Das Schweizer Jazz & Blues Magazin Sept./Okt. N r . 5 / 2018 S Schweiz CHF 11.00 / Deutschland € 5.90 / Österreich € 6.10 , ROOT ‚ N BLUES ‘‘ NN 'MO'MORERE MARIA SCHNEIDER MEISTERIN IHRER KLASSE VINCENT PEIRANI FRICKTALER JAZZ UND 1968? STEVE COLEMAN BLUES FESTIVAL GENERATIONS JAZZFESTIVAL IRÈNE SCHWEIZER PEPE LIENHARD SHEMEKIA COPELAND 40 JAHRE WIM 15 JAHRE 10 JAHRE WEEKLY JAZZ STEFAN AEBY LEBEWOHLFABRIK ROLI MOSIMANN 50 JAHRE GLOBE UNITY MARTIN SCHÜTZ HERMANN MEIER MEHR ALS 100 CD-BESPRECHUNGEN JNM_05_18_01_Cover_Maria Schneider_lay.indd 1 28.08.18 10:57 COVERSTORY MARIA SCHNEIDER MEISTERIN IHRER KLASSE Die Komponistin, Arrangeurin und Bandleaderin Maria Schneider leitet am kommenden generations International Jazzfestival Frauenfeld eine Masterclass. Mit JAZZ'N'MORE sprach sie darüber, was in ihr vorgeht, wenn sie eine Big Band leitet, wie sie ihre eigene musikalische Vergangenheit betrachtet und wie ihre Zukunft – und diejenige der kreativen Musik insgesamt – aussehen könn- te. Von Christof Thurnherr Die goldene Ära der che Masterclasses eine sehr wichtige, viel- Als Komponist musst du beispielsweise da- Jazz-Big-Bands ist längst vergangen. Umso leicht die wichtigste Form der Ausbildung für mit umgehen können, dass die Musik, die du grösser ist heute die Leistung, eine so grosse einen Musiker. Ich selbst habe früher an vie- im Kopf hast, nicht gleich klingt wie das, Band während mehr als 20 Jahren zu halten. len solchen Kursen teilgenommen und ohne was die Musiker aus deinen Noten herausle- Doch noch vor dieser organisatorischen Leis- diese Erfahrungen wäre ich heute nicht, wo sen. Es ist für mich enorm wichtig herauszu- tung ist es Maria Schneiders Musik, die be- ich bin. finden, woran das liegt, und das kann ich geistert, die im Jazz als einzigartig bezeichnet Eine Masterclass ist eine konzentrierte Chan- ohne die Meinungen der Musiker nicht errei- werden muss und der es zu verdanken ist, dass ce, mit jemandem konkret zusammenzuar- chen. Dann kannst du lernen, wie du über das Format der Big Band gegenwärtig da und beiten und dadurch eröffnen sich meistens deine Musik sprechen kannst, sodass deine dort ein wahrhaftes kleines Revival erlebt. neue Perspektiven – für mich jedenfalls waren Ideen verstanden werden, damit die Musiker Verdientermassen wird die Musikerin für ihr das immer sehr starke und prägende Erfah- sie auf eine Art interpretieren, die deinen Vor- Schaffen regelmässig mit Preisen und Ehrun- rungen. Ich erinnere mich speziell an einen stellungen entspricht. gen überhäuft: Durch die Nennung in den dreiwöchigen Workshop, vom Aufbau her nicht Zu diesem Austausch gehört weit mehr als entsprechenden Kategorien der jährlichen Polls, unähnlich dem, was wir im nächsten Monat nur das Beherrschen einer Sprache, z. B. die mit Grammys (von denen Schneider bereits in Frauenfeld machen. Unsere Musik wurde Kenntnis technischer Begriffe; es braucht Ein- fünf im Regal stehen hat) und 2013 sogar mit von einem Orchester gespielt und wir erhiel- fühlungsvermögen, aber auch eine gewisser- einem Ehrendoktor, der ihr von der University ten viel Feedback, einerseits von den "Meistern", massen "charakterliche" Stärke, eine gut ent- of Minnesota verliehen wurde. Ganz aktuell andererseits aber auch von den Musikern wickelte eigene Persönlichkeit. gewann Schneider als eine von nur vier Musi- und schliesslich auch von uns "Schülern" ge- JNM: Dieser Begriff der "eigenen Persön- kerinnen die NEA Jazz Masters Fellowship, genseitig. Gerade bei grossformatiger Musik lichkeit" ist ja wiederum ebenso interessant gewissermassen eine der höchsten Weihen ist es extrem aufwendig und entsprechend wie unklar – und schwer zu fassen. Was be- im Jazz. schwierig, ein Übungsfeld zu finden, in dem deutet das für dich bei deiner Arbeit, kon- Diese Lorbeeren schei- du deine eigene Musik ausprobieren, mit ihr kret als Leaderin einer Big Band? nen die Person Maria Schneider allerdings experimentieren und sie weiterentwickeln MS: Es ist tatsächlich schwierig, das in Worte kaum zu berühren. Noch immer ist diese un- kannst. Ich bin der festen Überzeugung, dass zu fassen; vielleicht hilft ein Beispiel: Wenn du gebändigte Leidenschaft zu spüren, wenn sie du nur durch solche praktische Erfahrungen etwas Neues hörst, dann macht es Angst – über ihre Arbeit, die Musik, die Zusammen- wirklich weiterkommst. das geht auch mir immer noch so. In mir ist arbeit mit ihr vertrauten oder neuen Musikern JNM: Gerade der Kontakt zwischen dem dann diese Stimme, die sagt: "Oh mein Gott, spricht. "Ich liebe es einfach, über Komposi- Komponisten und den Musikern ist offen- das klingt ja gar nicht so, wie ich mir das vor- tion zu sprechen." Diesen Enthusiasmus trägt sichtlich sehr kritisch. Denn hier verlässt gestellt hatte." Als Urheber eines Werks ist es die Wahl-New-Yorkerin jedes Jahr auf alle Kon- die kreative Idee den ideellen Bereich des dabei sehr schwierig, sich von diesem nega- tinente an unzählige Teachings, Workshops Schöpfers und dabei muss sie kommu- tiven, ablehnenden Gefühl zu distanzieren. Es und Weiterbildungsveranstaltungen. Ende Ok- niziert und in die Realität übersetzt wer- ist sehr leicht möglich, dass man in der tober werden sich auch in der Schweiz, im den ... Selbstkritik versinkt. Oder man verfällt in die- Rahmen des 'generations' Frauenfeld 25 hand- MS: ... und das, ohne dass dafür eine klare, sen sogenannten "Panik-Modus" und weist verlesene junge Musikerinnen und Musiker präzise Sprache existiert und man zusätzlich die Musiker ganz einfach an, alles noch ein- anstecken lassen können. meistens einer sehr heterogenen Vielzahl von mal – und diesmal gefälligst "besser!" – zu Individuen gegenübersteht. Inzwischen ver- spielen. Stattdessen ist der einzige Ausweg, JAZZ'N'MORE: Was bedeutet dir dieses En- stehe ich etwas besser, was bei diesem Pro- dass man sich vom eigenen Gefühl separiert. gagement in der Ausbildung junger Musike- zess passiert, und es ist mir gelungen, einige Erst dann ist es möglich, wirklich zu analysie- rinnen und Musiker? der wichtigen Aspekte herauszuschälen, da- ren, sprichwörtlich zu "sezieren", was tatsäch- Maria Schneider: Neben der Universität und mit ich sie für sich gesondert betrachten lich falsch läuft, um sich dann in einem drit- dem Sammeln von Live-Erfahrungen sind sol- kann. ten Schritt Gedanken zu machen, wie man die 24 JAZZ JNM_05_18_24-27_Schneider.indd 24 28.08.18 11:05 COVERSTORY Schwierigkeiten und Missverständnisse an- dass die anderen, die Musiker, mich beurtei- rasch zur Hand hat. Und schliesslich braucht gehen könnte. Das ist eines meiner Ziele, len – dass gewissermassen ich im Auge des es einen kühlen Kopf beim raschen Entscheid, wenn ich einen Workshop betreue: Ich will Tornados stehe. Dabei ist es aber so, dass je- welche Auseinandersetzungen es lohnen, ge- den Teilnehmenden helfen, die hinderlichen der Musiker genauso verletzlich ist wie ich, führt zu werden und welche Schwierigkeiten Emotionen herauszunehmen, damit sie dann dass auch er sich nicht sicher ist, ob er die besser unangetastet bleiben. Jede Gruppe sagen können: "Okay, das ist der Unterschied Sache richtig macht. Alle Beteiligten dieses stösst an ihre Grenzen; in einem eigenen Or- zwischen dem, was ich höre, und dem, was Austauschs, nicht nur ich als Komponistin, chester, das ich auf meine Vorstellungen hin ich hören möchte; und da ich jetzt nur eine haben ein verletzliches Ego. Natürlich ist es besetzen, für das ich die Musik gezielt schrei- halbe Stunde habe, um das alles viel besser dein Ziel, jeden Einzelnen zu seiner Höchst- ben und das ich über lange Zeit begleiten IC AS T FOTO: DRAGAN tönen zu lassen, muss ich mir nur noch über- leistung zu bringen. Aber dabei ist nicht jedes kann, rücken diese Reibungsflächen lediglich legen, wie ich am direktesten und am effizien- Mittel recht. Es gibt dieses Klichee des Band- an andere Orte. testen an dieses Ziel komme und um welche leaders, der in Rage gerät, wenn es nicht nach Aber diese Herausforderung wird auch be- Aspekte ich mich in dieser Zeit nicht küm- seinem Plan läuft. Ich meine, das ist nicht im- lohnt: Das Faszinierendste einer Masterclass mern kann." mer die richtige, konstruktive Art, auf ein Pro- ist es, einen jungen Musiker dabei zu beob- JNM: Gilt dies für jede Art der Kompositi- blem zu reagieren. achten, wie seine Persönlichkeit durch die onsarbeit oder ist der Jazz hier speziell? JNM: So bleibt wohl jede Masterclass – bei Arbeit an seiner eigenen Musik hervortritt. MS: Diese Brücke zwischen dem Geschriebe- der in erster Linie die Studierenden an ihr Denn das ist es letztlich, was wir wollen: Wir nen und dem Musiker ist sicher abhängig von Limit kommen – auch für dich eine grosse möchten, dass durch die Musik – die zwar wir der Freiheit, die dem Musiker trotz der Vor- Herausforderung? komponiert haben, die aber von anderen ge- gaben des Komponisten bleiben. Beim Jazz – MS: Natürlich, vor allem wenn ich – wie hier in spielt wird – doch letztlich unsere eigene als Musik, die immer mehr oder weniger im- Frauenfeld – die Musiker, mit wenigen Aus- Persönlichkeit erklingt. provisiert ist – bleibt immer eine Lücke, ein nahmen, nicht kenne. In einem solchen Set- JNM: Wechseln wir das Thema und kom- Freiraum des interpretierenden Musikers; ihm ting, in dem man trotz allem für einen so kom- men auf deine eigene Arbeit als Komponis- wird nicht vorgeschrieben, wie er diesen Raum plexen Prozess sehr wenig Zeit hat, braucht tin zu sprechen. Du blickst mit deinem zu füllen hat. Und trotzdem geht es auch hier es ein sensibles Ohr, eine Stimmung rasch Orchester auf ein Vierteljahrhundert und darum,
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