Vasiliki Tsamakda Kunst und Stifterwesen auf dem Land am Beispiel Kretas Kreta eignet sich besonders gut für eine Untersuchung des ausgemalt, in der Zeit der venezianischen Herrschaft (1211- Kunstschaffens auf dem Land, denn die Insel bietet für den 1669) 7 , in der die orthodoxe Kirche systematisch unter Druck Zeitraum vom 10./11.-16. Jahrhundert eine einmalige Dichte gesetzt wurde 8 . Dieser Umstand bietet einen besonders span- an Wandmalereien, die sich im Hinterland befi nden. Auch nenden Rahmen für die folgenden Beobachtungen. wenn es an Kunstobjekten anderer Gattungen nicht mangelt, etwa an illustrierten Handschriften und natürlich vor allem an Ikonen, die allerdings erst ab dem 15. Jahrhundert allmählich Die kretische Wandmalerei im Kontext der die Oberhand gewinnen und die Wandmalereien verdrängen, byzantinischen Kunst sollen die Wandmalereien den Schwerpunkt dieses Beitrags bilden. Die Kunst Kretas nimmt aus den genannten Gründen eine Aus dem genannten Zeitraum haben sich auf Kreta fast besondere Stellung innerhalb der byzantinischen, speziell 1000 ausgemalte Kirchen mit byzantinischen Wandmalereien der spätbyzantinischen Kunst ein, vor allem wenn man be- erhalten. Sie repräsentieren etwa die Hälfte des Bestandes denkt, dass aus den letzten Jahrhunderten der byzantinischen von ganz Griechenland (7.-15. Jh.) 1 . Kreta bietet ferner die Herrschaft in der Hauptstadt Konstantinopel nur wenige Mo- meisten datierten Kirchenausmalungen 2 und auch die meis- saik- und Wandmalereikomplexe erhalten geblieben sind. Die ten namentlich bekannten Maler des gesamten byzantini- herrschenden Stilentwicklungen sind zwar auch aus anderen schen Raums 3 . Auf Kreta arbeiteten mehrere Malereiwerk- großen Zentren des Byzantinischen Reichs bekannt, allen stätten, deren geographische und chronologische Aktivität voran Thessaloniki 9 , deren Malereiwerkstätten die Bedürf- gut fassbar ist. Ihre Erforschung trägt maßgeblich zur Erwei- nisse nicht nur der Stadt Thessaloniki selbst, sondern auch terung unserer Kenntnisse über die Struktur, Organisation des gesamten makedonischen Raums abdeckten. Die größte und Arbeitsweise der byzantinischen Malereiwerkstätten bei 4 . Anzahl von ausgemalten Kirchen fi ndet sich jedoch auf dem Schließlich weisen die ausgemalten Kirchen Kretas eine Fülle Land. Ihre Bedeutung für die traditionelle Kunstgeschichte von Stifterinschriften 5 und Stifterporträts auf 6 , die uns die liegt darin, die Kunst der großen byzantinischen Zentren Umstände der Entstehung der Kirchen bzw. ihrer Ausstat- zu refl ektieren bzw. mit ihrer Hilfe die verlorene Kunst der tung, ihre Funktion und gesellschaftliche Aufgabe erläutern. Hauptstadt Konstantinopel zu rekonstruieren. Der Wert die- All dies sind ideale Voraussetzungen, die Kunst und Kultur ser Wandmalereien wird von vielen Forschern daran gemes- einer bestimmten Region zu untersuchen und zu verstehen. sen, inwieweit sie erkennbar unter dem Einfl uss der haupt- Die kretischen Kirchen datieren vom 10./11.-16. Jahrhundert, städtischen Kunst standen oder nicht. Die Bewertung dieser sie wurden aber überwiegend im 14. und 15. Jahrhundert »provinziellen« Kunst seitens der Forschung ist häufi g sehr 1 Chatzidakis, Mnēmeiakē zōgraphikē 380. Gerola, Elenco listet in seinem Ka- sich in Westkreta in der ersten Hälfte des 14. Jhs. lokalisieren lässt, s. Sucrow, talog 809 Kirchen auf, Lassithiotakis ergänzte in Gerola / Lassithiotakis, Katalo- Pagomenos und Tsamakda, Kakodiki 128-131. Für allg. Beobachtungen vgl. gos weitere 31 Kirchen. Diese Listen sind jedoch nicht vollständig. Heute sind auch Tsamakda, Kakodiki 245-251. schätzungsweise ca. 750 von diesen Kirchen in einem guten Erhaltungszustand, 5 Zu den Stifterinschriften Kretas s. Xanthoudidis, Epigraphai; Gerola, Monumenti mehrere Wandmalereien sind weiß übertüncht und einige Kirchen sind inzwi- Veneti IV; Tsougarakis / Aggelomati-Tsougaraki, Epigraphes 1; Tsougarakis / Ag- schen eingestürzt; s. auch Kalokyris, Krētē 35-37. Bissinger, Kreta 12 schätzt gelomati-Tsougaraki, Epigraphes 2; Tsougarakis / Aggelomati-Tsougaraki, Epi- die Anzahl der ausgemalten Kirchen Kretas auf über 1000 ein; vgl. Tsamakda, graphes 3. – Für eine erste Auswertung der Stifterinschriften s. Bissinger, Kreta Kakodiki 13. in mittel- u. spätbyz. Zeit 918-924. 2 Die Mehrheit der datierten Kirchenausmalungen Kretas wurden von Spathara- 6 Zu den kretischen Stifterporträts s. vor allem Gerola, Monumenti Veneti III 327- kis, Dated wall paintings vorgestellt. 339 und Maderakis, Prosōpographia. 3 Für die namentlich bekannten Maler Kretas und für eine unvollständige Liste 7 Zur Geschichte Kretas in der Zeit der venezianischen Herrschaft s. allg. Detora- der kretischen Malernamen s. Kalokyris, Krētē 47-50. 51-56 (Tabelle). 22 % kis, History of Crete; Manoussacas, Creta; Maltezou, Krētē; Maltezou, Istoria; der Stifterinschriften Kretas erwähnen Malernamen, hingegen nur 10 % in den vgl. Tsamakda, Kakodiki 17-30. anderen byzantinischen Regionen der spätbyzantinischen Kunstlandschaft; s. 8 Zur kirchenpolitischen Situation Kretas in der Zeit der venezianischen Herrschaft dazu Kalopissi-Verti, Zōgraphoi 145. s. allg. Thiriet, Églises; Manoussacas, Venetika engrapha; Detorakis, History of 4 Nur wenige kretische Malereiwerkstätten wurden bisher untersucht. Für die Crete, 176-183 und ausführlich Bolanakis, Ekklēsia; Tsamakda, Kakodiki 25-30. Werkstatt des Manuel und Ioannes Phokas, die in Ostkreta im 15. Jh. aktiv war, 9 Zur Wandmalerei Thessalonikis in mittel- und spätbyzantinischer Zeit s. Xyn- s. Gouma-Patterson, Manuel and John Phokas; zur Werkstatt des Theodoros gopoulos, Thessalonique; Kissas, Salonique; Samardžić, Thessalonique; Mav- Daniel und Michael Veneris, die in Westkreta zu Beginn des 14. Jhs. aktiv war, ropoulou-Tsioumi, Thessalonikē; Papazotos / Kambouri, Thessalonikē; Voko- s. Maderakis, Venerēs; zur Werkstatt des Ioannes Pagomenos, deren Aktivität topoulos, Thessalonikē. Kunst und Stifterwesen auf dem Land am Beispiel Kretas | Vasiliki Tsamakda 219 negativ und pauschal. So urteilte Doula Mouriki in ihrer Un- lung der Beweinung Christi (Threnos) (Abb. 2). Das Thema tersuchung der großen byzantinischen Kunstzentren für den begegnet in der byzantinischen Wandmalerei erst ab der Anfang des 14. Jahrhunderts, die restliche Kunst Griechen- zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, als frühestes Beispiel lands sei generell von niedrigem Niveau und enttäuschend 10. gilt die Darstellung in der Panteleimon-Kirche in Nerezi bei Eine solche Einstellung den »provinziellen« Werken gegen- Skopje, die vermutlich 1164 entstanden ist 18. In dieser Zeit, über ist allerdings kontraproduktiv, denn sie verschließt den also vor der venezianischen Herrschaft, ist auf Kreta eine Zugang zu wichtigen Monumenten und verzerrt letztendlich schnelle Rezeption der herrschenden byzantinischen Stilidi- die Wahrnehmung der gesamten byzantinischen Kunst, die ome und ikonographischen Neuerungen festzustellen. nicht nur durch die hauptstädtischen Werke defi niert werden Ab dem 13. Jahrhundert sind in der byzantinischen Kunst kann. Sie versperrt zudem den Blick auf Denkmälergruppen, hauptsächlich zwei Stiltendenzen greifbar: zum einen der die unabhängig von ihrem ästhetischen auch wegen ihres Volumenstil, der von einer plastischen, dreidimensionalen kulturhistorischen Werts beachtenswert sind. Wiedergabe der Körper und Architekturen wie auch von klas- Angesichts der sehr spärlichen schriftlichen Überlie- sizistischen Tendenzen gekennzeichnet wird. Hervorragende ferung über das Hinterland in der Zeit der venezianischen Vertreter dieser Stilrichtung fi nden sich überwiegend in den Herrschaft 11 haben die Kirchen Kretas auch einen kultur- großen byzantinischen Kunstzentren wie Konstantinopel und historischen Wert, denn sie selbst sind die nahezu einzigen Thessaloniki 19. In den Provinzen wird dieser Stil rezipiert, Dokumente, die uns über die Lebensumstände, Ansichten, gleichzeitig ist aber zum anderen ein Rückgriff auf die lineare gesellschaftlichen Strukturen sowie allgemein über Religion Kunst des 11. Jahrhunderts festzustellen 20. und Kultur im Hinterland Kretas informieren 12. Das 13. Jahrhundert ist das erste Jahrhundert der venezi- Beginnen wir jedoch mit den Wandmalereien der zahl- anischen Herrschaft auf Kreta. Während des vierten Kreuz- reichen Kirchen Kretas und ihrer Bedeutung im Rahmen der zuges wurde die Insel von Kaiser Alexios IV. Angelos (1203- byzantinischen Kunst 13. 1204) an den Markgrafen Bonifatius von Montferrat, den Kreta bietet sich auch hervorragend als »Refl ektor« der Anführer des Kreuzzuges, verkauft. Kurz nach der Eroberung bekannten oder verlorenen Kunst Konstantinopels an. So Konstantinopels 1204 verkaufte Bonifatius seinerseits die In- fi nden sich auf der Insel bedeutende Vertreter aller wichti- sel weiter an die Venezianer. Es folgten sieben Jahre Kämpfe gen Kunstströmungen der mittel- und spätbyzantinischen zwischen Venezianern und Genuesern um die Herrschaft über Zeit, deren Ausgangspunkt in Konstantinopel vermutet wird. Kreta, aus denen Venedig als Sieger hervorging. Mit der Con- Anders als in der früheren Forschungsliteratur behauptet 14, cessio Cretae begann 1211 auch offi ziell die venezianische bietet Kreta eine Reihe von Vertretern des spätkomnenischen Herrschaft auf Kreta, die über vierhundert Jahre bis 1669 Stils, für den manieristische dynamische Stilelemente charak- dauerte. Kreta hieß jetzt Regno di Candia 21. teristisch sind 15. Hierfür ist in erster Linie die Georgskirche in Die neue politische Situation hatte zur Folge, dass die Kournas (Präfektur Chania, Bezirk Apokoronas)
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