
29. APR 2018 Im Westen nichts Neues KONZERTSAAL PROGRAMM Max Reger (1873 – 1916) „Siegesfeier“ aus: „Sieben Orgelstücke“ op. 145/1 Nr. 7 (1916) Moritz Hauptmann (1792 – 1868) „Meine Seel‘ ist stille zu Gott“ op. 53 Nr. 1 Motette für Chor Johann Kuhnau (1660 – 1722) „Tristis est anima mea“ Motette für fünf Stimmen a cappella Sergej Rachmaninow (1873 – 1943) Prélude cis-Moll op. 3 Nr. 2 (1892) in einer Bearbeitung für Orgel von Louis Vierne Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847) „Verleih uns Frieden“ Choralkantate (1831) PAUSE Marcel Dupré (1886 – 1971) „Poème héroïque“ op. 33 für Orgel (1935) „De profundis“ op. 18 Oratorium für Chor, Sopran, Tenor, Bass und Orgel (1916) Chor: „De profundis“ Terzett Sopran, Tenor, Bass: „Fiant aures tuae“ Chor: „Si iniquitatis observaveris“ Solo Tenor: „Quia apud te propitatio“ Chor: „Sustinuit anima mea“ Duett Sopran und Bass: „A custodia matutina usque ad noctem“ Chor: „Quia apud Dominum misericordia“ Chor, Terzett: „Et ipse redimet Israel“ Chor, Terzett: „Requiem aeternam“ Zwischen den Werken Lesung aus dem Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque (1898 – 1970) Mechthild Großmann | Lesung Gunter Berger | Leitung Eva Zalenga | Sopran, Christoph Pfaller | Tenor, Andreas Scheibner | Bass Denny Wilke | Orgel Philharmonischer Chor Dresden „DER SCHATTEN DES KRIEGES“ REMARQUE: „IM WESTEN NICHTS NEUES“ Der Erste Weltkrieg liegt fast ein Jahrhundert heftigen Anfällen von Verzweiflung. Bei dem zurück, die in ihm kämpften, erscheinen vieler- Versuche, sie zu überwinden, suchte ich orts nur noch als Namen auf Gedenktafeln allmählich ganz bewusst nach der Ursache und können nicht mehr über ihn Auskunft meiner Depression. Durch diese absichtliche geben. Dennoch ist er Teil einer kollektiven Analyse kam ich auf mein Kriegserleben Erinnerung, und vieles an ihm scheint uns zurück. Ich konnte ganz Ähnliches bei vielen noch allzu nah: Von der vielbeschworenen Bekannten und Freunden beobachten. Der Kriegseuphorie zu Beginn über die allmähliche Schatten des Krieges hing über uns, wenn Desillusionierung, der Terror des Stellungs- wir gar nicht daran dachten.“ An dem Tag, kriegs bis zur psychischen Deformation der als ihm dies bewusst geworden sei, habe er Menschen. Dass wir heute noch ein konkretes zu schreiben begonnen. Folgt man dieser Bild dieses Krieges vor Augen haben, liegt Erklärung, dann wäre „Im Westen nichts nicht zuletzt an dem Roman „Im Westen Neues“ der Versuch eines Betroffenen, in nichts Neues“ von Erich Maria Remarque. einem kathartischen Akt sich von den Das 1928 erschienene Buch ist mittlerweile Traumata des Krieges zu befreien, an dem er in mehr als 50 Sprachen übersetzt worden als junger Mann teilnehmen musste. Es waren und gilt heute als das Antikriegsbuch des die Gräuel des Krieges, die er sich von der 20. Jahrhunderts schlechthin. Seele schreiben wollte: Tod, Verletzung, Er habe früher nie daran gedacht, einmal beschrieben aus der Sicht des jungen Soldaten über den Krieg zu schreiben, bemerkte Paul Bäumer, realistisch, detailliert und Remarque im Juni 1929 in einem Interview anschaulich, ein Bericht mit reflektierenden und erklärte weiter: „Ich litt unter ziemlich Passagen, die den Leser nahe ans Geschehen 2 29. APR 2018, Kulturpalast heranführen, ihn teilhaben lassen an den Eindrücken und Gedanken Bäumers. Anders als der Protagonist seines Romans hatte Remarque sich nicht als Freiwilliger gemeldet wie so viele junge Männer seiner Generation, sondern er wurde Ende November 1916 eingezogen, nach kurzer militärischer Ausbildung im Juni 1917 an die Westfront verlegt und zwei Monate später aufgrund einer Granatsplitterverwundung in ein Lazarett eingeliefert. Dort konnte er täglich die Folgen der Kämpfe sehen: „Schreckliche Verwundungen waren dabei, Amputationen, Wunden wie Kindsköpfe so groß, Knochen- schüsse u. Ähnliches“. Ende Oktober 1918 wurde er aus dem Lazarett entlassen, doch bevor er an die Front zurückgeschickt werden konnte, war der Krieg zu Ende. Das Ergebnis der Dritten Flandernschlacht: 72.000 britische und deutsche Soldaten getötet, 62.000 weitere vermisst. Remarques Erfahrungen aus Fronteinsatz schildern, und bereits Ende 1917 hatte er – und Lazarettaufenthalt sind in seinen Roman noch aus dem Duisburger Hospital – seinen eingeflossen. Dennoch ist „Im Westen an der Front verbliebenen Schul- und Kriegs- nichts Neues“ kein autobiografischer Bericht, kameraden Georg Middendorf um Nachrichten sondern ein Buch, dem der Autor die Erfah- von den Frontereignissen gebeten, um sie in rungen vieler anverwandelt hat, fiktional, mit einem Roman zu verwenden. Diesen Plan dichterischer Freiheit und dem Ziel, die hat er zunächst nicht weiterverfolgt; erst im Auswirkungen des Krieges auf seine Teil- Herbst 1927 nahm er ihn wieder auf. nehmer zu beleuchten. Neben seinen eigenen Die erste Ausgabe von „Im Westen nichts Erinnerungen hat er auf weitere Quellen und Neues“ im Januar 1929 wurde von einer für Vorbilder zurückgegriffen: Er ließ sich von jene Zeit beispiellosen Verkaufskampagne Freunden und Bekannten Kriegserlebnisse begleitet. Innerhalb von zwölf Wochen nach Im Westen nichts Neues 3 der Erstveröffentlichung wurden mehr als wir verteidigen uns vor der Vernichtung.“ eine halbe Million Exemplare verkauft, und So erweist sich der Krieg bei Remarque noch im selben Jahr erschienen Übersetzungen als zerstörerische, gewalttätige Macht, als in 26 Sprachen. Verhängnis, das aus dem Versagen des Staates, Tausende Leserbriefe an die Vossische Zeitung, der Kultur und der Gesellschaft hervor- die im November 1928 mit einem Vorabdruck gegangen ist und Individuen zu ‚antihumanen des Romans begonnen hatte, dokumentierten Reaktionsmechanismen‘ zwingt. das breite Interesse des Publikums an Remarques Text. Dieser lieferte mit der ungeschönt-authentischen Schilderung aus der Perspektive eines einfachen Soldaten einen Gegenentwurf zu den Offiziersmemoiren und Regimentsgeschichten, die bis in die späten 1920er Jahre das Bild bestimmten. ERICH MARIA REMARQUE Anders als diese verzichtet Remarque auf * 22. Juni 1898 in Osnabrück eine romantisierend-pathetische Überhöhung † 25. September 1970 in Locarno von Kameradschaft, Kampfeswillen und Heldentum – und führt dem Leser die „IM WESTEN NICHTS NEUES“ Destruktion von Persönlichkeit und den Roman Verlust zivilisatorischer Werte als Konsequenz aus soldatischem Drill, psychischem Zwang Entstehung und den brutalen Zumutungen kriegerischer 1927/28 Auseinandersetzungen vor Augen. Er zeigt Veröffentlichung Krieg nicht als Feld der Bewährung oder 1928 (Vorabdruck in der Vossischen Zeitung) Heldenwerdung, vermeidet die bei anderen 1929 (Buchform) Autoren (auch bei Jünger) zu beobachtende Verfilmung (Kino) Fokussierung auf Vormarsch, Sturmangriff „All Quiet on the Western Front“ und Zweikampf. Die Front sei „ein Käfig, USA 1930 in dem man nervös warten muss, auf das, Regie: Lewis Milestone was geschehen wird“ – „wir kämpfen nicht, Oscar „Bester Film“, „Beste Regie“ 4 29. APR 2018, Kulturpalast TEUTONISCHER PATRIOTISMUS REGER: „SIEGESFEIER“ Durchaus konkret bezieht sich Max Reger „Siegesfeier“ aber beginnt toccatenartig und mit dreien seiner „Sieben Stücke“ op. 145 führt in gehörigem Triumph zur Choralweise auf die Ereignisse des Ersten Weltkriegs. „Nun danket alle Gott“, deren Strophen durch Er schrieb sie im Winter 1915/16, vermutlich feierliche Einwürfe voneinander getrennt als Nachhall seiner Improvisationen in den werden. Schließlich erscheint im Pedal und in Kirchenmusikkonzerten, die er noch zu Beginn der Oberstimme das „Deutschlandlied“, ein des Krieges in Meiningen und Hildburghausen kunstvoll komponierter, doch von seiner gegeben hatte. Mit ihnen kehrt Reger ein gedanklichen Konzeption her naiver und letztes Mal zur lutherischen Tradition des offensichtlich verfrühter Paroxysmus auf Chorals bzw. der Choralbearbeitung zurück: einen militärischen Sieg, der schließlich doch Die mittleren vier Stücke beziehen sich auf ausblieb. Der Komponist, der dem deutschen Stationen des Kirchenjahres (Weihnachten, Heer einst auch eine „Vaterländische Passion, Ostern, Pfingsten, Nr. 3-6), während Ouvertüre“ gewidmet hatte, hat von der „Trauerode“ (Nr. 1), „Dankpsalm“ (Nr. 2) und Niederlage und vom katastrophalen Ausgang „Siegesfeier“ (Nr. 7) kriegerische Ereignisse des Krieges nichts mehr erfahren; er starb thematisieren. im Mai 1916 in Leipzig. Wem es gelingt, hinter die befremdliche Prä- sentation dieses teutonischen Patriotismus MAX REGER vorzudringen, dem bietet sich folgendes Bild: * 19. März 1873 in Brand (Oberpfalz) „Trauerode“ und „Dankpsalm“ erweisen sich † 11. Mai 1916 in Leipzig als zwei große musikalische Bögen, deren erster in dem Satz „Was Gott tut, das ist „SIEGESFEIER“ wohlgetan“ kulminiert, der zweite, der mit aus: „Sieben Orgelstücke“ op. 145/1, Nr. 7 derselben Musik wie der erste beginnt, erreicht seinen Höhepunkt mit der Weise „Lobe Entstehung den Herren“: Die Akzeptanz des göttlichen 1916 Willens im ersten Teil wird im zweiten durch Widmung das Lob des Allmächtigen bestätigt – ein „Dem deutschen Volk“ Kommentar, der heute geradezu blasphemisch Spieldauer wirken muss. ca. 7 Minuten Im Westen nichts Neues 5 EINDRINGLICH ZWEI MOTETTEN VON HAUPTMANN UND KUHNAU Moritz Hauptmann, 1792 in Dresden geboren, war als Komponist und Musiktheoretiker eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im MORITZ HAUPTMANN Musikleben seiner Zeit. 1842 wurde er Thomas- * 13. Oktober 1792 in Dresden kantor und Musikdirektor in Leipzig, kurz † 3. Januar 1868 in Leipzig darauf auch Lehrer am Konservatorium. 1850 trat er als Mitbegründer und Vorsitzender der „MEINE SEEL‘
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