MAGAZIN 14 Interview 13. November 2016 15 Patricia Gucci beim Interview in der Buchhandlung Orell Füssli Kramhof, Zürich. «Diese Familie ist ein Drama» Zehn Jahre musste sie schweigen. Jetzt schildert Patricia Gucci in einem Buch ihre Vergangenheit als uneheliches Kind und Gesicht des italienischen Modeimperiums. INTERVIEW: JONAS DREYFUS UND CHRISTIAN MAURER FOTOS: NIK HUNGER Zur Patricia Gucci (53) – nicht zu verwechseln mit der «Gucci-Mörderin» Person Familie in Italien. Patricias Mutter war seine Zweitfrau, die er aus Patrizia Gucci-Reggiani – ist die uneheliche Tochter von Aldo Gucci, Diskretionsgründen ins Ausland brachte. Patricia lebte als Kind ver- der die florentinische Ledermarke von seinem Vater Guccio übernahm und steckt, später wurde sie Gucci-Botschafterin in den USA und Alleinerbin zu einem internationalen Mode-Label machte. Aldo hatte eine offizielle ihres Vaters. Sie wohnt mit ihrem Partner in Genf und hat drei Töchter. MAGAZIN 16 Interview 13. November 2016 17 Patricia Gucci über ... ihre ersten Gucci-Schuhe: Ein paar weiche, weisse Mokassins. Ich trug sie, bis sie mir nicht mehr passten. ... das Gütesiegel «Made in Italy»: Unterscheidet sich nicht mehr gross von «Made in France». Mode funktioniert heute global. ... das wertvollste Geschenk von ih rem Vater: Ein wunderschöner Siegelring, den ich mit neun erhielt. Ich trage ihn nie, dazu ist er viel zu kostbar. ... über New York City in den 1980er-Jahren: Für mich die einzige Zeit, in der ich dort leben wollte. Die Stadt war ganz anders als heute, viel weniger kommerziell. ignora Gucci, tolles Nun, als ich mit der Recherche zum Buch Heute leben Sie mit Ihrem Lebenspartner in Keinen grossen. Ich habe ihnen nie Designer- mass des Schadens, den sie anrichten würde, Outfit! Ist das von begann, war sie nicht glücklich darüber. Genf. Ein Italiener? Stücke gekauft und fand es geschmacklos, konnte dann doch niemand voraussehen. Gucci oder sind Sie Sie wusste genau, dass das für sie eine sehr Er ist Amerikaner, aber in Europa aufgewach- wenn ihre Freunde damit herumliefen. Wenn designmässig schmerzhafte Angelegenheit sein würde. sen. Wir haben uns zu Schulzeiten erstmals man mit 15 oder 16 schon Chanel und Her- Es hat zwei Jahre gedauert, bis Reggiani fremdgegangen? getroffen. Er arbeitet im IT-Bereich, spricht mès trägt, kann man sich ja auf gar nichts überführt war. Haben Sie sie verdächtigt? 1 Patricia Gucci: Es Und jetzt? perfekt Englisch, Italienisch und Französisch. mehr freuen. Ich mag es sowieso nicht, wenn Ich glaube, meine Mutter hatte von der Wahr- ist von J. Crew. Ich Ist sie stolz auf mich. Jedenfalls sagte sie Mein erster Mann war zwar Italiener, kam jemand mit Kleidern angibt. heit geträumt. liebe diese Farben. Nur darum habe ich es das allen rundherum, bloss mir nicht. aber trotzdem aus einer anderen Welt. gekauft. Aber das ist normal für sie. Was verstehen Sie darunter? Ihre Mutter hat laut Ihrem Buch seherische Sprechen wir über den aktuellen Gucci- So viele Leute tragen sichtbare Logos, um zu Fähigkeiten. Hat Sie Ihnen die Zukunft auch SPink ist ja auch Trend im Moment. Gibt es Dinge, die sich in der Beziehung zu Hype. Designer Alessandro Michele brachte zeigen, was sie sich leisten können. Dieses schon vorausgesagt? Ach ja? War mir gar nicht bewusst. Aber Ihrer Mutter verändert haben? das Label vor zwei Jahren mit seinem pom- Schaut-mich-an-Gehabe ist gar nicht meines. Das darf sie nicht. Ich sagte zu ihr: «Mama, stimmt, ich sehe eine Menge davon. Wir stehen uns etwas näher. Sie hat mir viel pösen Vintage-Style zurück ins Gespräch. Vielleicht muss ich auch niemandem etwas du musst mir eines versprechen: Solltest du über sich erzählt. Ich verstehe jetzt, warum Wie gefallen Ihnen seine Entwürfe? beweisen, weil ich das Label ja bereits im jemals etwas über mich und meine Kinder Lassen Sie uns über Ihr Buch sprechen. Was sie an Depressionen litt. In den 1960er-Jah- Seine Accessoires gefallen mir besser als sei- Namen habe. träumen – behalte es für dich!» 2 hat Sie dazu bewegt, die Geschichte Ihres ren in Italien die Geliebte eines Prominen- ne Kleider. Man muss sehr jung sein dafür. Vaters, Modezar Aldo Gucci, und Ihrer ten zu sein, war ein hartes Los für eine Frau. Logisch bin ich glücklich über seinen Erfolg. Sie waren in den 1980er-Jahren in den USA Sie reisten schon als Kind mit Ihrem Vater Mutter, Bruna Palombo, seiner heimlichen Das Versteckspiel hat sie geprägt. Aber ich sehe nie jemanden mit einem seiner ja auch eine bekannte Socialite. Die «New Abenteuerliches Leben nach St. Moritz. Später waren Sie im Inter- Geliebten, niederzuschreiben? Stücke auf der Strasse, ausser Handtaschen York Times» bezeichnete Sie als begehrens- Vom versteckten Baby nat Aiglon in Villars-sur-Ollon in der Waadt, Nach dem Verkauf des Familienunterneh- Waren Sie nie wütend auf Ihren Vater? und Schuhen. Seine Kleider sind einfach werteste Junggesellin der Welt. jetzt wohnen Sie in Genf. Ihnen scheint es mens Gucci und dem Tod meines Vaters hatte Immerhin drückte er sich jahrelang davor, nicht tragbar für meine Generation. Ich mochte dieses Label nicht. Mein Vater zur Alleinerbin in der Schweiz zu gefallen. ich für zehn Jahre eine Schweigepflicht erhal- zu seiner Zweitfamilie zu stehen. wollte für mich einen Debütantinnenball Ich bin im Herzen eine Zigeunerin und habe ten. Ich durfte nicht über das reden, was mei- Ich denke, er versuchte immer, das Beste zu Kennt man Sie in der Genfer Boutique? organisieren, wie das üblich war, aber ich 1 Erbin Hat tief in die Abgründe einer privilegierten schon fast überall auf der Welt gelebt. Ganz nem Vater und der Firma widerfahren war. tun, und hatte einen ausgeprägten Sinn für Seit mein Freund mir dort eine Handtasche habe mich konsequent dagegen gesträubt. Familie geblickt: Patricia Gucci ( 53), einzige Tochter im Gegensatz zu meiner Mutter, die ich nicht Diese Zeit ist jetzt abgelaufen. Zum Glück! Fairness. Er trennte strikt zwischen seinen kaufte, schon. Die Verkäuferin fragte nach und Erbin von Aldo Gucci (1905–1990). aus Rom rauskriege. Dass ich immer wieder beiden Familien. Er konnte das managen. meinem Namen für die Kundenkartei, und Was hatten Sie damals für einen Modestil? 2 Gucci-Girl Patricia 1982 als Model des Magazins in der Schweiz lande, scheint Schicksal zu Sie haben stark mitgelitten, als Verwandte Wenn ich für die Firma unterwegs war, klei- «Town & Country» im Badeanzug von Gucci. Hinter sein. Ich mag vor allem die hohe Qualität der Ihren Vater aus dem weltweiten Modeimpe- dete ich mich so, wie man das von Miss Gucci ihr ein Roy Lichtenstein aus Vaters Sammlung. Nahrungsmittel hier. Ich kaufe auf dem rium ausschlossen, das er aufgebaut hatte. erwartete. Nicht so in den Clubs von Lower Markt ein, alles ist frisch und sauber. 3 Versteckt Patricia 1965 mit Vater und Mutter Bevor er 1990 an Krebs starb, sass er auch «Es ist teuer, Manhattan. «Express yourself», hiess es. Man am Pool in Rom. Das uneheliche Kind durfte nicht noch ein Jahr wegen Steuerhinterziehung in konnte die Rolle spielen, die einem gefiel. Ich öffentlich mit den Eltern gesehen werden. Was kochen Sie am liebsten? einem amerikanischen Gefängnis. trug Perücken, kurze Latex-Röcke, zerrissene Gemüsesuppe. Ich verfeinere sie mit indi- Ich war stinksauer. Alles, was mein Vater Kleider und angesagte japanische Designer. 4 Jetset Kontakt zu Prominenten war für sie ganz schen Gewürzen. normal. Hier im Jahr 1983 mit Prince Charles an aufgebaut hatte, wurde durch den Dreck Gucci zu heissen» Einmal erschien ich mit Brustwarzenklem- einem von Gucci gesponserten Polo-Turnier. gezogen. Diese Familie ist ein Drama. Ihre men aus dem Sex-Shop zu einer Party. Nicht gerade sehr italienisch. Mitglieder tun nichts anderes, als sich gegen- Sie reden fast nur gut über Ihren Vater. als ich ihn aufschrieb, dachte sie, ich hätte sie Ich bin äusserst angelsächsisch. Ich liebe seitig zu bekämpfen. Als wäre er ein Held für Sie. falsch verstanden. Als ich erklärte, dass ich Als Sie 19 waren, holte Sie Ihr Vater als Ordnung und könnte nie in Italien leben. Es Ich vergötterte ihn, und ich tue es heute wirklich Gucci heisse und mein Vater die einzige Frau in den Vorstand von Gucci. stresst mich, wenn nichts funktioniert. Ihr Vater hatte trotzdem noch genügend noch. Marke schuf, flippte sie fast aus. Er brauchte jemanden, der bedingungslos auf Energie, neben seiner Ehefrau und den Kin- seiner Seite stand. Ich war jung und unerfah- Sagen Sie uns bitte, dass Sie wenigstens dern in Italien jahrzehntelang eine Affäre Machte er es sich nicht ein wenig einfach? Erhalten Sie nun Rabatt? ren. Wenn ich etwas gelernt habe, dann war ein italienisches Auto fahren. Man kann mit Ihrer Mutter aufrechtzuerhalten. Seine Er tauchte kurz auf, verwöhnte Sie mit Leider nicht. Discount für die Familie gibts es, die Dynamik von Macht zu begreifen. sich Sie so gut in einem roten Ferrari vor- Liebesbriefe, es waren Hunderte, landeten Geschenken und ging wieder. schon lange nicht mehr. Ich habe eher die stellen. eines Tages in Ihren Händen. Waren Sie Ich glaube, er hat gegen Ende seines Lebens Erfahrung gemacht, dass die Preise angeho- Sie haben aber auch richtig was gearbeitet, 3 4 Ich muss Sie leider enttäuschen, das Auto erstaunt? eingesehen, dass er mehr Zeit mit meiner ben werden, sobald man weiss, wer ich bin. organisierten Modeschauen und gestalteten meiner Wahl ist ein Audi, ein Deutscher. Ich war überwältigt. Ich hätte mir nie vorstel- Mutter und mir hätte verbringen sollen. Es ist teuer, Gucci zu heissen. Schaufenster. Warum haben Sie eigentlich Aber wenn wir schon davon sprechen: len können, dass mein Vater so leidenschaft- kein eigenes Geschäft daraus gemacht? Ferrari ist eines von zwei italienischen Wör- lich sein konnte. Wussten Sie überhaupt, was ein normales Sicher besitzen Sie viel Vintage-Gucci. Neben der Schweigepflicht durfte ich meinen tern, die in den abgelegensten Ecken der Familienleben ist? Alle meine wundervollen Taschen wurden Namen auch nicht kommerziell verwenden.
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