Terra praehistorica Festschrift für Klaus-Dieter Jäger Sonderdruck Archäologische Gesellschaft in Thüringen e. V. Neue Ausgrabungen und Funde in Thüringen – Sonderband 2007 Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 48 Terra praehistorica Festschrift für Klaus-Dieter Jäger zum 70. Geburtstag herausgegeben von der Archäologischen Gesellschaft in Thüringen e. V. Kommissionsverlag Beier & Beran – Archäologische Fachliteratur, Langenweißbach Volker Schimpff Bemerkungen zu den fränkisch-thüringischen Beziehungen im ersten Drittel des 7. Jahrhunderts Zwischen dem fränkischen Sieg über die Thüringer 531 531 entlehnt hat. Gleichwohl wird Nordthüringen zu Radulfs (Gregor III c. 7 f.) und der Einsetzung des dux Radulf in Herrschaftsgebiet gehört haben (Böhner 1976 / 1977, 129; Thüringen etwa ein Jahrhundert später (Fredegar IV Schimpff, im Druck), während die Zugehörigkeit der c. 77) ist die fränkische Erfassung Thüringens aus den Mainlande zu seinem Dukat strittig ist.2 Wenn dagegen erzählenden Quellen nur vage erkennbar. Während im der so genannte Fredegar (IV c. 15) zu 595 berichtet, dass archäologischen Fundgut thüringische Besonderheiten Childebert II. die rebellierenden Warnen so besiegt hätte, von Keramik und Schmuck zurückgingen und sich dass nur wenige von ihnen übrig geblieben wären – et ita Thüringen stärker in die allgemeine Entwicklung des Warni trucidati victi sunt, ut parum ex ipsis remansisset –, östlichen Reihengräberkreises einfügte (Hansen 2004, dann wissen wir nicht, wo sich das ereignete und ob es Phase 5), blieb es in den Schriftquellen marginal. Die sich um die mitteldeutschen oder die niederrheinischen Erwähnungen beleuchten zwar viel enger, oft jahrgenau Warnen gehandelt hat (Schlesinger 1968, 319). Ohne datierbare Ereignisse, weisen aber nie eine dem archäo- diese Frage dadurch beweiskräftig entscheiden zu kön- logischen Fund auch nur annähernd vergleichbare räum- nen, wird auf das zu 805 und 806 bezeugte Hwerenofelda liche Zuordenbarkeit auf.1 verwiesen,3 das nach den Beschreibungen etwa südlich Vor welch ein Dilemma das den Historiker stellt, der mittleren Elbe gelegen haben muss (Chron. Moiss. erkennt man, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die ad a. 805, 806); ausweislich der archäologischen Funde Nachricht des Paulus Diaconus (II c. 10), Sigibert I. habe wurde der Raum zwischen Saale und Elbe in der mittle- 562 die Awaren in Thüringen an der Elbe – in Turingia ren Merowingerzeit von den bisherigen germanischen … iuxta Albem fl uvium – geschlagen, eine wie nur sel- Bewohnern aufgelassen (vgl. Schmidt 1983, Abb. 158, ten eindeutige Ortsbestimmung ist. Weder ein Thüringen 168). Von einer Turingia an der Elbe wiederum war seit- südlich des Thüringer Waldes noch niederrheinische her nie mehr die Rede. Dass die Warnen vernichtet, das Thüringer konnten gemeint sein, sondern nur der Streifen ostsaalische Gebiet geräumt und dort ein Hwerenofelda vom Dresdner Elbtal bis Magdeburg, also das ostsaalische erwähnt wurden, passt zueinander. Die widerspruchsfreie Vorfeld des Thüringer Beckens und der Nordthüringgau. und von daher plausible Möglichkeit, dass es so gewe- Die Toringia, in der Dagobert I. den dux Radulf einsetzte sen sein könnte, ist es, was uns wie so oft in den dunklen und von wo dieser die Wenden besiegte (Fredegar IV Jahrhunderten bleibt. Wenn wir diesen Weg, ein hypothe- c. 77), kann südlich des Thüringer Waldes am Main, zwi- tisches Bild zu zeichnen,4 methodisch akzeptieren, ist auch schen Thüringer Wald und Harz oder nördlich des Harzes die nachfolgende Spurensuche im ersten Drittel des 7. Jh. im Nordthüringgau gelegen haben. Nur die Nachricht, gerechtfertigt. dass Radulf 641 eine hölzerne Burg in quondam montem super Unestrude fl uvio in Toringia – auf einem Berg über dem Flusse Unstrut in Thüringen – errichtete (Fredegar IV Austrien und Thüringen c. 87), beweist die zweite dieser Möglichkeiten, falls der so genannte Fredegar den Namen des Flusses nicht nur aus Über dieses meist nur vage zu lokalisierende Thüringen Gregor von Tours’ (III c. 7) Schilderung der Schlacht von erfahren wir zudem wenig. Es gab gelegentliche Auf- 1 Dies ist eine in der Zusammenführung von Bodenaltertümern 2 Dafür u. a. Büttner 1952, 83; Ewig 1954, Anm. 118; Friese 1979, und Schriftzeugnissen als frühgeschichtlicher Quellen oft 24; Steidle 1989, 67 f.; eher zustimmend auch K. F. Werner unterschätzte Eigenart dieser Quellengattungen: »Den For- 1974, 497, Anm. 28; dagegen u. a. Schlesinger 1968, 337; schungs gegenstand der Archäologie bilden im Regelfall Lindner 1972, 58; Störmer 1993, 13 f.; eher offen u. a. Butzen Boden altertümer, d. h. Quellen … deren Überlieferung über 1987, 139 ff.; H. Wagner 1999, 17, 21. Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg auf das engste an 3 Schmidt 1983, 506, mit weiterer Literatur; Brachmann 1978, Boden und Bodenverhältnisse gebunden ist«, schrieb der Jubilar 88 f.; zweifelnd Mildenberger 1957, 5. vor einem Jahrzehnt (Jäger 1995, 6). – Die nachfolgenden 4 W. Schlesinger (1968, 341), von dem ich auch die Formulierung Bemerkungen sind einer der Fragen gewidmet, die einst in mei- »dieses … hypothetische … Bild« entlehne, hat das in die ner vom Jubilar betreuten Diplomarbeit (Schimpff 1987b) nicht Worte gefasst: »Der Leser ist eingeladen worden, ein luftiges näher ausgeführt werden konnten. Vice versa sind hier archäo- Hypo thesengebäude zu betreten, dessen Haltbarkeit er füg- logische und geographisch-archäologische Gründe nur herbei- lich bezweifeln mag. Die so überaus dürftigen und spröden gezogen, wenn gesichert ist, dass die gegenständlichen und die Quellen dieser Zeit erzwingen den Mut zur Hypothese, wenn schriftlichen Quellen konfundierende Mischargumentationen überhaupt ein historischer Zusammenhang der isolierten und und Zirkelschlüsse vermieden werden können. zufälligen Nachrichten hergestellt werden soll.« V. Schimpff | Fränkisch-Thüringische Beziehungen im ersten Drittel des 7. Jahrhunderts 401 stände – 555 zusammen mit den Sachsen (Gregor IV Frankoburgund. Seit die Regentin Brunichildis 599 vom c. 10), 595 den der Warnen – mit anschließenden Verwüs- austrasischen Adel vertrieben worden war (Fredegar IV tungen. Schon kurz, nachdem die Awaren 559 ihre Sitze c. 19; ausschlaggebend war wohl die Mündigkeit beider nördlich des Kaukasus verlassen hatten, standen sie 562 Könige: Ewig 1952, Anm. 177), lebte sie – weiterhin, wie in Turingia … iuxta Albem fl uvium und konnten von die ihr durchweg feindlich gesinnten Quellen (Weber Sigibert I. von Reims auf dem Schlachtfeld abgewehrt 2004; Heydemann 2006) wohl nicht ganz falsch dar- werden. 567 gelang ihm dies an denselben Orten – in stellen, Unfrieden stiftend – bei ihrem Lieblingsenkel locis ubi et prius – nicht mehr (Paulus Diaconus II c. 10), Theuderich. und der König konnte sich nur durch Geschenke aus der Etwa 611 scheinen die Awaren erneut in das austra- Gefangenschaft befreien und einen Friedensvertrag erlan- sische Frankenreich eingefallen zu sein. Der westgoti- gen (Gregor IV c. 29). Gregor von Tours sah in beiden sche comes Bulgar ging jedenfalls davon aus, dass ihr awarischen Angriffen keine thüringischen Grenzkämpfe, Angriff auf den Verbündeten der Goten, Theudebert, sondern Einfälle in Gallien. Man kann darauf schließen, von Brunichildis und Theuderich veranlasst worden dass Thüringen auch an der Elbe kein aus Gregors Sicht wäre (Epp. Wisigoth. nr. 12 a. 610–612). Im Mai 612 grif- fernes Vorfeld des Frankenreiches darstellte, sondern fen die Frankoburgunder Austrien an und drangen bis so weit in das Reimser Teilreich eingefügt war, dass der Toul vor, das sie eroberten. Dort trat ihnen Theudebert König selbst den Awaren an der Reichsgrenze und nicht cum Austrasiorum exercitum entgegen und wurde ver- erst bei einer Bedrohung der fränkischen Kernlande nichtend geschlagen – exercitum prostravit. Caesa sunt entgegentrat.5 In den folgenden Jahrzehnten dürften exercitus eodem prilio nimia multitudo virorum fortium sich die awarischen Angriffe auf den südalpinen Raum (Fredegar IV c. 38). Theudebert gelangte in wilder Flucht konzentriert zu haben, falls nicht nur deshalb erst der nach Köln. Nach dem so genannten Fredegar folgte ihm nächste und nur von Paulus Diaconus berichtete Einfall Theuderich mit seinem Heer ganz dicht, insequens,6 in Turingam Erwähnung fand, weil er wie 562 nach dem nach dem freilich in größerem Abstand berichtenden Tode Chlothars I. so jetzt 596 nach dem Childeberts Liber Historiae Francorum (c. 38) setzte Theuderich II. mit einer innenpolitischen Schwäche zusammenfi el nicht ganz so schnell nach, sondern brandschatzend und deshalb so verheerend war: Den Eindringlingen und verwüstend – die terra Riboariense succendens ac stand kein kampfesstarker Herrscher, sondern die für devastans. Jedenfalls waren die Frankoburgunder bis ihre minderjährigen Enkel Theudebert und Theuderich Zülpich vorgedrungen, als ihnen Theudebert mit einem die Regentschaft führende Brunichildis gegenüber, die neuen Heer aus Sachsen, Thüringern und anderen ost- den Abzug der Awaren erkaufen musste: Abares … in rheinischen Stämmen entgegentrat – cum Saxonis, Turingam ingressi, bella gravissima cum Francis gesse- Thoringus vel ceteras gentes, que de ultra Renum vel runt. Brunichildis … a quibus accepta Hunni pecunia undique potuerat adunare (Fredegar IV c. 38).7 Nach revertuntur ad propria (Paulus Diaconus IV c. 11). einem anderen Bericht (Jonas I c. 28) hätte Theuderich Mehrmals schließlich – und dies sind die für die erst nach der Schlacht bei Toul ein großes Heer gesam- frän kische Erfassung Thüringens aussagekräftigsten melt – postque, collecti
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