Die Idee Der Verbindung Von Musik Und Poesie

Die Idee Der Verbindung Von Musik Und Poesie

Myriam Suzanne Rion DIE IDEE DER VERBINDUNG VON MUSIK UND POESIE IM FRANKREICH DES 16. JAHRHUNDERTS – DAS MUSIKALISCHE SUPPLEMENT ZU PIERRE DE RONSARDS AMOURS (1552) DIE IDEE DER VERBINDUNG VON MUSIK UND POESIE IM FRANKREICH DES 16. JAHRHUNDERTS – DAS MUSIKALISCHE SUPPLEMENT ZU PIERRE DE RONSARDS AMOURS (1552) Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität zu München vorgelegt von Myriam Suzanne Rion aus München München 2004 Referent: Prof. Dr. Rudolf Bockholdt Korreferent: Prof. Dr. Dr. Lorenz Welker Tag der mündlichen Prüfung: 19.02.2001 Dem Gedenken meiner Mutter Die Idee der Verbindung von Musik und Poesie im Frankreich des 16. Jahrhunderts - Das musikalische Supplement zu Pierre de Ronsards Amours (1552) Vorwort vii I. Einleitung 1 II. Die Theorie der Verbindung von Musik und Poesie im Frankreich des 16. Jahrhunderts 7 1. Die antiken Grundlagen zum französischen Entwurf der Verbindung von Musik und Poesie 7 2. Das Verhältnis von Poesie und Musik aus Sicht der französischen poetischen Theorie 19 3. Ronsard - Der Dichter und sein Verständnis von musikalischen Dingen 66 4. Die Verbindung von Musik und Poesie in ihrer Bedeutung für die französische Musiktheorie 90 III. Die Praxis der Verbindung von Musik und Poesie im Frankreich des 16. Jahrhunderts 114 1. Zur Situation der französischen Chanson 114 2. Die Verbindung von französischer Poesie und Musik nach antikem Vorbild - 131 Baïfs vers mesurés und musique mesurée à l’antique 3. Modellartiger und liedhafter musikalischer Umgang mit Poesie 186 IV. Grundlegendes zum musikalischen Supplement 214 1. Die petrarkistische Liebeslyrik Pierre de Ronsards 214 2. Die relevanten Gattungen Sonett, Ode und Chanson - Reflexe in der Musik 223 3. Die Amours von 1552 und 1553 und ihr musikalisches Supplement 243 V. Die Vertonungen des musikalischen Supplements und ihrVergleich mit textgleichen zeitgenössischen Kompositionen als Ausdruck der musikalischen Praxis 258 1. Certon: J’espere & crains (Sonett)- Lasso, Boni, Maletty 258 2. Certon: Bien qu’à grand tort (Sonett)- Bertrand 327 3. Goudimel: Errant par les champs und En qui respandit (pindarische Ode) 347 4. Goudimel: Quand j’apperçoy (Sonett) 368 5. Goudimel: Qui renforcera ma voix (Ode) 384 6. Muret: Las, je me plain (Sonett)- Bertrand, Regnard 399 7. Janequin: Qui vouldra voir (Sonett) - Bertrand 421 8. Janequin: Nature ornant (Sonett) - Clereau, Bertrand 437 9. Janequin: Petite Nymphe folastre (Amourette) - Castro, Caietain, Regnard, Utendal 456 VI. Zusammenfassung 479 Abkürzungsverzeichnis I Literaturverzeichnis II Notenbeilage mit eigenem Verzeichnis Vorwort „Kein Andres, das mir so im Herzen loht“ - ein historischer Umweg führte mich zu Vertonungen von Ronsard-Sonetten: Ich beschäftigte mich mit dem Briefwechsel1 zwischen Richard Strauss und Clemens Krauss zu Capriccio, wo gegensätzliche Standpunkte bezüglich des Verhältnisses von Sprache und Musik im Streit Primo le parole, dopo la musica versus Primo la musica, dopo le parole ausgetragen werden.2 Es ergab sich, daß dem berühmten Sonett, das der Handlung als Kristallisationspunkt dient, eine französische Vorlage von Pierre de Ronsard zugrundeliegt.3 Diese konnte ich in der Continuation des Amours (1555) von Ronsard finden,4 und, neugierig geworden, feststellen, daß es seinerzeit in Kompositionen von Antoine de Bertrand (um 1530/40-um 1580/82) und Jean de Castro (um 1540-um 1600) bereits Eingang in die Musik gefunden hatte.5 Strauss war von dem Gedicht begeistert.6 Krauss hatte mit seiner Bemerkung „Daß es aus einer früheren Zeit ist, schadet meiner Ansicht nach gar nichts“ schmählich untertrieben. Er hatte mit der Auswahl eines Ronsard- Sonettes für eine Vertonung, die die Verbindung von Musik und Poesie symbolisieren soll, den Nagel auf den Kopf getroffen. 1552 waren mit den ersten Sonetten von Ronsard, Les Amours, als Supplement zum Gedichtband Vertonungen bedeutender zeitgenössischer Komponisten erschienen, die frankophonen Musikwissenschaftlern heute zum Symbol der humanistisch motivierten Vereinigungsbemühungen von Musik und Poesie in der französischen Renaissance gereichen. 1Strauss, Richard/Krauss, Clemens, Briefwechsel, ausgewählt und hrsg. von Götz Klaus Kende und Willi Schuh, München ²1964. 2Ein Streit, der typisch straussisch beschieden wird: „prima - dopo - oder alle Beide“, so sein Brief vom 14.3.1940 (S. 130). 3Krauss an Strauss, 26.10.1939 (S. 52): „Ich habe mich umgetan, um ein Sonett oder ein schönes Gedicht aus der Zeit zu finden. Ich hoffe, daß es mir gelingen wird.“ Am 9.11.1939 (S. 62 f.): „Ich nahm hier eines der besten, das ich fand, freilich von einem viel früheren, Ronsard. [...] Das angeführte Sonett von Ronsard (1515 [richtig: 1524. Anm. d. Verf.]-1585) liegt bei. Ich finde es dem Sinne nach sehr schön. Es ist eigentlich genau das, was Sie brauchen. [...] Daß es aus einer früheren Zeit ist, schadet meiner Ansicht nach gar nichts. Die Hauptsache wäre, daß es Sie zur Komposition inspiriert.“ 4Je ne sçaurois aimer autre que vous (Sonett XXXVIII), Ronsard-Ausgabe Laumonier, VII, S. 155. 5Daschner, Die gedruckten mehrstimmigen Chansons von 1500-1600, 1962, S. 72, Nr. 1693; Thibault/Perceau, Bibliographie des poésies de P. de Ronsard mises en musique au XVIe siècle, 1941, S. 99 und die No 81 und 90 bzw. 122. 6Strauss an Krauss, 14.11.1939 (S. 63): „Das Gedicht von Ronsard ist ausgezeichnet [...].“ Am 23.11.1939 (S. 78): „Übrigens habe ich das Sonett gestern in erster Fassung (Verbesserungen vorbehalten) in [Musik gesetzt]. Ich schreibe heute an Swarowsky, er möchte mir noch mehrere Ronsards übersetzen: dieses etwas rhetorische Genre (à la Rückert) liegt mir besonders gut!“ vii Außerdem hatte mich bei Strauss noch sein bairisch-teutonischer Widerwille gegenüber den Prinzipien französischer Sprachvertonung fasziniert, mit dem er auch schon Romain Rolland fast zur Verzweiflung getrieben hatte, der ihm, in Zusammenhang mit Problemen bei der Vorbereitung der französischen Salomé unter Heranziehung des in französischer Sprache geschriebenen Originaltexts von Oscar Wilde, auf die Frage, warum etwa Debussy die Worte „une petite fille qui“ zum Rhythmus gesetzt hätte und ob die Franzosen nun „petite“ oder „petite“ sagen würden, am 16. Juli 1905 antwortete: „Vous êtes étonnants, vous autres, Allemands; vous ne comprenez rien à notre poésie, absolument rien; et vous la jugez avec une certitude imperturbable [...] Vous me dites: „Warum singt der Franzose anders als er spricht?“ Mais qu’est-ce que der Franzose? Le Français?“7 Damit stellte Strauss eine der ganz grundsätzlichen, die französische Sprachvertonung betreffenden Fragen: Es geht gerade in der Gegenüberstellung deutscher und französischer Sprachvertonung nicht zuletzt darum, welche „Akzente“ man setzt.8 – Damit sei dieser Ausflug zu Richard Strauss schon beendet, der mir als Anstoß diente, mich ins 16. Jahrhundert zu Vertonungen frühneufranzösischer Verse zurückzubegeben - in eine Zeit, die wahrlich ein anderes analytisches Handwerkszeug erfordert. Gerade in dieser Zeit wurde der französischen Sprache und Poesie ihr modernes Gepräge und Gesicht verliehen, auf welches die Musik so plastisch Bezug nimmt, wobei sie uns auch viel über die zeitgenössische Wahrnehmung von französischer Sprache mitteilt. So soll das Hauptziel dieser Arbeit sein, einen lebendigen Nachvollzug musikalischer und sprachlicher Wirklichkeit in der französischen Chanson jener Zeit zu ermöglichen. Um dies zu gewährleisten, muß, was mir im vorliegenden Kontext zwingend erscheint, der geistes- und sprach- bzw. versgeschichtliche Hintergrund sorgfältig erschlossen werden. Dabei wollte ich mich der Zeit nicht nur im Rezipieren und Vermehren einer sich zitierend fortpflanzenden Sekundärliteratur nähern, sondern mir die Zeit von Zeitgenossen erklären 7Strauss, Correspondance, in den Cahiers Romain Rolland, 1950, 3. 8Rolland teilt in seiner Antwort Strauss zwar einiges über die Flexibilität des französischen Akzentes mit, bezieht sich dabei aber weniger auf den Charakter der Sprache an sich, als vielmehr auf die Möglichkeit unterschiedlicher regionaler Sprachgewohnheiten. viii lassen, was sich auch in Konzept, Gestalt und Aufbau der Arbeit ausdrückt, wo zunächst sowohl poetische als auch musikalische Theoretiker ausführlich gehört werden sollen. Der faszinierende Geist des musikalischen Humanismus fordert heraus, tief in ihn einzutauchen. Die Mystifizierung der Verbindung von Musik und Poesie in der Theorie verstellt jedoch leicht den Blick auf die Realität der musikalischen Praxis. Sich nur auf das eine oder das andere zu beschränken, hieße wiederum, der Zeit nicht gerecht zu werden. Oft sieht man sich in der Sekundärliteratur mit dem Phänomen konfrontiert, daß, in dem Bedürfnis Theorie und Praxis deckungsgleich zusammenzubringen, eine unlautere Durchmischung der beiden Bereiche vorgenommen wird, das heißt, daß theoretische Äußerungen als Erklärung für praktische Phänomene herangezogen werden (vice versa), die sich nicht wirklich völlig entsprechen. Deshalb soll in dieser Arbeit versucht werden, zunächst eine Trennung zwischen Theorie und Praxis herzustellen, die die Voraussetzung für eine möglichst objektive Bewertung des Vorliegenden schafft. Die Beweisführung, inwieweit und wann Theorie und Praxis sich gegenseitig bestätigen oder widersprechen, ergibt sich im Einzelfall von selbst und durch die Sache, bedarf aber einer kritischen Bewertung. Das eine oder andere Mal öffnete sich die Tür zur musikalischen Wirklichkeit eines Stückes auch über den praktischen Aufführungsversuch. Leider

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