Albvorland - Eisenland? Mittelalterliche Eisenhütten zwischen Reutlingen und Nürtingen Martin Kempa ■ 1 Die alten verstürzten Erzgruben, soge- nannte Pingen, sind im Wald leicht zu erken- nen. Oft liegen Hunderte dieser Gruben bei- sammen und bilden ausgedehnte Felder. In den Wäldern des Albvorlandes Halde zwei bis fünf Tonnen Schlacke. Szöke aus den sechziger Jahren stüt- zwischen Reutlingen und Nürtingen Doch gibt es im „Äußeren Wald" bei zen. Das Arbeitsgebiet erstreckte sich erstreckte sich im Mittelalter zeitweise Metzingen-Neuhausen einzelne Hal- 20 bis 30 km südlich und südöstlich ein ausgedehntes Eisenhüttenrevier. den von bis zu einem Meter Höhe, in von Stuttgart entlang dem Albtrauf, Bäume wurden gerodet, Kohlenmei- denen 20 Tonnen, ja in einem Fall so- dem steilen Nordrand der Schwäbi- lerqualmten, übergroße Flächen hin- gar ca. 90 Tonnen Schlacke liegen schen Alb. Dort sind die unteren weg reihte sich Grube an Grube, aus können. Keine Urkunde spricht von Schichten des Dogger besonders denen Erz gefördert wurde. Daneben den Erzgruben, keine Chronik weiß stark ausgebildet und greifen weit standen die einfachen Verhüttungs- von Bergbau und Verhüttung in dieser nach Norden in das Albvorland aus. öfen, mit deren Hilfe das begehrte Gegend zu berichten. Es gibt keine Der Dogger Beta (Oberes Aalenium) Metall gewonnen wurde; das Eisen. historische Erinnerung an die Eisen- besteht aus etwa 75 m mächtigen To- verhüttung im Vorland der Mittleren nen. In die Tone sind mehrere Hori- Heute noch kann ein aufmerksamer Schwäbischen Alb. zonte von Kalksandsteinbänken ein- Spaziergänger überall im Wald die gelagert. Diese Ton- und Kalksand- Spuren dieser vorindustriellen Eisen- Forschung in den 60er und steinablagerungen bilden die Albvor- berge, die etwa 400 bis 500 m Höhe produktion entdecken. Besonders 90er Jahren die Pingen - verstürzte Tagebaugru- erreichen und durch tief eingeschnit- ben - sind nicht zu übersehen. Zu- In den Jahren 1993 und 1994 unter- tene Täler gegliedert sind. rück blieben kleine, trichterförmige suchte das Landesdenkmalamt Ba- den-Württemberg in Zusammenar- Gruben von vier bis fünf Metern Woher stammt das Erz? Durchmesser. Oft liegen Hunderte beit mit dem Deutschen Bergbau- dieser Schürfgruben dicht an dicht Museum in Bochum und dem Geolo- Die Pingen liegen auf den bewalde- beieinander und bedecken Flächen gischen Landesamt Baden-Württem- ten Bergrücken und Hängen der Alb- von mehreren Hektar Ausdehnung. berg die Erzabbauspuren und Eisen- vorberge in einem Streifen von 30 km Auch die Schmelzöfen haben Spuren verhüttungsplätze im Vorland der Länge und bis zu 5 km Breite, und hinterlassen. Beim Verhütten fallen Mittleren Schwäbischen Alb im Rah- zwar immer im Bereich des Dogger große Schlackenmengen als Abfall an. men eines Forschungsprojektes, das Beta. Man findet sie oft knapp ober- Diese Eisenschlacken hat man neben von der Volkswagen-Stiftung geför- halb und unterhalb einer markan- den Öfen zu kleinen Halden aufge- dert wurde. Dabei konnten wir uns ten Kalksandsteinstufe, die nach ei- schüttet. In der Regel birgt so eine auf Vorarbeiten des Geologen Laszlo nem Leitfossil als Concavasandstein 212 bezeichnet wird. Entsprechend dem unterschiedlichen Ausstreichen der erzführenden Schichten bilden die Pingen auf Verebnungen große, flä- chige Felder oder an steilen Abhän- gen schmale, kettenförmige Reihen, die den Höhenlinien folgen. Abge- baut wurden Toneisensteingeoden und Eisenkrusten, die einen FejOj- Cehalt von bis zu 60% aufweisen. In diesem Gebiet hat Laszlo Szöke Anfang der 60er Jahre Pingen und SchlacKenplätze kartiert. Sein vor- rangiges Ziel war, die ausgebeuteten Eisenerzvorkommen zu identifizie- ren. Auf Markung Linsenhofen gelang es ihm, einen Verhüttungsofen zu erfassen und in das 7./8. Jahrhundert n.Chr. zu datieren. Alles wies darauf hin, daß auch die übrigen Verhüt- tungsplätze in diesen Zeitraum gehör- ten. Neue Ausgrabungen an einem Verhüttungsplatz in Metzingen „Kur- leshau", die schon vor dem Beginn des erwähnten Forschungsprojektes im Jahr 1990 durchgeführt wurden, führten jedoch zu einer Überra- schung; Dort ist am Ende des hohen Mittelalters, etwa im 12./13. Jahrhun- dert, eine Eisenhütte betrieben wor- den. Im Laufe von mineralogischen und metallurgischen Untersuchun- gen an den Verhüttungsabfällen stell- te sich dann heraus, daß diese An- lage und weitere hochmittelalterliche Schmelzöfen in der Umgebung die Anfänge dertechnischen Entwicklung weg vom altertümlichen Rennofen und hin zum effizienten Hochofen dokumentieren. Seitdem können wir im Vorland der Mittleren Alb zwei Ka- tegorien von Verhüttungsplätzen un- terscheiden: frühmittelalterliche Plät- ze des 6. bis 9. Jahrhunderts und hochmittelalterliche Plätze des 12/13. Jahrhunderts. Es hat sich eingebürgert, die frühmittelalterlichen Fundstellen als Typ Frickenhausen und die hoch- mittelalterlichen als Typ Metzingen zu bezeichnen. halden. Die östliche, größere hatte ei- ■ 2 Ausgegrabene Verhüttungsplätze im nen Durchmesser von 5 m und war Vorland der mittleren Schwäbischen Alb: Frühmittelalterliche Renn- 80 cm mächtig. Man kann die Masse 1 Frickenhausen-Linsenhofen „Hirschplan", der Schlacken in der Halde auf maxi- öfen bei Frickenhausen Ausgrabung Szöke 1965. mal neun Tonnen schätzen. Direkt ne- 2 Frickenhausen-Linsenhofen „Benzenhau", Östlich der Gemeinde Frickenhausen ben der Halde wurde der Verhüt- Ausgrabung 1993. haben wir einen ganz auffälligen tungsofen freigelegt. Erhalten war nur 3 Beuren „Weiläcker", Ausgrabung 1993. Verbreitungsschwerpunkt von Pingen die grauschwarze, hart verziegelte 4 Crafenberg „Kurleshau", Ausgrabung 1993. und Schlackenhalden festgestellt. In Ofensohle, die an den Rändern teil- 5 Metzingen „Kurleshau", Ausgrabung 1990 diesem Areal wurden 1993 elf Schlak- weise ausgebrochen war. Im Ofen lag 6 Metzingen-Neuhausen „Äußerer Wald", kenhalden mittels kleiner Sondagen das Bruchstück einer Windform aus Ausgrabung 1993. untersucht. Die Verhüttungsöfen vom hart gebranntem Ton, noch 15 cm Typ Frickenhausen waren ebenerdig lang, Durchmesser des Düsenkanals ■ 3 Ausgrabung an einem Verhüttungs- errichtete, recht kleine Gebilde. Sie 3 cm. Ursprünglich war die Windform platz im „Benzenhau" bei Frickenhausen. sind deshalb außerordentlich schlecht in den Ofen eingebaut, so daß außen Neben den Pingen liegen zwei Schlacken- erhalten. In der Regel trifft man nur ein Blasebalg angesetzt und der Luft- halden, direkt daneben wurde ein Rennofen noch den untersten Rest der verzie- strom zum Anfachen der Glut in das erfaßt. gelten Ofensohle an. Am besten er- Ofeninnere geleitet werden konnte. halten war ein Befund im Gewann Zahlreiche weitere Fragmente gleich- „Benzenhau". Unmittelbar neben den artiger Windformen fanden sich in der Pingen eines ausgedehnten Schürf- Schlackenhalde. Dieser Windformtyp grubenfeldes lagen zwei Schlacken- kommt im frühen Mittelalter weit ver- 213 breitet vor, und er ist charakteristisch Was berechtigt uns, alle diese Fund- für die frühmittelalterlichen Verhüt- stellen zusammenzufassen und zu tungsplätze im Albvorland. vermuten, daß dort überall der glei- che Ofentyp betrieben wurde? Die Trotz des dürftigen Erhaltungszustan- Schlackennalden vom Typ Fricken- des möchte ich es wagen, gewisser- hausen haben eine Reihe von Merk- maßen auf der verziegelten Ofensoh- malen gemeinsam. Sie sind recht le, die wir freigelegt haben, eine Re- klein mit einem Durchmesser zwi- konstruktion zu errichten. Der Ofen schen drei und fünf Metern - das war ebenerdig aus Lehm aufgebaut oben vorgestellte ausgegrabene Bei- und hatte eine muldenförmige Sohle. spiel mit fünf Metern Durchmesser ■ 4 Rekonstruktion eines Rennofens, wie Projiziert man ein kleines Ofenwan- und einer geschätzten Schlacken- er vom 7. bis zum 9. Jahrhundert n.Chr. im dungsstück, das noch in ursprüngli- masse von neun Tonnen gehört Albvorland in Gebrauch war. Die Öfen von cher Position saß, auf die gegenüber- schon zu den größeren Halden. Nicht etwa 70 cm Durchmesser hatten einen fla- liegende Seite, ergibt sich der Durch- selten bilden sie kleine Gruppen von chen Herd. Die Schlacke sammelte sich nicht messer des Ofeninnenraumes von ca. zwei, drei oder auch vier Plätzen. Die in einer Grube, sondern mußte während des 50 cm. Der Ofenschacht hatte am Schlackenhalden sind ganz charakte- Betriebs mehrmals abgestochen werden. Boden ca. 18 cm starke Wände und ristisch zusammengesetzt. Sie beste- kann nicht allzu hoch gewesen sein. hen zu einem Drittel aus typischen Sicher reichte er nicht höher als einen Fließschlacken, also abgestochener Meter, eher war er niedriger. Die Dü- Schlacke, die teils kristallin erstarrt sen - ich setze einmal mehrere Düsen ist, gar nicht so selten kommen aber voraus - waren schräg eingebaut und auch glasig erstarrte Fließschlacken ragten ein beträchtliches Stück in den vor. Otenschlacken - große, poröse, Ofeninnenraum. Die Schlacke wurde mit Holzkohleabdrücken durchsetzte ebenerdig abgestochen. Brocken, die am Ende der Ofenreise im Herd zurückblieben - stellen ein Östlich von Frickenhausen und Lin- weiteres Drittel. Das restliche Drittel senhofen sind 118 Schlackenfundstel- besteht aus oft ebenfalls kopfgroßen, len erfaßt worden. Darüber hinaus ziemlich leichten, schaumig aufge- findet man einzelne Halden nordöst- blähten Schlacken, an deren Ent- lich anschließend im Tiefenbachtal stehung wohl die Ofenwand einen und auf den Höhen des Dogger Beta großen Anteil hatte. Hinzu kommen zwischen Tiefenbachtal und Dettin- noch Fragmente der charakteristi- gen/Teck nördlich des Städtchens schen, röhrenförmigen Windformen, Owen. Insgesamt
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