"Justiz Und Erinnerung" 4 / Mai 2001

"Justiz Und Erinnerung" 4 / Mai 2001

Verein Verein zur Erforschung zur Förderung nationalsozialistischer justizgeschichtlicher Gewaltverbrechen und Forschungen ihrer Aufarbeitung A-1013 Wien, Pf. 298 A-1013 Wien, Pf. 298 Tel. 270 68 99, Fax 317 21 12 Tel. 315 4949, Fax 317 21 12 E-Mail: [email protected] oder E-Mail: [email protected] [email protected] Bankverbindung: Bank Austria 660 502 303 Bankverbindung: Bank Austria 660 501 909 JUSTIZ UND ERINNERUNG Hrsg. v. Verein zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen und Verein zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung vormals »Rundbrief« Nr. 4 / Mai 2001 Beiträge Gedenken an die Opfer von Engerau Claudia Kuretsidis-Haider Claudia Kuretsidis-Haider Am 25. Mai 1945 erging bei der Polizei im 3. Wiener Gedenken an die Opfer von Engerau .......... 1 Gemeindebezirk nachstehende »Anzeige gegen An- gehörige der SA im Judenlager Engerau«: Peter Gstettner »Als die SA das Judenlager in Engerau errich- Das KZ in der Lendorfer Kaserne tete, wurden ca. 2000 Juden (ungarische) in vor den Toren der Stadt Klagenfurt. das genannte Lager aufgenommen. An den Ju- Ein Vorschlag zur Geschichts- den wurden folgende Gewalttaten verübt: An- aufarbeitung und Erinnerung ................ 3 lässlich des Abmarsches Ende April 1945 aus dem Lager in der Richtung nach Deutsch Al- tenburg wurde ich als Wegführer bestimmt und Meinhard Brunner ging an der Spitze des Zuges. Hinter mir fand Ermittlungs- und Prozessakten eine wüste Schießerei statt bei der 102 Juden britischer Militärgerichte in Österreich den Tod fanden.« im Public Record Office ................... 12 Ein weiterer SA-Mann präzisierte diese Angaben: »Vom Ortskommandanten erhielt ich den Be- Sabine Loitfellner fehl alle Juden welche den Marsch nicht Arisierungen während der NS-Zeit durchhalten zu erschießen. Gleich nach Enge- und ihre justizielle Ahndung vor dem rau, eigentlich schon in Engerau, begann die Volksgericht Wien 1945-1955. Schießerei. Vorne in der Kolonne marschierten Voraussetzungen - Analyse - Auswirkungen . 19 alkoholisierte politische Leiter die mit Stöcken auf die Juden schlugen. Manche davon blieben Winfried R. Garscha liegen und hörte ich sie stöhnen. Mit der Ta- schenlampe leuchtete ich sie an. Einem trat Chronik der gerichtlichen Ahndung von schon das Hirn aus, einem anderen war das NS-Verbrechen nach der Abschaffung Kiefer ganz zerschmettert. Ich zog meine Pisto- der Volksgerichte (1956 bis 2000) ........... 25 le und erschoss sie beide.«1 Diese Untaten, von österreichischen Tätern verübt, Heinrich Gallhuber / Eva Holpfer zählen zu den zahlreichen grausamen und schreck- Die einzelnen Bestimmungen des KVG lichen Verbrechen, die entlang der österreichischen - Fortsetzung (§ 7)....................... 32 Grenze beim Bau des so genannten Südostwalles zu Kriegsende verübt worden waren. Heinrich Gallhuber Das Lager in Engerau2 wurde Anfang Dezember Anmerkungen zur Arbeit mit 1944 errichtet. Insassen waren ca. 2.000 ungarische gerichtlichen Strafakten in der Juden aus Budapest in alten Baracken, auf Bauernhö- zeitgeschichtlichen Forschung (Teil 3) ....... 35 fen, in Scheunen, Ställen und Kellern, also in unmit- telbarer Nähe der Ortsbevölkerung, teilweise sogar in Seite 1 ihren Häusern »untergebracht«. Insgesamt gab es sie- von amerikanischen Truppen befreit wurden. ben Teillager. Die Lebensumstände waren katastro- Auf dem Friedhof in Engerau wurde von der Stadt- phal, täglich starben mehrere Häftlinge an den men- gemeinde Bratislava ein Mahnmal zum Gedenken an schenunwürdigen Bedingungen, an Hunger, Kälte und die ungarisch-jüdischen Opfer errichtet. In Bad Entkräftung. Andere wurden von Angehörigen der Deutsch-Altenburg erinnert ein Gedenkstein an die Wachmannschaft »auf der Flucht erschossen« oder Verbrechen. erschlagen. In einer vom slowakischen Nationalrat Der »Verein zur Erforschung nationalsozialisti- nach der Befreiung eingesetzten Untersuchungs- scher Gewaltverbrechen« führte am 24. März eine kommission wurden auf dem Friedhof von Engerau Erinnerungsfahrt nach Bratislava, Hainburg und Bad mehr als 500 Leichen exhumiert. Deutsch-Altenburg durch. Am Mahnmal in Engerau Als die sowjetischen Truppen im März 1945 Enge- wurden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet. rau näher rückten, verfügte die Lagerleitung die Eva- In der Gedenkrede wurde der hunderten Menschen kuierung. Nach einem Fußmarsch von Engerau nach gedacht, die noch in den letzten Wochen und Tagen Bad Deutsch-Altenburg sollten die Gefangenen von ihr Leben lassen mussten unter einem unmenschlichen dort per Schiff nach Mauthausen transportiert werden. Regime, das die Vernichtung der Juden und Jüdinnen Eine große Zahl von Häftlingen war jedoch wegen der mit allen Mitteln betrieben hatte. im Lager vorherrschenden Bedingungen nicht mehr Die Gedenkfahrt soll jedes Jahr im März durchge- marschfähig - sie wurden am 29. März 1945 von führt werden, um die Täterschaft von Österreichern an einem Sonderkommando ermordet. der NS-Vernichtungsmaschinerie nicht in Vergessen- In der Nacht vom 29. auf den 30. März marschier- heit geraten zu lassen und an Verbrechen zu erinnern, ten die ungarischen Juden aus Engerau weg. Auf dem die nicht im öffentlichen Gedächtnis präsent sind. Weg nach Deutsch-Altenburg wurden mehr als 100 Personen von der teilweise alkoholisierten Wach- Claudia Kuretsidis-Haider arbeitet an einer Disserta- mannschaft ermordet. Die Verladung der Überleben- tion zum Thema »Die Engerau-Prozesse als Fallbei- den des Marsches auf ein Schleppschiff in Bad spiel für die justizielle 'Vergangenheitsbewältigung' Deutsch-Altenburg erfolgte am 1. April 1945, wo sie in Österreich«. mit anderen ungarischen Juden, die Schanzarbeiten in Bruck/Leitha leisten mussten, zusammentrafen. Der Transport erreichte Mauthausen nach einer Woche. 1 Anzeige und Polizeiliche Vernehmung (15. und 20. 5. Während der Fahrt kam ebenfalls eine große Anzahl 1945); LG Wien Vg 2b Vr 564/45 (1. Engerau-Prozess von Häftlingen durch Verhungern, Erschöpfung oder gegen Rudolf Kronberger, Wilhelm Neunteufel, Alois Erschießung zu Tode. Frank und Konrad Polinovsky). Unmittelbar vor der Befreiung des KZ Mauthausen 2 Der ungarische Name war Pozonyligetfalu, auf slowa- am 5. Mai 1945 wurden jene ungarischen Juden, die kisch hieß der Ort Petrzalka. Heute existiert die Ortschaft bis dahin noch nicht ermordet worden waren, auf als solche nicht mehr, sondern ist als 5. Bezirk in die einen neuerlichen Fußmarsch in das Waldlager bei slowakische Hauptstadt Bratislava eingemeindet worden. Gunskirchen/Wels geschickt, wo sie am 4. Mai 1945 homepage Für die öffentliche Präsenz ist die Erreichbarkeit über eine Homepage mittlerweile un- erlässlich geworden. Leider sind beide Vereine finanziell nicht in der Lage, eine solche zu installieren oder zu betreuen. Wir suchen unter unseren Mitgliedern Personen, die uns beim Aufbau und der Betreuung einer Homepage behilflich sein können. Impressum: Herausgeber: Verein zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen Verein zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung Pf. 298 1013 Wien Redaktion: Claudia Kuretsidis-Haider Christine Schindler Die Beiträge des Rundbriefes repräsentieren die Meinung der jeweiligen Autorin / des jeweiligen Autors. Das KZ in der Lendorfer Kaserne vor den Toren der Stadt Klagenfurt. Ein Seite 2 Vorschlag zur Geschichtsaufarbeitung und Erinnerung Peter Gstettner Die lokalen Rahmenbedingungen Lendorf ist ein Stadtteil von Klagenfurt, der Hauptstadt des Bundeslandes Kärnten. Dieser Umstand ist historisch bedingt: Einige Monate nach dem »Anschluss« Österreichs an Hitler-Deutschland wurden verschiedene Vororte und Landgemeinden in der Umgebung von Klagenfurt zu »Groß-Klagenfurt« vereinigt. Die Nationalsozialisten wollten Klagenfurt das Gepräge einer »modernen« Führerstadt geben, schließlich war Klagenfurt nicht nur Haupt- stadt jenes Gaues, der im März 1938 als erster den »Vollzug« der NS-Machtübernahme nach Wien melden konnte, sondern Klagenfurt war auch jenes Zentrum, das von den Deutschnationalen seit den so genannten Abwehr- kämpfen 1918-1920 als »grenzdeutsches Bollwerk« gegen den slawischen Erbfeind am Balkan angesehen wurde.1 Gegenüber den heimischen Kärntner SlowenInnen wurde seither eine konsequente Eindeutschungspolitik betrie- ben. Die als deutschnationale »Schutzarbeit« getarnte Entnationalisierung der Kärntner Sloweninnen war zumin- dest seit 1924, als die Propagandaorganisation des historischen Abwehrkampfes, der »Kärntner Heimatdienst«, in den »Kärntner Heimatbund« überführt wurde, Teil des nationalsozialistischen Agitations- und »Kultur«-Pro- gramms der im Aufbau befindlichen NSDAP. Beginnend mit der Machtübernahme der Nazis in Österreich sollte also Klagenfurt unter dem NS-Oberbürgermeis- ter Friedrich von Franz und der SS-Führungsschichte Hubert Klausner (Gauleiter), Franz Kutschera (Stellvertretender Gauleiter), Wladimir von Pawlowski (NS-Landeshauptmann) ein repräsentatives Aussehen und eine Infrastruktur er- halten, die dem Selbstbild des neuen Regimes adäquat war. Zu der Übereinstimmung von Anspruch, Optik und Wirk- lichkeit gehörte nicht nur die systematische »Säuberung« des Landes von Regimegegnern, die ebenso in Gestapohaft genommen und in Lager verschleppt wurden wie die Kärntner Jüdinnen und Juden, SlowenInnen, Sinti und Roma, katholische Geistliche, Zeugen Jehovas u. a., sondern auch die bauliche Ausgestaltung des »grenzdeutschen Bollwerks« zu einer ideologisch gefestigten, Führer-loyalen Gauhauptstadt am südlichsten Rand des Reiches. Eines der großen Prestigeprojekte

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