Neue Wege gehen: Schwarz-Grün in Hessen Erwartungen – Erfahrungen – Ergebnisse Volker Kronenberg www.kas.de Neue Wege gehen: Schwarz-Grün in Hessen Erwartungen – Erfahrungen – Ergebnisse Volker Kronenberg Impressum Herausgeberin: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. 2018, Sankt Augustin/Berlin Umschlagfoto: © istock/ ollo Gestaltung und Satz: yellow too Pasiek Horntrich GbR Die Printausgabe wurde bei der Druckerei Kern GmbH, Bexbach, klimaneutral produziert und auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt. Printed in Germany. Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland. Diese Publikation ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ legalcode.de) ISBN 978-3-95721-455-3 Inhalt 1. Einleitung 4 2. Schwarz-Grün: Bisherige Erfahrungen in Bund, Ländern und Kommunen 10 3. Der Weg zur Bildung einer schwarz-grünen Koalition in Hessen 24 3.1 Der Wahlkampf 2013: Personen und Positionen 25 3.2 Das Wahlergebnis: Erneut „hessische Verhältnisse“ 29 3.3 Die Regierungsbildung: Wie Schwarz und Grün zueinander fanden 32 3.4 Zwischenfazit 38 4. Schwarz-grünes Regieren in Hessen anhand ausgewählter Politikfelder 42 4.1 Die Infrastruktur- und Umweltpolitik 43 4.2 Die Haushalts- und Finanzpolitik 51 4.3 Bildungspolitik 61 4.4 Innere Sicherheit 66 4.5 Exkurs: Die Flüchtlingsherausforderung 69 5. Fazit 82 Quellenverzeichnis 90 Literaturverzeichnis 96 Der Autor 111 3 Einleitung 1. Einleitung Seit vielen Jahren, fast schon Jahrzehnten, wird aus der Kernenergie. Sowohl die im Saarland von das Modell einer Kooperation zwischen der Union 2009 bis 2012 amtierende schwarz-grün-gelbe aus CDU und CSU mit Bündnis 90/Die Grünen in „Jamaika“-Koalition als auch die in Hamburg von der deutschen Öffentlichkeit immer wieder dis- 2008 bis 2010 regierende, erste schwarz-grüne kutiert und publizistisch vor allem in den größe- Koalition auf Länderebene wurden vorzeitig auf- ren Tages- und Wochenzeitungen aufgegriffen.1 gekündigt. In Baden-Württemberg wurde 2016 Obwohl in den Augen mancher Beobachter und die erste grün-schwarze Koalition unter Minister- Kommentatoren Schwarz-Grün bis heute etwas präsident Kretschmann vereidigt. Weitere Bei- Exotisches anhaftet, sind schwarz-grüne bzw. spiele finden sich auf der kommunalen Ebene. So grün-schwarze Kooperationen vor allem im kom- halten sich beispielsweise in den Kommunen und munalen Bereich, aber auch auf Länderebene Kreisen des bevölkerungsreichsten deutschen bereits politische Realität: zunächst in Hamburg, Bundeslands Nordrhein-Westfalen schwarz-grüne zeitweilig im Saarland, ergänzt um die FDP, seit und rot-grüne Bündnisse seit Jahren zahlen- 2013 in Hessen, seit 2016 unter grün-schwarzen mäßig die Waage; zeitweilig überwogen gar die Vorzeichen in Baden-Württemberg sowie seit schwarz-grünen Kooperationen. Es sei daran erin- 2017 als „Jamaika“-Koalition in Schleswig-Holstein. nert, dass im nordrhein-westfälischen Mülheim Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass an der Ruhr 1994 die bundesweit erste schwarz- Schwarz-Grün, wenngleich nicht mehr in dem grüne Zusammenarbeit in einer Großstadt das Maße „exotisch“ wie in vergangenen Jahrzehnten, Licht der Welt erblickte. meist noch als Koalitionsoption „zweiter“ oder sogar „dritter Wahl“ gehandelt wird. Von einer Politische und kulturelle Annäherungen Wunschkoalition sprechen heute weder Union Die einstmals nahezu unvorstellbare Zusammen- noch Grüne – aus unterschiedlichen, sei es aus arbeit von Union und Grünen ist somit heute mit- inhaltlichen, arithmetischen oder strategisch-tak- nichten nur ein Thema des politischen Feuilletons tischen Gründen. oder des akademischen Elfenbeinturms. Schwarz- Grün ist in vielerlei Hinsicht eine gesellschaftliche Trotz vielfacher Annäherungen und erfolgreicher und politische Selbstverständlichkeit geworden, Zusammenarbeit in Kommunen und Ländern ist eine Koalition, die Strategen der verschiedenen Schwarz-Grün weiterhin eine besondere partei- Parteien ebenso bewegt wie deren Mitglieder und politische Konstellation. Geht es hierbei doch um Wähler. Ein Thema, das nicht nur auf koalitions- zwei Farben, die nach wie vor spezifische Milieus politische, machtstrategische Aspekte in Kommu- sowie gesellschaftliche und kulturelle Trends nen, Ländern oder dem Bund reduziert werden repräsentieren und die tatsächlich über lange kann, sondern das politische, gesellschaftliche Zeit als kaum miteinander kompatibel, wenn und kulturelle Wandlungsprozesse über nunmehr nicht gar als einander diametral entgegengesetzt drei Jahrzehnte hinweg spiegelt. erschienen: „Schwarz-Grün war bis zum Anfang der 1990er Jahre eine Konstellation, die dem poli- Als sich die grüne Öko-, Friedens- und Anti-Atom- tischen Beobachter eine ähnlich große Vorstel- bewegung als Bundespartei im Januar 1980 lungskraft abverlangte wie die Idee eines grünen gründete, bestand kaum ein Zweifel daran, dass Ministerpräsidenten.“2 diese „Anti-Parteien-Partei“ (Petra Kelly, Grüne) in ihrem Selbstverständnis und ihren Zielen einen Doch die Zeiten haben sich geändert. Sowohl auf- fundamentalen Gegenentwurf zur Union von links seiten der Grünen als auch der CDU sind seit eini- darstellen sollte: „Trotz aller wertkonservativen gen Jahren Zeichen der Annäherung zu erkennen: Beiklänge des Großthemas Ökologie und trotz Im Sommer 2011 lobte der baden-württembergi- aller Einflüsse von Aktivisten im grünen Grün- sche Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) die dungsprozess, die nicht der Tradition der neuen Kanzlerin einer CDU-geführten Großen Koalition Linken zuzurechnen waren,“ so blickt Hubert für den Beschluss zum unumkehrbaren Ausstieg Kleinert auf die grünen Anfänge zurück, „haben 5 1. Einleitung sich die Grünen von Anfang an eindeutig als scheinen heute, nach Fukushima und Energie- Linkspartei verstanden. Eine Linkspartei neuen wende, endgültig ausgeräumt. In Fragen der Stils freilich, deren Entstehung in erster Linie aus Integrations- und Zuwanderungspolitik hat man dem gesellschaftlichen Konfliktfeld zu verstehen sich, jenseits semantischer Nachhutgefechte um ist, das die Werteforschung als Konflikt von mate- Multikulti und/oder Leitkultur, pragmatisch weiter rialistischen und postmaterialistischen Haltungen aufeinander zu bewegt. Viele Beobachter hatten beschrieben hat.“3 Kein Wunder: Die wechselsei- dies noch vor wenigen Jahren nicht erwartet. tigen Vorbehalte von Union und Grünen waren groß, die Rhetorik, mit der sie sich begegneten, Rückwirkungen auf die politische eher derb denn nuanciert. Entsprechend laute- Kultur der Republik ten auch Urteile aus der Union, etwa seitens des Wenn also im Verhältnis von Grün und Schwarz damaligen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler, ein erheblicher Wandel, begleitet von jenem in der 1984 von „totalitären Elementen“ in grünen den zugehörigen wählersoziologischen Milieus, zu Inhalten sprach. Inhaltlich, rhetorisch und habitu- beobachten ist – der Göttinger Parteienforscher ell schienen Grüne und Union Welten zu trennen, Franz Walter attestierte Schwarz-Grün unter wäh- auch wenn ein genauerer Blick auf die milieu- lersoziologischen Gesichtspunkten vor einigen spezifische Zusammensetzung der grünen Basis Jahren die Gefahr einer „riskanten Überbürger- oder auf einzelne Gründungspersönlichkeiten der lichkeit“4 – dann stellt sich zwangsläufig die Frage Partei, wie zum Beispiel Herbert Gruhl, ein etwas nach dem künftigen Weg: Bewegen sich Schwarz anderes Bild hätte zeigen können. Doch milieu- und Grün, wählersoziologisch wie programma- spezifische Schnittmengen zwischen Schwarz und tisch-strategisch immer weiter aufeinander zu Grün interessierten von Anfang an weniger als oder – trotz allen Wandels – doch nicht? Konkret: die auffallenden Unterschiede und Gegensätze in Werden Bündnisse von Union und Grünen auch Programmatik und in großen Teilen des Perso- jenseits der kommunalen Ebene immer mehr nals. Berührungspunkte gab es ganz offensicht- zu einer Selbstverständlichkeit? Schleifen sich lich kaum. Wo sie dennoch vorhanden waren, einstige programmatische Gegensätze immer wurden sie willentlich und zum Teil kaschiert: weiter ab, oder werden auch in Zukunft Schwarz „Schwarz-Weiß“ dominierte das wechselseitige und Grün den klaren Gegensatz von rechts und Verhältnis von Schwarz und Grün. Differenzierte links markieren, ja womöglich markieren müssen, Stimmen bildeten auf lange Zeit die großen Aus- um den Identitätskern und die Bindungskraft für nahmen in beiden Parteien – aber auch darüber die Mitglieder und die eigene Wählerschaft nicht hinaus. zu gefährden? Doch, so die naheliegende Gegen- frage: (Was) gelten die tradierten Koordinaten von Die simple Farbenlehre einer klaren Trennung rechts und links im politisch-kulturellen Milieu zwischen Schwarz(-Gelb) und Rot(-Grün), die auf der „Berliner Republik“ noch? Sind die ersten Bundesebene die berühmt-berüchtigte Bonner „Laboratorien“ schwarz-grüner Kooperationen „Pizza-Connection“ junger Nachwuchspolitiker auf Landesebene ein Zeichen weiterer Annähe- von Union und Grünen Mitte der 1990er Jahre rung? Oder lassen sie mit ihren Schwierigkeiten, infrage zu stellen begann, ist heute in immer ihren Unwägbarkeiten und ihrem Potenzial zum weniger Bereichen festzustellen und spiegelt Scheitern nur die Seifenblase einer erhofften sich auch in der Vielzahl heutiger Koalitions- Etablierung von Schwarz-Grün in der Reihe deut- varianten auf der Ebene der 16 Bundesländer: scher Koalitionsoptionen zerplatzen?5 Schon diese Denn ebenso, wie sich die gesellschaftlichen
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