Daniel Hofer Ein Literaturskandal wie er im Buche steht Zu Vorgeschichte, Missverständnissenund medialem Antisemitismusdiskurs rund um Martin Walsers Roman Tod eines Kritikers DIPLOMARBEIT zur Erlangung des akademischen Titels Magister der Philosophie Studium: Germanistik (Lehramt), Italianistik (Lehramt) Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Fakultät für Kulturwissenschaften Begutachter: O. Univ.-Prof MMag. Dr. Friedbert Aspetsberger Institut: Germanistik September 2006 EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Schrift verfasst und die mit ihr unmittelbar verbundenen Arbeiten eigenhändig durchgefiihrt habe. Die daflir verwendete Literatur sowie das Ausmaß der mir im gesamten Arbeitsvorgang gewährten Unterstützung sind ausnahmslos angegeben. Das Schriftstück ist darüber hinaus noch keiner anderen Prüftingsbehörde vorgelegt worden. (Daniel Hofer) Maria-Saal, am t^.^- 700IQ EINLEITUNG 5 1 KLEINE CHRONOLOGIE EINER SKANDALISIERUNG 6 1.1 Kommentar ausgewählter Artikel 8 1.1.1 Der Stein des Anstoßes: Offener Brief Frank Schirrmachers 8 1.1.2 Marius Meilers Skandalisierungen 11 1.1.3 Gustav Seibt über die eskalationsreiche Beziehung zwischen Ranicki und Walser 13 1.1.4 Hubert Spiegel: Urteilsverfestigung 15 1.1.5 „Der Sieg des Kritikers" wie ihn Uwe Wittstock sah 17 1.1.6 Thomas Steinfeld über den publizistischen Skandal 18 1.1.7 Marius Meiler zum intellektuellen Zentrum Suhrkamp-Verlag 20 1.1.8 Joachim Kaisers Walser-Apologie 22 1.1.9 Die Enttäuschung des Marcel Reich-Ranicki: „Walsers Buch hat mich tief getroffen" 23 2 MARTIN WALSER UND DIE ÖFFENTLICHKEIT: BIOGRAPHISCHE URSPRÜNGE DES ANTISEMTISMUSVERDACHTS 26 2.1 Die Verteidigung des nationalen Selbstbewusstseins 26 2.2 Friedenspreisrede und Walser-Bubis-Debatte 33 2.2.1 Ein Streit um die Erinnerung 44 2.2.2 Aktuelle Entwicklung 47 2.3 Literarisches 48 2.3.1 Ohneeinander 48 2.3.2 Ein springender Brunnen 52 2.4 Kritischer Kommentar 56 3 KOMPARATISTISCHE BETRACHTUNGEN: TOD EINES KRITIKERS IM WERKZUSAMMENHANG 58 3.1 Stilbeschreibung 58 3.1.1 Lexikalisch-semantische Ebene 60 3.1.1.1 Personenbezeichnungen 60 3.1.1.2 Bildlichkeit 63 3.1.2 Syntaktische Ebene 64 3.1.2.1 Redemodi 64 3.1.2.2 Rhythmuswechsel 67 3.1.3 Textebene 68 3.1.3.1 Ringkomposition 68 3.1.3.2 Zurückgenommenes Todesmotiv 72 3.2 Der Augenblick der Liebe 74 4 ANMERKUNGEN ZU STRUKTUR UND THEMATISCHEM GEHALT VON TOD EINES KRITIKERS 78 4.1 Quantitative Betrachtung als Annäherung an die Strukturschwerpunkte 78 4.1.1 Namens-und Schlüsselwortstatistik 78 4.1.2 Interpretation der Daten 79 4.2 Frauenflguren 81 4.3 Zum Bild von Literatur- und Medienbetrieb 87 4.4 Schlusswort 92 BIBLIOGRAPHIE 94 Textkorpus Martin Walser 94 Essays und Monographien 94 Zeitungsartikel 96 Einleitung Im Jahr 2002 ging ein sturmartiges Rauschen durch den Blätterwald des deutschen Feuilletons, dessen Echo vier Jahre später auch hierzulande noch immer zu hören ist. Der Auslöser hierfür war allerdings nicht der sprichwörtliche Flügelschlag eines Schmetterlings, sondern der größte Literaturskandal der letzten Jahre irmerhalb des deutschsprachigen Raums, in dessen Zentrum Martin Walsers Roman Tod eines Kritikers stand. Die Satire auf den im Roman bis zur Kenntlichkeit überzeichneten Kritiker Marcel Reich-Ranicki verwandelte sich in der Rezeption zu einem Antisemitismusskandal, der dazu geführt hat, dass der in der Vergangenheit bereits brüchig gewordene politische Ruf des deutschen Großschriftstellers in der Öffentlichkeit schwer beschädigt worden ist. Die vorliegende Diplomarbeit wagt den gedanklichen Schritt in die Medienarena und hat sich zum Ziel gesetzt, kritisch zu hinterfragen, inwieweit die Angriffe auf Martin Walser gerechtfertigt waren, beziehungsweise zu klären, wo dem Roman und seinem Autor unrecht getan wurde. Die gut dokumentierte öffentliche Diskussion rund um den inkriminierten Schlüsselroman soll zu diesem Zweck um eine literaturwissenschaftliche Perspektive ergänzt werden, um so nachträglich objektive Urteile möglich zu machen, die aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe nach wie vor dringend nötig erscheinen. Der vorgetragene wissenschaftliche Ansatz ist dabei breiter gefasst: Ausgehend von einem kommentierten Überblick über die an der Skandalisierung maßgeblich beteiligten Seiten des deutschen Feuilletons beschreibt die vorliegende Arbeit in der Folge den Tod eines Kritikers gleichsam umkreisend von den Rändern her, was als Reaktion auf das vielschichtige Phänomen des Skandals zu verstehen ist. Ein weiter rückwärtsgerichteter Blick in Martin Walsers literarische Vergangenheit beschäftigt sich zunächst mit der deutsch-jüdischen Thematik im Werk des Großschriftstellers, wobei eine biographisch orientierte Suche nach den Ursprüngen des Antisemitismusverdachts unternommen wird. Der darauf folgende Abschnitt untersucht mit Methoden der vergleichenden Literaturwissenschaft, in welchem Verhältnis der Tod eines Kritikers zu anderen Texten seines Autors steht. Der Fokus wird hier auf der Darstellung von Kontinuitäten im Werk Walsers liegen, was es möglich machen wird, vermeintlich skandalösen Momenten des Kritikerromans etwas gelassener zu begegnen. Im letzten Abschnitt wird die Perspektive abschließend noch einmal auf den Tod eines Kritikers verengt, um einige im Zusammenhang mit dem Skandal besonders relevante Aspekte des Buchs näher unter die Lupe zu nehmen. Den Fluchtpunkt der formal orientierten Betrachtungen bildet dabei der Literaturskandal, der allerdings nicht als vom Tod eines 6 Kritikers losgelöstes Phänomen thematisiert wird, sondern immer gemeinsam mit seinem literarischen Ursprung, als dessen facettenreicher Teilaspekt er gesehen werden muss. 1 Kleine Chronologie einer Skandalisierung Der einleitende Abschnitt stellt eine kritische Auseinandersetzung mit der Skandalkonstruktion im deutschen Feuilleton und der medialen Rhetorik dar, derer sich die Literaturspalten der großen Tageszeitungen im Zuge der Auseinandersetzung rund um Tod eines Kritikers bedient haben. Ein Blick auf einen Artikel der Online-Ausgabe der Literarischen Welt ergänzt die Betrachtung um einen kurzen Ausflug in das Medium des Internets. Grundlage für die als repräsentativ erachtete Auswahl an Texten war dabei die Pressemappe, welche nach wie vor beim Suhrkamp Verlag erhältlich ist. Als Kontrapunkt aus der Zeitschriftenwelt wurde zusätzlich der im Anhang verzeichnete Artikel Sigrid Löfflers verwendet, weil er eine am Skandalisierungsprozess relativ unbeteiligte Position vertritt. Fakt ist weiters, dass der wissenschaftlichen Arbeitsweise ein Geschwindigkeitsnachteil gegenüber der Zeitungspublizistik innewohnt, wodurch eine Einmischung in einen tagesaktuellen Diskurs zumeist von vornherein nicht möglich ist. Der folgende Punkt fingiert zum Zweck einer Einführung in das Thema eine derartige Intervention, wobei einige entscheidende Punkte allerdings noch ausgeklammert bleiben. Für die Überschriften der Unterkapitel wurden Zeitungsartikelüberschriften dem Erzählkonzept angepasst und verändert. Anhand der Autorennamen, der Verwendung der indirekten Rede und einer Kursivschrift-Zitierweise, die sich im Fall eines fehlenden Fußnotenvermerks immer auf den jeweiligen Artikel bezieht, sind übernommene Aussagen jederzeit auf ihren Urheber zurückzufiihren. Da keine unnötig große Anzahl an Fußnoten produziert werden soll, sind die Zitate aus Tod eines Kritikers ohne weiteren Hinweis direkt im Text durch in Klammem gestellte Seitenangaben belegt. Dieses Verfahren wird in der Arbeit auch an späteren Stellen zum Einsatz kommen, weim aus dem Kontext eindeutig klar ist, welchem Buch das jeweilige Zitat entnommen ist. Zur Steigerung der Übersichtlichkeit findet sich untenstehend eine chronologische Darstellung der kommentierten Artikel. 29.5.02 „Tod eines Kritikers. Der neue Roman von Martin Walser: Kein Vorabdruck in der F.A.Z.", Frank Schirrmacher, FAZ 31.5.02 „Tod eines Autors. Eine erste Lektüre des neuen Romans von Martin Walser", Marius Meiler, FR „In Erlkönigs Armen sterben. Martin Walser und Marcel Reich-Ranicki: Zur Geschichte einer an Eskalationen reichen Beziehung", Gustav Seibt, SZ 1.6.02 „Der Müll und der Tod. Martin Walser und die Gespenster der Vergangenheit", Hubert Spiegel, FAZ „Der Sieg des Kritikers. Literatur als geistiges Überlebensmittel: Marcel Reich-Ranicki, wie er wurde, der er ist", Uwe Wittstock, LW(o) 4.6.02 „Die Meute der Deuter. Der doppelte Skandal um Martin Walsers Manuskript", Thomas Steinfeld, SZ 5.6.02 „Unser schönster Bienenkorb. Kritische Theorie als Vademecum in Krisenzeiten: Der Suhrkamp Verlag berät über den Druck des Walser-Buches", Marius Melier, FR „Walsers Skandalen. Nicht antisemitisch, aber brillant, boshaft und hemmungslos", Joachim Kaiser, SZ 6.6.02 „Eine Erklärung. Walsers Buch hat mich tief getroffen", Marcel Reich-Ranicki, FAZ Legende: FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung, FR - Frankfurter Rundschau, SZ - Süddeutsche Zeitung, LW(o) - Literarische Welt (Online-Ausgabe) 1.1 Kommentar ausgewählter Artikel 1.1.1 Der Stein des Anstoßes: Offener Brief Frank Schirrmaciiers Es stellt eine Binsenweisheit der Linguistik dar, dass sich die mündliche Kommunikationssituation von der schriftlichen unter anderem durch ihren weitaus geringeren Grad an Planbarkeit unterscheidet. Daneben spielt auch der Kontext, in dem die Kommunikation erfolgt, eine größere Rolle: Das zumeist vorbestimmte Beziehungsschema der Gesprächsteilnehmer erleichtert gedankliche Assoziationen und ermöglicht so ein elliptischeres Sprechen. Die Spontaneität auf der einen Seite, festgelegte Beziehungsschemata auf der anderen Seite, führen aber
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