AUF DER SUCHE NACH WELT: EVA RECHEL-MERTENS’ PROUST-ÜBERSETZUNG IM SUHRKAMP VERLAG (1953-2002) by Nora Bruegmann Dissertation Submitted to the Faculty of the Graduate School of Vanderbilt University in partial fulfillment of the requirements for the degree of DOCTOR OF PHILOSOPHY in German December, 2015 Approved: Professor Meike Werner Professor Barbara Hahn Professor James McFarland Professor Helmut Walser Smith Copyright © 2015 by Nora Bruegmann All Rights Reserved ii DANK Für die langjährige finanzielle Unterstützung meiner Arbeit geht mein Dank an die Vanderbilt University in Nashville, Tennessee, insbesondere an die Vanderbilt Graduate School und das Department for Germanic and Slavic Languages. Ganz besonders danke ich Meike Werner für die intensive Betreuung, die ausführlichen Diskussionen und Unterstützung in jeder Phase der Arbeit. Barbara Hahn, James McFarland und Helmut Walser Smith danke ich für die zahlreichen Gespräche über meine Arbeit sowie die Anregungen, die ich in ihren Seminaren erhalten habe. An die Vanderbilt Graduate School geht mein Dank für den Summer Research Award (2012), an das Deutsche Literaturarchiv Marbach für ein Suhrkamp-Reisestipendium (2012) und ein weiteres Reisestipendium (2013) sowie die Unterstützung meiner Forschung vor Ort: Jan Bürger half mit zahlreichen nützlichen Hinweisen und Anregungen weiter, Petra Weiß und Sabine Borchert ermöglichten mir Einsicht in noch nicht erfasste Archivalien; Hildegard Dieke, Heidrun Fink und Thomas Kemme gaben mir im Handschriften Lesesaal die bestellten Archivalien auch bei starkem Andrang mit stets gleicher Freundlichkeit heraus. Für die Erlaubnis, aus Eva Rechel-Mertens’ Briefen und Manuskripten zu zitieren, danke ich Prof. Dr. Rudolf Prinz zur Lippe. Weitere Zitiergenehmigungen erhielt ich vom Suhrkamp Verlag (Peter Suhrkamp, Siegfried Unseld, Walter Boehlich, Friedrich Podszus und Wolfgang Hirsch), von Walter Gsottschneider (Ernst Robert Curtius), Dr. Irene Selle (Rudolf Schottlaender) und dem Klett-Cotta-Verlag (Hans Paeschke und Joachim Moras). Auch für diese Zitiergenehmigungen bin ich dankbar. iii Schließlich danke ich meinen Freunden und meiner Familie, insbesondere Ingo Kieslich, für ihr Interesse an meiner Arbeit und die vielen Gespräche darüber. Ohne die vielfältige Unterstützung, die ich so von allen Seiten erhielt, wäre meine Arbeit nicht möglich gewesen. iv INHALTSVERZEICHNIS KAPITEL I EINLEITUNG: EDITION UND ÜBERSETZUNG ALS FORTSCHREIBUNG DER RECHERCHE ……... 1 THESEN, METHODEN UND AUFBAU …………………………………………. 7 ZITATE, ORTHOGRAPHIE UND ABKÜRZUNGEN … ………………………... 13 KAPITEL II ÜBERSETZUNG UND EUROPABEWUSSTSEIN ………………………………………… 15 IN GANZ EUROPA ZU HAUSE: EINE KINDHEIT AUF REISEN …………….... 16 EUROPÄISCHE IDENTITÄT AUF DER PROBE: KRIEGSERFAHRUNGEN …. 17 DIE ENERGIE DES KRIEGES IM FRIEDEN? STREIT UM KRIEGSBÜCHER UND LITERATURKRITIK ……………………. 24 GEGEN DIE AKTUALISIERUNG EINES HISTORISCHEN LEBENSLAUFS: EINE SCHARFE KRITIK ………………………………………………………….. 37 AUF DER SUCHE NACH DER RICHTIGEN SCHREIBFORM: VON MARBURG NACH HEIDELBERG …………………………………………. 39 UMGANGSSPRACHE ALS ÜBERSETZUNGSPROBLEM ……………………... 54 JAHRE DES SCHWEIGENS ………………………………………………………. 56 WIEDER SCHREIBEN: ZWISCHEN KATHOLIZISMUS UND EXISTENTIALISMUS ……………….…. 58 HISTORISIEREND UND SCHRIFTSPRACHLICH: EVA RECHEL-MERTENS’ PROUST-ÜBERSETZUNG ……………………….... 61 ZUSAMMENARBEIT MIT SUHRKAMP ……………………………………….... 72 ÜBERSETZUNG ALS RECHEL-MERTENS’ SCHREIBFORM ……………….... 87 KAPITEL III PERSPEKTIVEN AUF PROUST: RECHEL-MERTENS’ ÜBERSETZUNG IN DER KRITIK ………………………………... 97 PETER SUHRKAMP: „MEIN WEG ZU PROUST” ………………………………. 97 AUF DER SUCHE NACH WELT: EVA RECHEL-MERTENS’ PROUST-ÜBERSETZUNG IM FEUILLETON ……. 107 RECHEL-MERTENS’ VERLAGSINTERNE KRITIKER ……………………..….. 128 v Rudolf Schottlaender ……………………………………………………..…. 129 Walter Boehlich ………………………………………………………..……. 134 Wolfgang Hirsch ……………………………… ………………… ….……… 153 ZWISCHEN REGIONALISMUS UND EUROPÄISIERUNG: RECHEL- MERTENS IN AUSEINANDERSETZUNG MIT IHREN KRITIKERN …………. 154 Die Register der Recherche ………………………………………………..... 171 Aktualisierende vs. historisierende Übersetzungsweise …………………….. 176 Regionale Ausdrücke ……………………………………………………….. 178 Übersetzen oder nicht übersetzen? ………………………………………….. 181 Nationalsozialistisch kontaminierte Sprache? ………… ……………. …….. 187 KAPITEL IV DIE IDEALE STANDARDAUSGABE: SIEGFRIED UNSELD ÜBER RECHEL-MERTENS’ ÜBERSETZUNG ……….................. 196 ÜBERSETZUNG ALS FORM DER INTERPRETATION: KELLERS REVISION VON RECHEL-MERTENS’ ARBEIT …………………... 201 EIN KOMPROMISS: REVISION ZWISCHEN RECHEL-MERTENS UND IHREN KRITIKERN ……. 212 Erhalt des französischen Kolorits ……………………………………..…… 212 Varianten gesprochener Sprache …………………………………………... 213 Der Vorwurf der „Blässe” ………………………………………………….. 215 Sprache um die Jahrundertwende ………………………………………….. 221 Übersetzung von „Race” auf historisch gerechtfertigter Grundlage ………. 222 KAPITEL V SCHLUSS …………………………………………………………………………………… 235 QUELLEN ÜBERSETZUNGEN UND AUSGABEN …………………………………………. 241 vi Vollständige Übersetzungen und Ausgaben ……………………………….. 241 Unvollständige und Teilausgaben ………………………………………….. 242 UNVERÖFFENTLICHTE QUELLEN ……………………………………………. 242 VERÖFFENTLICHUNGEN ZUM KONTEXT …………….……………………… 246 Anonym ……………………………………………………………………. 260 vii KAPITEL I EINLEITUNG: EDITION UND ÜBERSETZUNG ALS FORTSCHREIBUNG DER RECHERCHE À la Recherche du Temps Perdu , der französische Klassiker der Moderne, ist nicht nur das Lebenswerk Marcel Prousts. Er war es, der das Werk zunächst unbewusst als solches in Tagebuchnotizen und Briefen entwickelte und ab 1908 bewusst in Romanform niederschrieb, 1 ausgehend einerseits von seinen Kindheitserinnerungen, und andererseits von seinen Erfahrungen in den exklusiven Pariser Salons der Jahrhundertwende. Doch es gab Mitwirkende – Herausgeber, Verlage, Übersetzer und Proust-Exegeten, – die ihre Zeit diesem Werk, das vom Autor teilweise nur in Form von Bruchstücken hinterlassen worden war, widmeten. Erst durch sie wurde es als solches etabliert. Proust nahm die Arbeit an dem Roman mit dem Titel À la Recherche du Temps Perdu auf, nachdem er sich in Trauer um den Tod der Eltern, besonders der Mutter, und in fragilem gesundheitlichem Zustand vom gesellschaftlichen Leben weitestgehend zurückgezogen hatte. 2 Zurückgreifend auf Tagebuchnotizen und Briefe schrieb er unentwegt. Immer wieder überarbeitete er sein Manuskript an den verschiedensten Stellen; Prousts Schreibbewegung verlief also nicht linear, sondern springend.3 Erst im November 1912, nach gescheiterten Verhandlungen mit anderen Verlegern, 4 wagte es Proust, sich mit einer Version des ersten 1 Ronald Hayman, Marcel Proust , übers. Max Looser (Frankfurt/M.: Insel, 2000), 340. 2 Ebd., 432. 3 Ebd., 449. 4 Ebd., 447. 1 Bandes, Du Côté de chez Swann , an den erst 1911 gegründeten Verlag Gallimard zu wenden. 5 Gallimard hatte bis dahin Romane von Paul Claudel, André Gide, Charles-Louis Philippe, Saint- John Perse und Joseph Conrad veröffentlicht. André Gide, der neben Gaston Gallimard eine zentrale Stellung in der Leitung des Verlagshauses innehatte, lehnte Prousts Manuskript zunächst ab. 6 Schließlich nahm der Verlag Grasset, der sich als Verlag von Paul Reboux’ und Charles Mullers Pastiches, À la Manière de … , einen Namen gemacht und Werke von den Brüdern Goncourt sowie Alphonse de Châteaubriant verlegt hatte, Du Côté de chez Swann in sein Programm auf. Allerdings musste Proust die Veröffentlichungskosten selbst tragen.7 Mit dem zweiten Band, À l’Ombre des Jeunes Filles en Fleurs , gelang Proust schließlich der Durchbruch. Gallimard hatte Du Côté de chez Swann 1916 von Grasset in sein Programm übernommen, nachdem Gide seine erste Entscheidung als Fehler und Resultat einer nachlässigen Lektüre bezeichnet hatte. 8 À l’Ombre des Jeunes Filles en Fleurs , der ebenfalls bei Gallimard erschienene zweite Band, wurde 1919 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. 9 Von nun an wechselte Proust den Verleger nicht mehr. Bis zu seinem Tod 1922 erschienen, abgesehen von dem zweiten und dem ersten Band, Le Côté des Guermantes in zwei Teilbänden, und Sodom et Gomorrhe I und II . Dabei soll Proust die Geduld und die finanziellen Mittel der Setzer und des Verlegers sehr strapaziert haben, indem er die Ränder der zur abschließenden Kontrolle vorgelegten Druckfahnen lückenlos mit Änderungs- und Ergänzungswünschen beschrieb, ebenso wie den Platz zwischen den Zeilen. 10 Die eigentlich zu korrigierenden Druckfehler blieben 5 Hayman, 451. 6 Ebd., 453. 7 Ebd., 460. 8 Ebd., 524. 9 Ebd., 568. 10 Walter Benjamin, „Zum Bilde Prousts,” in Walter Benjamin: Gesammelte Schriften , hrsg. Hermann Schweppenhäuser und Rolf Tiedemann (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1991), II.I: 312. 2 indessen stehen. 11 Auf Prousts Sterbebett sollen sich ungeordnete beschriebene und überschriebene Blätter gehäuft haben, als ob der Autor mitten in der Arbeit an einem Projekt unterbrochen worden wäre, das nicht abzuschließen oder in den Griff zu bekommen war. 12 Aus den übrigen Manuskripten stellte Prousts Bruder Robert mit Hilfe des Dichters Jacques Rivière, des Schriftstellers Jean Paulhan und anderen Mitarbeitern der Nouvelle Revue Française die Bände La Prisonnière , Albertine Disparue und Le Temps Retrouvé zusammen. 13 Dabei waren immer wieder Kompromisse mit dem Verleger Gallimard zu schließen, der das Ziel verfolgte, gut lesbare, fertige Romane vorzulegen. 14 Robert Proust dagegen hätte die Manuskripte am liebsten unverändert in Druck gegeben und das Risiko unfertig wirkender Bände auf sich genommen. Schon die Auswahl der Manuskripte und Titel erzwangen jedoch immer wieder Entscheidungen.
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