Im Spannungsfeld von Demokratie und Diktatur Deutsche Geheimdienstchefs im Kalten Krieg von Dieter Krüger und Armin Wagner Generationen von Kinogängern sind mit dem Geheimagenten Ihrer Majestät aufgewachsen. Er besitzt nicht nur die Doppelnull-Lizenz zum Töten, er kann auch Autos und Panzer fahren, Flugzeuge führen, Bridge und Golf spielen; er verkehrt nicht nur in den Spielcasinos die- ser Welt, sondern auch mit den Schönheiten aller fünf Kontinente. Be- vor er so die Welt rettet, begegnet ihm stets die Personalausstattung seines Geheimdienstes: die Sekretärin Miss Moneypenny, der Ober- tüftler »Q« sowie »M«, sein Chef. In diesem Buch geht es nicht um den in Wirklichkeit viel weniger bunten Alltag des Agenten. Es geht um »M«. Und zwar um seine Amtskollegen in den deutschen Geheim- diensten in Ost und West nach 1945 sowie um ihre Prägung in den Jahrzehnten zuvor. Einige dieser Männer sind immer noch bekannt, andere längst vergessen. Sie alle haben die Konspiration zu ihrem Be- ruf gemacht, dienten sie nun dem west- oder dem ostdeutschen Staat. Ihre jeweilige Rolle war jedoch so unterschiedlich wie die der Geheim- dienste in Demokratie und Diktatur. Eine Typologie der geheimen Dienste Einige der im folgenden immer wiederkehrenden Begrifflichkeiten sol- len an dieser Stelle kurz erläutert werden. Nicht um trockene Defini- tionen geht es dabei, sondern – zum besseren Verständnis des Lesers – um die Unterscheidung der Rolle von Geheimdiensten in demokrati- schen und diktatorischen Staatssystemen sowie um die verschiedenen Formen geheimdienstlicher Tätigkeit. In der Bundesrepublik Deutschland folgen Verfassung und Recht – als Antwort auf die Zerstörung der Weimarer Republik durch Radi- kale von rechts und links – dem Leitbild der wehrhaften Demokratie. Die zum Schutz der staatlichen Ordnung geschaffenen geheimdienst- lichen Einrichtungen unterliegen gesetzlichen Bestimmungen und parla- mentarischer Kontrolle. Sie sind von der Polizei strikt getrennt und 7 besitzen nicht deren exekutive Befugnisse. Ebenfalls getrennt wurde die Inlandsaufklärung durch den Verfassungsschutz von der Aus- landsaufklärung durch den Bundesnachrichtendienst (BND). Daß letzterer diese Trennung in den fünfziger und sechziger Jahren miß- achtete, war ein Strukturdefekt, den erst der zweite Präsident des BND, Gerhard Wessel, behob. Beide Dienste sammeln und bewerten – teilweise geheime – Nachrichten im Vorfeld der Gefahrenabwehr, um den Regierungen des Bundes und der Länder ein Lage- und Be- drohungsbild im Bereich der Sicherheit zu vermitteln. Der Staat muß dem inneren und äußeren Gegner ebenso konspirativ entgegentreten, wie dieser selbst auftritt: »Wer die Untergrundarbeit von Verfassungs- feinden überwachen will, kann sich nicht nur des uniformierten Schutzmanns bedienen.«1 Voraussetzung geheimdienstlicher Arbeit ist dann die Überzeugung von der Demokratie als gegenwärtig bester möglicher Staatsform. Dagegen war das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) in erster Linie immer Geheimpolizei – mit polizeilichen und staatsan- waltlichen Befugnissen – zur Verfolgung politischer Gegner, die das totalitäre Deutungsmonopol der kommunistischen Partei nicht ak- zeptierten. Erst in zweiter Linie betrieb das MfS Auslandsaufklärung. Ähnlich verhielt es sich mit dem nationalsozialistischen Reichssicher- heitshauptamt (RSHA). Die Rechtsstellung des MfS als Ministerium erweckte den Anschein regierungshoheitlichen Handelns und staatli- cher Kontrolle. Tatsächlich war es vom Politbüro der SED weisungs- abhängig, also von einem Parteigremium als faktisch oberster politi- scher Instanz der DDR. Darin unterschied sich das MfS vom RSHA. Im demokratischen Rechtsstaat besteht ein Spannungsverhältnis zwi- schen konspirativer Geheimdiensttätigkeit auf der einen sowie stets öffentlicher richterlicher Nachprüfbarkeit und parlamentarischer Kontrolle auf der anderen Seite. Naturgemäß gibt es diese Grauzone geheimdienstlicher Aufgaben des demokratischen Staates in der Dikta- tur nicht. Sie kennt weder Grundrechte noch Gewaltenteilung. Geheimdienste in Demokratie und Diktatur haben jedoch eines ge- meinsam: Sie verbergen ihre Existenz und Tätigkeit teilweise oder ganz vor der Öffentlichkeit, weil sie sich davon Ergebnisse versprechen, die durch offenes Handeln nicht zu erzielen wären. Die Betroffenen ihrer Aktivitäten sollen die Absichten der Geheimdienste nicht erkennen. Damit soll ihnen die Möglichkeit genommen werden, sich gegen deren Vorgehen zu wappnen. Grundsätzlich können alle Organisationen Geheimdienste unterhalten; hier sei das Augenmerk auf die staatlichen oder halbstaatlichen Dienste gelenkt. In dieser Kategorie ist zwischen 8 Nachrichtendienst und Geheimpolizei zu unterscheiden. Beide Auf- gabenfelder werden häufig – und auch in den einzelnen Beiträgen die- ses Buches – unter dem wenig trennscharfen, dafür aber leichter zu- gänglichen Begriff des Geheimdienstes zusammengefaßt. Der geheime Nachrichtendienst ist an Informationen interessiert, die er nur oder überwiegend durch verdecktes Vorgehen zu erlangen ver- mag, weil der Betroffene solche Informationen selbst geheim zu hal- ten versucht. In der Regel sind staatliche Auslandsnachrichtendienste an militärischen, politischen und wirtschaftlichen Informationen über andere Staaten und/oder Organisationen interessiert, um sich mög- lichst frühzeitig über deren voraussichtliches Handeln Aufschluß zu verschaffen. Dies geschieht zunehmend durch fernmeldetechnische und elektronische Aufklärung.2 Der menschlichen Quelle kommt aber noch immer eine Schlüsselrolle zu, ist es doch vielfach nur ein Agent oder Spion,3 welcher in Schriftsätze Einsicht nehmen oder an Bespre- chungen teilhaben kann. Neben den klassischen Informationsagenten plazierte die DDR-Spionage im deutsch-deutschen Konflikt nach 1945 auch Einflußagenten. Deren vorrangiges Ziel ist nicht die Nachrich- tenbeschaffung, sondern die Beeinflussung einer bestimmten Haltung oder Entscheidung. Um das Eindringen gegnerischer Dienste zu verhindern, verfügen Nachrichtendienste über eine Abwehrkomponente. Sie überprüft zum Beispiel Personal in sicherheitssensiblen Verwendungen. Zum Auf- gabenbereich der Spionageabwehr zählt auch die Gegenspionage, die ungeachtet ihres Namens eher offensiv arbeitet: Sie soll in die gegne- rischen Nachrichtendienste eindringen und deren Pläne schon im Vor- feld erkunden, Aktionen fremder Dienste beobachten und ihren Er- folg verhindern. Im Kalten Krieg wie zuvor im Zweiten Weltkrieg haben die geheimen Dienste auch zu anderen Maßnahmen gegriffen, die von verdeckten Aktionen über die psychologische Kriegführung bis hin zu kulturellen Maßnahmen reichten. Bei den verdeckten Operationen (»covert actions«) – etwa die Unterstützung von Freiheitsbewegungen durch Geld und Waffenlieferungen – geht es nicht vorrangig um In- formationsgewinnung, sondern um ein aktives Eingreifen. Es sollen politische oder militärische Anliegen durchgesetzt werden, die man nicht auf dem Wege der Diplomatie oder durch reguläre Kriegführung anstreben kann oder will. Psychologische Aktivitäten – etwa durch Radio- und Flugblattpropaganda – und kulturelle Veranstaltungen, scheinbar weit entfernt vom konspirativen Metier, zielten im Kalten Krieg auf den Prozeß der Meinungsbildung im fremden und eigenen Lager. Das war längst nicht mehr klassische Spionage, aber immer 9 noch nachrichtendienstliche Arbeit, ausgeweitet auf den Krieg um die Köpfe. Der staatliche Inlandsnachrichtendienst bemüht sich um Informa- tionen über solche Bestrebungen, in denen er eine Gefährdung der staatlichen Ordnung erkennt. Von einer Geheimpolizei unterscheidet er sich in der Regel durch das Fehlen von polizeilichen Befugnissen. Die Geheimpolizei sammelt nicht nur Nachrichten über mögliche und tatsächliche politische Gegner durch verdeckte Ausspähung und De- nunziation. Sie versucht vor allem, jegliche Form des Widerstandes oder der Opposition gegen die herrschende politische Ordnung durch polizeiliche Verfolgung und verdeckte Beeinflussung zu unterdrücken. Die Geheimpolizei profitiert von der unbestimmten Kenntnis ihrer Existenz. Die Vorstellung, ihrer physischen und psychischen Gewalt- tätigkeit mehr oder minder rechtlos ausgeliefert zu sein, ist Teil ihrer vorbeugenden Wirkung. Über die Bedeutung von Geheimdienstaktivitäten kann gestritten werden. Inzwischen wird aber deutlich, daß Geheimdienste den Ver- lauf des Kalten Krieges ebenso beeinflußt haben wie die innere Ver- fassung der DDR und die deutsch-deutschen Beziehungen nach 1945. Von der Tätigkeit des MfS ist mittlerweile so viel bekannt, daß gele- gentlich der falsche Eindruck entstanden ist, die Geschichte der DDR sei nur eine Unterabteilung der Geschichte ihrer Staatssicherheit.4 Die Akten der westdeutschen Dienste bleiben dagegen noch immer weit- gehend verschlossen. Folglich kann der Einfluß der Geheimdienste auf die innere Entwicklung der Bundesrepublik und ihre Außenbeziehun- gen derzeit noch nicht hinreichend geklärt werden. Der allmähliche Aktenzugang ist ein dringender Wunsch der Historiker, die den Kalten Krieg erforschen. Deutsche Geheimdienste im Zeitalter der Weltkriege Die unerwartete Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 läutete nicht nur den endgültigen Untergang des kommunistischen Herrschaftssystems ein. Damit ging auch das 20. Jahrhundert als histo- rische Epoche zu Ende, die mit dem Putsch der Bolschewiki in St. Pe- tersburg im Oktober 1917 begonnen hatte. Daß sich das Schicksal des Weltkommunismus in Berlin erfüllte, war kaum Zufall. In Deutschland lag gleichsam das Epizentrum der globalen Erschütterungen
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