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Vorwort Auch das letzte vollendete Werk von Max Brahms (h-moll op. 115, 1891). Möglicher- Reger (1873 – 1916), das Klarinettenquintett weise hatten auch zeitgenössische Komposi­ op. 146, ist geprägt von seiner lebenslangen tionen Einfluss auf die formale Disposition, kompositorischen Auseinandersetzung mit wie das ebenfalls mit einem Variations- den vom ihm verehrten Vorbildern. Orien- satz schließende Klarinettenquintett op. 19 tierte er sich in jungen Jahren in seiner (1902) von Regers Kollegen am Leipziger Kammermusik deutlich hörbar an Johannes Konservatorium Stephan Krehl oder das Brahms und widmete seine Suite für Or- Klarinettenquintett op. 13 (1909) von Hen- gel op. 16 „den Manen Joh. Seb. Bachs“, so ri Marteau, mit dem Reger lange Jahre be- rückte in späterer Zeit (als ausdrückliches freundet war. Gegenbild zu Richard Strauss) immer mehr Erstmals Erwähnung findet das Klari- eine durch Wolfgang Amadeus Mozart ver- nettenquintett op. 146 in einem Brief vom körperte Klassizität des Ausdrucks wie der 6. März 1912 an Herzog Georg II. von Sach- Faktur in den Mittelpunkt. Im Juni 1904 sen-Meiningen, in dem Reger die für seinen schreibt Reger dem Verlag Lauterbach & ersten Sommer als Hofkapellmeister geplan- Kuhn: „Mir ist’s absolut klar, was unserer ten Kompositionen auflistet. Zwischen April heutigen Musik mangelt: ein Mozart!“ Als und September des Jahres entstanden in „erste Früchte dieser Erkenntnis“ führt er einem beeindruckenden Arbeitstempo das neben dem Streichtrio op. 77b auch die Se- Konzert im alten Stil op. 123, die Hölderlin- renade op. 77a für Flöte, Violine und Viola Vertonung An die Hoffnung op. 124, die Ro- an, die er schon im April als „etwas aller- mantische Suite op. 125 sowie der Römische leichtestes, einfachstes u. sehr melodiöses“ Triumphgesang op. 126; der Plan zu einem angekündigt hatte (diese und alle folgenden „Quintett für Klarinette, 2 Violinen, Brat- Briefzitate, wo nicht anders ausgewiesen, sche u. Violoncello“ kam aber vorerst nicht nach Reger-Werk-Verzeichnis, hrsg. von Su- zur Ausführung. Inzwischen hatte die Kon- sanne Popp, München 2010). Ein Jahrzehnt zertsaison begonnen, und Reger wird wegen später greift er im April 1915 – genesen von seiner neuen Verpflichtungen die Ausarbei- einem am 28. Februar 1914 erlittenen physi- tung einer kammermusikalischen Partitur schen wie psychischen Zusammenbruch und vermutlich nicht als vorrangig empfunden kurz nach der Übersiedelung von Meiningen haben. Erst drei Jahre später, im Sommer nach Jena – in einem Brief an den befreun- 1915, greift er diesen Plan wieder auf: Am deten Thomaskantor Karl Straube noch 9. August kündigt er Karl Straube die offen- einmal zu einer ähnlich programmatischen bar in einem persönlichen Gespräch bereits Formulierung: „jetzt beginnt der freie, je- erwähnte Komposition an („In Bälde gehe naische Stil bei Reger“ (Max Reger. Briefe ich ans Klarinettenquintett!“) und berichtet an Karl Straube, hrsg. von Susanne Popp, am 28. September: „Mein Klarinettenquin- Bonn 1986, S. 249). tett schreitet rüstig vorwärts! 2 ½ Sätze sind Von diesem nach innerer Klarheit und fertig!“ Durch die einsetzende Konzertsai- äußerem Ausgleich strebenden Stil ist die son (Reger trat weiterhin als Gastdirigent gesamte Konzeption und Komposition des verschiedener Orchester wie auch als Pia- Klarinettenquintetts op. 146 geprägt. Reger nist auf) blieb die Niederschrift jedoch aller stellt das Werk – seiner Besetzung nach, Wahrscheinlichkeit nach unfertig liegen; ein aber auch in der Gestaltung des Finales als ursprünglich als Finale vorgesehener Satz in Variationssatz – in eine Reihe mit den Quin- a-moll wurde nach ca. 120 Takten abgebro- tetten von Mozart (A-dur KV 581, 1789) und chen, verworfen und ersetzt (von den aus HN_7117_Vorwort.indd 2 21.03.2014 09:25:59 III dem Manuskript herausgetrennten Blättern züge der Partitur erhalte; bitte, die Stimmen ist eines verschollen). Zwar weist die auto- erst dann stechen zu lassen, wenn Sie die graphe Partitur nach dem endgültigen Final- Abzüge korrigiert von mir zurückerhalten. satz den Schlussvermerk „Fine. Max Reger Bitte, vergessen Sie nicht, zu op146 folgende 16.12.1915“ auf, aber Reger dürfte noch bis Dedikation drucken zu lassen oben drüber: zuletzt Korrekturen und umfangreiche Kür- ,Meinem Freunde Prof. Carl Wendling zuge- zungen an der Komposition vorgenommen eignet‘.“ (Max Reger. Briefe an den Verlag haben. Jedenfalls heißt es in einem Brief an N. Simrock, hrsg. von Susanne Popp, Bonn Hans von Ohlendorff vom 27. April 1916: 2005, S. 339.) An Wendling selbst schrieb er „Ich arbeite an einem Quintett für Klari- am 7. Mai: „Ich hab’ soeben bei Simrock ein nette […]; das Werk ist balde fertig.“ (Max Quintett […] in Druck gegeben, das ich Dir Reger. Briefe zwischen der Arbeit. Neue Fol- dediciert habe, was Dich hoffentlich etwas ge, hrsg. von Ottmar Schreiber, Bonn 1973, freut.“ Der bei Joseph Joachim ausgebildete S. 224.) Geiger Carl Wendling (1875 – 1962) war Re- Bereits vier Tage später, am 1. Mai, konn- ger seit ihrem ersten gemeinsamen Auftritt te Reger die autographe Partitur an den im Februar 1905 eng verbunden, Reger hatte Verlag N. Simrock in Berlin senden. Dabei ihm bereits die erste Sonate für Violine solo stellte er eine zusätzliche Violastimme als aus Opus 91 (1905) sowie Präludium und Alternative zum Klarinettenpart in Aussicht Fuge Nr. 5 aus Opus 117 (1909) zugeeignet. – ein vorrangig aufführungspraktisch mo- Die Uraufführung des Klarinettenquin- tiviertes Zugeständnis, das auch im Œuvre tetts fand am 6. November 1916 in Stuttgart von Brahms begegnet und von Reger be- im Rahmen eines Gedächtniskonzertes für reits 1909 mit der Klarinettensonate B-dur Max Reger statt, der am 11. Mai gestorben op. 107 erprobt worden war: „Entsetzen war. Es musizierten Philipp Dreisbach und Sie sich nicht, wenn Sie beifolgendes ,ein- das Wendling-Quartett. Das begeistert auf- geschriebenes‘ Manuskript erhalten über genommene Werk fand auch in der zeitge- die Länge; es ergibt dieses Werk nämlich nössischen Kritik mit einem vielfach wieder- wirklich nicht mehr Druckseiten als z. B. kehrenden Hinweis auf den melancholischen Brahms Klarinettenquintett […]. Wenn Sie Ausdruckscharakter einen nahezu ungebro- aufs Titelblatt drucken lassen wollen: Cla- chen positiven Widerhall. So notierte Orell rinette (oder Bratsche) 2 Violinen, Bratsche Füßli im Hundertfünften Neujahrsblatt der u. Violoncello so ist mir das auch recht; nur Allgemeinen Musikgesellschaft in Zürich müßte dann eben außer der Klarinettenstim- (1917): „Das Quintett ist von wundervoller me noch eine ,extra‘ Bratschenstimme gesto- Weichheit der Linien und herrlich in seiner chen werden […]. Diese Bratschenstimme harmonischen und kontrapunktischen Fül- würde dann ich selbst ausschreiben, wenn le, die sich nie störend aufdrängt. Über dem ich die Correkturabzüge der Partitur erhal- tief elegischen Werk lagert die Resignation te. Ich müßte da in Bogenbezeichnungen etc. eines dem Weltgetriebe abgewandten, in ver- mehreres ändern.“ klärter Ruhe sich ergebenden Fühlens.“ Mit der Rücksendung des gegengezeich- Regers plötzlicher Tod hatte nicht nur die neten Verlagsvertrages am 5. Mai 1916 prä- Vollendung eines postum mit op. 147 bezeich- zisierte Reger auch den Zeitpunkt für die neten Andante und Rondo für Solo-Violine Einreichung der zusätzlichen Violastimme und kleines Orchester unmöglich gemacht, und teilte die noch fehlende Widmung mit: sondern auch die für ihn obligatorische Kor- „Bestens dankend bestätige ich den Emp- rekturlesung der Fahnen zum Quintett und fang des Honorars von 1300 M für mein die Anfertigung der zusätzlichen Stimme op146. Selbstredend schreibe ich noch extra verhindert. Obwohl sich Karl Straube der eine Bratschenstimme aus, wenn ich die Ab- Korrekturarbeiten annahm (und der Geiger HN_7117_Vorwort.indd 3 21.03.2014 09:25:59 IV Ossip Schnirlin die Klarinettenpartie für kes liegt daher die im Autograph überlieferte Viola bearbeitete), stellt die im Juli 1916 in Fassung letzter Hand (ohne alternative Vio- Partitur und Stimmen erschienene Erstaus- lastimme) zugrunde. gabe kein endgültiges Stadium der Komposi- tion dar (vermutlich eher vom Notenstecher Herausgeber und Verlag danken der Baye- als von Straube stammen die wenigen in der rischen Staatsbibliothek in München für die autographen Reinschrift anzutreffenden Er- Bereitstellung der Quelle. gänzungen fremder Hand). Ob Reger bei der entscheidenden Durchsicht der Korrektur- abzüge noch (wie sonst bei ihm üblich) Kor- rekturen vorgenommen hätte, muss offen Angelbachtal, Frühjahr 2013 bleiben. Der vorliegenden Ausgabe des Wer- Michael Kube PREFACE The Clarinet Quintet op. 146 – Max Reger’s cated a similarly programmatic formulation (1873 – 1916) last completed work – reflects in a letter to his friend, the Thomaskantor the influence of his lifelong compositional Karl Straube: “Reger’s free, Jena-esque involvement with the idols he so greatly ad- style is about to begin” (Max Reger. Briefe mired. While in the chamber music of his an Karl Straube, ed. by Susanne Popp, early years he clearly and audibly oriented Bonn, 1986, p. 249). himself on Johannes Brahms and dedicated The entire conception and composition of his Suite für Orgel op. 16 to the “Manes of the Clarinet Quintet op. 146 are influenced Johann Sebastian Bach”, in his later years – by this style, which strives for inner clarity and in complete contrast to Richard Strauss and outer moderation. Reger places his work – he came to focus ever more intensively on in a line with the quintets of Mozart (A major a classical style of expression

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