NICHTS NEUES SCHAFFEN Antonia Putzger, Marion Heisterberg und Susanne Müller-Bechtel (Hrsg.) NICHTS NEUES SCHAFFEN Perspektiven auf die treue Kopie 1300–1900 De Gruyter Diese Publikation wurde gefördert von der VolkswagenStiftung, Hannover. ISBN 978-3-11-044003-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-043114-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-043122-3 Library of Congress Control Number: 2018936218 Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliographie; detailed bibliographic data are available on the internet at http://dnb.dnb.de © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Johann Dietrich Findorff, Rhinoceros, 1751/52, Kopie nach Jean Baptiste Oudry, Leinwand, 112 × 140 cm, Schwerin, Staatliches Museum (Detail, bearbeitet) Satz: LVD GmbH, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com | 5 INHALT Einleitung Marion Heisterberg, Susanne Müller-Bechtel, Antonia Putzger Nicht einzig-, aber eigenartig, oder: What do copies want? 7 Introduction Marion Heisterberg, Susanne Müller-Bechtel, Antonia Putzger Particular, not Singular, or: What Do Copies Want? 17 Megan Holmes Reproducing Sacred Likeness in Early Modern Italy 27 Joris Corin Heyder Wiederholung und Differenz Beobachtungen zum liniengenauen Motivtransfer in der spätmittelalterlichen Buchmalerei 45 Hannah Wirta Kinney Transcribing Material Values in Doccia’s Porcelain Medici Venus 71 Ruth Wolff Eigenhändigkeit und Kopie zwischen Kunst und Recht Zu notariellen Kopien von Text und Bild im Italien des Mittelalters 93 Peter Heinrich Jahn „Le copie son’ ancora fatte ...“ Zum medialen Status der Plankopie im frühneuzeitlichen Architekturbetrieb 111 6 | Inhalt Claudia Gaggetta The Faithful Copy as a Medium of Appropriation and Propaganda French Commissions after Leonardo’s Last Supper 133 Grischka Petri The Photograph as Acheiropoieton A Copyright Perspective 153 Helmut Hess Wiederholungen unter „Hinweglassung jeder Farbe“ Die Grisaille-Kopie als Transkriptionshilfe in der frühen Reproduktionsfotografie 175 Kristina Hegner Die Geschichte und Funktion der Gemäldekopien in den großherzoglich-mecklenburgischen Kunstsammlungen 191 Ilka Voermann „Ausgezeichnet durch ihre Treue“ Gemäldekopien in fürstlichen Sammlungen des 19. Jahrhunderts 215 Ralf Bormann Das verschleierte Bild Zur Logik der Kopie in der Sammlung des Grafen Wallmoden (1736–1811) 231 Carla Mazzarelli Faithful Substitutes Rome in the 19th Century and Copies as monumenti-documenti of State Heritage 251 Charlotte Schreiter Vom Nutzen der Genauigkeit Kopienkritik und die Konstruktion von Antike 267 Autorinnen und Autoren 283 Abbildungsnachweis 289 Personenregister 293 Tafelteil 299 EINLEITUNG Marion Heisterberg, Susanne Müller-Bechtel, Antonia Putzger NICHT EINZIG-, ABER EIGENARTIG, ODER: WHAT DO COPIES WANT? There was no ’original,‘ in other words, until someone tried but failed to replicate it. The origi- nal was the creature of the replica.1 Konsequent weitergedacht bedeutet diese eingängige These von Alexander Nagel und Christopher Wood, dass es Kopien und Originale im heutigen Sinne, als Teile eines di- chotomischen Beziehungsgefüges, erst ab einem bestimmten Punkt, den Nagel und Wood historisch in der Renaissance verorten, geben konnte. Existiert also auch die treue Kopie, die – nach welchen Maßstäben auch immer – als gelungen bewertete Wiederho- lung einer konkreten Vorlage, erst seit der Neuzeit als Folge einer solchen Dichotomisie- rung? Oder konstituiert sie eine (noch) „unschuldige“ Vorstufe? Gleich zu welcher Ant- wort man kommt, deutet schon diese Frage an, dass im Zentrum dieses Bandes eine Umkehr der üblichen Blickrichtung steht: Von der Kopie ausgehend, soll nach ihrer Be- ziehung zu einem bereits Gegebenen gefragt werden. Denn die Eigentümlichkeit einer Kopie liegt unserer Auffassung nach in eben dieser Ausrichtung an einem bereits Gege- benen. Folglich lautet ein erstes und ernstzunehmendes Anliegen der Kopie bzw. der Ko- pistin/des Kopisten: NICHTS NEUES SCHAFFEN. Eine von dieser Setzung ausgehende Untersuchung und qualitative Bewertung von Kopien müsste also in erster Linie die Art und Qualität ihrer Treue zur Vorlage thematisieren. Vor dem Hintergrund der als „Ge- richtetheit“ beschreibbaren Besonderheit von Kopien ist daher umso erstaunlicher, dass Kopien oft danach beurteilt wurden und werden, wie innovativ sie sind, was sie dem Vor- bild hinzufügen oder wie sie es kreativ überbieten. Doch wie wird man der Eigenschaften habhaft, die Kopien als solche ausmachen? Wie soll man einen kunsthistorischen Umgang gerade mit den Objekten entwickeln, die sich durch weitgehende, offenbar zielgerichtete visuelle und/oder inhaltliche Annähe- rung an bestimmte Vorlagen auszeichnen und dabei Epochen- wie Händezuordnungen, schließlich Originalitätspostulate unterlaufen? Wie kann frei und ohne Vorurteile über künstlerische Objekte nachgedacht werden, jenseits des Kults um das Originale schaf- 1 Nagel/Wood 2010, 25. 8 | Marion Heisterberg, Susanne Müller-Bechtel, Antonia Putzger fende oder diese stets durch Innovationen überbietende Genie? Über solche und viele weitere Fragen sind die drei Herausgeberinnen dieses Bandes zuerst im Jahr 2012 ins Gespräch gekommen – ein Gespräch, dessen lebhafter Verlauf schließlich zur Tagung Nichts Neues Schaffen im Sommer 2014 führte. Ziel war es, internationale Kopienfor- scherInnen zusammenzubringen und in der gemeinsamen Erörterung solcher Fragen „Perspektiven auf die treue Kopie“ zu eröffnen. Die nun in einem zweiten Schritt vorge- legten Abhandlungen basieren – in erweiterter und vertiefender Form – auf Beiträgen zu dieser Konferenz. Mit der Kopie nimmt der vorliegende Band ein Thema in den Blick, das als Teil eines seit einigen Jahren stetig wachsenden Interesses der kunst- und kulturwissenschaft- lichen Forschung an Phänomenen der Vervielfältigung und des Transfers von Bildern zu verstehen ist. Gerade im digitalen Zeitalter rückt die Kopie als Wiederholung, Nach- ahmung, Transfer- und Transformationsmedium, als Skandalon von Copyright und Fäl- schung mehr denn je ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Ja, das 21. Jahrhundert könnte zum Jahrhundert der Kopie werden, wie es Martina Dlugaiczyk im Katalog zur Karlsru- her Ausstellung Déjà-vu (2012) formulierte.2 Doch auch angesichts der Vielfalt von Pu- blikationen, Ausstellungen und Forschungsprojekten zu Kopien in den letzten Jahren3 hat die spezifische Erforschung der treuen Kopie nicht an Relevanz verloren, im Gegen- teil: Das Desiderat von diesbezüglichen Untersuchungen besteht nach wie vor. Seine Er- füllung verspricht Erkenntnisse zur Historisierung von Werkbegriffen sowie Konzepten von Ähnlichkeit, Authentizität und Originalität und damit auch zu urheberrechtlichen und ethischen Fragestellungen.4 Konkret bieten die hier versammelten Ansätze exem- plarische Lösungen für einen wissenschaftlichen Umgang mit dem vorhandenen, noch oft in den Depots der Museen verborgenen Bestand an Kopien an – einem Fundus, der nicht nur kulturhistorisch interessant ist, sondern auch in kunstwissenschaftlicher und medientheoretischer Perspektive der weiteren Erforschung wert erscheint. Die treue Kopie als konstitutive und flexible Kategorie Die Kulturgeschichte der Kopie wäre leicht und auf breiter Materialbasis geschrieben, rückte man die Geschichte ihrer Abwertung ins Zentrum: Bereits Plinius der Ältere 2 Dlugaiczyk 2012, 76. 3 Preciado (Hg.) 1989; Lenz (Hg.) 1992; Ausst.-Kat. Aachen 2008; Augustyn/Söding (Hg.) 2010; Bartsch/Becker (Hg.) 2010; Mazzarelli (Hg.) 2010; Probst (Hg.) 2011; Ausst.-Kat. Karlsruhe 2012; Ausst.-Kat. Schwerin 2012; Cupperi (Hg.) 2014; Münch/Tacke (Hg.) 2014; Osano (Hg.) 2014; Tie- tenberg (Hg.) 2015; Hick/Schmücker (Hg.) 2016. Angesichts der Konjunktur des Kopienthemas er- hebt diese Aufstellung keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. 4 An dieser Stelle sei auf die Konferenzen und Publikationen der Bielefelder Forschungsgruppe Ethik des Kopierens/Ethics of Copying (ZiF Bielefeld 2015–2017, Leitung: Reinold Schmücker, mit Tho- mas Dreier und Pavel Zahrádka) verwiesen. Nicht einzig-, aber eigenartig, oder: What do copies want? | 9 schilderte die Geschichte der Kunst als eine Abfolge ständiger Neuerungen.5 Sein Zeit- genosse Quintilian war ähnlicher Ansicht: Die wichtigsten Eigenschaften von Kunst seien so unnachahmlich wie unvermittelbar: ingenium, Erfindungsgabe, Lebenskraft und Leichtigkeit. Daraus ergibt sich bei Quintilian die Folgerung: Alles, was einem anderen ähnlich ist, ist zwangsläufig geringer als das Nachgeahmte. So etwa der Schatten gegenüber dem Körper, das Abbild gegenüber dem Gesicht und das Spiel der Schauspieler gegenüber dem echten Gefühlsausdruck. […] In denen, die wir zum Vorbild neh- men, steckt Natur und echte Kraft, dagegen ist alle Nachahmung etwas Gemachtes und paßt sich einem fremden Plan an. […] es dürfte kaum genügen, ein Abbild des Vorzüglichen herzu- stellen […] sozusagen dessen Oberhaut.6 Die antagonistischen Begriffe, die offenbar bereits in der römischen Antike existierten, in der Renaissance wiederkehrten und in der Genieästhetik des 18. und 19. Jahrhunderts ihren uneingeschränkten Höhepunkt fanden, sind allbekannt: Es sind Begriffspaare wie tot versus lebendig, abhängig versus frei, gestohlen versus erfunden, mit denen die Kopie zum geistlosen Spiegelbild des Originals, zur Epidermis ohne Organismus oder zum körperlosen Schatten, der im platonischen Sinne den Schatten-Existenzen dieser Welt noch nachgeordnet ist,7 erklärt wird. Gewisse nützliche Eigenschaften von Kopien, wie
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