
SWR SYMPHONIE- ORCHESTER 23. SEPTEMBER 2020 ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL MODERNE KULTUR IN EINZIGARTIGER GESTALT. WELCHE VISION MÖCHTEN SIE VERWIRKLICHEN? PRINCIPAL SPONSOR Julius Bär ist Principal Sponsor der Elbphilharmonie Hamburg. juliusbaer.com Elbphilharmonie_DE-ElbphilharmonieAbendprogramme-148x210-13072018.indd 1 12.07.18 14:47 Mi, 23. September 2020 | 18:30 + 21 Uhr | Elbphilharmonie Großer Saal Elbphilharmonie Abo 5 | 1. Konzert MODERNE KULTUR IN EINZIGARTIGER GESTALT. WELCHE VISION SWR SYMPHONIEORCHESTER PATRICIA KOPATCHINSKAJA VIOLINE MÖCHTEN SIE HELMUT LACHENMANN SPRECHER VERWIRKLICHEN? DIRIGENT TEODOR CURRENTZIS PRINCIPAL SPONSOR Julius Bär ist Principal Sponsor der Elbphilharmonie Hamburg. Helmut Lachenmann (*1935) »… zwei Gefühle …«, Musik mit Leonardo (1991/92) Dmitri Kourliandski (*1976) possible places / Konzert für Violine und Orchester (2020) juliusbaer.com Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704) Battalia (1673) Sonata Die liederliche Gesellschaft von allerley Humor Presto Der Mars Presto Aria Die Schlacht Lamento der verwundeten Musketiere Giacinto Scelsi (1905–1988) Anahit / Lyrisches Poem über den Namen der Venus (1956) Keine Pause / Spielzeit ca. 60 Min. Elbphilharmonie_DE-ElbphilharmonieAbendprogramme-148x210-13072018.indd 1 12.07.18 14:47 DAS ELBPHILHARMONIE MAGAZIN ∙ KONZERTGLÜCK Eine Liebeskummererklärung ∙ ANOUSHKA SHANKAR Am Puls der Gegenwart ∙ »WEIL ER GUT IST« Ian Bostridge über Thomas Adès und vieles mehr … Ab sofort für € 6,50 erhältlich im Elbphilharmonie Shop auf der Plaza, in der Konzertkasse der Elbphilharmonie sowie am Kiosk und im Bahnhofsbuchhandel. ANZ-A5_EP_Magazin_Live-Heft_032020_v1.indd 1 19.08.20 14:40 DAS WILLKOMMEN ELBPHILHARMONIE MAGAZIN Sie nennen sich Bruder und Schwester; sind musikalische Geschwister im Geiste: die Gei­ gerin Patricia Kopatchinskaja und der Dirigent Teodor Currentzis. Beide sind radikal subjek­ tive Überzeugungstäter, die an der Grenze von Konzert und Performance nach dem Unkon­ ventionellen in der Musik suchen und den Rausch des Augenblicks feiern. Zusammen haben sie sogar schon eine CD aufgenom­ men, deren pseudohistorisches Cover sie als Brautpaar inmitten einer russischen Dorf­ gemeinschaft zeigt. Heute Abend machen sie wieder einmal gemeinsame Sache – in einem Programm, das die klanglichen Grenzbereiche von Musik auslotet. Getragen werden sie dabei ∙ KONZERTGLÜCK Eine Liebeskummererklärung vom SWR Symphonieorchester, dem Current­ ∙ ANOUSHKA SHANKAR zis als Chef zu neuer Blüte verholfen hat. Am Puls der Gegenwart ∙ »WEIL ER GUT IST« Ian Bostridge über Thomas Adès und vieles mehr … Ab sofort für € 6,50 erhältlich im Elbphilharmonie Shop auf der Plaza, in der Konzertkasse der Elbphilharmonie sowie am Kiosk und im Bahnhofsbuchhandel. ANZ-A5_EP_Magazin_Live-Heft_032020_v1.indd 1 19.08.20 14:40 DIE MUSIK GRENZENLOSE KLANGWELTEN Zu den Werken des heutigen Konzerts »Musik wird störend oft empfunden, weil stets sie mit Geräusch verbunden«, wusste schon Wilhelm Busch. Die Frage ist nur: Wo endet das eine und beginnt das andere? Physikalisch ist die Sache klar: Musikalische Schallsignale wei­ sen regelmäßige periodische Schwingungen auf, die bestimmte Tonhöhen und Klangfarben ergeben. Geräusche dagegen bestehen aus unregelmäßigen, cha­ otischen Schallwellen. Unter ästhetischen Gesichtspunkten dagegen lässt sich lange darüber streiten. Was dem einen ein Hirn und Herz kitzelnder Hochge­ nuss ist, betrachtet der nächste bloß als Krach. Die Komponisten des heutigen Konzertprogramms würden in dieser Debatte vermutlich einen eher toleranten Standpunkt einnehmen. Sie alle haben sich mit Musik und Geräusch ausgiebig und höchst kreativ beschäftigt, vor 350 Jah­ ren ebenso wie heute. Und so unterschiedlich ihre Werke auch klingen, so ähn­ lich offen sind doch ihre ästhetischen Ansätze. Lachenmann: Die Außenbereiche des Klangs Die radikalste und konsequenteste Antwort auf die Frage, was Musik denn vom bloßen Geräusch unterscheide, hat der Komponist Helmut Lachenmann gege­ ben. Nämlich: gar nichts! Das, was andere Geräusch nennen, sah er als ebenso künstlerisch wertvoll und nutzbar an wie Töne. Mit dieser Haltung hatte der gebürtige Stuttgarter gleich nach dem Zwei­ ten Weltkrieg begonnen, die Musikszene aufzu mischen. Angesichts der großen Menschheitskatastrophe und des Holocaust bestand unter Avantgardekünstlern Einigkeit, dass ein »weiter so« nicht möglich war. Wie sich die Musik stattdessen entwickeln sollte, darüber wurde mit ideologischer Schärfe diskutiert. Den als notwendig erachteten Bruch mit der Tradition markierte etwa der Serialismus mit seinen rein mathematisch abgeleiteten Kompositionstechniken. Lachen­ mann dagegen ging noch einen Schritt weiter: Er sah revolutionäres Poten­ zial nicht in der bloßen Neuorganisation der Töne (die ja trotzdem die gleichen blieben wie zuvor), sondern in dem, was den »schönen« Ton von außen her abgrenzt: das Geräusch. In der Folge entwickelte Lachenmann eine ganze Reihe neuer instrumenta­ ler Spieltechniken, die es ihm ermöglichten, ein bis­ lang unbekanntes Klang­ vokabular freizulegen. Er nutzt ganz normale Orchester instrumente, die nur eben nicht so gespielt werden, wie es jahrhun­ Helmut Lachenmann dertelang üblich war (was in der Regel ausführliche Erläuterungen für die Musiker in der Partitur erfordert). Die klangliche Innovation bildet die Quint­ essenz von Lachenmanns musikalischer Sprache. Der »normal« gespielte Ton ist die Ausnahme, die Erwartungen des Publikums an musikalische »Schön­ heit« werden nicht eingelöst. »Das Ganze«, so Lachenmann verschmitzt, »wird zur ästhetischen Provokation.« Sein Ensemblestück … zwei Gefühle … entstand Anfang der 1990er Jahre im leerstehenden Haus seines kurz zuvor verstorbenen Lehrers Luigi Nono. Als Textgrundlage – Lachenmann wirkt heute selbst als Sprecher mit – dient ein Fragment des Renaissance­Genies Leonardo da Vinci, entnommen aus dessen rätselhaftem Codex Arundel. Geschildert wird die zufällige Entdeckung einer Höhle und die beiden widersprüchlichen Gefühle, die den Wanderer angesichts der Unergründlichkeit des unbekannten Orts überkommen: Furcht vor der dro­ henden Dunkelheit und gleichzeitig das Verlangen, mit eigenen Augen zu sehen, was dort verborgen ist. Neben den üblichen Spielanweisungen gab Lachenmann den Musikern einen inhaltlichen Leitfaden mit, den er heute ausnahmsweise auch dem Publikum zugänglich macht – siehe nächste Seite. … ZWEI GEFÜHLE … Hinweise des Komponisten für die Interpreten Der vom Sprecher zu artikulierende Text Leonardo Da Vincis – in deutscher Übersetzung von Kurt Gerstenberg – ist gleichsam ein eigenes »Musik­Instru­ ment«: eine ins musikalische Geschehen integrierte phonetische Klangquelle. I. Er spricht im ersten Teil von den Naturgewalten, dem donnernd brüllen­ den, stürmischen Meer, den Eruptionen der Vulkane in Süd­Italien, Stromboli, Aetna, den glühendenden Höhlen von Mongibello, den Ausbrüchen des »her­ ausgespieenen schlecht verwahrten Elements«, die »jedes Hindernis verjagen, das sich ihrem ungestümen Wüten entgegenstellt«. Dem entspricht der gewaltsame, eruptive Charakter des Anfangs. Das muss in jedem Takt mit »erbarmungsloser« Intensität, schwungvoll, gleich­ wohl streng im notierten Rhythmus in jedem Takt gestaltet werden. II. Im folgenden Abschnitt – vielleicht eine Art »Rezitativ« – vergleicht Leonardo diese Naturgewalten mit der Unruhe seines Herzens, »getrieben von meiner brennenden Begierde, das große Durcheinander wahrzunehmen, das die sinn­ reiche Natur hervorgebracht hat«. Danach schweigt der Sprecher, die Musik wird ein Stück weit nicht dirigiert, wird zur »Situation«, in der die Töne rhythmisch ungesteuert herein »tropfen«. Der Dirigent fängt zwischendurch das entstehende »Durcheinander« in Fer­ maten auf, um dann das Ende dieses Abschnitts wieder in Ruhe zu dirigieren. III. Die Musik »kommt« wieder »in Gang«, sie begleitet den Erzähler auf sei­ ner Wanderung durch die »schattigen Klippen« (es gibt zwei »Echo­Rufe« von 1. Trompete und von Tuba ins Gehäuse des Flügels) … IV. … bis der Wanderer vor den »Eingang einer großen Höhle« gelangt, vor der er »im Gefühl der Unwissenheit« eine Weile verharrt, »die müde Hand aufs Knie gestützt«. Er versucht vergeblich, in die Höhle hineinzublicken, um in ihrer Fins­ ternis etwas zu unterscheiden. V. »Als ich aber eine Weile verharrt hatte, erwachten in mir zwei Gefühle: Furcht und Verlangen. Furcht vor der drohenden Dunkelheit der Höhle, Verlangen aber, mit eigenen Augen zu sehen, was darin an Wunderbarem sein möchte«. Das klingende Geschehen wird – bei aller Komplexität – immer stiller, zugleich immer gespannter. Den fff­Schlag am Ende habe ich aus der Zen-­ buddhistischen Lehrpraxis übernommen, in der der Meister dem Schüler auf dessen Frage nach dem Weg zur Erkenntnis als Antwort einen Schlag versetzt. (Der Schüler bekommt »eine geleuchtet« – und ist erleuchtet …) HELMUT LACHENMANN DIE MUSIK Dmitri Kourliandski Kourliandski: Die nächste Generation Wie wichtig Helmut Lachenmanns Quantensprung für folgende Komponisten­ generationen war, schildert Dmitri Kourliandski, dessen Violinkonzert possible places Patricia Kopatchinskaja und Teodor Currentzis erst vor wenigen Tagen uraufgeführt haben: »Lachenmann hat seit 50 Jahren einen großen Einfluss. Das betrifft nicht nur die Geräusche oder erweiterte Spieltechniken, sondern vor allem auch die Frage, was das Recht hat, sich Musik nennen zu dürfen. Seine Werke verteidigen in gewissem Sinne das, was früher als marginal galt oder sogar als minderwertig. Für mich ist Lachenmanns Werk also auch ein politisches oder soziales Statement, realisiert
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