Erik Pringsheims Tod in Argentinien- Ein Bayrisch-Puntanisch-Schottisches Drama

Erik Pringsheims Tod in Argentinien- Ein Bayrisch-Puntanisch-Schottisches Drama

Juan D. Delius und Julia A. M. Delius Erik Pringsheims Tod in Argentinien- ein bayrisch-puntanisch-schottisches Drama Es ist bekannt, dass Thomas Mann beim Schreiben seiner Biicher gerne auf die Erfahrungen seiner Familienmitglieder zuriickgriff. Seine Schwiegermutter Hedwig Pringsheim (1855-1942) war eine derjenigen, die ihn gelegentlich mit solchem Quellmaterial versorgten. Sie war die Tochter des Kladderadatsch-Re­ dakteurs Ernst Dohm (1819-1883) und der friihen Frauenrechtlerin Hedwig Dohm (1831-1919) und hatte eine Karriere als Schauspielerin aufgegeben, um 1878 Alfred Pringsheim (1850-1941) zu heiraten. Dieser war ein sehr reicher Mathematikprofessor in Miinchen: Sein Vater Rudolf Pringsheim (1821-1906) hatte als Fuhr- und Bergbauunternehmer ein riesiges Vermogen gemacht. Um 1890 baute sich das junge Ehepaar Pringsheim in Miinchen eine prachtige Villa, Treffpunkt vieler Schriftsteller, Musiker und Maler der damaligen Zeit. Das Paar hatte fiinf Kinder. Die jiingste Tochter Katia (1883-1980) heiratete 1905 Thomas Mann und spielte eine einflussreiche Rolle in seinem Leben. Hier inte­ ressiert uns aber der erste Sohn der Pringsheims, Erik, 1879 in Miinchen gebo­ ren.! Er wuchs unauffallig heran und erlangte das Abitur am Wilhelmsgymna­ sium, Miinchen. 1897 nahm er das Universitatsstudium am Balliol College, , Die hier vorgestellten Nachforschungen wurden durch das Buch von Inge und Waiter Jens: Katias Mutter. Das auflerordentliche Leben der Hedwig Pringsheim (Hamburg: Rowohlt 2005) angeregt. Als Inge und Waiter Jens Auf der Suche nach dem verlorenen Sohn. Die Siidamerika­ Reise der Hedwig Pringsheim (2. erw. Auf!., Hamburg: Rowohlt 2008) vorbereiteten, hat der argentinische Erstautor des vorliegenden Beitrags einige Einzelheiten zur Geschichte des Erik Pringsheim beigesteuert, siehe S. 164. Der vorliegende Aufsatz baut auf den Schilderungen in diesem Buch auf und prasentiert seitdem hinzugekommene Befunde. Das Buch zum "verlore­ nen Sohn" gibt Hedwig Pringsheims Reisetagebuch 1907-1908 wieder und fuEt auch auf ihren Tagebucheintragungen 1905-1909 sowie auf einem Briefwechsel1908-1911 zwischen Mary, Erik, Hedwig und Alfred Pringsheim. Wir danken Dr. rnge Jens, Tubingen, dass sie uns Einsichtnahme in diese Dokumente gewahrte, und fUr vielfaltige weitere Auskunfte; Frau Waltraud Holtz-Honig, Bern, fUr zusatzliche Angaben zu dem von ihr transkribierten o. g. Briefwechsel und Frau Cristina Herbst, Frankfurt/Main, fUr die Mitteilung von weiteren Extrakten aus Hedwig Pringsheims Tage­ buch und fur Prazisierungen zum genannten Briefwechse!' Beide Materialien ediert Frau Herbst z. Zt. fur die Veroffentlichung beim Wallstein Verlag, Gottingen. Flir verschiedenerlei Hilfe dan­ ken wir dem Personal der Ibero-Amerikanischen Bibliothek, Berlin, der Biblioteca Nacional, Bue­ nos Aires. Adressen: Prof. em. Juan D. Delius, Universitat Konstanz, [email protected] und Dr. Julia A. M. Delius, Max-Planck-Institut fur Bildungsforschung, Berlin. Fur Erganzungen und Aktualisierungen siehe www.pampa-cordobesa.de/Kapitcl Y. 298 Oxford, England, auf. Dort zeichnete sich ab, dass er dem Spielen und den Frauen zugetan war; der Vater musste ihn anscheinend mehrfach aus Schulden auslosen. Nach zweiJahren setzte er sein Studium an der Universitat Munchen fort. Er wurde ab er bald mit einem Disziplinarverfahren belegt, weil er einen Kommilitonen korperlich angegriffen hatte. Als er dann auch noch beim ersten juristischen Staatsexamen durchfiel,2 zog er es vor, sich nach Erlangen umzu­ matrikulieren, wo er Mitte 1902 die Priifung mit der Note "genugend" ablegte. Seinen einjahrigen Freiwilligendienst - ein abgekiirzter Militardienst, der Abiturienten zugestanden wurde, wenn ihre Eltern sich bereit fanden, hir ihre Uniform, Ausrustung und Verpflegung aufzukommen - absolvierte Erik von Anfang Oktober 1902 bis Ende September 1903 beim Koniglich Bayerischen 2. Ulanenregiment Konig in Ansbach. Im April 1903 wurde er zum Gefreiten und im Juli 1903 zum Unteroffizier befordert.3 Schon Ende 1902 hatte er den Wunsch geauBert, Berufsoffizier zu werden, aber Major Ernst von Reitzen­ stein (1827-1910), der damalige Kommandeur der Ansbacher Ulanen,4 winkte auf Anfrage des Vaters Pringsheim ab. Im Juni 1903 wurde Erik wegen Fahr­ radfahrens ohne Licht vom Bahnhof Ansbach zu seiner Wohnung vom Regi­ mentsgericht Ansbach zu einer Zahlung von 3 Mark oder einem Tag Arrest verurteilt.s Im Dienstbogen, der der Gerichtsakte beiliegt, wird Erik als "mili­ tarisch ausgebildet" mit "sehr gut[erJ" Fuhrung bezeichnet. Laut Mutter Hed­ wigs Tagebuch graduierte sich Erik am Ende seines Einjahrigen durch Bestehen einer Abschlussprufung auch zum Kavallerie-(Reserve-)Offizier( -Anwarter). Danach trat er als Gerichtsreferendar am Amtsgericht Garmisch an, nahm aber im April 1904 bei den Ansbacher Ulanen seinen Militardienst wieder au£.6 Um sich fur die Wahl zum Reserveoffizier zu qualifizieren, musste er erfolgreich an zwei etwa achtwochigen Manovern teilnehmen.7 Einer Eintragung in Hed­ wigs Tagebuch gemaB kehrte Erik Anfang August 1904 vermutlich anlasslich seiner zweiten Ubung in Ansbach arg "zerhauen und zerschnitten" (in Folge eines mensurartigen Duells?) nach Hause. Eine Woche spater bekam er auf eine Eingabe hin den endgultigen Bescheid, dass seine Beforderung abgelehnt 2 Cristina Herbst, Frankfurt/Main, Mitteilung 2008. } Dienstbogen (siehe Anm. 5); Hedwig Pringsheim: Meine Manns. Bride an Maximilian Har­ den 1902-1922, hrsg. yon Helga Neumann/Manfred Neumann, Berlin: Aufbau 2006, S. 27. 4 Personalakte OP 34743, Ernst (Friedrich Karl Freiherr) Yon Reitzenstein, Bayerisches Kriegs­ archiy, Miinchen. S Akte Militargericht, 2. Ulanen-Reg., 1903-1905, Kriegsarchiy Miinchen. " Rainer Sehachner: 1m Sehatten del' Titanen, Wiirzburg: Konigshausen & Neumann 2000, S. 419; Cristina Herbst, Mitteilung (siehe Anm. 2). 7 Vgl. Joaehim Rott: 1eh gehe meinen Weg ungehindert geradeaus. Dr. Bernhard Weiss (1880-1951), Berlin: Frank und Timme 2010, S. 27. Beide Manoyer yon 1904 wurden yon ciner Pferdegrippe-Epidemie sehr grayierend eingesehrankt, was Erik frustriert haben mag: Friedrieh L. Meyer: Konigliches Bayerisches 2. Ulanenregiment Konig 1888-1913, Stuttgart: Ulan 1913, S. 69. 299 worden war, was ihn zutiefst deprimierte. Die Bayrische Armee hatte etwas gegen Duelle: Reserveoffiziere durften keinerlei Ehrenhandcl anhangig haben.8 Vicl spater, Ende Januar 1909, als sein Bruder Heinz Pringsheim (1882-1974) zum Reservcleutnant ernannt wurde, bemerkte Mutter Hedwig in ihrem Tage­ buch "Eriks nie erreichtes Zicl". Eine derartige Beforderung war ab er eher eine Ausnahme: Beim Ansbacher Ulanenregiment gab cs 1905 nur 9 aus mehreren Jahrgangen stammende Reserveoffiziere.9 In ihrem Tagebuch notierte Hedwig Mitte April 1905: "Erik fahrt nach Wiirzburg". Es ist anzunehmen, dass er zu einem Termin bei dem fiir sein Regiment zustandigen Kriegsgericht gcla­ den war, da Hedwig Anfang April 1906 notierte: "Brief von Erik (Gerichtsbe­ schluss)". Der entsprechende Vorgang konnte aber bisher nicht in den Akten des Bayrischen Kriegsarchivs in Miinchen gefunden werden. Ob Erik sein Referendariat fortsetzte oder etwas anderes tat - aufSer als lO Reiter an pferderennen teilzunehmen -, bleibt unklar. Seine juristische Refe­ rendarzeit schloss er jedenfalls nicht ab: Im Juni 1905 verkiindete namlich Hedwig Pringsheims Bankier und Schwager, Hermann Rosenberg, dass der Sohn riesige Schulden angehauft hatte. Geriichte bezifferten diese auf 200.000 Mark; naher bclegt sind ab er nur 50.000 Mark (... 500.000 €)1l. AufSerdem hatte er versucht, mit ungedeckten Wechscln zu zahlen: Das wurde mit Gefang­ nis und Ehrverlust geahndetY Der wiitende Vater wollte dem Sohn zunachst nicht helfen, tilgte aber auf Bitten der Mutter Hedwig dann do ch die Schuld. Allerdings stellte er die Bedingung, dass sich sein Sohn ins Ausland bege­ ben miisse, um sich dort bei knapper finanzieller Versorgung Z1.1 bewahren. Die Mutter musste sich nach Konsultation mit dem beriihmte~ Psychiater Emil Kraepclin (1856-1926) in ihrem Tagebuch eingestehen, dass ihr Junge, den sic so besonders liebte, mit einer krankhaften kindlichen U nverantwort­ lichkeit behaftet war. Nach einigem Hin und Her - Erik hatte wohl gerne in Deutsch-Siidwestafrika (=Namibia) bei der Niederschlagung des Herreroauf­ 13 standes (1904-1906) mitgewirkt - wurde beschlossen, Erik fiir einJahr nach Argentinien, ein aufstrebendes Land, das jungen Mannern Moglichkeiten bot, zu verbannen: Einige Bekannte von Pringsheims hatten cs dort zu Reichtum 8 Cristina Herbst, Mitteilung (zit. Anm. 2); Rott (zit. Anm. 7), S. 28. 9 Anon.: Militarhandbuch des Konigreichs Bayern, Munchen: Kriegsministerium 1905, S. 137. 10 Beim Reitinstitut AmalienstraGe, Munchen, des Universitats-Stallmcisters Georg Mengcle. 11 Fur die anniihernde Umrcchnung danken wir Prof. Jan Karpe, Koln, Mitteilung 2008. Die Angabe von 200.000 Mark gemaG Klaus Manu: Der Wendepunkt, Frankfurt/Main: S. Fischer 1952, S.43. 12 Bctrug gemall § 263 Reichsstrafgesetzbuch. 13 Jens, Sohn (zit. Anm. 1), S. 17. Das 2. Ulanenregiment, Ansbach, rief Frciwillige flir die Kai­ serlichcn Kolonialschutztruppe Sudwestafrika, Kommandeur Lothar von Trotha (1848-1920), auf: Meyer (zit. Anm. 7), S. 64 u. 111. 300 gebracht. Zwischenzeitlich machte sich Erik aber noch Hoffnung, als Jockey seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und drohte, sich mit einem Revolver das Leben zu nehmen. Gleichzeitig musste Mutter Pringsheim Eriks Ex-Freun­ din Emma Schlier trosten, von der er sich vielleicht wegen einer anderen Frau abgewandt hatte. 14 Im Juli 1905

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