03 März 2018 Dirk Schütz Fegefeuer der Eitelkeiten Seit vierzig Jahren gibt es das Wirtschaftsmagazin Bilanz, seit zehn Jahren ist Dirk Schütz dessen Chefredaktor. Aus der «Annabelle der Prokuristen» ist mittlerweile der Gradmesser für diejenigen Wirtschafts­ bosse geworden, deren Aktien steigen oder gerade sinken. Letztere sind mittlerweile weitaus häufiger. Interview: Matthias Ackeret Bilder: Marc Wetli Herr Schütz, die Bilanz feiert ihr 40-Jahr-Jubi- hat er sowohl bei IWC als auch jetzt bei mehr vergleichbar. Auch inhaltlich hat sich läum. Spüren Sie jetzt eher Festlaune oder Breitling angewendet. Wir haben dasselbe sehr viel getan: In den Siebzigerjahren war eher Midlife-Crisis? gemacht und dabei festgestellt, dass der der Respekt vor den handelnden Personen Eindeutig Festlaune. Vierzig Jahre sind für ein «Mann des Monats» einen zentralen Teil un- deutlich grösser als heute. Zudem hatten wir Magazin eine beachtliche Leistung, von einer serer DNA darstellt. Zentral ist auch, dass sehr viele Politiker im Blatt. Es war Traditi- Midlife-Crisis spüren wir nichts. Wir sind ja im wir Wirtschaft aus erster Hand bieten: Wir on, dass jeweils der Bundespräsident in der letzten Jahr vom zweiwöchentlichen Erschei- haben direkten Zugang zu den Akteuren Januarausgabe «Mann des Monats» war. nungsrhythmus auf das Monatsformat zurück- und leben nicht von Internetrecherche. Ge- Dies wäre heute undenkbar. Das Primat der gegangen, das hat uns einen Energieschub rade in diesen schnelllebigen Zeiten bieten Politik war in den Gründungsjahren deutlich verliehen. Wir können uns dadurch noch bes- wir Einordung und Überblick: Wir wollen spürbar. Die Wirtschaft war formalisierter ser auf unsere Stärken konzentrieren. das Signal bringen und nicht das Rauschen. und hierarchischer organisiert als heute. Der zweiwöchentliche Rhythmus hat sich also Auch anonymer. nicht bewährt? Zweifelsohne. Emotionalisierung und Perso- Der Zweiwochenrhythmus war ein Produkt «Plötzlich bekam die Wirtschaft nifizierung war unser Erfolgskonzept. Plötz- aus den Schönwetterzeiten, als die Anzeigen- ein Gesicht.» lich bekam die Wirtschaft ein Gesicht. Die märkte noch florierten. Man vergisst gerne, Bilanz ging mit weitaus weniger Respekt an dass in den Neunzigerjahren einzelne Bilanz- die Entscheidungsträger heran als beispiels- Ausgaben fast fünfhundert Seiten hatten, weise die NZZ. auch bei der Einführung des Zweiwochen- Und wir emotionalisieren und personalisie- rhythmus 2005 lief die Anzeigenkonjunktur ren. Dazu haben wir eine klare Haltung: Ob Der «Blick der Wirtschaft» oder die «Annabelle noch gut. Doch dies ist lange vorbei. Der Mo- Sika, Frankenschock oder CS-Absturz – die der Prokuristen» ... natsrhythmus entspricht auch der DNA der Leser wollen heute klare Positionen. Und Die Bilanz machte nur, was mit Fortune in Bilanz, dies zeigt sich auch beim «Mann des schliesslich wollen wir auch unterhalten: Un- den USA und dem Manager-Magazin in Monats», den wir bereits bei der ersten Aus- ser Karikaturist Peter Gut etwa ist bereits Deutschland bereits Usus war. Doch für die gabe 1977 auf dem Titel präsentierten. Zu- seit 25 Jahren dabei und setzt mit seinem Schweiz war ein Magazin, das sich auf die dem erlaubt uns die monatliche Erschei- Bonjour gleich die Tonalität des Heftes. People-Perspektive der Wirtschaft fokus- nungsweise, vertiefter zu recherchieren. sierte, ein absolutes Novum. Wie hat sich die Zeitschrift in den letzten Worauf haben Sie geachtet, als Sie zum vierzig Jahren verändert? Sie sind seit den Neunzigerjahren im Schweizer klassischen Monatsmagazin zurückkehrten? Rein optisch gibt es markante Unterschiede: Wirtschaftsjournalismus tätig, seit zehn Jahren Uhrenchef Georges Kern hat uns einmal er- Bei den ersten Bilanz-Ausgaben gab es klei- nach einem Abstecher nach Deutschland und klärt, dass er sich jeweils ins Archiv zurück- ne Schwarz-Weiss-Fotos, die von riesigen zu Cash auch Chefredaktor. Moralisch gese- ziehe, um herauszufinden, was eigentlich sei- Textflächen umgeben waren. Dies ist mit den hen: Ist die Wirtschaft in den vergangenen nen Markenkern ausmache. Dieses Prinzip heutigen, durchgestylten Magazinen nicht vierzig Jahren unanständiger geworden? 18 Dirk Schütz Fegefeuer der Eitelkeitenxxx xxx management & branding 19 03 März 2018 Auch in den Siebziger- und Achtzigerjahren Als die Bilanz 1977 startete, passierte riationen – auch mit seiner Familie – achtmal gab es sicher viel Unanständiges in der Wirt- gerade der Chiasso-Skandal der Kreditanstalt. unser Blatt zierte. Ich habe diese oft radikale schaft, nur passierte es im Verdeckten. Die Dies wäre heute nur einer von vielen. Ablehnung von Blocher nie verstanden. Für Transparenz hat in den letzten vierzig Jahren In absoluten Zahlen vielleicht schon, aber mich ist er eine faszinierende Figur. Ich habe massiv zugenommen, nicht zuletzt aufgrund damals waren die Banken auch viel kleiner. ihn in den Neunzigerjahren für die Bilanz der Digitalisierung. Zudem richtete sich we- Was in Chiasso passierte, war illegal und so- einmal nach China begleitet. Sein Gespür für gen der Lohnexzesse einzelner Manager der mit strafbar. Es würde auch heute noch für die Menschen ist beeindruckend. Fokus breiter Bevölkerungsschichten ver- grosses Aufsehen sorgen. stärkt auf die Wirtschaft. Gerüchte über In- Aber auch Daniel Vasella ist eine interessante sidergeschäfte gab es bereits früher, nur Wer war eigentlich in den vergangenen vierzig Figur. Er war lange ein Star, auf seinem konnte man nichts beweisen. Viele Manager Jahren am meisten auf dem Titel der Bilanz? letzten Bilanz-Cover fanden sich allerdings sind hierzulande in den Siebziger- und Acht- Daniel Vasella ist eindeutig der Champion. kritische Worte. zigerjahren trotz tieferer Salärpakete ext- Er war elfmal auf dem Titel, gefolgt von Man vergisst gerne, dass Vasella aus zwei rem reich geworden. Christoph Blocher, der in verschiedenen Va- mittelmässigen Firmen einen Weltkonzern 20 Dirk Schütz Fegefeuer der Eitelkeiten management & branding im Gesundheitsbereich geschaffen hat. Da- einer der Ersten, die sich mit dieser Frage Auch da war der Druck nicht besonders gross. mit hat er zweifelsohne Aussergewöhnliches auseinandersetzten. Es passierte einige Male, Offensichtlich war nur, dass sich praktisch für die Schweiz geleistet. Das Gleiche gilt dass ein Manager an seinem überzogenen alle Wirtschaftsführer gegen die Initiative auch für Marcel Ospel, der mit dem weitaus Salär scheiterte. stellten. Letztendlich passierte auch nichts. kleineren Bankverein die Bankgesellschaft Das Buch habe ich damals nicht aus morali- übernahm. Vasella hob in der Salärfrage aber scher Empörung geschrieben, sondern aus Zurück zur Salärpolitik. Warum ist diese so vollkommen ab und wurde letztendlich Op- der liberalen Sicht eines überzeugten Markt- aus dem Ruder gelaufen? fer seiner eigenen Hybris. Sein 40-Millionen- wirtschaftlers. Was mich störte, waren weni- Das ist auch ein Resultat der Globalisierung. Franken-Salär und die schlussendlich nicht ger die Summen, die sich die Manager aus- Die Grosskonzerne haben sich – auch in den bezogene Abfindung von 72 Millionen Fran- zahlten, als die Mechanismen: Es herrschte Salärfragen – um die Jahrtausendwende ken waren einfach zu viel. eine Selbstbedienungsmentalität. Es bestand stark amerikanisiert. Das Resultat waren schlicht kein Markt, der solche Löhne ge- plötzlich Lohnsprünge von zwei auf zwanzig Sie haben bereits 2005 ein Buch mit dem rechtfertigt hätte. Als das Buch vor dreizehn Millionen, die sich allerdings nur die Chefs Titel «Gierige Chefs» veröffentlicht und waren Jahren veröffentlicht wurde, war ich noch genehmigten. der erste Kritiker aus dieser Perspektive. Später hat sogar die NZZ die hohen Mana- Der langjährige Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz gergehälter kritisiert. Doch die öffentliche ist kürzlich auch an der Lohnfrage gescheitert. Debatte hat dazu geführt, dass sich vieles ge- Woran Pierin Vincenz letztendlich geschei- ändert hat: Mittlerweile müssen beispiels- tert ist, weiss bislang niemand so richtig. Man weise die Aktionäre über die Gehälter der kann diesen Fall nicht mit demjenigen von Führungsriege abstimmen. Daniel Vasella vergleichen. Das ist ein Ausfluss der Minderinitiative. Aber ist wirklich eine Besserung eingetreten? Ja, die grossen Exzesse sind vorbei. Vasella «Die grossen Exzesse sind vorbei. bekam 40 Millionen als Novartis-Verwal- Ospel bezog 26 Millionen, sein tungsratspräsident, Ospel bezog bei der UBS Nachfolger 6 Millionen Franken.» 26 Millionen, sein Nachfolger Axel Weber verdient hingegen «nur» noch 6 Millionen Franken. Der jetzige Präsident von Novartis verdient 3 bis 4 Millionen Franken, und der Dann passierte gegenüber Herrn Vincenz eine CEO bezieht jährlich etwa 8 Millionen Ungerechtigkeit? Franken. Diese Gehälter gehen für mich in Das ist noch unklar. Die Finanzmarktauf- Ordnung, letztendlich handelt es sich um sicht (Finma) hat Pierin Vincenz einen Brief anspruchsvolle Jobs mit sehr grosser Verant- geschrieben und ihm dabei mitgeteilt, dass wortung. Man vergisst gerne, dass Thomas ein Verfahren gegen ihn läuft, ohne genau zu Minders ursprünglicher Vorschlag viel radi- spezifizieren, worum es eigentlich geht. kaler gewesen wäre. Er forderte einen Lohn- Dann wurde das Verfahren eingestellt. Des- deckel für Manager. Doch das ist alles vom wegen ist es gut, dass es nun eine Straf- Tisch und marktwirtschaftlich geregelt. Man untersuchung gibt – jetzt kommt die Wahr- sollte die Wettbewerbsfähigkeit des Stand- heit ans Licht. ortes Schweiz nicht vergessen. Es kann nicht sein, dass wir plötzlich ein Gesetz
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