RAMSAU BEI BERCHTESGADEN Fast jeder Alpenfreund kennt das Bild der Ramsauer Pfarrkirche mit der Bachbrücke im Vorder- und dem »Gugelhupf« des Wagendrischlhorns im Hintergrund. Wie sonst nur die Ansicht der sieben- köpfigen Watzmannfamilie sowie des Malerwinkels am Königssee ist dieses romantische Aquarell- und Kalendermotiv zu einer Visitenkarte des Berchtesgadener Lands geworden. Seit 2015 besitzt Deutschland mit der Ramsau sein erstes offizielles Bergsteigerdorf. Umgeben von den Felsrecken eines Watzmann oder Hochkalter bieten sich allerhand Gelegenheiten für alpine Sternstunden. Und der Natio- nalpark Berchtesgaden ist Garant für eine intakte Bergnatur. Lissi wartet schon am Parkplatz auf mich. Ich war grad Gen Norden erstrecken sich voller Anmut die Wiesen- noch »spazieren«, zu früher Stunde über die Halsalm – so wellen der Ramsau gegen das Lattengebirge hin, aufgelo- ein herrliches Fleckerl vor den Abbrüchen der Reiteralm ckert besiedelt durch die Ortsteile Antenbichl, Taubensee, (das Knittelhorn drängt sich ganz mächtig in den Vor- Schwarz-eck und Au, hier im Berchtesgadener Land als dergrund!) – und dann am Hintersee vorbei, wo morgens Gnotschaften bezeichnet. Die wohl schönste Annäherung wirklich noch echte Idylle herrscht: Fotografenglück an in diesen Landstrich führt über die Schwarzbachwacht. einem Lieblingsplatz früherer Alpenmaler. Nebenan liegt Da öffnet sich in der Nähe des verträumten Taubensees der verwunschene Zauberwald und bis zur Aussichtskan- plötzlich eine wahre Prachtszenerie, liegen Watzmann und zel des Wartsteins ist es auch nicht weit. Bevor ich Lissi Hochkalter steilfelsig auf dem Präsentierteller. Warum nicht nun in die raue Welt des Hochkalter-Massivs entführe, gleich den Rucksack schultern und Richtung Mordaualm genießen wir noch ihren selbstgebackenen Kuchen – dann aufsteigen? Im Frühsommer blüht es hier herzerfrischend! geht’s bergwärts! Unser Ziel ist heute die Blaueishütte. Auf Höhe der Schärtenalm scheren wir allerdings links aus und DIE SANFTEN VORBERGE folgen einer kaum bezeichneten Fährte, die uns schließ- lich bis auf den Steinberg führen wird. Ein guter Tipp, falls Beim Übergang zur Moosenalm auf der anderen Seite des man die breit ausgetretenen Routen mal verlassen möchte, Lattengebirges lernt man eine Menge über die Almwirt- ohne sich gleich in waghalsige Abenteuer zu begeben. Als schaft, deren größte Verbreitung allerdings lange überschrit- nördlich vorgeschobener Eckposten des charakteristischen ten ist. Man erfährt zum Beispiel etwas über Standortbedin- Blaueiskar-Hufeisens erweist sich der Steinberg als vor- gungen, über die Bedeutung von Tagweide, Nachtweide und züglicher Aussichtspunkt. So machen wir es uns auf den Schneeflucht oder über das periodische Wechseln zwischen Gipfelfelsen bequem zur großen Schau … Nieder-, Mitter- und Hochalm (die eigentlichen Hochalmen von einst sind wegen schwieriger Bewirtschaftung und Wasserknappheit inzwischen zu zwei Dritteln aufgelassen), Bei einer Tour auf Edelweißlahner und Eisberg weiters über die Bauformen der Kaser (die früheste Form ist ergeben sich wunderbare Blicke in die Talachse der sogenannte Rundumkaser, bei dem die Wohnstätte der der Ramsau und zum Göllstock. Sennen vom Stall umgeben ist) sowie über die Funktionen 166 167 Am Hochkalter ist klassisches Bergsteigen angesagt. Der Aufstieg über den Nordgrat (rechts) gilt als Der mächtige Hochkalterstock aus dem Gebiet der Mordaualm gesehen (rechts). genussvolle Tour im II. Grad, nebenbei kann auch der Rotpalfen (links) mitgenommen werden. Für viele Touren an diesem Massiv fungiert die Blaueishütte (links) als Basislager. des Walds. Aufgepeppt werden kann die Runde am Alm- bewerkstelligt, damals als technisches Meisterwerk gefeiert, auf Edelweißlahner und Eisberg. Kaum zu glauben, dass werden, und der Abstecher zum Kulminationspunkt der Erlebnisweg mit einem kleinen Gipfelabstecher, wobei heute zu bestaunen im Salzbergwerk Berchtesgaden. Einige man dort beinahe ohne Kletterei durchkommt, was die Reiteralm kostet schließlich eine Dreiviertelstunde extra. der Feuerspitz die einfachere Alternative ist, während sich unbeschwerte Wanderstunden am Soleleitungsweg sollte Sache aber keineswegs trivial macht. Man braucht schon Klettersteigpassagen warten auch beim Übergang zum der Karspitz kurzfristig mit ein paar schmalen Stellen niemand verpassen! ein gutes Näschen, um die spärlich ausgetretenen Routen Wagendrischlhorn, nur mehr einzelne Drahtseile dann am wehrt. Das Rastbankerl dort oben ist wirklich ein feiner aufzuspüren, die sprichwörtliche Trittsicherheit in Steil- Böslsteig, der sich bis hinunter ins Tal freilich ebenfalls Logenplatz … AUF DIE REITERALM schrofen und nicht zuletzt eine gute Verträglichkeit mit der gehörig zieht. Mit rund zehn Stunden ist man auf dieser Ich deute auf den Toten Mann, der sich, von unserem Tiefe. So atemberaubend die Vogelperspektive auf das blaue Tour dabei! Steinberg aus betrachtet, gänzlich unscheinbar ausnimmt. Im Panorama vom Steinberg kommt auch die Reiteralm, Auge des Hintersees, so ausgesetzt ist manche Passage wie Aber auch diesen isolierten Waldbuckel muss man unter der westlichste Plateaustock der Berchtesgadener Alpen, beispielsweise die Traverse an der Fernsebnerplatte. DER STEINGEWORDENE KÖNIG den schönsten Aussichtspunkten der Ramsau einreihen. zur Geltung. Wie bei den meisten Tafelgebirgen gibt sich Offiziell markiert, deshalb jedoch keineswegs lockerer Am kleinen Bezoldhüttchen, das bei einem überraschen- die Außenwirkung zunächst ziemlich unnahbar: Hohe Fels- gestaltet sich die Zwei-Gipfel-Tour über Schafl- und Bösl- Doch zurück zum Steinberg: Nach der Westperspektive den Regenschauer Unterschlupf gewährt, lässt sich lange und Schrofenflanken vermitteln den Eindruck eines Boll- steig. Das Wagendrischlhorn kennt man ja als nachgerade blicken wir nun ostseitig hinunter und entdecken den hocken, ganz ohne Hektik oder alpinistische Ambitionen, werks, und tatsächlich verlangt jede Tour dort hinauf einen weltberühmte Silhouette, weil es immer wieder als Hin- Steig, der sich über die Hochalm Richtung Eisbodenschar- einfach in die eigenen Gedanken versunken. Einmal harrte ausdauernden und meist auch trittsicheren Geher. Drunten tergrundkulisse der Ramsauer Kirche verewigt wird. Aber te hinaufschlängelt. Von dort gelangt man quasi hinten ich hier bis zum Sonnenuntergang aus. Ein Stück unterhalb am Hintersee ahnt man freilich nichts von der Lieblichkeit auch das Stadelhorn kann sich sehen lassen, nämlich als herum auf die Schärtenspitze, die unseren Steinberg gleich quert der bekannte Soleleitungsweg die teils bewaldeten, der inneren Hochmulde, des sogenannten Reitertretts, wo Teil jener zackigen Felsenkulisse über der Grundübelau, die nebenan um gut 100 Meter überragt. Erst vor ein paar teils aufgelockerten Flanken – eine Wanderpromenade die Neue Traunsteiner Hütte ihren Platz hat. man am schönsten von der Bindalm aus sieht und die gern Wochen bin ich oben gewesen – lebendige Erinnerung! Was par excellence, die man auch »Balkon des lieben Gottes« In ihrem Gipfelportfolio stehen Großer Weitscharten- als »Ramsauer Dolomiten« tituliert wird. Wer sich zeitig gegenüber zu sehen ist, muss ich Lissi nicht lang erklären. nennt. Die Trasse geht auf den Bau der 29 Kilometer langen kopf und Großer Bruder, die Häuselhörner sowie die am Morgen ins Klausbachtal einwärts begibt, um hinter Der sagenverklärte Watzmann zeigt uns sein westseitiges Soleleitung zwischen Berchtesgaden und der Saline in gesamte Kammlinie vom Edelweißlahner bis hinüber der Engert-Holzstube auf den Schaflsteig abzuzweigen, hat Breitwandprofil, eine ziemlich ungeschlachte Masse über Bad Reichenhall zurück, einer frühen »Pipeline«, gefertigt zum Wagendrischlhorn und Stadelhorn, mit den höch- sich einiges vorgenommen. Auf steilen Waldpfaden und dem abgründigen Wimbachtal. Wir mustern den Gratver- aus unzähligen Holzdeicheln. Sie war von 1817 bis 1961 in sten Erhebungen im Süden. Besonders schneidig werden krummholzbewachsenen Rippen, in sandigen Furchen und lauf über Hocheck, Mittel- und Südspitze – jene »Pflicht- Betrieb. Die Überwindung der 350 Höhenmeter von Ilsank Touren auf die Reiteralm aber, wenn man sie direkt über rutschigen Geröllfeldern gilt es Zähigkeit zu beweisen. Der tour«, die sich für uns beide schon erfüllt hat. zum Söldenköpfl wurde übrigens mit der genialen hydrau- die steilen Randabstürze anpackt. Zu meinen absoluten Schaflsteig will schier kein Ende nehmen, unterhalb der Für die Postkarten- und Souvenir-Industrie gehört der lischen Wassersäulenmaschine von Georg Reichenbach Favoriten zählt die Kombination zweier gefinkelter Pfade Mayrbergscharte muss gar noch am Drahtseil gekraxelt Berg ja zum klassischen Landschaftsinventar: Ließe sich 168 169 überhaupt ein harmonischeres Felsensemble erdenken als merlichen Watzmannkar, wenn man über eine Riesenplatte einfach eine besondere Aura, der sich niemand entziehen Feuerball über dem Hohen Göll erscheinen und auch die Familie Watzmann, wie man sie von Norden erblickt? Da zum Dritten Kind hinaufschleicht. Wer die lohnende Um- kann. Und irgendwann hört man ihn tatsächlich rufen … Steine, über die ich gerade steige, aus ihrem Schattenda- stehen sie wie ein überdimensionales Kunstwerk auf einem rundung des gesamten Bergstocks unternimmt, bummelt sein erlösen. Die gut 700 Höhenmeter hinauf zum Hocheck Sockel, (beinahe) für die Ewigkeit in Stein gemeißelt: rechts im schutterfüllten Wimbachtal unter der zerschlissenen EIN TAG AM WATZMANNGRAT werden zum Warmlaufprogramm erklärt und gehen zügig der »König« selbst, links die Watzfrau
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