BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 16.02.1999 Klaus Bölling Journalist im Gespräch mit Dr. Johannes Grotzky Grotzky: Herzlich willkommen zum heutigen Alpha-Forum, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, heute mit Klaus Bölling. Herr Bölling, Sie sind stets Journalist geblieben, obwohl Sie zwischendurch und lange Zeit Regierungssprecher der Regierung Schmidt und Leiter der Ständigen Vertretung in Ostberlin in schwieriger Zeit waren. Heute sind Sie wieder publizistisch tätig. Es hat Sie ziemlich herumgetrieben: Berlin, Potsdam, Köln, Hamburg, Belgrad, Washington, Bonn. Wo sind Sie zu Hause? Bölling: Ich habe ein sehr starkes brandenburgisches Heimatgefühl, weil ich in Potsdam geboren worden bin und weil ich eine sehr preußisch-konservative Mutter hatte und auch in der Garnisonskirche getauft worden bin. Ich habe eine starke Beziehung zu dieser sehr kargen Landschaft, von der Franz Josef Strauß einmal gesagt hat, als bei ihm hier in Bayern schon der Barock blühte, haben sich in Brandenburg noch die Tiere ihren Rücken an den Fichten gescheuert. Ich habe zu Brandenburg eine starke Beziehung, weil ich in meiner Schulzeit und auch in einer kurzen Zeit als Jungvolkführer mit 14 Jahren viele Fahrten in diesem Land Brandenburg gemacht habe. Ich habe die Mark Brandenburg schon vor dem Krieg und dann während des Krieges auf Schulfahrten erwandert. So karg diese Landschaft ist - Sie haben als Münchner eine viel schönere Umgebung -, ich hänge sehr an Brandenburg, und seit man nach der Vereinigung als Berliner Brandenburg erleben kann, bin ich viele Male auf den Spuren des großen Theodor Fontane durch die Mark gewandert oder mit dem Fahrrad gefahren. Grotzky: Für Sie muss die deutsche Vereinigung etwas ganz Besonderes sein, denn Sie waren betroffen von der Teilung Deutschlands und haben sich auch für die Überwindung einer gewissen Form der Sprachlosigkeit zwischen der Bundesrepublik und der DDR eingesetzt. Sie haben in einer schwierigen Zeit als Leiter der Ständigen Vertretung in Berlin gelebt. Mit welchem Gefühl betrachten Sie heute die neuen Bundesländer, obwohl ich mich eigentlich weigere, sie als neu zu bezeichnen, denn sie sind ein Teil Deutschlands? Bölling: Sie haben völlig Recht. Es ist eine modische und eigentlich nur oberflächliche Betrachtung und Bezeichnung. Preußen, Sachsen und Thüringen sind alte deutsche, historische Landschaften. Es ist abwegig, von neuen Bundesländern zu sprechen. Nur in einem bürokratischen, formalistischen Sinn sind sie neu, weil sie beigetreten sind. Ich bin an dem Tag, als die Mauer fiel, so wie viele andere Deutsche sehr glücklich gewesen und konnte es eigentlich nicht fassen. Es war auch merkwürdig, dass ein Mitglied des Politbüros eigentlich aus Versehen die Reisefreiheit verkündete und damit den Menschenstrom aus Ostberlin nach Westberlin eröffnete. Ich habe immer daran geglaubt, dass diese widernatürliche Teilung eines Tages überwunden werden würde, aber ich habe so wenig wie die Leute, die viel klüger sind als ich, daran geglaubt, dass ich es noch erleben würde. Grotzky: Ihr Weg hätte auch ganz anders verlaufen können. Als junger Mann sind Sie in einer Familie groß geworden, von der man sagen kann, dass Sie unter der Naziverfolgung gelitten hat. Sie waren auch in jungen Jahren Mitglied der SED. War damals Sozialismus die Antwort auf das, was der Faschismus zerstört hat? Bölling: Ja, das ist richtig. Ich habe den Nationalsozialismus erst nach dem Krieg kritisch betrachtet. Meine Eltern haben es für richtig gehalten, mit mir über Politik nicht zu sprechen. Ich erwähnte schon, dass ich eine sehr preußisch- konservative Mutter hatte, die aus einer jüdischen Familie kam, die aber ihre jüdische Herkunft wie so viele deutsche Juden verschleierte. Sie hatte auch keinerlei Beziehung zur jüdischen Religion, aber dadurch, dass sie sich irgendwann in einem Kreis, in dem es eine Person zu viel gab - und das war eine Denunziantin -, kritisch über den Hitlerstaat äußerte, wurde sie verhaftet und kam in das Lager Auschwitz, obwohl sie eigentlich eine ganz unpolitische Frau war. Mein Vater wiederum hatte sehr enge Kontakte zu einigen Männern des 20. Juli und wurde, weil man in den Telefon- und Notizbüchlein des Grafen von der Schulenburg seinen Namen und Telefonnummer fand, verhaftet, aber er wurde dann wieder freigelassen. Mein Vater gehörte nicht zum Widerstand, denn er war zu ängstlich. Aber er sympathisierte mit einigen der Männer des 20. Juli, ohne dass er selber aktiv geworden wäre. Meine Familie hatte es schwer in der nationalsozialistischen Zeit. Mein Vater wurde 1934 wegen des so genannten “Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” aus dem Staatsdienst entlassen. Nach dem Krieg - zunächst hielt nur die Rote Armee Berlin besetzt, bis im Sommer 1945 Amerikaner, Engländer und Franzosen kamen - sind wir jungen Leute natürlich ungeheuer wissbegierig gewesen und fragten uns, was der Sozialismus eigentlich ist. Schon weil, wie Kurt Schumacher später gesagt hat, sich in Deutschland niemals der Schrecken der vergangenen zwölf Jahre wiederholen darf, gab es bei vielen jungen Menschen eine Affinität für das so klar gegliederte marxistische Denksystem. Die Mehrwerttheorie leuchtete jedem halbwegs intelligenten Studenten ein und dass der Sozialismus die Menschen frei macht, sie von Repression erlöst und ihnen die Möglichkeiten einer Entwicklung ihrer Person gibt, wenn auch im großen gesellschaftlichen Kollektiv, hatte eine starke Faszination. Deshalb bin ich mit 17 Jahren nicht in die SED gegangen – die gab es noch gar nicht – sondern im Spätsommer 1945 in die KPD eingetreten. Für mich war damals auch ein ganz wesentliches Motiv: Kommunisten sind in dieser Partei, die mit dem Faschismus, mit dem Hitler-Staat und dessen Relikten am ehesten und entschlossensten aufräumen werden. Grotzky: Nun hat aber diese Phase offensichtlich nicht sehr lange gedauert. Es gibt in verschiedenen Artikeln Hinweise, dass Sie mit großem Krach diese Partei wieder verlassen haben. Was war der Anlass dafür? Bölling: Der Anlass war, dass ich mich, obwohl nicht im Besitz des Abiturs, damals schon einer studentischen Gruppe an der Berliner Universität angeschlossen hatte. Dort bemerkte man nach einigen Monaten, wie die Kommunisten versuchten, die anderen studentischen Gruppen zu diskriminieren und mundtot zu machen, nämlich die Sozialdemokraten, die Christdemokraten, die katholischen Studenten in Berlin - die Anfänge der Studentenbewegung wurden in die Ecke gedrängt. Ich habe das damals schon so erlebt mit stalinistischen Repressionsmethoden. Das war nicht meine Vorstellung von einem Sozialismus, wie ihn die große Rosa Luxemburg gedacht hat mit dem berühmten Satz: “Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden”. Obwohl ich die Möglichkeit gehabt habe, in der neu gegründeten FDJ aufzusteigen, habe ich mir gesagt, dass das nicht meine Partei ist, sondern eine Partei, die ganz offenkundig nicht bereit ist, sich von stalinistischen Praktiken abzuwenden. Die FDJ, die ich zunächst wirklich verstanden habe als eine Sammlungsbewegung der antifaschistischen deutschen Jugend, war nach kurzem mühelos zu identifizieren als eine Neuauflage des kommunistischen Jugendverbandes. Ich schrieb dann an den für Kulturfragen zuständigen Sekretär der KPD einen Brief. Der Brief war ein bisschen wichtigtuerisch - allerdings will ich mir zu Gute halten, dass ich dieses eben zitierte Luxemburg-Wort damals schon in meinem etwas altklugen Brief verwendet habe. Grotzky: Machen wir einen kleinen Sprung. Sie haben dann Karriere gemacht als Journalist, waren recht erfolgreich und wurden 1956 Korrespondent in Belgrad. Mit Belgrad verbinde ich bei Ihnen den Namen Wehner. Hat Wehner Ihr politisches Schicksal letztlich mitbeeinflusst? Bölling: Ja, das ist richtig. Als mich die ARD als ihren ersten Korrespondenten auch für den Bayerischen Rundfunk nach Belgrad schickte, hat mich - natürlich, weil ich bis dahin sehr viel Literatur gelesen hatte über diesen Sozialismus und über die vielfältigen Formen des Sozialismus - der so genannte “Dritte Weg”, den Tito wesentlich angeschoben hat, sehr interessiert. Ich dachte vielleicht, nachdem ich selber so enttäuscht wurde durch den stalinistischen, preußischen Kommandosozialismus, dass es hier etwas Neues gibt, dass der Mensch wirklich in seiner Individualität respektiert wird, dass Freiheitsrechte verbürgt sind und dass man versucht, die Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - große Erbschaften der Französischen Revolution - in Jugoslawien umzusetzen. Ich war damals noch sehr idealistisch gestimmt und dieses “jugoslawische Abenteuer” hat mich genau wie Wolfgang Leonhard sehr beeindruckt. Ich bewunderte auch den Mut der serbischen Kommunisten, die sich als Zwerge dem großen Stalin und später auch Russland entgegenstellten. Ich habe dann dort 1956 Herbert Wehner kennen gelernt. Er kam zu Besuch nach Belgrad, um dort eine Art Reunion mit dem Marschall Josip Broz Tito zu feiern. Das war ein Wiedersehen, denn die beiden kannten sich seit der Moskauer Emigration und haben sich dort viele Male im Hotel Lux getroffen. Mit Herbert Wehner habe ich damals viel geredet über den Dritten Weg der Jugoslawen zum Sozialismus, wobei ich selbstkritisch sagen will, dass ich hauptsächlich zuhörte. Wehner kam dann von Jugoslawien auf den Kommunismus in unserem Vaterland im östlichen Teil Deutschlands. Ich war sehr beeindruckt von den Visionen Wehners. Man hat ihm oft unterstellt, er sei ein großartiger politischer Praktiker, aber kein Visionär. Ich aber war beeindruckt von den Horizonten, die er
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages8 Page
-
File Size-