3. Franz Stangl Im Prozess

3. Franz Stangl Im Prozess

DIPLOMARBEIT / DIPLOMA THESIS Titel der Diplomarbeit / Title of the Diploma Thesis „Der ‚feine Herr‘ von Treblinka“ Werdegang und Prozess des Lagerkommandanten Franz P. Stangl verfasst von / submitted by Gabriele Amann, BA angestrebter akademischer Grad / in partial fulfilment of the requirements for the degree of Magistra der Philosophie (Mag. phil.) Wien, 2017 / Vienna, 2017 Studienkennzahl lt. Studienblatt / A 190 333 313 degree programme code as it appears on the student record sheet: Studienrichtung lt. Studienblatt / Lehramtsstudium UF Deutsch, UF Geschichte, degree programme as it appears on Sozialkunde und Politische Bildung the student record sheet: Betreut von / Supervisor: Prof. Dr. Sybille Steinbacher Danksagung Ich widme diese Arbeit dem kleinen Mädchen, das ich einmal war. Seit einem Schulausflug ins Jüdische Museum Hohenems habe ich mir die Frage gestellt, warum so viele unschuldige Menschen auf so grausame Art und Weise ermordet wurden. Ich wollte wissen, wer die Opfer und wer die Täter waren. Ich wollte ihre Geschichte ergründen, um zu verstehen, was dazu geführt hat, dass das alles geschehen konnte. In erster Linie wollte ich aber Antworten finden, um Ähnliches in Zukunft verhindern zu können. Ich hoffe, dass ich mit dieser Arbeit dem neugierigen kleinen Mädchen von damals zumindest einen Teil davon verständlich machen konnte. An dieser Stelle möchte ich mich vor allem bei all den Menschen bedanken, die mich bei der Fertigstellung dieser Arbeit unterstützt und begleitet haben. In erster Linie gilt dieser Dank meinen Eltern, Irma und Eduard, die mich zu einem Menschen erzogen haben, der sich solche Fragen überhaupt stellt. Ich danke ihnen nicht nur für die jahrelange finanzielle wie moralische Unterstützung, sondern insbesondere auch für ihren unerschütterlichen Glauben an mich. Dieser Dank gilt auch meinen Brüdern, Thomas und Martin, und nicht zuletzt auch meiner Tante Pia. Ich möchte mich darüber hinaus bei all meinen Freunden für die Jahre voller spannender und erkenntnisreicher Diskussionen bedanken, die mich vieles gelehrt haben. Wenn ihr mir nicht immer wieder Mut zugesprochen hättet, mich mit gutem Essen versorgt oder mich in Stunden des Zweifelns nicht aufgemuntert hättet, wäre diese Arbeit wohl nie an ein Ende gelangt. Mein Dank gilt aber insbesondere auch Frau Prof. Sybille Steinbacher, die mich trotz vieler Irrungen und Wirrungen bis zuletzt unterstützt hat. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ........................................................................................................................................... 5 1.1. Fragestellung und Aufbau der Arbeit ................................................................................. 5 1.2. Quellen und Forschungsliteratur ........................................................................................ 8 2. Franz P. Stangl – zur Person ....................................................................................................... 11 2.1. Der Weg nach Treblinka – Stangls Werdegang ............................................................. 11 2.2. Das Vernichtungslager ....................................................................................................... 22 2.3. Lagerkommandant Stangl.................................................................................................. 31 2.4. Die Flucht nach Brasilien ................................................................................................... 42 2.5. Der Ermittler – Simon Wiesenthal .................................................................................... 48 2.6. Verhaftung und Auslieferung ............................................................................................. 50 3. Franz Stangl im Prozess ............................................................................................................... 55 3.1. Der gesellschaftspolitische Hintergrund .......................................................................... 55 3.2. Die Prozessbeteiligten ....................................................................................................... 70 3.3. Feststellung von Stangls Aufgaben .................................................................................. 79 3.4. Zur Bewertung des Befehlsnotstands .............................................................................. 90 3.5. Urteil und Begründung ..................................................................................................... 102 3.6. Stangls Gespräche mit Gitta Sereny .............................................................................. 109 4. Conclusio: Zur Selbstwahrnehmung – „Mein Gewissen verurteilt mich nicht“.................... 115 5. Bibliographie ................................................................................................................................. 121 5.1. Quellen ............................................................................................................................... 121 5.2. Forschungsliteratur ........................................................................................................... 123 6. Anhang ........................................................................................................................................... 131 6.1. Abstract............................................................................................................................... 131 1. Einleitung 1.1. Fragestellung und Aufbau der Arbeit Eine Frage, die ich mir seit meiner Kindheit gestellt habe, auf die ich jedoch bislang keine befriedigende Antwort finden konnte, lautete: „Wieso konnte der Holocaust passieren? Wer waren die Täter und wer waren die Opfer?“ Jahrelang war ich der Meinung, dass nur wahrliche Unmenschen solche Verbrechen begehen konnten. Menschen, die vereinfacht gesagt, einfach böse, abnormal oder krank gewesen sein mussten, um zu tun, was sie getan haben. Angesichts der Masse an Menschen, die auf irgendeine Art und Weise am Holocaust beteiligt oder von der Vertreibung und Ermordung der Juden profitiert haben, reichte diese doch recht eindimensionale Annahme irgendwann als Erklärung nicht mehr aus. Nach der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Täterbiographien, Memoiren und Selbstzeugnissen anderer Art musste ich erkennen, dass die jeweiligen Motivlagen, Beweggründe und Handlungsmuster zu unterschiedlich waren, um daraus ein einheitliches Erklärungsmodell ableiten zu können. Als ich mich mit der Aufarbeitung des Holocaust zu beschäftigen begann, stellte ich fest, dass die Ahndung und Verfolgung von NS-Verbrechen in den Jahren nach 1945 nur sehr schleppend vorangegangen war und im Nachhinein als völlig unzureichend bezeichnet werden muss. Versäumnisse, die ich mir angesichts dieses Menschheitsverbrechens einfach nicht erklären konnte. Vor diesem Hintergrund musste ich meine ursprüngliche Frage nach dem Warum und Wer um folgenden Zusatz erweitern: „Wie gestaltete sich nach dem Zusammenbruch des ‚Dritten Reichs‘ der Umgang mit den Tätern und ihren Verbrechen.“ Um diese Fragen beantworten zu können, entschied ich mich für die Auseinandersetzung mit einem Täter, einem Leben und einer Geschichte. Meine Wahl fiel nach dem Besuch des Seminars Shoah vor Gericht, das im Sommersemester 2011 am Institut für Zeitgeschichte in Wien gehalten wurde, auf Franz Paul Stangl, den Kommandanten der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka, der 1970 in Düsseldorf zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Sobibor und Treblinka bildeten zusammen mit Belzec das Zentrum der sogenannten ‚Aktion Reinhardt‘, eine Tarnbezeichnung für den systematischen Massenmord an der jüdischen Bevölkerung des deutsch besetzten Generalgouvernements in Polen. Annähernd zwei Millionen Menschen wurden hier innerhalb kürzester Zeit ermordet. 5 Diese Arbeit stellt den Versuch dar, anhand Stangls Geschichte und seines Prozesses darzulegen, wie sich die strafrechtliche und damit verknüpft die gesellschaftspolitische Aufarbeitung von NS-Verbrechen gestaltet hat. Mit Blick auf gewisse Schlüsselstellen seines Lebens möchte ich zum einen versuchen, jene Beweggründe, Motive und Entscheidungsprozesse nachzuzeichnen, die letztlich dafür entscheidend waren, dass Stangl in nur wenigen Jahren vom unbedeutenden österreichischen Polizisten zu einem der „besten Tötungstechniker Himmlers“1 aufgestiegen war. Zum anderen soll anhand der Beschreibung seiner Flucht aus Österreich, seiner Ermittlung durch Simon Wiesenthal sowie durch die detaillierte Darstellung seines Prozesses gezeigt werden, auf welche Weise das gesellschaftspolitische Klima der 1950er und 1960er mit der strafrechtlichen Ahndung und Verfolgung von NS-Verbrechen in Verbindung steht. Darüber hinaus soll anhand Stangls Fall exemplarisch veranschaulicht werden, welche Rechtfertigungen vor Gericht vorgebracht wurden, um sich einer Verurteilung und damit verbunden der eigenen Verantwortung zu entziehen. Ich versuche in meiner Arbeit grundsätzlich chronologisch vorzugehen, weshalb ich mich im ersten Teil mit Stangls Werdegang vom österreichischen Polizisten, über seine Beteiligung am ‚NS-Euthanasieprogramm‘ bis hin zu seinem Dienstantritt in Sobibor und Treblinka widmen werde. Im Kapitel Flucht nach Brasilien wird Stangls Flucht aus dem österreichischen Untersuchungsgefängnis in Linz und sein Weg von Rom über Syrien bis nach Brasilien nachgezeichnet. Obwohl Stangl 1948 wegen seiner Tätigkeit als stellvertretender Büroleiter der Tötungsanstalt Hartheim vor Gericht gestellt werden sollte, war

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