P.B.B. VERLAGSPOSTAMT 1010 WIEN PLUS.ZEITUNG 08Z037896 P AUSGABE 2 | 2014 ILLUSTRIERTE NEUE WELT JUDENGASSE 1A/25 1010 WIEN EINZELPREIS € 4.50 ENDE DES ALTEN NAHEN OSTENS? uf den Bildern waren nur simple Erdarbeiten zu sehen – doch eigentlich zeigten sie ein his- torisches und politisches Erdbeben. Die Isla- Amisten wollen in ganz Nahost neue Grenzen ziehen. Ihre Beweggründe sind dabei nicht mal ganz von der Hand zu weisen. Bärtige Männer jubeln mit ihren Maschinenpis- tolen einem gelben Bulldozer zu, während der einen mannshohen Erdwall abträgt. Neben ihnen flattern die schwarzen Flaggen von ISIS – dem „Islamischen Staat im Irak und Syrien“ – im heißen Wüstenwind. Kurz darauf fahren die ersten Lastwagen durch die Bresche. Die Grenze zwischen Irak und Syrien ist nicht mehr, behaupteten zumindest die Sprecher von ISIS, die die Bilder veröffentlichten, deren Authenti- zität nicht unabhängig bestätigt werden kann: „Wir durchbrechen die Grenzen von Sykes-Picot“, betitel- ten die Extremisten ihre Siegesfotos auf Twitter, mit sichtlicher Genugtuung. Denn wohl kaum ein Na- menspaar ist in Nahost mehr verachtet als das des britischen Kolonialbeamten Sir Mark Sykes und sei- nes französischen Kollegen Francois Georges-Picot. Sie schufen 1916 während des Ersten Weltkriegs ins- geheim die politische Landkarte des heutigen Nahen Ostens. Die Bresche im Grenzwall ist nichts anderes als ein weiterer arabischer Versuch, die bestehende Weltordnung im Nahen Osten aufzulösen, um die Hinterlassenschaften westlicher Kolonialisierung endlich vergessen zu machen. Neue Staaten zu erfinden war nach dem Ersten Weltkrieg nichts Ungewöhnliches. Eigentlich wollte der damalige Kolonialminister Winston Churchill die neuen Eroberungen Großbritanniens direkt verwal- ten, doch er musste sparen. Also sah er sich gezwun- gen, Lakaien in quasi unabhängigen Staaten einzuset- zen, um sie indirekt zu beherrschen: „Ich habe Transjordanien an einem Sonntagnachmittag in Kairo mit einem Federstrich erschaffen“, vermerkte Churchill in seinem Tagebuch. Anders verlief es ge- nau so: Die Franzosen erfanden den Libanon und Syrien, die Italiener Libyen, und eine britische Beam- tin namens Gertrud Bell skizzierte über einem Atlas auf einem Pauspapier ein neues Gebilde quer durch ein Gebiet, dass bis dahin nur unter dem Namen „Me- Soshana: „Travel“, 2008, 80cm x 60cm, Acryl auf Leinwand, Artikel S. 24 sopotamien“ bekannt war. Sie taue es „Irak“, Sykes erfand dazu gleich die Nationalflagge, die später von ich langsam selber Sunnitin“, schrieb Bell ihrem Vater vielen Ex-Kolonien kopiert wurde. in einem Brief: „Bei denen weiß was man, woran man AUS DEM INHALT Beamte wie Sykes und Bell hatten dabei nicht un- ist, sie werden von Vernun geleitet. Bei den Schiiten GESCHICHTE bedingt die Interessen der Bewohner der Region im hingegen, so gutgewillt sie sein mögen, kann ein dum- NAHOST Herzl kontra Kraus Sinn. Es ging ihnen eher darum, den Einfluss der Ko- mer, fanatischer Gelehrter vorschreiben, was sie den- 14 Papst in Israel lonialmächte zu bewahren. Und so zwängten sie Kur- ken sollen“, schrieb Bell. Und so zwang sie die schiiti- 2 THEATER den, Schiiten und Sunniten in denselben, erfundenen sche Bevölkerungsmehrheit, fortan unter dem Joch ISRAEL Israelfestival 16 Staat, obschon sie sich völlig darüber im Klaren wa- der Sunniten zu leben, unter der Herrscha eines von Neuer Staatspräsident ren, dass diese verschiedenen Volksgruppen nicht Großbritannien eingesetzten, ausländischen Königs. 5 LITERATUR miteinander leben wollten. Den Kurden enthielten sie Wenn nun Syrien und der Irak explodieren, und SOCIAL MEDIA Grünewald vor dem die Unabhängigkeit vor, um sich den Zugang zu den der Libanon und Jordanien ins Wanken kommen, YouTube 10 Vergessen bewahrt 20 Ölfeldern im Norden zu sichern. Den Schiiten traute dann hat das maßgeblich damit zu tun, dass die Gren- Gertrud Bell nicht über den Weg: „In Wahrheit werde zen, die vor 90 Jahren gezogen wurden, Ī Seite 3 2 AUSGABE 2 | 2014 NAHOST CHRISTENTUM IM WANDEL Papst Franziskus setzte auf seiner Reise ins Heilige Land Meilensteine der Versöhnung. omano Noch nie hat ein Papst im Orient so viel R Wohlwollen erzeugt und derart große sservatore sservatore Hoffnungen für eine abrahamitische Ökumene L‘O Foto: Foto: geschürt. Doch nicht alle sahen das gern. Kranzniederlegung am Grabe Theodor Herzls GIL YARON ür andere Staatsoberhäupter gehört die Als Herzl vor genau 110 Jahren bei Papst Pius zu bekehren.“ Pius war, gemessen an seiner zu fordern – eine noch vor kurzer Zeit un- Kranzniederlegung am Grabe eodor X. vorsprach, um ihn um Hilfe bei der Errich- Zeit, sogar noch relativ gemäßigt. Seit Jahrhun- denkbare Anregung. Herzls zum Standardprogramm eines tung des Judenstaats zu bitten, verweigerte das derten wollte die Kirche die „irregeleiteten“ Auch zur Ostkirche baute Franziskus die FStaatsbesuchs in Jerusalem. Schließlich gilt der Oberhaupt der Kirche ihm noch jegliche Un- Juden bekehren – mit allen Mitteln. Schon im Brücken aus, die seine Vorgänger in den ver- Journalist, der vor 120 Jahren in Basel die zio- terstützung: „Die Juden haben unseren Herrn vierten Jahrhundert wetterten die wichtigsten gangenen 50 Jahren schlugen. Die Spaltung nistische Bewegung ins Leben rief, als spiritu- nicht anerkannt, und daher können wir das Vordenker des Christentums gegen Juden. Der der Christenheit in Ost- und Westkirche, die eller Gründervater Israels. Doch die kurze Vi- jüdische Volk nicht anerkennen“, zitierte Herzl Erzbischof von Konstantinopel Johannes von 1054 begann und im 18. Jahrhundert ihren site Papst Franziskus am schwarzen Mahnmal später Pius Antwort in seinem Tagebuch und Antiochia schrieb in Adversos iudaeos: „Weil Höhepunkt mit der Erklärung fand, die jeweils auf Jerusalems Nationalfriedhof erregte in Is- überlieferte eine weitere päpstliche Perle: ihr Christus getötet andere Kirche sei eine rael großes Aufsehen: Denn wenn der Papst „Wenn Sie nach Palästina gehen und ihr Volk habt, weil ihr gegen den Irrlehre, scheint mit Das von Papst Johannes XXIII. das Grab des wichtigsten Zionisten ehrt, ist das dort ansiedeln, werden wir Kirchen und Mis- Herrn die Hand erho- dem gemeinsamen nicht weniger als eine Revolution. sionare bereithalten, um es zum Christentum ben habt, weil ihr sein in die Wege geleitete „Vater Unser“ von kostbares Blut vergos- Zweite Vatikanische Konzil Franziskus und dem sen habt, gibt es für Patriarchen euch keine Besserung enthob Juden erst 1965 Batholomäus I. in der mehr, keine Verzeihung der Kollektivschuld für die Grabeskirche in Jeru- und auch keine Ent- salem endgültig Teil „Welche Sachbezüge sind schuldigung.“ Marcion Kreuzigung Jesu, und gestand der Vergangenheit zu für Arbeitnehmer prägte den Begriff vom ihnen zu, einer gottgestifteten werden. Demonstrativ steuerfrei?” „Alten“ – sprich über- Religion anzuhängen. umarmten die beiden holten – Testament, als Kirchenoberhäupter Gegensatz zum Neuen, sich immer wieder just „Wie lange fortan allein gültigen. Und Augustinus von an dem Ort, der aufgrund kleinlicher Streitig- „Wie viel darf erhält mein Hippo wollte die Juden nur als schlechtes Bei- keiten zwischen Priestern, die o auch mal ich als Student studierendes Kind spiel am Leben lassen. Da sie Jesus nicht aner- aufeinander einschlagen, seit Jahrhunderten Familienbeihilfe?” dazuverdienen, damit ich die Familienbeihilfe kannten, sollten sie in „Knechtscha“ leben, Symbol für die Spaltung der Kirche ist. nicht verliere?” laut Papst Innozenz III. ab 1205 sogar für Franziskus suchte auch Dialog mit dem Is- „ewig“. lam und besuchte die Moscheen auf dem Tem- Diese Haltung änderte sich erst nach dem pelberg ohne Schuhe. Doch trotz allen Respekts „Wann habe „Bis wann habe ich Anspruch auf ich mit meiner Holocaust und dem zweiten Weltkrieg. Das trat er hier forscher auf, wagte auch mahnende den Alleinverdiener- Arbeitnehmer- von Papst Johannes XXIII. in die Wege gelei- Worte: „Mögen wir das Leid anderer verstehen, veranlagung Zeit?” absetzbetrag?” tete Zweite Vatikanische Konzil enthob Juden und niemand den Namen Gottes mit Gewalt erst 1965 der Kollektivschuld für die Kreuzi- missbrauchen!“, predigte er. Schließlich hatte „Kann ich „Wann steht mir die Kosten gung Jesu, und gestand ihnen zu, einer gottge- Franziskus die Probleme der christlichen Min- der Alleinerzieher- für Kinderbetreuung stieten Religion anzuhängen. Dieser Wandel derheit im überwiegend islamischen Nahen Os- absetzbetrag zu?” steuerlich geltend findet in Franziskus Besuch nun endlich Aus- ten erst wenige Stunden zuvor selbst miterlebt, machen?” druck. Der Pontifex bezeichnet Juden nicht als seine Messe vor der Geburtskirche in Beth- mehr als Irrgläubige, sondern als „ältere Brü- lehem plötzlich vom Aufruf zum Mittagsgebet der“ der Christen, und nennt die inzwischen übertönt wurde, der aus den Lautsprechern ei- engen Beziehungen der Religionen ein „Ge- ner nahen Moschee tönte. Derweil hielt die Po- schenk Gottes.“ So sehr vertraut man sich, dass lizei in Jerusalem ein Kontingent von 8000 Be- Israels Oberrabbiner David Lau Franziskus amten für notwendig, um Franziskus vor sogar aufrief, eine interreligiöse Konferenz ein- jüdischen Protesten zu schützen. Nicht allen in „Wie viel darf ich steuerfrei dazuverdienen, zuberufen, um gemeinsam „ein Ende des Mor- Nahost scheint die historische Annäherung, auf wenn ich Einkünfte aus „Werbungskosten - des und des Hasses im Namen der Religion“ die der Pontifex hinarbeitet, Recht zu sein. Ǣ nichtselbstständiger was ist das Arbeit beziehe?” überhaupt?” Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Illustrierte Neue Welt, Dr. Joanna Nittenberg,
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