Seite 4 Seite 9 Seite 9 Beiträge zur Werkstatt Büro Kaffee deutsch-jüdischen Scheunenviertel Wilhelmstrasse Wien Geschichte aus dem Salomon Ludwig Seite 11 Steinheim-Institut Ausblick Worms 6. Jahrgang 2003 Heft 3 Jiddisch-putkamerisch verpackt Oscar Wassermanns Grüße zum Neuen Jahr Avraham Barkai m Jahr 1900 zog der 31-jährige Oscar Wasser- wachsen und sein Vater hatte den Kindern fast täg- Imann von seiner Geburtsstadt Bamberg nach Ber- lich Unterricht in Hebräisch und den jüdischen lin. Er war der erstgeborene Sohn des Bankiers Emil Bräuchen gegeben. Oscar selbst führte zwar in den Wassermann und seiner aus Frankfurt a. M. stam- späteren Jahren keinen orthodoxen Lebenswandel, menden Frau Emma, geb. Oppenheimer. Der Groß- aber sein vier Jahre jüngerer Bruder Julius führte in vater Oscars, Samuel Wassermann, konnte zwar erst Bamberg nicht nur die väterliche Bank weiter, son- 1850 in Bamberg sesshaft werden, entstammte aber dern auch, wie in dem Neujahrsgruß Oscars zu le- einer alteingesessenen und wohlhabenden Familie, sen ist, die strenggläubige Haushaltstradition der deren Stammbaum sich bis zum 17. Jahrhundert zur Familie fort. Dagegen widmete sich Oscar bis an jüdischen Gemeinde Regensburg verfolgen lässt.1 sein Lebensende seinen jüdischen Studien. Kurt Vielleicht gehörte sie nicht gerade zu den reichsten Blumenfeld berichtet in seinen Erinnerungen: „Hofjuden“, sicherlich aber zur sozialen und wirt- „Bei unseren Gesprächen … stellte sich heraus, schaftlichen jüdischen Oberschicht. Die von ihr dass Wassermann über eine große jüdische Bildung 1850 gegründete Bank A. E. Wassermann entwi- verfügte. Als ich ihm die übersetzten Aufsätze von ckelte sich rasch zu einer der angesehensten jüdi- Achad Haam brachte, dankte er herzlich für die Oscar Wassermann (rechts, schen Privatbanken in Deutschland. Grund für den Aufmerksamkeit, bemerkte aber, dass er alle diese sitzend) im Vorstand der Umzug Oscar Wassermanns war die Eröffnung der Aufsätze bereits in der Ursprache gelesen habe. Er Deutschen Bank, 26.9.1929. Berliner Filiale, deren Geschäftsumfang nach weni- hatte in seiner Jugend viel Hebräisch gelernt, und Links Max Steinthal gen Jahren den des Bamberger Stammhauses über- flügelte. Zusammen mit seinem Vetter Max von Wassermann leitete er die Filiale Berlin. Seine Erfol- ge, besonders an der Börse, bewogen den Vorstand der Deutschen Bank, ihn 1912 in die Chefetage zu berufen. Von 1923 an und bis zu seiner Entlassung 1933 war Oskar Wassermann „Sprecher“ der Deut- schen Bank an der Spitze ihres Vorstands. Er starb bereis am 08. September 1934. Nach seiner sozialen Stellung gehörte Wasser- mann zweifellos zur „durchaus profilierten Gruppe des deutsch-jüdischen Großkapitals“. Aber er un- terschied sich von den meisten Mitgliedern dieser, zum großen Teil aus Erben der früheren „Hofju- den“ zusammengesetzten Gruppe, in der viele be- reits nur noch der Abstammung nach Juden waren, in seiner selbstbewussten Beziehung zum, und sei- nem aktiven Engagement für das Judentum.2 Er war in einem streng orthodoxen Elternhaus aufge- noch in seinen letzten Lebensjahren nahm er regel- Verwaltungsrat des 1919 gegründeten „Vereins zur mäßig an einem Talmud-schiur (Studiengruppe) Gründung und Erhaltung einer Akademie für die teil. Mehrere Jahre hörte er Vorlesungen an der Wissenschaft des Judentums“, und leitete die Sam- Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, melaktionen für die bis 1934 bestehende Akademie und er war ein guter Kenner der Bibel.“3 aus seinem Büro in der Bank.4 Von dort aus führte In der Deutschen Bank und allgemein war Was- er, mit Hilfe seiner Sekretärin Käthe Pincoffs, auch sermanns Tätigkeit in einer Reihe jüdischer Organi- andere kulturelle und wohltätige Vereine und Ge- sationen bekannt. Er war der 2. Vorsitzende im sellschaften, deren Sitzungen oft in Räumen der Bank stattfanden. Die bedeutendste unter ihnen war das 1922 ge- gründete Palästinawerk „Keren Hajessod e.V.“ (KH), die „nicht-zionistische“ oder „neutrale“ deutsche Zweigstelle der in London registrierten KH-Weltorganisation zur Einwerbung von Mitteln für den Aufbau Palästinas. Daneben gab es den zio- nistischen „Palästina Grundfonds (Keren Hajes- sod) e. V.“; die Gründe dieser Doppelexistenz kön- nen hier nicht besprochen werden. Festzuhalten ist, dass der größte Teil der Einkünfte durch den „neu- tralen“ Verein, den Oscar Wassermann bis zu sei- nem Tode leitete, in persönlichem Kontakt mit wohlhabenden Juden gesammelt wurde, und dass Wassermann die offene Verbindung zur KH Welt- organisation als Bedingung seiner Mitarbeit stellte, wie aus dem folgenden Bericht hervorgeht: „Als in der Diskussion erwähnt wurde, dass Herr Max Warburg seinerzeit die Unabhängigkeit des deutschen Keren Hajessod von London gefor- dert hatte, erklärte Herr Wassermann mit den ent- schiedensten Worten, dass eine derartige Bestim- mung für ihn unannehmbar sein würde … Als Deutscher habe er am Aufbau Palästinas kein Inter- Lieber Julius, liebe Elsa! Da Ihr allein unter der jüngeren Generation in der Familie das altjüdische Element repräsentiert[,] ziemt es sich Euch zum R[osch] H[aschana] wenn nicht in hebräischer Sprache die Ihr trotz Eurer Frömmigkeit nicht versteht so doch in ketaw iwri (hebräischer Schrift) die herzlichsten Wünsche zum Ausruck zu bringen: Also von ganzem Herzen K[etiwa] ve ch[atima] t[owa] (Eintragung und Besiegelung zum Guten): Möge Euch das neue Jahr vor allem für Euch selbst und für Alice ungetrübte Gesundheit bescheren: Möge es uns vergönnt sein uns im Laufe des kommenden Jahrs recht oft in Freuden zu sehen. Haltet gut Schabbes und gut J[om] t[ow] und seid nebst Alice herzlichst gegrüßt von Eurem treuen Oscar 2 Die Orthografie ist gemischt jiddisch und putkamerisch esse, aber als Jude wolle er keine deutsche Sonder- sen, bin über Ihre intensive Arbeit in Deutschland aktion, sondern fühle sich mit der gesamten Juden- unterrichtet: all das zeigt mir, dass Sie wahrlich heit solidarisch. Der Aufruf des Keren Hajessod kein schlechterer, ja, wahrscheinlich ein sehr viel müsste in allen Tageszeitungen veröffentlicht wer- besserer Zionist sind, als mancher, der das Baseler den, um diese Solidarität in der stärksten Weise Programm seit Jahrzehnten im Munde führt, ohne zum Ausdruck zu bringen. Wassermann schlug auch das Geringste dafür zu tun. Gehört ein solcher den Namen ‚Keren Hajessod (jüdisches Palästina- Mann nicht in die Reihen der zionistischen Organi- werk) e.V.‘ vor (statt umgekehrt, wie wir vorschlu- sation? Warum eigentlich sind Sie kein Zionist?‘ So gen).“5 ich. Wassermann aber, mit dem Daumen über die Wassermann gehörte keiner der deutsch-jüdi- Schulter verstohlen auf Weizmann weisend, flüster- schen politischen Bewegungen an, doch galt er all- te mir zu: ‚Pscht! Ich möcht’ schon; aber – Er er- gemein als Zionist. Als es Chaim Weizmann 1929 laubt’s nicht!‘“6 nach langen Bemühungen gelang, die Jewish Agen- cy durch Beteiligung vor allem amerikanischer 1. Daten zur Familiengeschichte verdanke ich Dia- „Nichtzionisten“ zu erweitern, wurde Wassermann na-Elisabeth Fitz, Vom Salzfaktor zum Bankier. Familie fast selbstverständlich zum Vorsitzenden der deut- Wassermann: Spiegelbild eines emanzipatorischen Ein- schen „Nichtzionisten“ darin gewählt. Einige Jahre bürgerungsprozesses, Nördlingen 1992. als Vorsitzender wichtiger Komitees sehr aktiv, 2. Die Bezeichnung stammt von Werner E. Mosse, wurde er häufig gebeten, den KH und die JA auch Die Juden in Wirtschaft in Gesellschaft, in: Ders. und im europäischen Ausland und in Amerika zu vertre- A. Paucker, (Hg.) Juden im Wilhelminischen Deutsch- ten, was ihm jedoch aus gesundheitlichen und be- land 1890–1914, Tübingen 1976, S. 79; ausführlicher ruflichen Gründen nicht möglich war. Besonders zu Nachkommen der Hofjuden: Die Juden in Deutsch- Oscar Wassermann (2. vr) mit während und nach der Bankenkrise ab Juli 1931 land am Beginn der Industrialisierung: A. Barkai, Hoff- Chaim Weizmann (links), Kurt war er als Sprecher der Deutschen Bank stark in nung und Untergang. Studien zur deutsch-jüdischen Ge- Blumenfeld (3. vr) und Heinrich Anspruch genommen. Dies und sein sich ver- schichte im 19 und 20. Jahrhundert, Hamburg 1998, Graf Bernstorff (rechts) schlechternder Gesundheitszustand waren die S. 56. Gründe dafür, dass er sich zunehmend von seinen 3. Kurt Blumenfeld, Erlebte Judenfrage, Stuttgart ehrenamtlichen Betätigungen zurückziehen musste. 1962, S. 164 ff. Man darf vermuten, dass die Belastung des Jahres 4. Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Ju- 1933, seine Entlassung aus der Deutschen Bank daicum“,11881, Handakte O. Wassermann, 1918– und sein vorzeitiger Tod seinen Weg an die Spitze 1928, Bl. 41–49. Die „Akademie“ ist nicht zu verwech- jüdischen und zionistischen Wirkens jäh abbrach, seln mit der bis 1942 bestehenden „Hochschule (spä- so dass er heute in der deutsch-jüdischen Ge- ter: Lehranstalt) für die Wissenschaft des Judentums“ schichtsschreibung eine fast vergessene Gestalt ist. in deren Kuratorium Wassermann auch tätig war. Die Kurz nach dem Tode Wassermanns erschien in Akademie wirkte als Forschungszentrum durch Stipen- einer jüdischen Zeitung eine aus Zürich eingesand- dien für Wissenschaftler und Finanzierung von Publika- te Reminiszenz, in der ein ungenannter Autor von tionen, u. a. Beginn der Gesamtausgabe von Moses einem Gespräch berichtete, das er mit dem „ver- Mendelssohn, der Jubiläumsausgabe. dienten Führer der ‚deutschen Nichtzionisten‘ in 5. Central Zionist Archives, Jerusalem, A 15/7/30, der Jewish Agency in den Tagen des Züricher Er- “Streng Vertraulich“ ZVfD Berlin an Mitglieder des öffnungskongresses
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