Walter Wörz und Manfred Schmidtke

Das Ende des Zweiten Weltkriegs unterm Rosenstein

„Die Freiheit der Person ist wieder hergestellt“ Eine Dokumentation

gestaltet von Karl Degendorfer Impressum

Autoren: Walter Wörz, Dr. Manfred Schmidtke

Konzeption, Gestaltung und Bildbearbeitung: ka.de.sign. | Karl Degendorfer

Druck: bzwDobler – Werbung | Events | Print | Verlag –

Die Bilder stammen aus dem Archiv der Autoren und aus privatem Besitz. Folgende Bilder wurden uns freundlicherweise überlassen: Titelbild von Erwin Hafner Bilder zum Fliegerhorst Schwäbisch Hall von Michael Sylvester Koziol Bilder vom Luftangriff auf vom Stadtarchiv Aalen Bilder aus dem Fotoarchiv Boger, Das Umschlagbild vorn zeigt einen Pershing-Panzer mit amerikanischen Soldaten beim Einmarsch in Aalen. Das Zitat stammt aus dem Böbinger Gemeinderatsprotokoll vom 5.6.1945. Das Umschlagbild hinten zeigt das Mahnmal auf dem Friedhof in Heubach.

Herausgeber: Geschichts- und Heimatverein Böbingen e.V.

© Geschichts- und Heimatverein Böbingen e.V.

März 2016 Inhalt

Walter Wörz: Vorwort...... 6 Das Ende des Zweiten Weltkriegs unterm Rosenstein, Vorgeschichte...... 7 Der Fliegerhorst Schwäbisch Hall-Hessental...... 10 Der Luftkrieg in Württemberg...... 15 Luftkrieg über dem Rosenstein...... 18 Die militärische Besetzung Württembergs 1945...... 26 Militärische Einheiten in unserem Heimatraum...... 29 Das Massaker von Lippach bei Westhausen am 22. April 1945...... 31 Kriegsende in Schwäbisch Gmünd...... 36 Kriegsende in Böbingen...... 44 Was ist geblieben?...... 54 Epilog...... 55 Literaturverzeichnis...... 56 Die Opfer des Zweiten Weltkriegs (Böbingen)...... 58

Dr. Manfred Schmidtke: Das Kriegsende in Heubach...... 62 1. Der Krieg bis Stalingrad, 2. Die „Fremdarbeiter”, 3. Das „Wehrertüchtigungslager”, 4. Luftkrieg und Stollenbau, 5. Der Bodenkrieg, 6. Heubach am 23./24. April 1945, 7. Die amerikanische Besatzung, 8. Die Flüchtlinge, 9. Der Aufbau der Demokratie, 10. Literatur / Dokumente / Dank Die Opfer des Zweiten Weltkriegs (Heubach) ...... 84 Anhang Albert Deibele, Das Kriegsende 1945 im Kreis Schwäbisch Gmünd ...... 86 Böbingen/Rems, Ortsteil Unterböbingen, Ortsteil Oberböbingen...... 88 Beiswang, Heubach, Beuren, Buch, Lautern ...... 95 Bartholomä ...... 96 Mögglingen, Hermannsfeld ...... 101 Das ‚Kriegerdenkmal’ auf dem Friedhof in Unterböbingen.

4 Das ‚Kriegerdenkmal’ auf dem Friedhof in Oberböbingen.

5 Vorwort

Ausgiebige Recherchen in Archiven und einem Augenzeugenbericht von Erwin Hafner über den das Lesen vieler Augenzeugenberichte für Luftangriff auf Aalen am 17. April 1945. meinen Vortrag „Das Ende des Zweiten Leider ist es auch auf amerikanischer Seite zu einem Weltkrieges in unserem Heimatraum” Kriegsverbrechen gekommen. Lokales Beispiel dafür ist und der Wunsch eines breiten Publi- das „Massaker von Lippach” am 22. April 1945. Wer kums, dieses Wissen zu erhalten, haben „zwischen den Zeilen lesen kann”, erkennt vielleicht die mich dazu inspiriert, diese Dokumenta- vermutlichen Ursachen dieser Tragödie. tion zu schreiben. Auch habe ich die letzten Kriegstage in meiner damali- Es ist nicht möglich, allumfassend zu be- gen Heimatstadt Schwäbisch Gmünd beschrieben und richten, deshalb kann ich nur den ame- nicht zuletzt den Einmarsch der Amerikaner in mei- rikanischen Vormarsch in Württemberg nem jetzigen Heimatort Böbingen. Gerade zu diesem in seiner Gesamtheit und an einigen Bei- ereignisreichen Kapitel halfen mir einige Augenzeugen spielen ausgewählter Orte meiner Heimat mit interessanten Beiträgen: darstellen. Herzlich bedanke ich mich bei Adelbert Krieg, Bern- So lesen Sie zum Beispiel über den Flie- hard Wiedmann, Tassilo Steeb sowie Inge und Fritz gerhorst „Schwäbisch Hall – Hessental, Heinz. Zeitgenössische Berichte in den Tageszeitungen dass es auf deutscher Seite waffentech- Gmünder Tagespost (Gustl Bonnet, Erwin Hafner) und nisch neue sensationelle Entwicklungen in der Rems-Zeitung (Alois Kuhn, Klaus Kyllinger) wa- gab. Der erste serienmäßig gebaute Dü- ren mir eine wertvolle Hilfe. senjäger der Welt, die Me 262, wurde dort Ergänzende Berichte sind mir jederzeit willkommen. eingeflogen. Dr. Manfred Schmidtke hat die letzten Kriegstage in Heubach erforscht, sein Bericht ist nach den Böbinger Für das mir von Herrn Michael Sylvester Ereignissen abgedruckt. Koziol zur Verfügung gestellte Bildma- terial bedanke ich mich an dieser Stelle Mein besonderer Dank gilt Herrn Karl Degendorfer, ausdrücklich. der durch sein unermüdliches Engagement in der Text- und Bildgestaltung wesentlichen Anteil an der Realisie- Die alliierte Luftüberlegenheit 1944/45 rung dieses Buches hat. ist allgemein bekannt. Ein eigenes Ka- pitel berücksichtigt dies, verbunden mit Walter Wörz 6 Der Luftkrieg gebaute Version B 17G hatte im Bug, an in Württemberg den Seitenfenstern, auf dem Flugzeugrü- cken und im Heck eine Bewaffnung von (Walter Wörz) insgesamt 13 Maschinengewehren. Diese ungewöhnlich starke Bewaffnung sollte den Bombern ausreichenden Schutz vor angreifenden Abfangjägern gewäh- ren. Die Standard-Bombenzuladung be- trug etwa 2000 kg bei einer Reichweite von ca. 1290 km. Die Besatzung bestand in der Regel aus zehn Soldaten. Vergleichbare britische Großflugzeuge (Avro Lancaster) wurden ab 1942 in Dienst gestellt. Die deutsche Luftwaffe hatte keinen einsatzbereiten viermotori- B 17 – ‚Flying Fortress’. gen Bomber. Die Briten haben bei Nacht- angriffen den Löwenanteil der Schäden Schon vor dem Krieg konstruierten die Amerikaner in unseren Städten angerichtet, mussten die ersten viermotorigen Langstreckenbomber B 17 dabei aber auch – bisher wenig erwähnt „Flying Fortress” („Fliegende Festung”). Die zuletzt – hohe Verluste hinnehmen, verursacht

‚Mustang’ P 51-D. ‚Mustang’ P 51-D als ‚gläsernes Modell’ (Revell).

durch die Flak und durch deutsche Nachtjäger, die sich meist schon über Bel- gien in die Bomberströme einschleusten. Insgesamt verlor die Royal Air Force im Kampf gegen Deutschland 79.281 Sol- daten und ca. 22.000 Flugzeuge, die US Luftwaffe hatte ähnlich hohe Verluste: 79.265 Soldaten und ca. 18.000 Flug- zeuge aller Art. (Beiwort zum Histori- ‚Thunderbolt’(P 47). schen Atlas von Baden-Württemberg, hier: Kriegsschäden, von Heinz Bardua, S. 1). 15 Die meisten Flächen-Luftangriffe in Württemberg erlebte Mannheim: 151 Angriffe (Zerstörungsgrad 51%; 3000 Tote). In Stutt- gart betrug der Zerstörungsgrad ‚nur’ 34,6% (4562 Tote und über 52.000 zerstörte Wohnungen), dank seiner günstigen topographischen Lage (nebliger Talkessel) und aufgrund geschickter Tarnmaßnahmen: Eine Attrappe des Hauptbahnhofes inmitten imitierter Gleisanlagen war bei Lauffen a. N. auf freiem Feld aufgebaut wor- den und zog zahlreiche, für die Landeshauptstadt be- stimmte, Bomben auf sich. Vor allem aber ist es der starken Abwehr durch Jäger, Nachtjäger und Flak zu verdanken, dass die Angriffe auf B 24 die Landeshauptstadt die alliierten Erwartungen nicht erfüllen konnten. Die britische Luftwaffe verlor allein über Stuttgart 206 Maschinen mit je 7 Besatzungsmitgliedern. 1944 war für die Royal Air Force mit 2573 nicht heimgekehrten Bom- bern das verlustreichste Kriegsjahr. Die deutsche Luftabwehr dürfte zumindest bis Mitte 1944 den Einwohnern der Städte noch größere Verluste erspart haben. Dennoch ist der Zerstörungsgrad, wie die folgenden Beispiele zeigen, recht hoch: Friedrichshafen 47%, Heilbronn 57%, Ulm 43%. Der ganze Wahnsinn dieses ‚Bombenkrieges’ wird am 23. Februar 1945 in Pforzheim deutlich: Da es keine deutsche Luftabwehr mehr gab, konnten die britischen Bomber unbehelligt Spreng- und Brand- bomben abwerfen. Etwa 17.000 Menschen kamen ums Leben. An zweiter Stelle folgt Heilbronn mit 7071 Toten, das – wie Ulm mit 1710 Toten – ebenfalls der Royal Air Force zum Opfer gefallen ist. Bei einem amerikanischen An- griff auf Bruchsal kamen insgesamt 1062 Menschen ums Leben. Mit Pforzheim zusammen erreichte Bruchsal mit etwa 70% den relativ höchsten Zerstörungsanteil. Stuttgart mit 52.034 und Mannheim mit 44.141 zer- störten Wohnungen wiesen dagegen bei Kriegsende die absolut höchsten Zahlen an unbewohnbaren Ge- bäuden auf. Die Folgen der alliierten Luftangriffe in Baden-Württemberg. 16 Mit Rücksicht auf die bessere Treffsicherheit flogen die tions- und Zielortungsgeräten die Präzi- Amerikaner ausschließlich Tagangriffe. Die 8. US Air sion ihrer Bombenangriffe steigern und Force (Luftflotte) operierte von ihren schottischen -Ba gleichzeitig der Zivilbevölkerung immer sen aus, die seit Ende 1942 bestanden. Hinzu kam im höhere Verluste zufügen. Laufe des Jahres 1944 die 15. US Air Force, die bei Ta- Zu Angriffsbeginn wurden ganze Stadtge- geslicht von italienischen Flugplätzen aus operierte und biete mit Leuchtbomben oder Rauchzei- in unserem Raum vor allem Ziele im Bodenseegebiet, chen als Zielraum markiert. Die nachfol- insbesondere das Rüstungszentrum Friedrichshafen, gende Bomberwelle riss im Zielgebiet zu- angriff. nächst durch Abwurf riesiger Luftminen Dächer, Fenster und Türen auf. Auf Kosten der Bombenlast wurden die amerikani- schen B 17 Fortress- und B 24 Liberator-Langstrecken- Darauf setzten gewaltige Mengen von bomber mit einer überaus starken Abwehrbewaffnung Brandbomben ganze Häuserblocks in versehen. Sie sollten sich im dicht aufgeschlossenen Flammen, dazwischen eingestreute Verband auch am Tage ohne Begleitjäger gegen die Sprengbomben sollten die Löschkräfte der Angriffe der deutschen Standard-Jagdflugzeuge Me 109 Feuerwehr und des Luftschutzes so lange und Fw 190 behaupten können. in Schach halten, bis der Sog durch die Hitze hochgewirbelter Luftmassen den Diese Annahme erwies sich im Herbst 1943 allerdings gefürchteten Feuersturm entfachte, der in als falsch. Die Amerikaner verloren doch relativ viele dicht bebauten Gebieten kaum mehr auf- Maschinen. zuhalten war und vielen Menschen zum Erst als die Bomberformationen von den überlegenen Verhängnis wurde. Langstreckenjägern der Typen „Mustang” (P 51-D), „Thunderbolt” (P 47) und „Lightning” in ausreichen- Trotz Luftherrschaft ist es den Alliierten der Zahl begleitet werden konnten, sanken die Verluste insgesamt nicht gelungen, den Wider- der US Luftwaffe wieder auf ein erträgliches Maß. standswillen der deutschen Bevölkerung zu brechen. Selbst Kreise, die dem NS- ¶ Die deutsche Luftwaffe konnte die alli- System ablehnend gegenüberstanden, ierte Luftüberlegenheit 1944 nicht mehr aufhal- erwarteten von Staatsmännern, die einen ten, der Düsenjäger Me 262 kam aufgrund einer Fehlentscheidung Hitlers zu spät. 1945 konnten offenbar wahllosen Vernichtungskrieg die alliierten Bomber und Jäger nahezu unbe- gegen Wehrlose führten, nichts Gutes. helligt jedes Ziel angreifen und vernichten. Am 6. April ordnete Churchill die Ein- stellung der Luftangriffe auf Stadtge- Der seit 1942 an der Spitze des britischen Bomberkom- biete an, weil sonst, wie er befürchtete, mandos stehende Sir Arthur Harris wollte durch nächt- die Alliierten in Deutschland statt der liche Flächenangriffe auf deutsche Städte die Industrie benötigten Unterkünfte nur noch einen zerschlagen und den Widerstandswillen der Bevölke- Trümmerhaufen vorfinden würden. rung brechen. Dies ist ihm im Grunde nie gelungen. Die Amerika- ner verfolgten ähnliche Ziele, allerdings – wie schon erwähnt – durch Angriffe am Tage. Seit 1943 konnten die Alliierten mit neuen Naviga- 17 Die militärische Besetzung Württembergs 1945 (Walter Wörz)

Wie schon eingangs erwähnt, endete für uns der Zweite Weltkrieg nicht erst am 8. Mai 1945 – dem offiziellen Tag der bedin- gungslosen Kapitulation Deutschlands – sondern bereits am 22. April 1945. Dafür gibt es eine einfache, allgemein wenig bekannte Erklärung: Die Sowjets und auch der britische Ge- neral Montgomery wollten so schnell wie möglich Berlin einnehmen. Der westalli- ierte Oberkommandierende General Ei- senhower jedoch vertrat Ende März 1945 die Ansicht, ¶¶ dass Berlin kein wichti- ges militärisches Ziel sei.

Durch Bombenangriffe zerstört und von der Naziregierung geräumt, hatte die Stadt in seinen Augen keinen besonderen Vormarsch der Alliierten in Württemberg. Wert mehr. Stalin bestärkte diese Ansicht in einem Brief: richten und den Krieg von dort aus fortführen. ¶¶ „Ich glaube wie Sie, dass Berlin jeg- Er ließ daher – und auch in Folge von Gebietsstreitig- liche Bedeutung verloren hat, und keiten mit dem französischen General de Gaulle – nach habe die Absicht, dafür nur unter- geordnete Kräfte einzusetzen.” der Überquerung des Rheins am 23. März 1945 die 7. US Armee (General Patch) relativ schnell nach Süden (Cartier, Der Zweite Weltkrieg, S. 984) schwenken. (Karte oben und rechts) Eisenhower wollte insbesondere verhindern, dass die Franzosen Stuttgart Natürlich war dies rundweg gelogen, aber besetzten und besetzt hielten. Eisenhowers Hauptinteresse galt nun- mehr dem Ruhrgebiet. Hier konnten die ¶ De Gaulle: „Unser Einsatz hat das Ziel, US-Streitkräfte schließlich 325.000 deut- Frankreich auf Dauer hier zu etablieren.” sche Soldaten gefangen nehmen. Außer- dem glaubte Eisenhower, die Wehrmacht Eisenhower ärgerte sich über die Eigenmächtigkeiten und Waffen-SS-Verbände wollten in Süd- seines nervösen Verbündeten und befahl daher General deutschland eine Art „Alpenfestung” er- Patch – ganz entgegen der Strategie des kräfteschonen- 26 Alliierte Offensiven 1945. den Einmarsches – gegen die deutschen Widerstands- linien an Enz und Kocher anzutreten. Löwenstein und Waldenburg fielen bei diesen Opera- tionen in Trümmer.

Die 19. Armee (General Erich Brandenberger) auf deut- scher Seite bestand fast ganz aus improvisierten, neu zusammengestellten Polizei-, Zollgrenzschutz-, Siche- rungs- und Volkssturmeinheiten. Die Gesamtstärke von ca. 50.000 Mann (7. April) täuscht.

Tatsächlich war der Mangel an Material gravierend, Artillerie und Panzerabwehr waren schwach, über Pan- Von oben nach unten: Eisenhower, zer und Sturmgeschütze verfügte die Armee überhaupt Rheinüberquerung bei Oppenheim, nicht. US-Vormarsch. 27 Schließlich lähmte die absolute alliierte Am 12. April besetzte die 100. US-Infanteriedivision Luftherrschaft den militärischen Verkehr nach achttägigen Gefechten Heilbronn. Die Amerika- bei Tag fast vollständig. Trotz dieser aus- ner beklagten dabei etwa 60 Tote und 250 Verwundete. sichtslosen Lage begründete der Oberbe- Auf deutscher Seite fielen 212 Mann und etwa 1700 ge- fehlshaber (West) Kesselring die Fortset- rieten in Gefangenschaft. zung des Krieges im Westen damit, Weiter östlich musste der Vorstoß von Teilen der 10. Panzerdivision auf Crailsheim wegen des deutschen ¶¶ dass an der Ostfront mit Sicherheit Widerstandes zunächst abgebrochen werden. ein Abwehrerfolg zu erwarten sei! Erst am 20. April gelang der 4. US-Infanteriedivision die Eroberung Crailsheims, das nach Beschießung und Daraufhin sollten sich die deutschen Di- Luftangriff weitgehend zerstört war. visionen nach Westen zurückkämpfen und somit der russischen Gefangenschaft Drei Tage später erreichte die Division, unterstützt von entziehen. Panzern der 12. Division über Ellwangen und Wasser- alfingen die Stadt Aalen. Allerdings akzeptierten die Alliierten nur Kreisleiter Trefz hatte Aalen am 22. April verlassen. eine Gesamtkapitulation der deutschen Der „Festung Aalen” stand zur Verteidigung im We- Wehrmacht, Teilkapitulationen (z. B. im sentlichen nur noch ein Sturmgeschütz und leichte Ar- Westen) lehnten sie ab. tillerie zur Verfügung. Von 600 Volkssturmmännern waren nur 100 anwesend. So blieb vielen deutschen Soldaten im Westen letzten Endes nur die Hoffnung Die Amerikaner besetzten daher die Stadt ohne grö- auf „Wunderwaffen” und der Glaube an ßere Gefechte. einen „Endsieg”. ¶ Noch am 24. April wurde die Militärverwaltung eingesetzt: Zunächst Leutnant Sullivan und ab Juni Major Owen.

28 Das Kriegsende in Heubach (Dr. Manfred Schmidtke)

1. Der Krieg bis Stalingrad 2. Die „Fremdarbeiter” 3. Das „Wehrertüchtigungslager” 4. Luftkrieg und Stollenbau 5. Der Bodenkrieg 6. Heubach am 23./24. April 1945 7. Die amerikanische Besatzung 8. Die Flüchtlinge 9. Der Aufbau der Demokratie 10. Literatur / Dokumente / Dank

Der Zweite Weltkrieg endete mit der Ka- pitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945. Für Heubach war der Krieg praktisch schon 14 Tage früher zu Ende, nämlich am 24. April 1945 mit der Übergabe der Stadt an die Amerikaner.

Wie es dazu kam und was die Folgen davon waren, das soll im Folgenden um- rissen werden. Dabei soll es nach einem kurzen Rückblick auf den Verlauf des Krieges bis Stalingrad um die Situation in Heubach in den letzten Kriegsjahren gehen und um die Situation unmittelbar nach dem Krieg.

Im Zentrum steht die Frage, wie es zu der Übergabe der Stadt an die Amerikaner kam.

¶¶ Es gab Tote und die Stadt wurde eine ganze Nacht lang beschos- sen. Und es galt, eine Bombardie- rung der Stadt zu verhindern. Einmarsch der 7. und 8. Kompanie des Grenadierregiments 119. 62 1. Der Krieg bis Stalingrad Nach anfänglichen Erfolgen brachte der Kampf um Stalingrad, der sich fast ein Der Krieg begann mit dem Überfall auf Polen am halbes Jahr hinzog, die Wende des Krie- 1. September 1939. Nach etwa vier Wochen ist der Po- ges. Nach unsäglichen Verlusten auf bei- lenfeldzug beendet. Der westliche Teil Polens wird von den Seiten kapitulierte die 6. deutsche deutschen Truppen besetzt. Frankreich und England Armee am 2. Februar 1943. erklären Deutschland den Krieg. Wenig später besetzt die Sowjetunion das östliche Polen. In einer Geheim- Drei Tage später, am 5. Februar 1943, klausel des sogenannten Hitler-Stalin-Paktes vom fand in Heubach eine Gemeinderatssit- 23. August 1939 war der jeweilige Einflussbereich ab- zung statt, die Bürgermeister Wilhelm gesteckt worden. Gayer mit einer Ansprache anlässlich Am 10. Mai 1940 beginnt der Frankreichfeldzug. Er des 10. Jahrestages der Machtübernahme endet nach etwa sechs Wochen am 22. Juni mit dem Hitlers folgendermaßen begann: Waffenstillstandsvertrag, unterzeichnet in einem Ei- senbahnwagen in Compiègne. Die französische Armee „Meine Parteigenossen und Mitarbeiter! geht in die Kriegsgefangenschaft. Und französische Ich eröffne hiermit die erste Sitzung des Kriegsgefangene kommen auch nach Heubach – als Kampfjahres 1943, begrüsse Sie und heisse Arbeitskräfte. Sie herzlich Willkommen. Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenken wir in tiefster Anfang Oktober 1940 wurde – nach der Rückkehr aus Ehrfurcht der Helden von Stalingrad und Frankreich – die 7. und 8. Kompanie des Grenadier- vor allem den gefallenen Kameraden un- regiments 119 in Heubach einquartiert (Bilder links). serer Stadt selbst. Schwäbisch Gmünd war der Standort des 2. Bataillons dieser Einheit. Parteigenossen! Alle stehen wir unter dem tiefen Eindruck der Proklamation ¶ Heubach wurde somit für etwa des Führers. Adolf Hitler hat uns wieder acht Monate Garnisonsstadt. einmal nicht bloß in grossen Siegen seinen Kampf und Sieg bis zur Machtübernahme Die Kompanien wurden während dieser Zeit moderni- und seine gigantische Aufbauarbeit im ers- siert: z.B. Umstellung von Pferden auf Motorfahrzeuge: ten Jahrzehnt nach der Machtübernahme LKW, PKW, Motorräder. aufgezeigt, sondern vor allem den heldi- Im Juni 1941 wurden dann die beiden Kompanien aus schen Kampf unserer nat.soz. Wehrmacht Heubach wieder abgezogen und in den Russlandfeld- an allen Fronten vor Augen geführt und zug geschickt. Denn am 22. Juni 1941 (also genau ein so jedem Einzelnen in unserm Volk klar Jahr nach dem Waffenstillstandsabkommen mit Frank- gemacht, dass es in dieser letzten grossen reich) begann – unter Verletzung des 1939 abgeschlos- Auseinandersetzung zwischen der nat.soz. senen Nichtangriffspakts zwischen dem Deutschen Weltanschauung und den Vertretern der Reich und der Sowjetunion – der deutsche Angriff auf Rassen einerseits und dem Plutokraten, die Sowjetunion. Bolschewismus und Judentum anderer- seits, keinen Sieger und keinen Besiegten ¶ Viele von den Männern, die in geben wird, sondern nur 2 Möglichkeiten, Heubach stationiert waren, sind Sieg oder Untergang. nicht aus diesem Krieg zurückgekehrt.

63 ¶¶ Unser Führer hat uns aber auch gesagt, dass wenn jeder seine Pflicht auf seinem Platze tut, am Ende die- ses Krieges als klares Ergebnis der unzweideutige Sieg Grossdeutschlands und damit Europas stehen wird.

Gerade dieser Appell unseres Führers, die Rede Reichsministers Dr. Göbels und der Ruf des Reichsmarschalls Hermann Gö- ring, haben uns alle den Ernst der Stunde klar gelegt und gezeigt, dass dieses Ringen nicht blos an den Fronten, sondern von beiden, der Front und Heimat nur nach schwersten Prüfungen und grössten Op- fern gewonnen werden kann …” (Wörtlich aus dem Gemeinderatsprotokoll)

¶¶ Von der „Heimat” aus wurde die „Front” auf vielfache Weise unterstützt, Wollsammlung in Heubach. z.B. auch durch Wollsammlungen. schäftigt. Besser hatten es da z.B. die Holländer und Franzosen, die oft in den Familien unterge - Wer aber tat in der Heimat die Ar- bracht wurden. Auch Kriegsgefangene wurden zur beit, nachdem so viele Männer zum Zwangsarbeit herangezogen. Kriegsdienst eingezogen worden waren? ¶ Insgesamt geht man von 9 Mio. solcher „Fremdarbeiter” aus. Sie wurden beispielsweise in der Land- und Forstwirtschaft, vor allem aber auch in der Industrie eingesetzt. 2. Die „Fremdarbeiter”

Im nationalsozialistischen Deutschland In Heubach waren die Fremdarbeiter/innen nicht nur wurden ab 1939, vor allem aber ab 1942, in der Textilindustrie tätig, wo überwiegend Unifor- zur Sicherung der Produktion Millionen men produziert wurden, sondern sie waren auch in der von Menschen vor allem aus den be- Produktion von Rüstungsgütern eingesetzt. setzten Gebieten zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert, die sogenannten Die Firmen Bosch und Fein hatten Teile ihrer Produk- „Fremdarbeiter”. tion von Stuttgart nach Heubach verlegt, sozusagen aufs sichere Land – ebenso die Firma Junghans aus Schram- Arbeitskräfte aus Polen und auch der berg. Für sie wurden von der Rüstungsinspektion in UdSSR wurden aus rassenideologi- den Heubacher Betrieben Räume beschlagnahmt, für schen Gründen meist unter men- Bosch bei Spießhofer & Braun, für Fein bei Schneider schenunwürdigen Bedingungen be- & Sohn. 64 Gretel Bund (Jg. 1920) berichtet: „Ich war in der Weberei im Magazin be- schäftigt. Dort liefen die Teile ein, die im Hause produziert bzw. bearbeitet wurden. Besonders in Erinnerung habe ich die ‚Ab- teilung 44’ im zweiten Stock der Weberei. Da wurde unter strengen Bedingungen gearbeitet. Die Tür wurde verschlossen. Singen durfte man, aber nicht sprechen. Hergestellt wurden Teile von Munition für die Flak.” Die Unterbringung der Fremdarbeiter war in Heubach schon ab 1941 ein zentrales Thema. Hier nur eine paar Zitate aus den damaligen Gemeinderatsprotokollen: 29. Mai 1941: „… Errichtung eines weiteren Ge- fangenenlagers im Gasthaus zum Lamm …” – dort wurden vorwiegend Polen Die Schweinemastanlage wird durch „Entschließung des Bürger- untergebracht. meisters” der Fa. Schneider & Sohn überlassen. 3. Februar 1942: Der Gemeinderat durfte nur beraten. „Der Bürgermeister gibt bekannt, dass nun im sogenannten Seegrasschuppen der Frau Alice Fuchs Wwe. hier ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene eingerich- tet worden sei. … In diesem Lager sollen 70 Mann und zwar 45 für die Fa. Spiesshofer & Braun, 15 für die Fa. Schneider & Sohn und 10 Mann für die Stadt selbst unterge- bracht werden.” 24. Juli 1942: „Zur raschmöglichen Unterbrin- gung von Ostarbeiterinnen hat die Stadt Heubach der Firma Schneider & Sohn die zu diesem Zweck neueingerichtete Schweinemastanlage in der Brühlstrasse zur Verfügung gestellt. …” Und die Firma Spiesshofer & Braun bittet um die „kauf- weise Überlassung” eines Grundstücks an der Oberböbinger Straße. Sie beabsichtigt, „zur Unterbringung von ausländischen Der Bürgermeister beschließt (!) den Verkauf eines Grundstücks an Arbeitern sogenannte Militärbaracken zu die Fa. Spiesshofer & Braun. erstellen”. 65 Weiter heißt es: Arbeitskräfte ein Barackenlager im Bereich der Her- „Der Bürgermeister beabsichtigt mannstraße (etwa da, wo sich heute das Fitnessstudio nach eingehenden Verhandlungen mit den Deininger befindet). Firmen Spiesshofer & Braun und Schnei- der & Sohn im Gebäude Nr.6 der Schloß- straße – alter Farrenstall – eine Gemein- 3. Das „Wehrertüchtigungslager” schaftsküche mit Lagerraum einzurichten und den Schloßkeller auszubessern. In die- Angesichts des Problems, die vielen Fremdarbeiter un- ser Küche sollen dann die hier eingesetzten terzubringen, stellt sich die Frage: ausländischen Arbeiter verpflegt werden.” Weshalb hat man nicht auf die Baracken des Reichs- arbeitsdienstes an der Beisswanger Straße zurückge- Der Betrieb dieser Gemeinschaftsküche griffen? Dieser wurde 1942 aufgelöst, da die Männer wurde im weiteren Verlauf des Krieges im nicht mehr hier vor Ort, sondern vielmehr an der Front Januar 1944 wegen der schlechten Versor- benötigt wurden. gungslage eingestellt. Die Betriebe sollten Dort war aber inzwischen „durch die Gebietsführung die Verpflegung der Fremdarbeiter selber der HJ in Württemberg” ein „Wehrertüchtigungslager” übernehmen. für Jungen von 16 bis 18 Jahren eingerichtet worden. Im Februar 1943, zur Zeit der Kapitula- In diesen Wehrertüchtigungslagern, von denen es in tion in Stalingrad, beschäftigte die Firma Württemberg nur drei gab (außer in Heubach in Mo- Schneider & Sohn 7 männliche und 59 chental und in Geislingen), sollten die Jugendlichen auf weibliche ausländische Arbeitskräfte. den Einsatz im Krieg vorbereitet werden.

Im Sitzungsprotokoll des Gemeinderats vom Rudolf Göser aus Göppingen schreibt: 5. Februar 1943 heißt es: „Ganz großer Wert wurde auf eine gründliche, solide Ge- „Die Ostarbeiterinnen sind in ei- ländeausbildung gelegt (z.B. Orientierung im Gelände nem Lager der Stadt untergebracht, wäh- nach den Gegebenheiten der Natur bei Tag und Nacht rend alle übrigen Arbeiter und Arbeiterin- und mit den Hilfsmitteln Karte und Kompass, Verhalten nen in Privatquartieren und in Gaststät- und Bewegung im Gelände ohne und mit Einsicht des ten eingemietet sind. Diese Unterbringung Gegners, Bahnen, Eingraben, Unterkunftsbau, auch im bringt immer wieder Schwierigkeiten mit Winter u.Ä.). Schießen wurde mit dem Kleinkaliberge- sich und macht vor allem auch die lau- wehr geübt” und zwar auf dem Schießstand in der Bä- fende Überwachung unmöglich.” renhalde. Ein Lehrgang dauerte 4 bis 6 Wochen und So bittet die Firma Schneider & Sohn die war 150 bis 250 Teilnehmer stark. Stadt um ein Grundstück, welches „west- lich an die Ziegelwiesen- und nördlich Die Ausbilder wurden von der Wehrmacht gestellt. an die Beisswangerstrasse” angrenzt, für ¶ „Es handelte sich durchweg um ältere, „Baracken zur Unterbringung sämtlicher lebens- und fronterfahrene Soldaten, meist selbst Familienväter, welche großenteils durch Ver- ausländischer Arbeitskräfte”. wundung uk [unabkömmlich] gestellt waren.” In diesem Zusammenhang ist auch von Göser berichtet, dass die Jugendlichen besonders gut der „Aufstellung von Hilfswachleuten für versorgt wurden und dass ihnen in einer Zeit schwie- die hiesigen Gefangenenlager” die Rede. riger Versorgung „vom zuständigen Amt doppelte Ver- Auch die Fa. Bosch reklamierte für ihre pflegungskarten zugeteilt” wurden. 66 mit Bombenabwürfen, Luftkämpfen und Flugzeugabstürzen. Die Luftkämpfe in unserer Region hat Walter Wörz in seinem Beitrag ausführ- lich beschrieben, so dass ich hier nur auf drei Flugzeugabstürze näher eingehen möchte, die sich auf Heubacher bzw. Lau- terner Gemarkung ereignet haben:

»» Am 21. Januar 1944 stürzte ein deutsches Kampfflugzeug am Ostfelsen des Rosensteins oberhalb von Lautern ab. In dem Bericht des Wacht- meisters Maier aus Bartholomä, der auch für Lautern zuständig war, heißt es:

„Am 21. Januar 1944, gegen 15 ¼ Uhr, bei windigem, regnerischem Wetter … stieß ein Militärflugzeug, Muster BF-110, …am Das Reichsarbeitsdienstlager wurde 1942 zum Ostfelsen des Rosenstein, Höhe 720 … auf. „Wehrertüchtigungslager” umfunktioniert. … Von diesem Unfall erhielt ich um 15.20 Uhr fernmündliche Nachricht. … [Ich] Das Wehrertüchtigungslager in Heubach war dann spä- begab … mich mit dem Fahrrad auf dem ter eine Brutstätte der sogenannten „Werwölfe”,(siehe schnellsten Wege an die Unfallstelle. Dort S. 42), die gegen Kriegsende eine große Rolle gespielt traf ich gegen 16 ¼ Uhr ein. …. Bei meiner haben. Im Übrigen hat es zu jener Zeit auch Pläne für Annäherung zur Unfallstelle konnte ich ein großes HJ-Heim zwischen Heubach und Buch ge- noch kleinere Detonationen hören. geben, was aber angesichts der Entwicklung des Krie- ¶ Das ließ drauf schließen, ges nicht mehr zur Ausführung gekommen ist. Es gab daß das Flugzeug Munition an dafür eine Rücklage von 86.500 RM, die laut Beschluss Bord gehabt haben muß.” des Gemeinderats vom 5. Juli 1946 dem städtischen Bauhof zugeführt wurde. Einer der befragten Zeugen war ein fran- zösischer Kriegsgefangener namens Kon- stan Gudier: 4. Luftkrieg und Stollenbau „Ich war im Mittelberg mit Holzmachen beschäftigt. … Das Flugzeug kam aus Die ersten Kriegsjahre waren geprägt von Erfolgsmel- Richtung Pfaffenberg. Es war starker Ne- dungen an allen Fronten – vom Nordkap bis Afrika, bel, sodass man den Rosensteinfelsen nicht vom Atlantik bis weit nach Russland hinein. sehen konnte. Als das Flugzeug ggn. den Das änderte sich nach Stalingrad. Aus dem Angriffs- Berg aufflog, war zu erkennen, wie dieses krieg wurde mehr und mehr ein Verteidigungskrieg. senkrecht nach oben steuerte und gleich Die Fronten wichen Richtung Reichsgebiet zurück. Und darauf erfolgte auch schon ein starker dort war der Krieg zunächst vor allem ein Luftkrieg – Knall. Es brannte sofort alles.” 67 Ein anderer Zeuge war Josef Deininger (Jg. 1913): „ … An die Unfallstelle konnte man erst herankommen, nachdem das Feuer eini- germaßen eingedämmt war. Mein erstes an der Unfallstelle war, nach den verun- glückten Flugzeuginsaßen zu suchen. Ei- nen der Verunglückten fand ich brennend unter einem Tragflächenteil. Ich löschte das Feuer ab … Die Person war vollständig verstümelt und verkohlt … Der hernach in einem Gestrüpp an der Felsenwand lie- gende 2. Insaße des Flugzeugs war eben- falls vollständig verstümelt, sodass auch bei ihm eine Hilfe nicht mehr nötig war.”

Bei den Toten handelte es sich um zwei Unteroffiziere im Alter von 23 und 24 Jah- ren, die auf einem Flugplatz bei München zu einem Übungsflug gestartet waren, zu dem auch Tiefflugübungen gehörten. Die Sie wurden auf dem Heubacher Friedhof „in einfachen Maschine gehörte zum deutschen Zer- Holzkisten vergraben”, so Willi Beisswanger (Jg. 1935), störergeschwader 101, stationiert in Bad dessen Vater zu dieser Zeit für Beerdigungen in Heu- Aibling. bach zuständig war.

»» Am 16. März 1944 Gut zwei Jahre später wurden sie auf Anordnung der flog die US-Luftwaffe viele Angriffe auf Besatzungsbehörde zur Rückführung nach Amerika Städte im süddeutschen Raum. Ein Ver- exhumiert. band überflog unser Gebiet zwischen Vier Besatzungsmitglieder waren im Bereich Lau- 11.30 und 12 Uhr Richtung Augsburg. tern mit dem Fallschirm abgesprungen. Sie kamen in Diesen Verband griff das deutsche Ab- Gefangenschaft. wehrgeschwader ZG 76 aus Ansbach an. Im Vorland des Rosensteins kam es zu Dieser 16. März 1944 brachte dem Abwehrgeschwader einem schweren Luftkampf, bei dem drei ZG 76 hohe Verluste: amerikanische Bomber abgeschossen Von den 43 gestarteten Flugzeugen wurden 26 abge- wurden. schossen, 10 weitere machten Bruchlandungen. Nur 7 Ein viermotoriger Boeing-B17-Bomber kehrten unversehrt nach Ansbach zurück. ging bei einer misslungenen Notlandung Ab März 1944 war die Lufthoheit der Alliierten über links der Straße Heubach-Mögglingen Deutschland unverkennbar. nieder, etwa da, wo die Bahnlinie Böbin- gen-Heubach die Straße querte. Ein drittes Flugereignis, an das sich Zeitzeugen noch An Bord gab es mehrere Explosionen. Sie- lebhaft erinnern, war der Absturz eines amerikani- ben Besatzungsmitglieder fanden den Tod. schen B17-Bombers 68 Kraftfahrer, sowie Hermann Mangold. (Curt Braun, S. 240; vgl. Jägersche Chro- nik, S. 174).

Nach diesem Beschuss durch die Ame- rikaner flüchteten viele in die Stollen. – Dann ging es aber wie ein Lauffeuer durch die Stadt: Ein „amerikanischer Parlamentär” (also ein Vermittler) ist beim Ortskomman- danten. Tatsächlich war von Mögglingen ein Holländer gekommen – angeblich im Auftrag der Amerikaner. Curt Braun be- richtet (S. 230): „Gegen 16.30 Uhr rief mich der Portier der Weberei an und vermittelte ein Gespräch mit dem damaligen Konstruktionsleiter der Nähmaschinenfabrik Pfaff …, Herrn Bennink. Dieser war ein Holländer und „Schwäbische Rundschau” vom 13. April 1945, eine Woche vor wenige Tage zuvor in Heubach in der der Einnahme von Schwäbisch Gmünd. Firma Spießhofer und Braun gewesen. … Er erklärte mir, daß er von den Amerika- nern die Genehmigung bekommen habe, Heubach zur Übergabe aufzufordern, um 6. Heubach am 23./24. April 1945 eine Beschießung zu vermeiden.”

Der Angriff der Amerikaner begann am Montag, 23. Beide vereinbarten, zum Ortskomman- April, in der Mittagszeit. Die amerikanische Artillerie danten, Hauptmann Braig, zu gehen, der schoss Warnsalven nach Heubach hinein. Die ersten sein Dienstzimmer im Café am Markt Granaten schlugen im Postgässle ein. Eine Granate ex- hatte. Dieser weigerte sich zunächst, den plodierte vor dem Haus des Schmieds Grötzinger. Holländer als Verhandlungspartner an- Die 16jährige Gertrud Wanner, Stieftochter des Ludwig zuerkennen, war aber dann doch bereit, Schemberger, wurde davon förmlich zerfetzt und war mit ihm zu sprechen. sofort tot. Weiter heißt es bei Curt Braun (S. 240): Weitere Granaten trafen den Marktplatz: Wilhelm Süß „Wir waren bereits nahe einer Verstän- und seine Tochter Gunda aus Neustadt/Weinstraße digung, da kam ein Stoßtrupp … SS un- wurden schwerverletzt in die Sattlerwerkstatt Fuchs ge- ter Führung eines Obersturmführers, der bracht, wo sie bald darauf starben. An ihren Verletzun- Hauptmann Braig Erschießung androhte, gen starben später Josef Hirsch, Straßenwart aus Bar- falls er eine Übergabe von Heubach an- tholomä, und Josef Barth aus Bargau, genannt Bach- biete, und Herrn Bennink aufforderte, so- bauer. Drei Personen konnten später geheilt aus dem fort zu den Amerikanern zurückzukehren Spital in Schwäbisch Gmünd entlassen werden: Jakob und ihnen auszurichten, ‚Heubach werde Kielwein, genannt Schäfbauer, Hermann Grötzinger, verteidigt’.” 73 Daraufhin wurde Herr Bennink zur We- Sträuben schließlich doch nachgegeben und die Pan- berei zurückgebracht, wo er sein Auto mit zersperre am Markt sei unter dem Jubel der Menge be- weißer Fahne hatte verlassen müssen. seitigt worden. Inzwischen war halb Heubach auf den „Alt und jung eilte mit heissem Eifer herbei und auch ich Marktplatz geströmt und verlangte die kletterte auf das klobige Verhau und half die schweren Öffnung der Panzersperre beim Café am Stämme mit ‚Hau-Ruck!’ herauswuchten … Meterlange, Markt und die Übergabe der Stadt. dicke Stangen dienten als Hebel … ‚Auf’ hieß es nun, ‚die untere Sperre muss auch weg!’ Und wieder bewegte sich Deibele (S. 52) beschreibt die Szene so: ein Trupp Bereitwilliger der Strudelmühle zu. … „Die Menge stürmte nun auf den Haupt- Eine kleine Weile war verstrichen, da hörten wir schon mann los und hätte ihn am liebsten zer- von weitem schreien: ‚Die untere Sperre wird von Solda- rissen. Allein dieser wankte nicht. Er be- ten mit M.G. bewacht!’ Betroffen und ungläubig starrten rief sich auf seine Offiziersehre und seinen wir einander an, spähten die Strasse hinunter und sa- Eid.” hen, wie die Leute hastig zurückeilten und hinter ihnen Als er dann doch nachgab, „griff die SS marschierten, die ganze Strassenbreite einnehmend, 12 ein. Ein Offizier stellte sich mit entsicherter Mann blasser, schmächtiger Kerlchen, fast Buben noch. Pistole an die Sperre. Die Werwölfe brach- Sie machten mit ihren Mützen und scheckigen Tarnmän- ten ein Maschinengewehr in Stellung, und teln, trotz Panzerfaust und Wehr einen maskeradenhaf- sicherlich hätten sie geschossen, wenn ih- ten Eindruck.” Voraus ging „mit der Maschinenpistole nen der Befehl gegeben worden wäre.” in der Faust” ein junger langer Leutnant. Mit ihm habe Fritz Spießhofer „auf 10 Schritt Abstand” verhandelt. Werner Grimm (Jg. 1932) hat die Situ- Dieser habe sich aber auf nichts eingelassen und nur ation als sehr bedrohlich in Erinnerung: „knapp und eiskalt” erklärt: „Es sah sehr gefährlich aus. Ich erinnere ¶¶ „Ich tue meine Pflicht! mich noch, wie die Soldaten Fritz Spieß- Wer nicht geht, wird erschossen!” hofer und die umstehenden Leute mit der Waffe bedroht haben.” Fritz Spießhofer habe aber weiterhin versucht, den Offizier von der Nutzlosigkeit des Widerstands zu Curt Braun schreibt (S. 240): überzeugen. „Mir drohte der SS-Führer Erschießung an, falls ich nicht von der Straße ver- „Der Offizier hatte auf all das nicht viel erwidert. Er schwunden wäre bis er auf fünf gezählt konnte auch nicht, denn auf die logischen Argumente habe. und Tatsachen konnte er keine gleichwertigen bringen. Nach einer Unterredung ihres Führers Um aber aus dieser peinlichen Situation herauszu- mit Hauptmann Braig zog sich die SS kommen, trat er einige Schritte vor und rief laut und in Sprüngen, nach vorne und hinten si- schneidend: chernd, in Richtung Wehrertüchtigungs- ¶¶ ‚Schluss jetzt! Ich zähle bis drei, wer lager (Barackenlager hinter der Böbinger nicht geht, trägt die Folgen!’ Brücke) zurück.” Damit zog er seine Pistole. Franz Mächler, Modelleur bei der Firma Hei, wie da die Menge … auseinanderstob, als hätte Spießhofer und Braun, berichtet, der eine Bombe eingeschlagen. Schreiend, zitternd und mit Kommandant habe nach anfänglichem einer bangen Mutlosigkeit zog man sich zurück, denn 74 man wusste, wenn bis 7 Uhr die Sperren nicht beseitigt aber es gab auch stille Betroffenheit und sind, wird Heubach von der amerikanischen Artillerie Gebete. beschossen. Jetzt war’s soweit.” Als zwischendurch der Beschuss auf- hörte, drängten einige zum Ausgang, Am Abend war auch noch der Mögglinger Bürgermeis- zogen sich aber bald wieder zurück, als ter Kuhn, der am Mittag seinen Ort an die Amerika- sich die Detonationen und Einschläge ner übergeben hatte, nach Heubach gekommen. Er war fortsetzten. „nebenamtlicher Verwaltungsaktuar” in Heubach für Dann schrie plötzlich jemand in den den Gemeindehaushalt, nachdem Bürgermeister Gayer Stollbergstollen hinein: Ende 1943 zur Wehrmacht eingezogen worden war ¶ „Der Altbau von Schnei- – offenbar wegen seiner inzwischen kritischen politi- der und Sohn brennt! Alle schen Haltung. Männer zum Löschen!” Kuhn versuchte, Kommandant Braig davon zu über- zeugen, dass der Versuch, Heubach zu verteidigen, Viele folgten diesem Aufruf, obwohl sinnlos sei – jedoch ohne Erfolg. immer noch Geschosse in die Stadt ein- Die Heubacher zogen sich nun in die Stollen und Kel- schlugen. Erst um 6 Uhr trat Ruhe ein, ler zurück. Stadtbaumeister Mangold, an Gayers Stelle die Geschütze schwiegen. kommissarischer Bürgermeister in Heubach, machte Da erschien im Stollbergstollen ein Hol- noch einen Rundgang durch die Stadt. Dabei traf er länder namens Limberger und verlangte Otto Reder, einen Holländer, der Bürgermeister Kuhn Stadtbaumeister Mangold, den kommis- mit seinem Motorrad bis zur Stadtgrenze Richtung sarischen Bürgermeister, zu sprechen. Er Mögglingen gefahren hatte. teilte ihm mit, die Stadt werde von Flug- zeugen bombardiert, wenn sie nicht bis 7 „Beide Männer”, so Deibele (S. 52), „wurden durch einen Uhr übergeben werde. Posten der Wehrmacht angehalten und R. befehlsgemäß dem Kommandanten vorgeführt. Der Stadtbaumeister „Der Stadtbaumeister erwiderte, die ge- folgte dem Festgenommenen. Der Kommandant meinte: samte Gewalt liege beim Militär, er könne ‚Es ist gut, dass Sie hier sind. Ich werde schon den ganzen nichts machen. Nun gingen die Leute mit Tag von der Bevölkerung bedroht. Ich muß Sie zu meiner Fäusten auf ihn los. Da traf die Nachricht Sicherheit dabehalten!’ ” ein, dass der Ortskommandant mit sei- nen Truppen abgezogen sei. Nun diktierte Kurz darauf marschierte auch der Kommandant mit Limberger dem Stadtbaumeister folgendes: seiner Truppe samt Mangold und Reder zu dem Schüt- ‚Nachdem die Wehrmacht abgezogen ist, zenloch (Maschinengewehrstellung) auf dem Sand. Als übergebe ich die Stadt!’ Der Zettel sollte dann um 21 Uhr die Beschießung der Stadt begann, sofort dem stellvertretenden Bürgermeis- wurde Mangold durch einen Granatsplitter am Bein ter überbracht, dort ins reine geschrieben schwer verletzt. Mühsam rutschte und kroch er die und mit Unterschrift und Stempel verse- Stollbergklinge hinunter zum Stollen, wo er von Dr. hen werden.” (Deibele, S. 53f). Löchner notdürftig verbunden wurde. Ein paar Tage später musste ihm das Bein abgenommen werden. Der stellvertretende Bürgermeister war In den Stollen saßen die Menschen zu Hunderten Wilhelm Braun, genannt Braun-Bauer, dichtgedrängt beieinander. Manche fassten sich bei den dessen Hof an der Hauptstraße/Ecke Händen, Kinder schrien, es wurde geschimpft, geklagt, Alte Steige stand, etwa da, wo sich heute 75 das neue Gebäude der Firma Triumph Bald war ganz Heubach in Weiß getaucht und das, befindet. Er und der mit ihm befreun- obwohl das eigentlich verboten war. Nach Himmlers dete Curt Braun gingen gemeinsam zum sog. Flaggenerlass vom 22.3.1944 sollten alle Männer Rathaus und brachen dort das Pult auf, eines Hauses über 16 Jahre erschossen werden, das als in dem die Gemeindestempel lagen. Curt Zeichen der Ergebung eine weiße Fahne zeigt. Braun übersetzte die Übergabeerklärung ins Englische. Aber wie sah es nun in Heubach aus? Bei Schneider & Sohn brannte es noch. Viele Häuser waren beschädigt, Er berichtet (S. 241): „Herr Wilhelm Braun Dächer durchlöchert. Besonders schwer hatte es die unterschrieb gemeinsam mit mir und katholische Kirche getroffen. Auf den Straßen lagen setzte den Amtsstempel der Stadt dane- Scherben, zerbrochene Ziegel, Äste. Masten waren ge- ben. Der Brief wurde von Herrn Limberger knickt, Drähte baumelten in der Luft. Es wurden mehr und Herrn Messmann, 2 Holländern, die als 600 Einschläge gezählt, Kaliber 10,5 und 15 cm. in Heubach bei Susa arbeiteten, mit einem PKW nach Mögglingen gebracht und dort Die amerikanischen Panzer fuhren von Beiswang den Amerikanern übergeben.” und Oberböbingen her in die Stadt ein. Am Postplatz (damals noch Adolf-Hitler-Platz) stand unter den Zu- So entging Heubach nur knapp einem schauern Postmeister Wilhelm Schelling. Bombardement durch die offenbar schon Seine Tochter, Rose Schelling (Jg. 1919) berichtet: angeforderten Flugzeuge. Franz Mächler „Ein Amerikaner stieg von seinem Panzer, riss meinem berichtet, dass er mit anderen nach dem Vater die Uniformmütze mit dem Hakenkreuz vom Kopf Verlassen des Stollens unter dem Rosen- und warf sie vor seinen Panzer. Als dieser vorüber war, stein auf die Zerstörungen durch den hat mein Vater seine Mütze wieder aufgehoben und sich nächtlichen Beschuss herabgesehen habe. aufgesetzt.” Und dann: „Während wir so untereinan- Binnen kurzem glich Heubach einem Heerlager. In al- der diese und jene Feststellung machten, len Straßen standen Kampfwagen, Geschütze und an- donnerte urplötzlich ein Fliegerverband dere Fahrzeuge. Viele Zeitzeugen (damals noch Kinder) über den Rosenstein. Ein jäher Schreck haben noch in guter Erinnerung ihr Erstaunen darüber, durchzuckte uns, doch brausten sie weiter, zum ersten Mal in ihrem Leben leibhaftige „Neger” zu ohne uns näher zu beachten. sehen. Ein Teil der Truppe zog sofort weiter in Richtung Beu- Aber jetzt vernahmen wir ein anderes, ren, um von dort aus auf die Albhochfläche zu gelangen. neues Geräusch! Tiefes Motorgedröhn brummte die Straße herauf. Das waren Warum über Beuren und nicht die Bartholomäer gewiss die ersten Panzer, die einfuhren, Steige hinauf? und schon schwenkten die ersten weissen Tücher oder Flaggen aus den Fenstern.” Heinz Klotzbücher (Jg. 1932), der während der Kriegs- Durch die Straßen fuhr ein Lautsprecher- zeit im Jägerhaus wohnte, berichtet: wagen und verkündete: „Am Morgen kam ein Panzerspähwagen der Amerika- ner bei uns am Haus vorbei und fuhr auf die Panzer- ¶ „Innerhalb einer halben Stunde sperre zu. Mein Vater gab ihm Zeichen, dass er anhalten hat jedes Haus eine weiße Fahne zu solle; denn er wusste, dass die Straße vor der Sperre, die hissen. Die Stadt wird übergeben!” damals noch nicht asphaltiert war, vermint war. Dar- 76 aufhin fuhr der Panzerspähwagen vorsichtig, Schritt für etwas Englisch konnte, gingen mit einem Schritt, zurück. weißen Handtuch zum Kommandanten Bei uns holten sich die Amerikaner eine Wäscheleine, und erklärten, dass sich in Beuren nur mit deren Hilfe sie die Minen aus dem Boden heraus- einige Buben und keine Soldaten aufhal- zogen. Sie legten sie an den Straßenrand, wo sie noch ten würden. Der Offizier meinte, er wolle mindestens 14 Tage herumlagen, bevor sie von einem keinen Krieg gegen Kinder führen und Räumkommando abtransportiert wurden. man solle die Buben vertreiben. Das be- Im Hof vom Jägerhaus waren Schützenlöcher ausgeho- sorgten dann auch die in Beuren verblie- ben worden zur Verteidigung der Panzersperre. Die Sol- benen Männer – auch unter Anwendung daten, die sich bei uns im Keller aufhielten, hatten sich körperlicher Gewalt. aber schon in der Nacht nach Bartholomä abgesetzt.” Die Bewohner wurden von den Amerika- Nachdem Heubach am 23. April beschossen worden nern aufgefordert, sich vor dem Haus der war, waren viele Heubacher nach Beuren geflüchtet in Familie Trah zu versammeln. Nach und der Annahme, dass die Amerikaner hier nicht hinkom- nach rückten dann die amerikanischen men würden. Sie haben dort in Scheunen, Schuppen, Fahrzeuge in das Dorf ein. Und schließ- Wohnhäusern und Kellern Unterschlupf gefunden. lich zogen die ganze Nacht hindurch die Jeeps, Panzer und Lastwagen durch Beu- Auch eine Abteilung Werwölfe aus dem Lager in Heu- ren und über das Bargauer Kreuz hinauf bach und offenbar auch einige aus dem Raum Heiden- auf die Alb. heim im Alter von 15 – 17 Jahren waren dort. ¶¶ Sie wollten Beuren verteidigen. ¶ Zwei Tage später fand man Otto Maurer, einen Lehrerssohn aus Hürben, tot unter einem Busch am Bach mit Auf Geheiß Himmlers sollten „todesmutige Freiwillige einem Einschussloch in der Stirn. als Werwölfe dem Feind schaden”. Er war nicht einmal 16 Jahre alt (geb. am 22.7.1929). Georg Enssle (Jg. 1930) schreibt: „Bei uns unten im Haus war der Gefechtsstand, der Flur wurde mit Pan- zerfäusten und Munition belagert.” Noch ein Wort zum Verhalten der Ver- Als nun die Amerikaner kamen, setzte sich der etwas antwortlichen, die sich meist rechtzeitig ältere Anführer der Werwölfe Richtung Albhochfläche abgesetzt und zuvor noch an die Kampf- ab, nicht ohne sich vorher mit vorgehaltenem Gewehr moral der Zurückgebliebenen appelliert bei Familie Bretzler Proviant verschafft zu haben. haben. Georg Bretzler (Jg. 1934): „Bevor er verschwand, So auch Kreisleiter Oppenländer, der brachte er noch eine Panzerfaust zur Explosion und gab sich kurz vor der Einnahme Gmünds mit seinen Untergebenen den Auftrag, den Ort bis zum bit- seinem Stab nach Bartholomä zurückge- teren Ende zu verteidigen.” zogen hat. Dabei bemängelten die Herr- schaften noch, dass in Heubach zu wenig Die Amerikaner blieben etwa 100 Meter vor dem Dorf für die Verteidigung getan werde. Bevor stehen und gaben zu verstehen, mit den Einwohnern sie sich dann weiter nach Oberschwaben sprechen zu wollen. Ein Holländer namens Kaschon, absetzten, richteten sie noch Aufrufe an der beim Bauern Frey wohnte, und die 15-jährige Maria die Werwölfe, in denen diese zu mann- Bretzler, die die Handelsschule besuchte und deshalb haftem Widerstand aufgefordert wurden. 77 Deibele (S.14) zitiert aus dem Aufsatz ei- Chronik, S. 180), dass allein in seinem Einfamilien- nes 14jährigen Mädchens: „Als die Ein- haus 33 Mann einquartiert wurden. Und er fährt fort: wohner sahen, dass die Kreisleitung ein „Abends nach 7 Uhr durfte niemand mehr die Straße Trinkgelage abhielt, sagte jedermann, die betreten. Von Unbekannten und ganz besonders von den halten ihre Henkersmahlzeit. vielen hier in der Industrie beschäftigt gewesenen Ukra- inerinnen, die sich sofort an die Soldaten heranmachten ¶ Ihre Autos waren mit Ess- und und sich von diesen ‚beschenken’ ließen, wurde vieles aus Trinkwaren beladen, welche die Leute den Häusern weggenommen und verschwand auf Nim- schon längst nicht mehr kannten.” merwiedersehen. Die Unterbringung der aus ihren Häu- sern Vertriebenen war nicht sehr einfach, da in Heubach schon sehr viele Evakuierte aus allen Teilen Deutsch- Gretel Bund berichtet, dass in den Tagen lands, besonders aus Stuttgart, Heilbronn, Mannheim und Wochen vor der Besetzung Heubachs usw. Unterschlupf gesucht und gefunden hatten.” durch die Amerikaner in der Nacht im- mer wieder ganze Kolonnen zurückströ- Im Gemeinderatsprotokoll vom 20.12.1945 heißt es: mender Soldaten durch die Hauptstraße „Die Stadt Heubach war vom Beginn der Besatzung vom Richtung Süden gezogen sind. Bei Nacht 24.4. bis Ende Juni mit 4 bis 500 Soldaten belegt und deshalb, weil sie bei Tag von den feindli- von Anfang Juli bis 20. Nov. stieg die Zahl auf 650 an. chen Flugzeugen hätten ausgemacht wer- Ausserdem mussten aus dem Osten 300 Flüchtlinge auf- den können. genommen werden, sodass unter Hinzurechnung der aus allen Gebieten Deutschlands Evakuierten die Stadt mit etwa 1200 Personen belegt war, das im Verhältnis zur Einwohnerzahl nahezu 50% bedeutet. 7. Die amerikanische Besatzung ¶¶ Dass die Wohnungsnot dadurch erheblich wuchs, In der Stadt Heubach wurden von der ist selbstverständlich und es wurde zur Lenkung des Wohnraums eine Wohnungskommission gebil- dort verbliebenen Besatzung viele Häuser det, die die Aufgabe hatte, sämtliche Wohnräume durchsucht und beschlagnahmt. Die Be- aufzunehmen, um der Not dadurch zu steuern.” troffenen taten gut daran, NS-Symbole, Hitlerbilder und dergl. vorher verschwin- den zu lassen. Die führenden Militärs Dass Heubach vorübergehend mit Militär belegt wurde, richteten sich in den Villen der Fabri- hängt damit zusammen, dass die amerikanische Mili- kanten, Pokuristen usw. ein, die anderen tärregierung sich noch nicht in Stuttgart niederlassen hauptsächlich entlang der Hauptstraße. konnte, weil Stuttgart noch in der Hand der Franzosen Kein Deutscher durfte in dem Haus sein, war. in welchem Amerikaner wohnten. Die- So wählte sie zunächst Schwäbisch Gmünd als Standort jenigen, die aus den Häusern ausziehen und ein Teil wurde in das benachbarte Heubach ver- mussten, wurden in Nachbarhäusern legt. Der Beauftragte der Militärregierung, Lieutenant oder bei Verwandten oder Bekannten Duffy, hat im Gebäude des Sattlers Grupp neben dem untergebracht. „Rössle” residiert. Auch ein amerikanischer General war für einige Wochen in Heubach stationiert. – Im Gottlieb Bosshardt schreibt in seinem März 1946 verließ der letzte amerikanische Soldat Heu- Bericht vom Oktober 1948 (Jägersche bach wieder. 78 Einwohner- und Flüchtlingszahlen 8. Die Flüchtlinge (aus Gemeinderatsprotokollen) Führte die Belegung vieler Häuser durch 16. März 1946: die Amerikaner zu einer akuten Wohn- Die Stadt Heubach hat bis heute 330 Flüchtlinge raumnot in Heubach, so war diese mit aufgenommen, so dass noch etwa 200 Personen aus dem Osten hier unterzubringen sein werden. deren Abzug keinesfalls beseitigt; denn 5. Juni 1946: ab Oktober 1945 rollten die Flüchtlings- Die Aufnahme von nahezu 600 Flüchtlingen bis jetzt und Vertriebenenzüge aus dem Osten an. brachte für das Bürgermeisteramt einen sehr starken In einem ersten Schub wurden der Stadt Publikumsverkehr ... Heubach 290 Personen zugewiesen. Sie 19. Juli 1946: Durch Erlass des Innenministeriums vom 29.6.46 wurden mit Lastwagen von Mögglingen wurde das Aufnahmesoll von Flüchtlingen von mit ihren wenigen Habseligkeiten nach 27% auf 30% der Einwohnerzahl von 1939 fest- Heubach transportiert. Anlaufstelle war gesetzt. Heubach hat somit 844 Flüchtlinge auf- die Turnhalle. Die Wohnungskommis- zunehmen und unterzubringen. sion musste die Menschen verteilen – 23. Aug. 1946: Die Stadt Heubach zählte 1939 2.619 Einwohner. hauptsächlich Kinder, Frauen und alte 24. Nov.1946: Leute. Nach der Volks- und Berufszählung vom 29.10.46 hat die Gesamtgemeinde Heubach 3.650 Einwohner Die Unterbringung so vieler Menschen 1.559 männliche und war schwierig, zumal der Zustrom der 2.091 weibliche. Gegenüber der Volkszählung 1939 beträgt die Ostflüchtlinge kein Ende nehmen wollte. Zunahme 1.031 Einwohner. Es fehlte an vielem: „Kein Ofen war auf- zutreiben, Herde, Bettstellen, Betten, Ti- Herkunft der Flüchtlinge (nach der Jägerschen Chronik) sche, Stühle usw. fehlten. Die Menschen lagerten auf dem Zimmerboden. Die „Ende 1947 waren in Heubach wohnhaft: 526 Personen aus der Tschechei Schulsäle und der Ochsensaal, sowie das 30 Personen aus Ungarn Sängerheim waren bis 1946 Massenlager. 58 Personen aus Rumänien Gebaut konnte wegen Mangel an Bauma- 238 Personen aus Polen.” terial nichts werden. Die ausgeplünderten und schwer beschädigten Wohnbaracken = 852 Flüchtlinge an der Böbingerstraße in der Nähe der Strudelmühle hat das Bürgermeisteramt Die Fremdarbeiter hatten Heubach schon sehr bald ver- notdürftig instand setzen lassen und die lassen. Sie wurden auf amerikanischen Lastwagen zu großen Flüchtlingsfamilien bis zu 9 Perso- Sammelstellen gefahren und von dort in ihre Heimat nen dort untergebracht.” (Jägersche Chro- zurückgeführt. nik, S. 175f.) – Auch an den Dingen des Anneliese Kober (Jg.1931) berichtet, dass Ukrainerin- täglichen Bedarfs, wie Nahrungsmittel, nen von einem Lastwagen herab unter Beschimpfungen Schuhe, Kleidungsstücke usw., herrschte auf die am Straßenrand Stehenden heruntergespuckt großer Mangel. hätten. Die Polen waren noch einige Zeit in der Hardt- (Links in einer chronologischen Über- kaserne in Schwäbisch Gmünd untergebracht. Von sicht die Einwohner- und Flüchtlings- dort aus wurden etliche Raubzüge in die Umgebung zahlen und eine Zusammenstellung der unternommen. Herkunft der Flüchtlinge.) 79 80 Die Ergebnisse der ersten Gemeinderatswahlen nach dem Krieg. 9. Der Aufbau der Demokratie Landrat zum kommissarischen Bürger- meister ernannt und zusätzlich 16 kom- Franz Mächler beginnt seinen Bericht über das Kriegs- missarische Gemeinderäte. Die erste Sit- ende in Heubach vom Mai 1945 mit den Worten: zung des „neuernannten Gemeinderats” ¶ „Das tausendjährige Reich ist um – Die nach Ende des Krieges fand am 30. Juni Schreckensherrschaft ist gebrochen – Der braune 1945 statt. Spuk ist weg – Gott sei Lob und Dank !!” Im Sitzungsprotokoll heißt es: Und am Ende schreibt er: „Nun sind wir seit dem 24. Ap- „Zum Schluss der Sitzung wurde bespro- ril 1945 unter amerikanischer Herrschaft und können bis chen und bekanntgegeben: 1) Umbenen- jetzt nicht klagen. Wohl mussten einige Familien schon nung von Strassen und Plätzen, die nach das dritte Mal wegen der Besatzung aus ihren Villen und fr. Parteiführern oder Organisationen der Wohnungen ausziehen. Das ist für die Betroffenen sehr Partei benannt waren. Umbenannt wurde hart, allein die Unseren haben es ja auch gemacht. … die ‚Wilhelm Murrstr.’ in ‚Franz Keller- Eines ist sicher: strasse’ und der ‚Adolf Hitlerplatz’ in ¶ Seit dem Zusammenbruch des ‚Postplatz’. …” Nazi-Systems schnauft man leichter. Bereits im März 1933 – Hitler war noch Nicht nur allein, weil man wieder ruhig schlafen und keine zwei Monate an der Macht – hatten sprechen kann, sondern weil die ewigen Verfügungen die Ratsherren in Heubach auf Geheiß und Forderungen, Kurse und Schulungen, Vereidigun- der Partei Hitler und Hindenburg die Eh- gen und Verpflichtungen aufgehört haben. Die einseiti- renbürgerwürde verliehen und den Post- gen Pressenotizen, Rundfunksendungen, Vorträge und platz in Adolf-Hitler-Platz umbenannt. Veranstaltungen, die zu dieser unglaublichen Volksver- Wilhelm , nach dem die Straße un- dummung führen mussten, sind vorüber. … Wahrheit, terhalb des Rosensteins benannt wurde, Recht und persönliche Freiheit darf nie durch Macht un- war der Gauleiter von Württemberg-Ho- terdrückt werden.” henzollern, der Bischof Sproll des Landes verwies und später, am 14. Mai 1945, eine Wie aber vollzog sich nun der Übergang von der NS- Woche nach dem offiziellen Kriegsende, Diktatur zur Demokratie? in Egg bei Zürich Selbstmord beging. – Zunächst setzten die Amerikaner kommissarische Bür- germeister ein, die nicht durch eine NS-Vergangenheit Hinzuzufügen ist noch, dass auch das belastet waren. „Hermann-Göring-Haus” auf dem Him- Die Amerikaner bestimmten zunächst den Holländer melreich später wieder schlicht das „Na- Limberger zum kommissarischen Bürgermeister. turfreundehaus” war.

Gottlieb Bosshardt bezeichnet das als ein „Kuriosum” Nach Aussage des Gemeinderatsproto- und fährt fort: „Nach einigen Monaten musste dann aber kolls vom 29. November 1945 wurden der Bürgermeister samt seinem holl. Adjutanten flucht- artig aus Heubach verschwinden.” (Jägersche Chronik, ¶¶ „im Zuge der von der amerik. Mili- S. 181). Über die Gründe schweigen die Quellen. tärregierung befohlenen Entfernung Dann aber wurde Alfons Stegmaier, Kaufmann in Heu- von Parteigenossen aus allen Ämtern” bach, durch den von der Militärregierung eingesetzten 81 von den 16 kommissarischen Gemein- deräten durch Verfügung des Landrats sechs entlassen. Einer von ihnen kam sogar in Haft. Es war die Zeit der „Ent- nazifizierung” und der „Umerziehung” zur Demokratie.

Die erste Gemeinderatswahl nach dem Krieg fand am 27. Januar 1946 statt. Es wurden gewählt: Paul Spießhofer, Hermann Pfister, Josef Frey, Karl Wey- goldt, Eugen Beeh, Wilhelm Ostertag, Heinrich Knödler, Johannes Ziegler, Karl Burth, Albert Wahl, Georg Meyer (Buch), Eugen Haag (Beuren).

Von den 12 Sitzen entfielen 8 auf die CDU und 4 auf die „Bürgervereinigung der Stadt Heubach”. (Die SPD, die 1933 verboten worden war, gab es erst wieder „Kabinettsliste” der ersten Regierung in Württemberg-Baden. nach ihrer Neugründung am 11. Mai 1946.) von Württemberg-Baden. Die Wahl zur verfassunggebenden Versammlung Die Wahl des Bürgermeisters durch Württemberg-Baden war am 30. Juni 1946. Die Volks- den Gemeinderat fand am 23. März 1946 abstimmung über die Verfassung fand zeitgleich mit statt. Mit 10 : 1 Stimmen wurde Alfons der Wahl zum ersten Landtag von Württemberg-Ba- Stegmaier für zwei weitere Jahre zum den am 24. November 1946 statt. Und Reinhold Maier Bürgermeister gewählt. bildete sein zweites, nunmehr demokratisch legitimier- tes Kabinett, welches vom 16. Dezember 1946 bis zum Die erste Kreistagswahl war am 28. Ap- 5. Dezember 1950 regierte. ril 1946, also ein Jahr nach Kriegsende. Die Bundesrepublik Deutschland – bestehend aus den drei westlichen Besatzungszonen – wurde erst 1949 ge- Und was das Land betrifft, so form- gründet, also vier Jahre nach Kriegsende. ten die Amerikaner aus den von ihnen besetzten Gebieten Nordbaden und ¶ Der Aufbau der Demokratie vollzog sich Nordwürttemberg den Übergangsstaat also von unten nach oben: von den Gemeinden und Kreisen über die Länder bis hin zum Gesamt- Württemberg-Baden. staat, der Bundesrepublik Deutschland. Reinhold Maier wurde von der ameri- kanischen Militärregierung das Amt des Ministerpräsidenten übertragen – mit dem Auftrag, ein Kabinett zu bilden. Das war vom 24. September 1945 bis 25. November 1946 die Landesregierung 82