Die Unesco-Biosphäre und ihre Nachhaltigkeitsstrategie

Thomas Coch Unesco-Biosphäre Entlebuch (CH)*

The Unesco Biosphere Entlebuch and its strategy of sustainability

The Unesco Biosphere Entlebuch (UBE) is situated in the southern part of the and covers the valley of “Kleine ”, parts of the Napf region and of the first alpine mountain chains. Officially certified by the Unesco Committee in autumn 2001, it is the first Swiss Biosphere Reserve following the Unesco Sevilla Cri-

teria, published in 1995. As the UBE was, in worldwide context, also the first Biosphere Reserve based on a pub-Downloaded from http://meridian.allenpress.com/szf/article-pdf/159/7/191/1966337/szf_2008_0191.pdf by guest on 02 October 2021 lic election, participatory work is still the main driving action in its development. Main targets in the protection of ecosystems are peat lands – especially raised bogs, fens, karst biotopes and forest communities. Following national obligations from 2007, the UBE is converted now into a regional park of national importance (Region- aler Naturpark). This might produce conflicts in some cases, especially in the development zone or in connec- tion with activities enhancing the economic sustainability.

Keywords: biosphere, Entlebuch, regional park doi: 10.3188/szf.2008.0191

* Chlosterbüel 28, 6170 Schüpfheim, E-Mail [email protected]

er südwestliche Teil des Kantons Luzern zunächst der aktuelle Stand im Prozess der Unesco- wird massgeblich geprägt durch die Unesco- Biosphäre Entlebuch skizziert. Danach wird auf die DBiosphäre Entlebuch (UBE), welche im Sep- neue nationale Pärkeverordnung eingegangen und tember 2001 von der Unesco offiziell anerkannt den Fragen nachgegangen, inwieweit sich die Ziel- wurde. Obwohl dies nicht das einzige Biosphären- setzungen und Vorgehensweisen in einer Unesco- reservat auf Schweizer Boden ist – der Nationalpark Biosphäre nach Sevilla-Kriterien von denen eines im Unterengadin geniesst diesen Status bereits seit ­Regionalen Naturparks unterscheiden und welche den 1970er-Jahren –, verbindet man das Entlebuch Anforderungen bei einer Anerkennung als Regiona- in besonderem Masse mit der Idee der Unesco-Bio- ler Naturpark auf die UBE zukommen. Der letzte Teil sphärenreservate. Als erstes Schweizer Biosphären- gibt einen Überblick über die anstehenden Heraus- reservat folgt die UBE den Nachhaltigkeitszielen, forderungen. Der Artikel ist bewusst als «Arbeitsbe- welche 1995 am zweiten Weltkongress der Biosphä- richt» konzipiert und wartet nur in geringem Um- renreservate in Sevilla im Rahmen des Unesco-Pro- fang mit Lösungen oder gar Patentrezepten auf. gramms «Man and Biosphere» (MAB) beschlossen wurden. Diese sogenannten Sevilla-Kriterien verlangen naturräumlicher Überblick von den Biosphärenreservaten eine Orientierung an der dreifach verstandenen Nachhaltigkeit: Das Gebiet der Unesco-Biosphäre Entlebuch • nachhaltig Landschaften, Lebensräume und umfasst Gebiete des nördlichen Alpenvorlandes ihre Lebensgemeinschaften erhalten und entwickeln, (Napfregion), der Voralpen und der ersten beiden • nachhaltig die ökonomischen Lebensgrund- Kalkalpenketten. Infolge von häufigen Steigungs­ lagen sichern und der Bevölkerung eine Zukunfts- regen im Stau der Nordalpen prägen hohe Jahres­ perspektive geben, niederschläge (1600 bis 2200 mm) das Klima. Die • beide Ziele durch Partizipation und aktives Jahresmitteltemperatur liegt zwischen 8 und 10 °C, Eintreten aller Akteure nachhaltig in der Bevölke- sodass die generellen Klimabedingungen als feucht rung verankern. und subozeanisch charakterisiert werden können. Im vorliegenden Beitrag wird – nach einer Ein- Drei Hauptlandschaften sind kennzeichnend (Büh- führung in den Landschaftsraum des Entlebuchs – ler 1939).

Schweiz Z Forstwes 159 (2008) 7: 191–197 connaissances 191 durch gefaltete Molasseschichten gebildet. Südlich davon baut sich eine Kette aus Kalk mit der eindrück- lichen Karstlandschaft der Schrattenfluh (2090 m) auf. Östlich der Waldemme und südlich der Schrat- tenfluh führte eine Flyschzone im Zusammenhang mit den hohen Jahresniederschlägen zur Bildung des grössten zusammenhängenden Moorgürtels des Kantons Luzern. Die südlichste Bergkette mit dem (2350) wird von mächtigen Schich- ten des Helvetikums aufgebaut. Diese dreigeteilte naturräumliche Gliederung findet sich in der politischen Gliederung wieder. Die Gemeindegebiete der Talgemeinden Entlebuch, Hasle, Schüpfheim und erstrecken sich quasi transektförmig über alle drei Naturräume. Flä- chenmässig das grösste Gemeindegebiet weist Flühli im Waldemmental auf. Dazu gehört auch die ur- sprüngliche Enklave Sörenberg, die zu einem wich- tigen Wintersportort aufgestiegen ist. Das Gemein- Downloaded from http://meridian.allenpress.com/szf/article-pdf/159/7/191/1966337/szf_2008_0191.pdf by guest on 02 October 2021 degebiet von Marbach reicht weit ins Bernische, während die Orte Romoos und mehr dem Napfgebiet verbunden sind. Alle acht Ge- meinden zusammen umfassen eine Fläche von an- nähernd 396 Quadratkilometern und bilden die Unesco-Biosphäre Entlebuch (Abbildung 1).

Das Zonierungskonzept

Die Unesco-Sevilla-Kriterien verlangen für Abb 1 Geografische Talregion Biosphärenreservate eine Zonierung in Kernzone, Übersicht und Zonie- Das Tal der Kleinen Emme und der Wiss Emme Pflegezone und Entwicklungszone. Mit diesem Ins- rung der Unesco- verläuft von Südwesten nach Nordosten und trennt trument soll den unterschiedlichen Zielsetzungen ­Biosphäre Entlebuch. die Napfregion im Norden von der ersten Voralpen- eines Biosphärenreservates auch raumplanerisch kette im Süden. Der Talboden liegt durchschnittlich Ausdruck verliehen werden (Abbildung 1). auf 750 m ü. M. Die typischen Lebensräume des Die Kernzone sichert wertvolle Naturgebiete Haupttales sind Reste von Auenwäldern in einer teil- vor dem Zugriff anderer Landnutzungen. Hier sol- weise wenig gestörten Flusslandschaft, Wiesen und len sich die Lebensräume weitgehend ohne den Ein- Weiden in intensiver Nutzung und die Ortschaften. fluss des Menschen entwickeln. In der Pflegezone steht die behutsame Fortführung von traditionellen napfregion Landnutzungen im Vordergrund. Die schonenden Die Napfregion kulminiert im Napf (1407 m). und lenkenden Eingriffe sollen einen Puffer zwi- Während der Alpenfaltung wurde der Molassekörper schen intensiven Landnutzungsformen und der angehoben, aber nicht gefaltet. Trotz seiner Höhe wa- Kernzone bilden. In der Entwicklungszone dürfen ren weite Teile in den Eiszeiten nicht von Gletschern die Menschen möglichst ungehindert wirtschaften, bedeckt. Die Abflüsse der niederschlagsreichen Re- solange diese die Grundsätze der Nachhaltigkeit be- gion gruben sich in die zum Teil weichen Molasse- folgen. Bevorzugt werden Landnutzungen, die öko- schichten und formten ein markantes Relief mit tie- nomisch sinnvoll, Ressourcen schonend (oder sogar fen Schluchten. Noch heute sind diese kaum zu- aufbauend) und ökologisch vertretbar sind. gänglich. Auf den Plateaulagen finden sich neben den In der Zonierung der UBE spiegelt sich die Ent- Streusiedlungen Weideflächen und Mähwiesen. stehungsgeschichte des Biosphärenreservates wider. Als 1987 durch die Rothenthurm-Initiative schlagar- Voralpen und Kalkalpen tig alle Schweizer Moorlandschaften unter den strik- Die Zone der Voralpen und Alpen besteht aus ten gesetzlichen Schutz fielen, fürchteten die Entle- mehreren Bergketten, welche von Südwesten nach bucherinnen und Entlebucher um den Erhalt ihrer Nordosten verlaufen. Das Haupttal bildet die Wald- wirtschaftlichen Lebensgrundlagen. Im Brennpunkt emme, die von Süden nach Norden fliesst. Die nörd- stand dabei der Raum Sörenberg. Sollte es angesichts lichste Bergkette mit der Beichlen (1769 m) wird der vielen Moore nun unmöglich werden, den Win-

192 wissen Schweiz Z Forstwes 159 (2008) 7: 191–197 tersport als wichtige Einnahmequelle zu fördern? Der und Ressourcen schonende Bewirtschaftung weiter- anfängliche Widerstand gegen die rasch aufkom- hin möglich ist (Abbildung 5). Sie deckt vornehm- mende Idee eines Biosphärenreservates fand seine lich das Haupttal und die Siedlungszentren im Napf- Leitfigur im damaligen Tourismusdirektor von Sören- gebiet ab. berg, der als Indianer verkleidet die Unvereinbarkeit Auffallend und von Naturschutzfachleuten des Reservatsgedankens mit den Lebensperspektiven häufig diskutiert sind die Zersplitterung der Kern- der ansässigen Bevölkerung demonstrierte. Mit der zone und die teilweise fehlende Pufferung durch Neuorientierung der Biosphärenidee im Zuge des Se- eine Pflegezone insbesondere im nördlichen Teil der villa-Prozesses wurde dann aus dem Demonstranten Biosphäre. Hier grenzen die landwirtschaftlichen Theo Schnider eine Leit­figur, die sich zusammen mit Betriebe unmittelbar an die empfindlichen Biotope dem damaligen Kreisoberförster Heinrich Hofstetter, der Kernzone. dem Biologen und Mitarbeiter am Luzerner Naturkun- demuseum Engelbert Ruoss, dem Revierförster Bruno Schmid und weiteren Akteuren für die Idee des neu- Leben und Wirtschaften im Entlebuch artigen Biosphärenreservats, das später bezeichnen- derweise ohne den Zusatz «Reservat» benannt wurde, 2005 zählte die Bevölkerung im Entlebuch bei der Bevölkerung stark machte. Offensichtlich för- 16 467 Einwohner.2 Ein beträchtlicher Teil der Ein- derte das Team mit seiner Bodenständigkeit, Fachkom- wohner lebt ausserhalb der Ortschaften. Das Entle- petenz, Verantwortungsbereitschaft und viel Herzblut buch ist ein typisches Streusiedlungsgebiet. Insbe-Downloaded from http://meridian.allenpress.com/szf/article-pdf/159/7/191/1966337/szf_2008_0191.pdf by guest on 02 October 2021 die Akzeptanz der Idee: Im Jahr 2000 wurde das Bio- sondere im Haupttal markieren die Höfe jeweils das sphärenkonzept in einer Volksabstimmung in den be- Zentrum eines Besitzstreifens, welcher sich recht- teiligten acht Gemeinden von überwältigenden 94% winklig zum Fluss über das Tal erstreckt. Aber nicht aller Stimmenden gutgeheissen. Damit wurde welt- nur im Landschaftsbild dominiert die Landwirt- weit das erste Biosphärenreservat per Volksabstim- schaft. Noch heute sind über 43% der Erwerbstäti- Tab 1 Die wichtigsten mung realisiert. Einen wichtigen Anteil am Erfolg gen in der Landwirtschaft tätig, womit im Entlebuch Vegetationstypen der drei Zonen der Unesco- hatte das Zonenkonzept, welches nationale, kantonale mehr als siebenmal so viele Leute im Primärsektor Biosphäre Entlebuch und regionale Inventare berücksichtigte (Tabelle 1): beschäftigt sind wie im Schweizer Durchschnitt. Mit (ohne Wälder). Daten • 8% der Fläche gehören zur Kernzone (Abbil- etwas über 21% fällt der handwerkliche und indus- aus dem Dossier zum dung 2). Diese erstreckt sich auf sämtliche Hoch- trielle Sektor deutlich zurück. 36% der Erwerbstäti- Antrag auf die An­ moore, den grössten Teil der Übergangsmoore und gen arbeiten im Dienstleistungsbereich – vornehm- erkennung als Biosphä- das BLN-Objekt1 Schrattenfluh. lich im touristischen Sektor.2 renreservat (unver­ 42% der Fläche gelten als Pflegezone (Abbil- öffentlicht) sowie aus • dung 3). Sie umfasst alle Flachmoore und die meis- Aregger et al (1958), ten Feuchtwiesen und Waldstandorte. Naturforschende 1 Bundesinventar der Landschaften von nationaler ­Bedeutung ­Gesellschaft Luzern • 50% der Fläche verbleiben in der Entwick- 2 Statistisches Jahrbuch des Kantons Luzern 2007, (1985). lungszone, in welcher eine ökonomisch nachhaltige www.lustat.ch (9. Juni 2008)

Zone Biotope (Fläche) Bemerkenswerte Vegetationseinheiten Bemerkenswerte Arten Sphagnum sp., Drosera sp., Lycopodiella inundata, Hochmoore, Über­ Sphagnetum typ. Andromeda polifolia, Juncus stygius gangsmoore und Pinus montana, Sphagnum sp., Cladonia sp., ­Moorränder (854 ha) Sphagno-Mugetum Rhododendron ferrugineum, Melampyrum pratense Kernzone Pedicularis sp., Swertia perennis, Pinguicula vulgaris, Flachmoore (736 ha) Caricetum davallianae Parnassia palustris, Dactylorhiza sp., Epipactis palustris Caricetum ferrugineae, Seslerio-Caricetum Carex ferrugineus, C. firma, C. sempervirens, Karst (1684 ha) sempervirentis, Caricetum firmae C. brachystachys, Sesleria varia Molinia coerulea, Succisa pratensis, Caltha palustris, Feuchtwiesen (8807 ha) Diverse Einheiten der Molinietalia Trollius europaeus Diverse Einheiten der Seslerietalia, Carex sp., Sesleria varia, Agrostis alpina, Poa alpina, Alpine Rasen und Thlaspion Soldanella alpina Pflegezone ­Weiden, Trockenwiesen, Mesobrometum, Arrhenatheretum, Scabiosa lucida, Lotus corniculatus, Centaurea sp., Zwergstrauchheiden Festuco-Brometum Rhinantus minor, Salvia pratensis, Festuca sp. (7551 ha) Empetro-Vaccinietum, Loiseleurio- Juniperus communis, Rhododendron sp., Vaccinium sp., Cetrarietum, Junipero-Arctostaphyletum Homogyne alpine, Anemona montana Entwicklungs- Fettwiesen und -weiden Arrhenatheretum, Trisetetum, Arrhenaterum elatius, Trisetum flavescens, Plantago sp. zone (ca. 9000 ha) Lolio-Festucetum

Schweiz Z Forstwes 159 (2008) 7: 191–197 connaissances 193 Abb 2 Kernzone: Über- Drei typische Hofprofile können identifiziert wichtiger wird auch die Rolle des Landwirts als gangsmoor «Gross werden (Hofstetter et al 2006, Hofstetter et al 2007, «Landschaftswirt». Fast alle Massnahmen in der Pfle- Gfäl» mit Rothornkette Baur et al 2007): gezone werden durch ansässige Landwirte durchge- Downloaded from http://meridian.allenpress.com/szf/article-pdf/159/7/191/1966337/szf_2008_0191.pdf by guest on 02 October 2021 im Hintergrund. • Milchwirtschaft im Haupttal, kombiniert mit führt. Auch die besonderen Leistungen einzelner Be- einem Alpbetrieb im Sommer (zahlreiche Dorfkäse- triebe beim Aufbau von Vernetzungsflächen dürfen reien sorgen für die Veredlung der Milch), hier nicht unerwähnt bleiben. • Fleischwirtschaft mit Rindern im Haupttal, Der touristische Sektor wird im Entlebuch do- teilweise auch in Mutterkuhhaltung, ebenfalls kom- miniert vom Wintersportort Sörenberg. Auch hier biniert mit einem Alpbetrieb im Sommer, birgt die Zukunft langfristig Risiken: Weite Teile des • Mischformen in den höher gelegenen Tälern Skigebietes befinden sich unterhalb 1500 m ü. M. (z.B. Waldemmental) mit Milchkuh-, Schweine- und und damit im Bereich abnehmender Schneesicher- Ziegenhaltung. heit. Zudem wächst der Anteil der Tagesaufenthal- Auch unkonventionelle Betriebszweige haben ter im Vergleich zu den Feriengästen, was zu einer sich etabliert. Beinahe sprichwörtliche Bekanntheit erheblich geringeren Wertschöpfung führt. geniessen zum Beispiel die Erdbeeren vom Sören- Schon aus diesem knappen Aufriss wird er- berg. Für die Zukunft der Landwirtschaft sind sol- sichtlich, welche Zukunftsaufgaben auf die UBE zu- che innovativen Lösungen besonders wertvoll; denn kommen – eine echte Bewährungsprobe für das, vor dem Hintergrund der umfassenden Reformen in was unter dem Namen «Entlebucher Partizipations- der Schweizer Agrarpolitik bedarf es für die Höfe im modell» weltweit Beachtung gefunden hat. Entlebuch einer gehörigen Portion Kreativität, um tragfähige ökonomische Perspektiven zu haben. Bei der vorherrschenden Betriebsgrösse von 10 bis 20 ha Das Entlebucher Partizipationsmodell ist ein Überleben als Vollerwerbsbetrieb ohne wei- tere Einkommensquellen auch mit Optimierungs- Wie wird ein Schiff gesteuert, das keinen Ha- und Intensivierungsmassnahmen zumindest lang- fen anfahren, aber doch Kurs halten soll? Mit einem fristig unwahrscheinlich.3 Alternativen bieten sich kompetenten Steuermann und einer gut gehorchen- mit einer Integration touristischer Angebote (Agro- den Crew? Was einer Alinghi zum Erfolg verhilft, tourismus), einer Kooperation mehrerer Betriebe würde im Entlebuch am Mitbestimmungswillen der oder Betriebszweige zur Verbesserung der Markt- Bevölkerung zerschellen. Nachdem die Biosphäre position (ähnlich wie in der Waldwirtschaft) sowie Entlebuch das weltweit erste Biosphärenreservat ist, einer Verbesserung des Angebotes an Nebenerwerbs- welches sich auf einen Volksentscheid abstützen möglichkeiten in lokalen Handwerks-, Industrie- kann, setzt das Partizipationsmodell den Gedanken oder Dienstleistungsbetrieben. Eine neue Rolle des des Miteinanders auch «im Betrieb» konsequent um Landwirts als Energiewirt verkörpert im Entlebuch (Abbildung 4). Lediglich für die operativen Aufga- symbolhaft die Windkraftanlage Feldmoos oberhalb ben gibt es eine «Crew» in Form des Biosphärenma- von Entlebuch, welche sich vollständig in der Hand nagements. Auf der strategischen Ebene ergänzen eines Landwirtschaftsbetriebes befindet. Immer sich verschiedene Gremien zu einem Gefüge, wel- ches so weit als möglich die Interessen der gesamten Bevölkerung abbildet. Kernstück sind dabei die Fo- 3 Hoffman H et al (2006) Landscape development, ren, in denen sich interessierte ­Bürgerinnen und Bür- biodiversity and co-operative livestock systems in Europe, LACOPE, Recommendations for EU policies, Contract ger eines bestimmten Fachgebietes (z.B. Forst und No.: EVK2-CT-2002-00150. 155 p. Holz oder Bildung) selbst organisieren, um Zukunfts-

194 wissen Schweiz Z Forstwes 159 (2008) 7: 191–197 Abb 3 Pflegezone: perspektiven zu entwickeln. Der direkte Weg zur Biosphärenreservat und/oder Flachmoore, Feucht- Umsetzung führt über den demokratisch gewählten Regionaler Naturpark? wiesen und Gebirgs- Koordinationsrat, der sich um den Interessenaus- Downloaded from http://meridian.allenpress.com/szf/article-pdf/159/7/191/1966337/szf_2008_0191.pdf by guest on 02 October 2021 wälder im oberen gleich zwischen den Foren bemüht. Während die Die Verordnung über die Pärke von nationa- Waldemmental. Foren gemeindeübergreifend arbeiten, kommt das ler Bedeutung vom 7. November 2007 (Pärkeverord- Lokalkolorit der einzelnen Gemeinden durch den nung, PäV; SR 451.36) benennt drei verschiedene Gemeindeverband und dessen Delegiertenversamm- Park­kategorien. In Zukunft soll es in der Schweiz lung zum Tragen. Die lokalen Interessen finden da- Nationalpärke, Regionale Naturpärke und Natur- mit ebenfalls den direkten Weg zur operativen erlebnispärke geben. Art. 15 PäV beschreibt den we- Ebene. Schliesslich ergänzt ein gemeinnütziger Ver- sentlichen Anforderungsaspekt für alle drei neuen ein – gerne auch als «Fanclub» bezeichnet – das Spek- Kategorien folgendermassen: Pärke in der Schweiz trum der Partizipation, indem er Anliegen befördert, sollen hohe Natur- und Landschaftswerte verkör- die ausserhalb der Interessen anderer Gremien ste- pern. Speziell gelistet werden als Kriterien die Viel- hen oder von diesen nur teilweise abgedeckt werden. falt und Seltenheit der ansässigen Tier- und Pflan- Natürlich ergeben sich bei einer so breiten Abstüt- zenarten sowie ihrer Lebensräume, die besondere zung der Mitbestimmung auch Probleme. Zu nen- Schönheit und Eigenart der Landschaft und ein nen sind vor allem die zeitaufwendige Meinungsfin- geringer Grad an Beeinträchtigungen sowohl der dung und unkalkulierbare Entscheidungsprozesse. Lebensgemeinschaften als auch der kulturgepräg- Trotz diesen Hürden hat das Entlebucher Partizipa- ten Bestandteile einer Landschaft (Bauten, Ortsbil- tionsmodell in der weltweiten Gemeinde der Bio- der, Nutzungsformen). Damit wird deutlich, dass sphärenreservate Vorbildcharakter erlangt, und auch zwischen einem Biosphärenreservat nach Unesco- in der neuen Schweizer Pärkeverordnung finden sich Kriterien und einem Park nach der PäV beträchtli- Parallelen zum Entlebucher Vorbild. che Unterschiede be­stehen.

Abb 4 Das Partizi­pa- tionsmodell der Gemeindeverband UBE Unesco-Biosphäre Delegiertenversammlung Entlebuch.

Vorstand UBE Vorstand UBE 8 Gemeinden 1 Vertreter Verein UBE Wissenschafts- Internationale Partner plattform (Partnerschaft FHZ) Kooperationspartner Biosphärenmanagement aus Umwelt, Wirtschaft Kompetenzzentrum GIS/Marke/Ad-hoc- und Gesellschaft Arbeitsgruppen

Koordinationsrat Präsidenten/Geschäftsführer einzelner Branchen und Interessengruppen

Forum Energie Landwirtschafts- Tourismus- Kunst-/ Bildungsforum Holzforum Gewerbeforum und Mobilität forum forum Kulturforum Natur/Landschaft

Schweiz Z Forstwes 159 (2008) 7: 191–197 connaissances 195 Abb 5 Entwicklungs- Mit dem «Man and Biosphere»-Programm der Naturpark eine Betonung auf das Bewahren der be- zone: intensive Land- Unesco wird seit der 2. Weltkonferenz in Sevilla stehenden Werte legt. Dies zeigt sich auch im Bewer- wirtschaft und Ge­ 1995 – und noch intensiviert durch die 3. Weltkon- tungsinstrument, welches das Bundesamt für Um- werbegebiet im Tal ferenz Anfang Februar 2008 in Madrid – die Not- welt (Bafu) erstellt hat, um zu einer einheitlichen der Kleinen Emme bei wendigkeit der Gründung von Biosphärenreservaten Bewertung der Landschaftsqualität in den künfti- Hasle. in Problemzonen, wie städtischen Agglomerations- gen Parkgebieten zu kommen. Demnach führt bei- räumen, Bergbaufolgelandschaften oder stark gestör- spielsweise der Erhalt traditioneller Gebäude- und Downloaded from http://meridian.allenpress.com/szf/article-pdf/159/7/191/1966337/szf_2008_0191.pdf by guest on 02 October 2021 ten Küsten- und Flusslandschaften, hervorgehoben. Siedlungsformen zu Pluspunkten, während Wind- Nicht die noch vorhandene Landschaftsqualität soll kraftanlagen oder Solardächer zu Punktabzügen füh- als wichtigstes Kriterium für die Gründung neuer ren. Ob dies im offenen Widerspruch zum Erläute- Biosphärenreservate dienen, sondern das Optimie- rungsbericht steht (Uvek 2007), der ausdrücklich auf rungspotenzial hinsichtlich einer umfassend ver- die Förderung innovativer, umweltfreundlicher standenen Nachhaltigkeit sowie die Bereitschaft der Technologien im Regionalen Naturpark hinweist, Bevölkerung, diesen Prozess aktiv anzugehen. oder lediglich eine besondere Sorgfaltspflicht im Dagegen gewichtet der Schweizer Gesetzgeber Umgang mit dem Landschaftsbild begründen den Schutzgebietscharakter sehr hoch. Wenig beein- möchte, bleibt offen. trächtigte, möglichst intakte Landschaften sollen Von praktischer Bedeutung ist das Fehlen der mit dem Parkstatus vor dem Zugriff des Menschen Zonierung in einem Regionalen Naturpark. Die Qua- geschützt werden. Hinter diesem Unterschied ver- litätsanforderungen von Art. 15 PäV gelten für die birgt sich ein Paradigmenwechsel des Natur- und gesamte Parkfläche. Hinsichtlich der Kern- und Pfle- Landschaftsschutzes, der die Diskussion im letzten gezone wird eine parallele Existenz als Regionaler Jahrzehnt bestimmt hat: Sollen wir mit neuen Pär- Naturpark und Bio­sphärenreservat keine Konflikte ken ein pfleglicheres Miteinander von Mensch, Na- bereiten. In der Entwicklungszone könnte jedoch tur und Landschaft fördern oder lieber die verblie- das Beharren auf hohen Eigenarts- und Vielfaltswer- benen Reste historischer Kulturlandschaften vor ten von Natur und Landschaft beispielsweise im Dis- dem weiteren Zugriff des Menschen schützen? sens zur Etablierung von alternativen Energien, wie Die im vorliegenden Kontext relevante natio- Solardächern oder Windkraftanlagen, stehen, wie nale Kategorie des Regionalen Naturparks versucht sie in einer Biosphäre gefordert sind. hier den Spagat: Einerseits gilt für sie die in Art. 15 Im Gegensatz zu den internationalen Gepflo- PäV beschriebene Beschränkung auf Gebiete mit ho- genheiten müssen Biosphä renreser vate nach Unesco - hen (verbliebenen) Natur- und Landschaftswerten. Kriterien in der Schweiz künftig auf nationaler Ebene Andererseits fordert Art. 21 PäV auch eine Stärkung den Kriterien des Regionalen Naturparks genügen, der nachhaltig betriebenen Wirtschaft – und damit wenn sie in den Genuss von Bundesmitteln kommen eine der drei Nachhaltigkeitssäulen nach der Sevilla- wollen, da es in der PäV keine eigene Kategorie für Strategie für Biosphärenreservate. Auch hinsichtlich Biosphärenreservate gibt. Die UBE ist nur eine von der Partizipation gibt es gewisse Anleihen bei den über 30 Initiativen für Regionale Naturpärke, die Erfahrungen in der UBE: Art. 25 PäV setzt die Mit- sich künftig eine Förderung durch den Bund erhof- wirkung der Bevölkerung in der Parkträgerschaft fen. Für 2008 haben zehn Pärke und Parkprojekte zwingend voraus. Damit verbleibt als wesentlicher beim Bafu ein Anerkennungsgesuch eingereicht. Die Unterschied eines Regionalen Naturparks gegenüber UBE wurde Ende April 2008 vom Bafu als erster Re- einem Biosphärenreservat der prozessuale Charak- gionaler Naturpark anerkannt. Damit wurden die ter dieser Mitwirkung. Anstrengungen des Entlebuchs für eine nachhaltige Unabhängig vom Ausgangszustand fordert der Entwicklung der Region und die partizipativen Pro- Status eines Biosphärenreservates das stete Streben zesse in der Bevölkerung gewürdigt. In der Biosphäre nach Verbesserung der ökologischen, ökonomischen Entlebuch wird sich zukünftig jedoch zeigen, ob und sozialen Nachhaltigkeit, während der Regionale man dauerhaft «Diener zweier Herren» sein kann.

196 wissen Schweiz Z Forstwes 159 (2008) 7: 191–197 ein Blick voraus renreservat ist jedoch nicht das Erreichen eines be- sitmmten Zustands oberstes Ziel, vielmehr wird ein In den nächsten Jahren stehen für die UBE Unesco-Biosphärenreservat durch das ehrliche Stre- wichtige Herausforderungen an: ben nach Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Die UBE ori- • Der bestehende regionale Entwicklungsplan entiert sich deshalb an der Redewendung «Der Weg muss an die PäV angepasst werden. Dies erfordert ist das Ziel». Sie befindet sich auch bald sieben Jahre die gegenseitige Abstimmung der Schutzziele des Re- nach der Anerkennung in einem steten Prozess, der gionalen Naturparks und der Entwicklungsziele des wohl nie zu Ende sein wird. n Biosphärenreservates. Zielkonflikte müssen ange- Eingereicht: 12. Februar 2008, akzeptiert (mit Review): 7. April 2008 gangen und gelöst werden. • Eine ökologische Erfolgskontrolle soll – abge- stimmt mit dem Vorgehen in den neuen Pärken – möglichst rasch aufgegleist werden. Literatur • Die Zunahme des Tourismus in der Biosphäre erfordert eine neue Strategie: Einerseits soll der Aregger J (1958) Flora der Talschaft Entlebuch und der an- (sanfte) Wandertourismus gefördert werden, ande- grenzenden Gebiete Obwaldens. Schüpfheim: Blätter Hei- rerseits entstehen durch die Diversi­fizierung der An- matkunde Entlebuch. 296 p. gebote unter Umständen neue Belastungen für Na- Baur P, Müller P, Herzog F (2007) Alpweiden im Wandel. Downloaded from http://meridian.allenpress.com/szf/article-pdf/159/7/191/1966337/szf_2008_0191.pdf by guest on 02 October 2021 tur und Landschaft, denen beispielsweise durch AgrarForschung 14: 254–259. Besucherlenkungskonzepte zu begegnen ist. Bühler J (1938) Veränderungen in der Landschaft, Wirtschaft • Der Klimawandel wirkt unübersehbar auch auf und Siedlung des Entlebuch. Zürich: Univ Zürich, Diss. 181 p. das Entlebuch ein. Borkenkäferkalamitäten, Ände- Hofstet ter P, Petermann R, Boltshauser A, Ruoss E (2006) rungen beim Wasserhaushalt der Moore oder der Ruf Structural analysis of cattle farming and its development nach der Erweiterung der künstlichen Beschneiung in the Entlebuch UNESCO Biosphere Reserve. Grassl Sci sind nur einige der Probleme und Fragen, die sich Eur 11: 655–657. daraus ergeben. Hofstetter P et al (2007) Impact of Swiss agro-environmen- • Viele Pflegemassnahmen in den Kulturräumen tal policy on cattle farming and target species in the Ent- des Entlebuchs werden von den landwirtschaftli- lebuch UNESCO Biosphere Reserve. Grassl Sci Eur 12: chen Betrieben geleistet. Es stellt sich die Frage, wel- 496–499. Naturforschende Gesellschaft Luzern (1985) Flora des che Perspektiven es im Miteinander von Landwirt- Kantons Luzern. Luzern: Raeber. 606 p. schaft, Landschaft und Tourismus gibt. Uvek (2007) Erläuterungsbericht vom 25. Januar 2007 zur Lösungen liegen nicht gleich auf der Hand. ­Verordnung über die Pärke von nationaler Bedeutung Möglicherweise wird es auch nicht für alle Problem- ­(Pärkeverordnung, PäV). Bern: Eidg Depart Umwelt Ver- felder eine Lösung geben. Für ein Unesco-Biosphä- kehr Energie Kommunikation. 27 p.

Die Unesco-Biosphäre Entlebuch und La réserve de biosphère de l’Unesco ihre Nachhaltigkeitsstrategie de l’Entlebuch et sa stratégie de durabilité

Die Unesco-Biosphäre Entlebuch (UBE) liegt im südlichen Teil La réserve de biosphère de l’Unesco de l’Entlebuch («UBE») des Kantons Luzern und umfasst das Tal der Kleinen Emme, est située dans le sud du canton de Lucerne et s’étend sur la Teile der Napfregion und der ersten Alpenkette. Die UBE er- vallée de la Petite Emme, une partie de la région du Napf et hielt die offizielle Anerkennung durch die Unesco-Kommis- des premiers massifs des Alpes. Ayant été reconnue officiel- sion im Herbst 2001 und ist damit das erste Biosphärenreser- lement par l’Unesco en automne 2001, l’UBE est la première vat der Schweiz, welches die 1995 beschlossenen Unesco- réserve de biosphère de Suisse, suivant les critères de Séville Sevilla-Kriterien verfolgt. Weltweit war die UBE das erste établis par l’Unesco en 1995. Au niveau mondial, elle était Biosphärenreservat, dessen Gründung auf einer Volksabstim- également la première réserve de biosphère à se baser sur mung basiert, und auch heute ist die Partizipation der Bevöl- une votation populaire. C’est pourquoi la participation de la kerung die treibende Kraft in der Entwicklung der UBE. Der population est encore aujourd’hui une force majeure de son Fokus beim Schutz von Ökosystemen liegt hauptsächlich auf développement. Les cibles principales de la protection des den Moorlandschaften, Karstgebieten und Waldgesellschaf- écosystèmes sont les paysages marécageux, en particulier les ten. Aufgrund der nationalen Pärkeverordnung von 2007 wird haut et bas-marais, les biotopes karstiques et les peuplements die UBE in einen «Regionalen Naturpark» von nationaler Be- forestiers. Suivant l’Ordonnance sur les parcs de 2007, l’UBE deutung umgewandelt. Dies kann in einigen Fällen zu Kon- est également reconsidérée comme «Parc naturel régional». flikten führen, insbesondere in der Entwicklungszone oder Ce nouvel état de fait pourrait engendrer des conflits dans bei Aktivitäten, welche allgemein die ökonomische Nachhal- certains cas, particulièrement dans la zone de développement tigkeit fördern möchten. ou pour les activités encourageant une économie ­durable.

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