
CHARLOTTE RAMPLING 20161102_LogobalkenA5HF_148x17_RZ.indd 1 08.11.16 12:07 69. Internationale Filmfestspiele Berlin FIguren In ­ExtremsItuatIonen Hommage an CHarlotte ramplIng Der perfekte Moment, der Augenblick, in angestarrt zu werden. Bald jedoch genügt dem alles zusammen kommt und sich zu es ihr nicht mehr, dies lächelnd hinzuneh­ einer Erinnerung fügt, der die Zeit nichts men. Sie wirft seinen Blick offensiv zu­ anhaben kann, ist ein Sonntagnachmittag rück; nun spricht aus ihrem Lächeln eine in Manhattan. Er ist ein Idyll des Müßig­ Frage: Wie lang wird dieser Augenblick, gangs, es passiert nichts weiter, als dass wie lang ihr Glück wohl andauern? In ihren der Filmemacher Sandy Bates seiner Augen liegt eine Wehmut, die noch kaum Freundin Dorrie zuschaut, wie sie in einer zu erkennen ist. Aber da es die Augen Zeitschrift blättert und ab und an zu ihm Charlotte Ramplings sind, erahnen wir die aufblickt. Die sanfte Brise, die zum Fens­ Antwort, die ihr sanftes Lächeln wenige ter hereinweht, kündigt schon den nahen Sekunden zuvor verlangte. Sommer an; im Hintergrund läuft ein Stück von Louis Armstrong. Diese Szene aus Woody Allens STARDUST MEMORIES (1980) scheint die Ansicht des Das vollendete Glück, das Sandy erlebt, ist amerikanischen Philosophen Stanley Ca­ das der Betrachtung. Dorrie ist nicht nur vell zu bestätigen, wonach ein Filmschau­ wunderschön, ihre Schönheit strahlt auch spieler im Gegensatz zum Bühnendar­ Intelligenz aus. Es amüsiert sie, von ihm steller überhaupt kein Schauspieler ist, 1 sondern ein Objekt der Betrachtung. Die luzination, zwischen Distanz und Empfind­ Kamera kann sich den ganzen Film über samkeit absolviert hat, dürfen wir uns als nicht sattsehen an Ramplings Gesicht, einen furchtlosen Menschen vorstellen. studiert es in wechselndem Licht und wechselnden Stimmungen. Aber die Mehr als fünf Jahrzehnte dauert ihre Schauspielerin erwidert diesen Blick; sie Filmkarriere bereits an, und man darf sich weigert sich, nur Projektionsfläche zu der Gewissheit anvertrauen, dass sie nie sein. Unter allen Darstellerinnen, die ein ganz die Kontrolle über das Bild aus der neurotisches Leuchten in Allens Filme ge­ Hand gibt, das Zuschauer, Regisseure und tragen haben, ist sie zweifellos die schil­ Journalisten sich von ihr machen. Ihre lerndste und eigenwilligste. einzigartige Mischung aus kreativer Frei­ heit, Kühnheit und Disziplin ist auch ihrer Charlotte Rampling gibt sich der Kamera Herkunft geschuldet: Ihre Mutter war Ma­ nicht rückhaltlos preis, sondern begegnet lerin und ihr Vater ein Offizier, der bei den ihr mit Wachsamkeit. Stets beharrt sie auf Olympischen Spielen von 1936 eine Gold­ einem privaten Raum, der vorerst nur ihr medaille mit der 4 x 400 m Staffel gewann. und der Figur gehört. Dieser Vorbehalt be­ Sie debütiert in den Swinging Sixties in reichert ihre Darstellungen. Sie liebt es, London, dieser großartigen Talentschmie­ ihre Figuren in der Schwebe zu halten und de für Schauspielerinnen. Rampling ist weigert sich, eindeutige Antworten auf Teil einer Generation, zu der Jane Birkin, die Fragen zu geben, die die Drehbücher Jacqueline Bisset, die Schwestern Lynn aufwerfen: Die Suggestion soll einen und Vanessa Redgrave sowie Rita Tushing­ Spielraum eröffnen, in dem sich die Fan­ ham gehören. Sie alle schicken sich an, tasie des Zuschauers tummeln darf. Die­ das Frauenbild im Weltkino zu verändern, se Schauspielerin versteht sich als eine etablieren einen frischen, modernen Stil, Geschichtenerzählerin. der bald an dramatischer Tiefe gewinnt. Charlotte Rampling ist eine gewissenhaf­ Luchino Visconti erahnt als Erster ihren te Verführerin, die es schafft, dass ihr das Facettenreichtum. Als er sie 1968 in LA Publikum auch auf unwägbaren, abgrün­ CADUTA DEGLI DEI (DIE VERDAMMTEN, digen Wegen folgt. Seit ihrer Rolle als auch: GÖTTERDÄMMERUNG) besetzt, ist er KZ­Überlebende in IL PORTIERE DI NOTTE fasziniert von den hohen Wangenknochen, (DER NACHTPORTIER, 1974) ist ein Hauch den Lippen, die aussehen wie eine Wunde, Essenbeck­Clan dann in den Klammer­ wie John Boorman, Liliana Cavani, Patrice von unterkühlter, verzweifelter Anstößig­ und vor allem von ihrem rätselhaft durch­ griff der Nationalsozialisten gerät und ihr Chéreau und Nagisa Oshima. keit um sie; unvergesslich das Szenenfoto, dringenden Blick, der später als »The Ehemann fliehen muss, weicht ihre an­ auf dem sie halbnackt mit einer SS­Mütze Look« berühmt werden sollte. Ihr Part fängliche Ausgelassenheit – der sie nur Hollywood wird auf sie aufmerksam und posiert. Eine Schauspielerin, die auf der der Elisabeth Thalmann ist eine Studie einen Hauch Koketterie verleiht – einem entdeckt sie als Idealbesetzung der Ande­ Leinwand eine Romanze mit einem Gorilla unschuldiger Loyalität, die von ihr große blanken Entsetzen über die menschlichen ren, der Fremden. Ihre Aura von Geheim­ erlebt hat (in MAX MON AMOUR, 1986) und Wandlungsfähigkeit verlangt: Eingangs Abgründe. Danach steht Rampling das eu­ nis und Exotik legt sie dort weitgehend auf in den Filmen François Ozons heikle Grat­ geht sie glücklich in ihrer Rolle im Patriar­ ropäische Autorenkino offen. Sie arbeitet den Rollentyp der Femme Fatale fest, des­ wanderungen zwischen Realität und Hal­ chat der Industriellenfamilie auf; als der mit so unterschiedlichen Filmemachern sen schönste und aufgeklärte Variante sie 2 3 als Laura Fischer in THE VERDICT (THE POOL (2003) und in HANNAH (2017) ist der Biografie haltungsfilmen in England und Italien wird VERDICT – DIE WAHRHEIT UND NICHTS ALS Blick ganz auf sie konzentriert, sie agiert Charlotte rampling sie als Blickfang inszeniert. 1968 engagiert DIE WAHRHEIT, 1982) verkörpert. In Sidney fast als eine Solistin. Stets ist sie dem Luchino Visconti sie für sein umstrittenes Lumets Gerichtsdrama, in dem hinter Blick der Kameraleute, Regisseure und NS­Drama LA CADUTA DEGLI DEI. 1971 gibt dem Anschein immer noch eine andere Zuschauer einen Schritt voraus: Wo diese sie ihr New­Hollywood­Debüt im Road­ Wahrheit auftaucht, wird ihre Figur stets ihre Unergründlichkeit sehen, entdeckt Tessa Charlotte Rampling wird am 5.2.1946 movie VANISHING POINT. In der US ­Fassung mit der warnenden Signalfarbe Rot asso­ sie die Verletzbarkeit oder Kraft ihrer Cha­ in Sturmer, Essex, geboren. Ihre Mutter des Films ist ihr Auftritt als kiffende An­ ziiert; ihr beharrlich fragender Blick un­ raktere. Dieser Vorsprung lässt sie zum Isabel Ann Rampling, geb. Gurteen, ist halterin nicht enthalten. In John Boormans terstreicht jedoch, dass Laura ihre ganz Angelpunkt der Inszenierung werden. Ihr Malerin, der Vater Godfrey Lionel Rampling Science­Fiction­Thriller ZARDOZ (1974) ist eigene Geschichte mitbringt. Denn Ramp­ bei der Verrichtung alltäglicher Handlun­ ein NATO­Offizier, der 1936 in Berlin mit Sean Connery ihr Partner, in Liliana Cava­ ling begreift auch Figuren, die den Genre­ gen zuzusehen, ist als Schauspiel bereits der britischen 4 x 400­Meter­Staffel Olym­ nis kontrovers aufgenommener KZ­Auf­ konventionen gehorchen müssten, als In­ faszinierend genug: Die Szenen vibrieren, piasieger wurde. Die Familie zieht häufig arbeitung IL PORTIERE DI NOTTE (1974) dividuen aus eigenem Recht. weil sie ihre Erfahrungen und Geheimnis­ um und Charlotte Rampling verbringt ihre spielt sie die Hauptrolle neben Dirk Bog­ se in sie hineinträgt. Charlotte Rampling Kindheit in Gibraltar, Wales, Norfolk, Frank­ arde. Er verleiht Charlotte Rampling als Mit François Ozons SOUS LE SABLE (UN­ leiht ihren Figuren ihre physische und reich und Spanien. Sie besucht die Jeanne Kompliment für ihren betörenden Blick TER DEM SAND, 2000) beginnt eine Phase seelische Präsenz – aber verschwinden d’Arc Académie pour Jeunes Filles in Ver­ den Ehrentitel »The Look«. in ihrer Karriere, in der Regisseure die will sie nie ganz hinter ihnen. sailles und die St. Hilda’s School in Bushey, Rollen für sie maßschneidern. Sie zeich­ Hertfordshire. Als »Charley« Rampling Patrice Chéreaus Kriminalfilm LA CHAIR nen Porträts von ihr. In Ozons SWIMMING Gerhard Midding tritt sie im Duo mit ihrer Schwester Sarah DE L’ORCHIDÉE (1975) ist ihre erste fran­ (1943–1967) in Cabarets auf, bis der Vater zösischsprachige Produktion. Es folgen es verbietet. Filme in den USA: In der Raymond­Chand­ ler­Adaption FAREWELL, MY LOVELY (1975) Nach ersten Fotoaufnahmen für die Scho­ ist Robert Mitchum ihr Gegenspieler, in koladenfirma Cadbury arbeitet Charlotte FOXTROT (1976) agiert sie neben Peter Rampling als Model. In Richard Lesters O’Toole und Max von Sydow. 1980 besetzt Beatles­Film A HARD DAY’S NIGHT (1964) Woody Allen sie für STARDUST MEMORIES. wirkt sie als Statistin auf der Tanzfläche Nach Sidney Lumets Gerichtsdrama THE mit und hat dann einen Auftritt als Was­ VERDICT (1982) arbeitet sie vor allem in serski­Läuferin in seiner Komödie THE Europa und spielt in dem französischen KNACK … AND HOW TO GET IT (1965). Nach Thriller ON NE MEURT QUE DEUX FOIS (1985) Kursen am Royal Court Theatre in London und der »animalischen« Liebesromanze spielt sie unter der Regie von Silvio Na­ MAX MON AMOUR (1986) von Nagisa Oshi­ rizzano im »Swinging London« der Tragi­ ma. Für Alan Parkers Horror­Thriller AN­ komödie GEORGY GIRL (1966) und wird als GEL HEART (1987) kehrt sie noch einmal in Mitbewohnerin der Titelfigur und lieblose die USA zurück. Mutter als »beautiful, but bitchy« wahr­­- ge nommen. Einen vielbeachteten Höhepunkt ihrer Karriere markiert das Drama SOUS LE SA­ Als treffsicherer Cowboy in einer Folge BLE (2000) von François Ozon, mit dem sie der TV­Serie MIT SCHIRM, CHARME UND auch für SWIMMING POOL (2003), ANGEL MELONE (1967) und in aufwändigen
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