrast Johann Sebastian Bach Kantate Psalm selbst abgelöst – den Rahmen des Werks, das selbst unter den vielen höchst eigenwilligen »Weinen, KLAGen, SorGen, ZAGen« BWV 12 Kompositionen Zelenkas einen Sonderrang einnimmt. Schon als junger Mann hatte Zelenka seinen zweiten Taufnamen Lukáš ersetzt durch Dismas – so hieß der Legende nach jener reuige Auch Johann Sebastian Bach griff immer wieder auf eigene Werke und Musik anderer Kompo- Verbrecher, der gemeinsam mit Jesus gekreuzigt wurde und dem der Heiland das Paradies nisten zurück, um den hohen Ansprüchen, die das Amt des Thomaskantors an ihn stellte, ge- versprach. recht werden zu können. Die Kantate »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen« BWV 12, die Bach Die wenigen Dokumente, die etwas zur Persönlichkeit Zelenkas aussagen, lassen ahnen, bereits 1714 in Weimar komponiert hatte, erklang am Sonntag »Jubilate« des Jahres 1724 auch dass er ein Mensch voller Probleme mit sich und der Welt war, der sich gegen Ende seines in Leipzig. Doch damit nicht genug: Den Hauptteil des Chors, dem die Kantate ihren Namen Lebens immer mehr in sich zurückzog. Das »Miserere« in c-moll gehört zu seinen letzten Kom- verdankt, übernahm Bach später in die h-moll-Messe. Transponiert, strukturell erweitert und positionen und damit zu einer Gruppe von Werken, die bei aller Kunstfertigkeit besonders per- mit einem neuen Text versehen steht er dort als »Crucifixus« an einer zentralen Stelle des 5743sönliche Anz_12_Tenoere_sw Züge tragen. 01.09.2005 12:34 Uhr Seite 1 Credo-Satzes. Intensives WechseLspieL Antonio Lotti Missa A tre cori Die Verbindung von Chromatik und motettischem Satz verbindet Bachs Kantatensatz mit einigen einzeln überlieferten »Crucifixus«-Vertonungen Lottis, die in ihrer Radikalisierung des klas- sischen Kontrapunkts wohl zu seinen eindrucksvollsten Werken zählen. Doch auch in einigen seiner vollständigen Messsätze gelingen Lotti mit ähnlichen Mitteln immer wieder Momente von bezwingender Expressivität. Große Teile der »Missa a tre cori«, die in und für Venedig komponiert, aber auch in Dresden aufgeführt wurde, sind so disponiert, dass ein steter Wechsel zwischen kontrapunktisch dich- ten und ausdrucksintensiven Momenten
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