Plenarprotokoll 13/237

Deutscher

Stenographischer Bericht

237. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Inhalt:

Abwicklung der Tagesordnung 21751 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Vereinbarte Debatte zur Sicherheit von Tagesordnungspunkt 1: Castor-Transporten 21773 A Aussprache zum 150. Jahrestag der Dr. , Bundesministerin verfassunggebenden Nationalversamm- BMU 21773 A lung in der Frankfurter Paulskirche 21751 B Michael Müller (Düsseldorf) SPD 21777 C CDU/CSU 21751 B Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21779 B Freimut Duve SPD 21753 C Dr. F D P. 21781 D (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Dr. PDS 21783 B GRÜNEN 21757 D Dr. , Bundeskanzler 21785 B SPD 21758 D (Köln) SPD 21786 A Dr. F.D.P 21760 D Dr. Gerhard F riedrich CDU/CSU 21788 B, 21790 D Dietmar Schütz (Oldenburg) SPD 21789 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 21763 D Rolf Köhne PDS 21790 C Michaela Geiger CDU/CSU 21765 C Birgit Homburger F D P. 21791 A Hans-Ulrich Klose SPD 21767 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU 21792 A Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 21771 A Hans-Peter Kemper SPD 21793 B Dr. Klaus Lippold (Offenbach) CDU/CSU 21794 C, Tagesordnungspunkt 2: 21796A Dr. Peter Struck SPD 21795 D Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren Vizepräsident Dr. 21793 A a) Erste Beratung des von der Bundesre- Tagesordnungspunkt 4: gierung eingebrachten Entwurfs eines Fragestunde Gesetzes zur Umsetzung der EG-Ein- (Drucksachen 13/10757 vom 22. Mai lagensicherungsrichtlinie- und der EG Anlegerentschädigungsrichtlinie 1998 und 13/10778 vom 26. Mai 1998) (Drucksache 13/10736) 21772 D Aufforderung des österreichischen Um- b) Erste Beratung des von der Bundesre- weltministers zur Überprüfung der Einhal- gierung eingebrachten Entwurfs eines tung der Sicherheitsauflagen für das slo- Gesetzes zur Aufhebung von Sterili- wakische Kernkraftwerk Mochovce vor sationsentscheidungen der ehemaligen Aufnahme des Probebetriebs; Warnung Erbgesundheitsgerichte (Drucksache des Leiters der internationalen Expe rten- 13/10708) 21772 D kommission zu Mochovce vor nicht oder

II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

schwer behebbaren Sicherheitsmängeln Berücksichtigung der Wi rtschaftlichkeit nach Aktivierung des Reaktors 21796 C der Standorte in Bundesliegenschaften bei der Neustrukturierung der Zivildienst- Dringl Anfr 1 und 2 schulstandorte Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN MdlAnfr 17 Siegrun Klemmer SPD Antw PStSekr Walter Hirche BMU 21796 D, 21797 D Antw StSekr Dr. Wil li Hausmann BMFSFJ 21805 D ZusFr Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ ZusFr Siegrun Klemmer SPD 21806 A DIE GRÜNEN 21797 A, 21798 B ZusFr Wolfgang Behrendt SPD 21797 B Wiederaufnahme der Tätigkeit des Stif- ZusFr Horst Kubatschka SPD 21797 C tungsrates der Stiftung für das sorbische Volk; Kürzung der Zuschüsse ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/ MdlAnfr 19, 20 21799 B DIE GRÜNEN Stephan Hilsberg SPD Antw PStSekr BMI 21806 B, Vertragliche Möglichkeiten der Bundesre- 21807 A gierung zur Überprüfung der Einhaltung der Sicherheitsauflagen für das slowaki- ZusFr Stephan Hilsberg SPD 21806 C, 21807 C sche Kernkraftwerk Mochovce vor Auf- nahme des Probebetriebs Fälle nachgewiesener inoffizieller Mitar- beit für das Ministerium für Staatssicher- Dringl Anfr 3 heit ohne Aktennachweis; Wahrheitsge- Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE halt der Stasi-Akten GRÜNEN MdlAnfr 21, 22 Antw PStSekr Walter Hirche BMU 21799 D Kurt Neumann (Berlin) fraktionslos ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/ Antw PStSekr Manfred Carstens BMI 21807 D, DIE GRÜNEN 21800 A 21808 B ZusFr Wolfgang Behrendt SPD 21800 D ZusFr Kurt Neumann (Berlin) fraktionslos 21808 A, 21808 D ZusFr Horst Kubatschka SPD 21801 B ZusFr Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ Änderung der Kraftfahrzeugsteuer für DIE GRÜNEN 21801 C Pkws mit wesentlich höherem Schadstoff- ausstoß im realen Verkehrsverhalten ZusFr Rolf Köhne PDS 21802 B MdlAnfr 24 Verweigerung der Kostenerstattung für Hans Büttner (Ingolstadt) SPD zugelassene Arzneimittel aus einem ande- Antw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 21809 D ren EU-Staat durch die deutschen Kran-- ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 21809 C kenkassen MdlAnfr 3 Hilfszahlungen von IWF und Weltbank an Hans Büttner (Ingolstadt) SPD von der Finanzkrise in Südostasien betrof- fene Länder; deutscher Anteil Antw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann- MdlAnfr 29, 30 Pohl BMG 21802 C SPD ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 21802 D Antw PStSekr Hansgeorg Hauser BMF 21810 B, 21811 A Auswahl und Vergleich der Angebote zum ZusFr Gernot Erler SPD 21810C, 21811 B Rüstungsvorhaben „Gepanzertes Trans- port-Kraftfahrzeug - GTK" Zusatztagesordnungspunkt 2: MdlAnfr 10, 11 Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- (F.D.P.) Jürgen Koppelin desregierung zu den ausländerpoliti- Antw PStSekr Dr. Klaus Rose BMVg 21803 D, 21804 B schen Beschlüssen der CSU 21811 D ZusFr Jürgen Koppelin F.D.P. 21804 A, 21804 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 21811 D Akzeptanz der BGS-Kasernen in Braun- Michael Teiser CDU/CSU 21813 A schweig und Bodenteich für die politische Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD 21814 C Bildung Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. 21815 C MdlAnfr 16 PDS 21816 C Klaus Hagemann SPD , Bundesminister BMI 21817 C Antw StSekr Dr. Willi Hausmann BMFSFJ 21805 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ZusFr Klaus Hagemann SPD 21805 B NEN 21818 A

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 III

Dr. CDU/CSU 21819 B Anlage 7 Fritz Rudolf Körper SPD 21820 B Schutz der Kinder vor der Nutzung von Heinz-Jürgen Kronberg CDU/CSU 21821 B sog. dating lines Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU 21822 B MdlAnfr 14, 15 - Drs 13/10757 - Verena Wohlleben SPD Nächste Sitzung 21823 C SchrAntw StSekr Dr. Willi Hausmann BMFSFJ 21827* C

Anlage 1 Anlage 8 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 21825* A Pläne für eine Neustrukturierung der Zi- vildienstschulen Anlage 2 MdlAnfr 18 - Drs 13/10757 - Lieferung von Rüstungsgütern an Indone- Leyla Onur SPD sien seit Beginn der 13. Wahlperiode SchrAntw StSekr Dr. Willi Hausmann MdlAnfr 1- Drs 13/10757 - BMFSFJ 21828* A Hans Wallow SPD SchrAntw PStSekr Dr. Heinrich L. Kolb Anlage 9 BMWi 21825* C Regelungen für die Beschäftigten des zur Schließung vorgesehenen Regierungsbun- Anlage 3 kers in Bad Neuenahr-Ahrweiler; Betei- Mietbelastung der Haushalte mit gerin- ligung der Grundstückseigentümer bei gem Einkommen in den westlichen und Nutzungsänderungen Wohngeldkürzungen 1999 in den östli- MdlAnfr 23 - Drs 13/10757 - chen Bundesländern Hans Wallow SPD MdlAnfr 4, 5 - Drs 13/10757 - SchrAntw PStSekr Manfred Carstens BMI 21828* B Klaus-Jürgen Warnick PDS SchrAntw PStSekr Joachim Günther Anlage 10 BMBau 21825* D Einführung zusätzlicher steuerlicher Be- triebs-/Unternehmensprüfungen Anlage 4 MdlAnfr 25, 26 - Drs 13/10757 - Kosten des geplanten Forschungsreaktors Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD München II (FRM II) SchrAntw PStSekr Hansgeorg Hauser MdlAnfr 6, 7 - Drs 13/10757 - BMF 21828* D Horst Kubatschka SPD SchrAntw PStSekr Anlage 11 BMBW 21826* A Zuschüsse und steuerliche Vorteile der Ar- beitsmarktförderung für Unternehmen ohne Schaffung neuer Arbeitsplätze bei Anlage 5 Standortwechsel Verhandlungen mit Belgien über die mit- MdlAnfr 27, 28 - Drs 13/10757 - telfristige Aufgabe des Truppenübungs- Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD platzes Vogelsang/Eifel SchrAntw PStSekr Hansgeorg Hauser MdlAnfr 9 - Drs 13/10757 - BMF 21829* B Frederick Schulze CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Klaus Rose BMVg 21826* C Anlage 12 Nichtinanspruchnahme von Bundesmit- Anlage 6 teln durch Schleswig-Holstein 1994 bis Vergleichbarkeit- der Angebote zum GTK 1997 Projekt MdlAnfr 31 - Drs 13/10757 - MdlAnfr 12, 13 - Drs 13/10757 - CDU/CSU Dr. Elke Leonhard SPD SchrAntw PStSekr Hansgeorg Hauser SchrAntw PStSekr Dr. Klaus Rose BMVg 21827* A BMF 21829* D

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21751

237. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Beginn: 13.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Zeit, die ideengeschichtlichen Kontinuitäten dieser Herren, die Sitzung ist eröffnet. beiden Ereignisse herauszuarbeiten, trotz - oder ge- rade wegen - der dazwischenliegenden Systembrü- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll che. Das Paulskirchen-Parlament und seine Verfas- nach der Aussprache zum 150. Jahrestag der verfas- sung sind keineswegs ein isoliertes und gescheitertes sunggebenden Nationalversammlung in der Frank- Experiment, sondern, wie Wilhelm Bleel richtig fest- furter Paulskirche eine vereinbarte Debatte zur Si- stellte, ein „Kristallisationspunkt innerhalb der Ent- cherheit von Castor-Transpo rten stattfinden. Die Be- wicklung Deutschlands während der letzten beiden fragung der Bundesregierung soll entfallen. Nach Jahrhunderte". der zirka zweistündigen Fragestunde beginnt dann die Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Dem Paulskirchen-Parlament war im Vormärz die Bündnis 90/Die Grünen zum Thema „Haltung der Herausbildung der bildungsbürgerlichen Gesell- Bundesregierung zu den ausländerpolitischen Be- schaft vorausgegangen. Zwar herrschten in Mettern- schlüssen der CSU". Sind Sie damit einverstanden? - ichs Deutschem Bund polizeistaatliche Überwachung Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. und rigide Zensur, dennoch entfaltete sich in diesen Jahren eine kritische Lese- und Diskussionsgesell- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: schaft. Die Universitäten waren ihre geistigen Zen- tren, die „politischen Professoren" wie die „Göttinger Aussprache zum 150. Jahrestag der verfas- Sieben" ihre Wortführer, deren Ideen die öffentlichen sunggebenden Nationalversammlung in der Diskussionen bestimmten und später in den Plenar- Frankfurter Paulskirche debatten des Paulskirchen-Parlaments aufgegriffen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind wurden. für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Es ist so be- Aus den Denkströmungen der Debattierlokale schlossen. wurden parlamentarische Fraktionen, aus den ideel- len Wortführern wurden Politiker aus Berufung. Da- Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt die Kollegin mit war der programmatische Ausgangspunkt der Vera Lengsfeld. Parteienbildung in Deutschland geschaffen.

Aus der Bildungsbürgergesellschaft ging eine Kul- Vera Lengsfeld (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland ist nicht turnation hervor, die ihrerseits von der Staatsbürger- reich gesegnet mit demokratischen Traditionen. Um gesellschaft zu einer Staatsnation strebte. Mit den so kostbarer sollten sie uns sein. Das Paulskirchen- Beschlüssen zur Einberufung der Nationalversamm- Parlament hat zwar nur ein gutes Jahr getagt, aber es lung gründete sich diese Nation innerhalb von nur hat viele Spuren hinterlassen. Seine Verfassungs- zwei Monaten praktisch selbst. Konstituierendes Mo- grundsätze gingen in die Verfassung der Weimarer ment war die Grundidee des Bürgertums, Freiheit Republik ein. Das Grundgesetz der Bundesrepublik und Einheit als sich gegenseitig bedingende und steht in seiner Tradition. Deshalb ist die öffentliche stützende Ziele zu begreifen. Durch die Gewährung Erinnerung und Würdigung des ersten demokrati- von freiheitlichen Grundrechten für alle sollten die schen Parlaments der Deutschen trotz seines Schei- Deutschen in eine Staatsbürgernation integriert wer- terns für die Entwicklung unserer demokratischen den. Kultur unerläßlich. So stand am Beginn der Verfassungsdebatte die Vor 150 Jahren konstituierte sich die verfassung- Abschaffung des Polizeistaats und der ständischen gebende Nationalversamlung in Frankfu rt am Main. Gesellschaft in Deutschland. Aber nicht die Aufhe- Vor 50 Jahren, am 1. September 1948, trat der Parla- bung der unfreien Vergangenheit stand im Mittel- mentarische Rat in Bonn zusammen. Es ist an der punkt der vom Paulskirchen-Parlament verabschie- 21752 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Vera Lengsfeld deten Grundrechte, sondern die Schaffung des libe- hinken bei der Entwicklung der Demokratie haben ralen Rechtsstaates, die Gewährleistung der Würde in Deutschland mehr das Untertanenbewußtsein ge- der Person und des Rechts auf Eigentum als Voraus- fördert als den Freiheitswillen gestärkt. Ebenso fol- setzung freiheitlicher Entfaltung der Staatsbürger. genreich war, daß sich die deutsche Politik - beson- Die Formulierung „Grundrechte" war eine Wo rt ders nach Bismarck - fast vollständig auf den natio- -schöpfung des Verfassungsausschusses. Sie standen nalen Rivalitätenkampf in Europa reduzierte. von Anfang an im Zentrum aller Bemühungen der Frankfurter Demokraten. In ihren ersten Verlautba- Erinnert werden muß aber auch an das Erstarken rungen forderten sie die Abschaffung der Karlsbader der kommunistischen Bewegung in dieser Zeit. Karl Beschlüsse, Presse- und Versammlungsfreiheit, Ge- Marx und Friedrich Engels hatten im Feb ruar 1848 wissens- und Lehrfreiheit; kurzum - wie das Offen- das Kommunistische Manifest herausgegeben. Ihr bacher Programm der südwestdeutschen Demokra- Bund der Kommunisten war damals noch fast bedeu- ten formulierte - tungslos. Marx hatte seine Genossen aufgefordert, die bürgerliche Revolution zu unterstützen, aber das unveräußerliche Recht des menschlichen gleichzeitig angekündigt, daß die bürgerliche Verfas- Geistes, seine Gedanken unverstümmelt mitzu- sung überwunden werden müsse, um die Diktatur teilen. des Proletariats zu errichten. Nach mehrmonatiger engagierter Debatte wurden Mit dem Scheitern des demokratischen National- am 20. Dezember 1848 die für die deutsche Verfas- staates nach 1848 hängt das Erstarken der Radikalen sungsgeschichte wegweisenden Grundrechte des von rechts und links zusammen. Weil kein für die ge- deutschen Volkes verabschiedet. Do rt heißt es: samte Nation geltendes politisches Verfahren zur ge- sellschaftlichen Konfliktregelung zur Verfügung Die Freiheit der Person ist unverletzlich ... Jeder stand und keine außenpolitische Willensbildung mit Deutsche hat das Recht, durch Wo rt, Schrift, Beteiligung des Volkes stattfand, konnten die Natio- Druck und bildliche Darstellung seine Meinung nalisten und die Sozialisten/Kommunisten ungelöste frei zu äußern ... Die Deutschen haben das Recht, Probleme für ihre Zwecke nutzen. Und sie haben sie sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln ... genutzt. Ein ganzes Jahrhundert nach dem Paulskir- Die mit dem jahrzehntelangen Ringen um Demokra- chen-Parlament haben Nationalisten und Kommuni- tie und Einheit der Nation verbundenen Hoffnungen sten gegen die Ansätze der ersten Reichsverfassung schienen sich zu erfüllen. gekämpft. Beide hatten Gelegenheit, ihren politi- schen Vorstellungen staatliche Gestalt zu geben. Das Aber die Verfassung konnte nicht umgesetzt wer- bedeutete für Deutschland die Rückkehr des Polizei- den. Damit war das Verfassungswerk hinfällig, und staates in Form der totalitären Überwachungsstaaten die vom Parlament geschaffenen Institutionen verfie- des 20. Jahrhunderts, die, wie Altbundespräsident len rasch. Dies liegt nicht allein an der Weigerung Theodor Heuss bemerkte, alle früheren Repressionen des preußischen Königs, die vom Parlament angebo- als Ausdruck eines dilettantischen Halbvermögens tene Kaiserkrone anzunehmen und damit Oberhaupt erscheinen ließen. einer konstitutionellen Monarchie zu werden. Die Ur- Bei geschichtlichen Rückblicken darf eigentlich sachen liegen auch in der unterentwickelten- politi- schen Kultur, die den neuen demokratischen Natio- nicht gefragt werden: Was wäre gewesen, wenn? nalstaat noch nicht tragen konnte, und vor allem im Aber in diesem Fall kann eindeutig gesagt werden: Bruch des demokratischen Konsenses zwischen der Hätte sich die Verfassung des Paulskirchen-Parla- liberalen Mitte und der demokratischen Linken in ments durchgesetzt, wären uns Nationalsozialismus der Frage des Waffenstillstandes für Schleswig-Hol- und Kommunismus in Deutschland erspart geblie- stein begründet. Die extremen Vertreter der Linken ben. sahen ihre Politik in der Schleswig-Holstein-Frage (Beifall bei der CDU/CSU) vor dem Hintergrund eines umfangreichen Pro- gramms zur Einführung einer radikalen Ordnung in Die friedliche Revolution, die 1989 das Regime der Deutschland und Europa. Sie haben dabei nicht ge- DDR zum Einsturz brachte, bewies die Geschichts- zögert, selbst die Errungenschaften der Märzrevolu- mächtigkeit der Ideen von Freiheit und Demokratie. tion aufs Spiel zu setzen, wenn ihnen diese nicht ge- Die Ziele und Ideale von 1848 standen in den Wo- nügend radikal erschienen. chen der Montagsdemonstrationen an der Spitze des Forderungskataloges der Menschen. 150 Jahre nach Das Scheitern bei der Schaffung eines breiten der Nationalversammlung in der Frankfu rter Pauls- Grundkonsenses für eine parlamentarische Demo- kirche haben sich die Ideale von Demokratie und kratie in Deutschland wirkte bis ans Ende dieses Menschenwürde endlich in ganz Deutschland - und Jahrhunderts nach. Nach 1850 gab es nur halbher- in ganz Europa - durchgesetzt. Deutschland ist ein zige Reformen, und die von den deutschen Teilstaa- einheitlicher und demokratischer Verfassungsstaat. ten verabschiedeten Verfassungen blieben weit hin- Einheit und Freiheit als die politischen Zentralforde- ter der 48er Reichsverfassung zurück. In Deutschland rungen von 1848 sind verwirklicht. Die Ideen von wurde eine lange politische Pe riode eingeleitet, in 1848 trugen, wenn auch mit Verspätung, einen Sieg der der nationale Gedanke Vorrang vor der politi- davon. schen Idee der Demokratie hatte. Die Einheit der Na- tion wurde zwar im Zusammenhang mit mehreren Doch dieser Sieg ist schon wieder gefährdet. Kaum Kriegen unter der Führung Preußens schließlich er- zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des vorläufig rungen. Aber diese Einheit von oben und das Nach letzten totalitären Regimes auf deutschem Boden Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21753

Vera Lengsfeld wird in Sachsen-Anhalt - trotz der Wahlerfolge der Bürgergesellschaft sind von unten durchgesetzt wor- Rechtsradikalen - einer Pa rtei die stille Teilhaber- den. Jetzt gilt es, sie zu verteidigen. schaft an der Macht eingeräumt, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Deutschland hat mit seiner schwachen demokrati- Widerspruch bei der SPD, dem BÜND schen Tradition starke demokratische Institutionen NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - hervorgebracht. Wir müssen diese Institutionen Dr. [PDS]: Wofür die schützen, um unsere Traditionen weiterentwickeln Paulskirche alles herhalten muß!) zu können, bis demokratisches Denken und Handeln deren erklärtes Ziel für die kommende Bundestags- allen Staatsbürgern in Fleisch und Blut übergegan- wahl das folgende ist gen sind. Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie und entschlossene Demokraten, die gegen die Sire- (Weitere Zurufe von der SPD und der PDS) nengesänge der Demokratiefeinde immun sind. - hören Sie bitte zu - An die Revolution von 1848 zu erinnern heißt des- halb, sich immer das Tun der damals Handelnden vor Augen zu führen, ihren inneren Antrieb und Einsatz Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich reagiere jetzt zu würdigen und sich an ihnen ein Beispiel für die wie damals der Präsident in der Paulskirche und politische Gestaltung der Zukunft zu nehmen. Dar- sage: Jeder hat das Recht zur Rede, und dann haben aus muß unser demokratisches Gemeinwesen seine die anderen das Recht zur Gegenrede. Kraft schöpfen, wenn es nicht verkümmern wi ll. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vera Lengsfeld (CDU/CSU): - ich zitiere -: „der grundlegende, im Ke rn revolutionäre Wandel der Eigentums- und Machtverhältnisse" und die „Ablö- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der sung der gegenwärtigen politischen Praxis und der Kollege Freimut Duve. sie tragenden Verhältnisse". Das ist eine offene (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Kampfansage an die parlamentarische Demokratie DIE GRÜNEN]: Freien Mutes!) und den Rechtsstaat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Freimut Duve (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- ginnen und Kollegen! „Frühling der Völker" - so Magdeburg ist kein machtpolitisches Techtelmech- wird der Mai 1848 in französischen und polnischen tel. Vielmehr werden hier grundlegende Erfahrun- Geschichtsbüchern bis heute genannt. Wir erinnern gen und Erkenntnisse, die im Kampf gegen die Dik- uns heute im Deutschen Bundestag. Es war ein deut- tatur gewonnen wurden, zielgerichtet oder unbewußt sches, aber es war vor allem auch ein europäisches beiseite gewischt. Ereignis mit europäischen Wirkungen. (Peter Conradi [SPD]: Pfui!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Uwe-Jens Aufbegehren gegen Bevormundung, Einforderung- von Freiheit und Demokratie, Mut und Verantwor- Rössel [PDS]) tungsbereitschaft: Dieses Kredo demokratischen Be- Im Prager Frühling 1968 wurde dieser stolze Name wußtseins und demokratischen Handelns bildet die bewußt in die Gegenwart übernommen. Er wurde - Traditionslinie, die von 1848 über 1919 und 1948/ wie der Frühling 1848 in Wien - brutal beendigt. 1949 bis 1989 reicht. Sie ist die Grundlage unseres heutigen demokratischen Gemeinwesens. Sie sollte Oktober 1989: Jeden Montag riefen die Demon- Richtschnur unseres politischen Handelns bleiben stranten von Leipzig: „Wir sind das Volk! " Das war und nicht durch das Händeln mit den Gegnern der das Banner, mit dem sie jeden Montag durch die Demokratie ersetzt werden. Straßen gingen. Wir hier im Deutschen Bundestag waren von diesem „Wir" - nicht „Ihr da oben seid (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das Volk", sondern „Wir sind das Volk" - sehr be- wegt. Denn das war seit 1776 in den Vereinigten Freiheitlich-demokratische Strukturen sind an- Staaten und seit 1789 in Frankreich die große demo- strengend. Aber wer die Freiheit der Entscheidung kratische Selbstverständlichkeit und seither die hat, sollte sich für die Verteidigung der Freiheit ent- große Sehnsucht und das große Ziel a ller Demokra- scheiden. Unter den Bedingungen von Diktatur und ten in ganz Europa: „Wir sind das Volk." obrigkeitsstaatlichen Repressionen waren es der Mut und das Verantwortungsbewußtsein einzelner, die Schon bald tauchte im Leipzig des Jahres 1989 auf Freiheitsideale einforderten. Ob die sieben Göttinger der Straße die zweite große, als freiheitlich empfun- Professoren 1837, ob die rebellischen Schriftsteller dene patriotische Selbstverständlichkeit des 19. Jahr- und Dichter, ob katholische Publizisten oder liberale hunderts auf: „Wir sind ein Volk." Das war sprachlich Beamte in den Regierungen der Einzelstaaten des nur eine ganz kleine Veränderung, politisch aber Deutschen Bundes, ob Studenten oder Bürger: Ohne eine bedeutende. Nach alldem, was der Demokratie den Mut, Verantwortung zu übernehmen und sich und dem Patriotismus im 20. Jahrhundert angetan unter schwierigen Bedingungen für Demokratie und worden war, gab es im Oktober 1989 historische, Freiheit einzusetzen, hätte es den Weg von 1848 zu aber auch politische Unsicherheiten. Wie umgehen 1989 nicht gegeben. Die Ideale einer freiheitlichen mit dem „Wir sind ein Volk", wenn zwar der Demo- 21754 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Freimut Duve kratieanspruch - ich denke an den Oktober und No- kennzeichnet hatte. Die Metternichsche Stabilität bis vember, wo auch wir debattiert haben - gesichert 1848 war der Versuch, über ein Vierteljahrhundert in schien, aber Ende 1989 die Entscheidung über den Europa den antifranzösischen Frieden gegen die Einheitsanspruch nach wie vor auch von anderen Freiheit der Bürger fest in ein übernationales Ver- Staaten und Regierungen abhing? tragswerk einzuschmiegen, mit dem die Forderun- gen der Französischen Revolution ein für allemal ge- Am 27. Mai 1848, also heute vor 150 Jahren, formu- stoppt werden sollten. Genau dieser Vorrang einer lierte die Nationalversammlung, internationalen Stabilität vor den demokratischen dass alle Bestimmungen einzelner deutscher Ver- Bürgerrechten wurde in unserem Jahrhundert mit fassungen, welche mit dem von ihr zu gründen- dem Prozeß, der schon lange vor den Ereignissen von den Verfassungswerke nicht übereinstimmen, 1989 in Prag und Warschau begonnen wurde, end- nur nach Massgabe des letztern als gültig zu be- gültig gebrochen. trachten sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der Die umständliche Sprache kennen wir. Es ist ein et- CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE was kompliziert formulierter Satz, der die Texte der GRÜNEN) nichtdemokratischen Verfassungen der anderen Mit- Stabilität war keine Ausrede mehr, mit der sich Ho- gliedstaaten wegschieben will. Das ist die Erklärung. necker an der Macht halten konnte. Stabilität war Damit wurde zum erstenmal der unbedingte Vorrang auch 1848- leider nur für einen kurzen Moment in der künftigen demokratischen Reichsverfassung vor unserer Geschichte - keine Ausrede mehr, mit der den einzelnen Länderverfassungen erklärt. In diesem sich das Metternichsche System und sein Namensge- Beschluß wird deutlich, wie uns die beiden Ziele ber in Wien an der Macht halten konnten. Auf Dauer „Wir sind das Volk" und „Wir sind ein Volk" seit reicht Stabilität nicht als Argument gegen den demo- mehr als 150 Jahren begleiten - zwei Ziele und zu- kratischen Anspruch der Menschen. gleich die zwei zentralen Probleme der Deutschen im 19. Jahrhundert: ihr Weg zur Demokratie und ihr Ich will die Parallelen nicht allzu lang ziehen; denn Weg zur staatlichen Einheit. Der republikanisch-re- das, was alles noch über Mitteleuropa gekommen ist, volutionäre Anspruch auf die Souveränität der Bür- wissen wir nur zu gut. Beide, die Revolution von 1848 ger gegen die Diktatur der Herrschenden steckt in und die von 1989, waren europäische Ereignisse. den ersten, der Anspruch auf das gemeinsame Vater- 1848 hatte das natürlich seinen historisch-politischen land in den zweiten. Grund. Aber es gab auch einen technisch-logisti- schen Grund. Adam Krzeminski hat das jüngst in der Begleitet waren beide von der Forderung nach so- polnischen Zeitschrift „Polityka" beschrieben: Wäh- zialer Gerechtigkeit angesichts rapider Verarmung rend der Mairevolution der Landbevölkerung und der wirtschaftlichen Krise in den Städten. Karl Marx hat dazu sein europäisches versammelten sich die Volksmassen nicht nur vor Manifest geschrieben, seine - so wird es heute von den Palästen und Gefängnissen, sondern auch manchen amerikanischen Philosophen gesehen - vor Bahnhöfen - wie in Frankfu rt an der Oder und vorausgedachte, auf Europa zielende Beschreibung in Breslau. ... Die Eisenbahnen und die immer der politischen Wirkung der ökonomischen Globa- schneller reagierende Presse erweckten den Ein- lisierung. - Ich kann das nicht ganz teilen; aber dies druck, als bildete Europa bereits ein einziges ist ein hübscher Gedanke, der neuerdings Marx zu- System kommunizierender Röhren, ... gedacht wird. Er fügt etwas traurig hinzu: Eine Revolution, der dieser Ehrentitel nicht streitig Der Irrtum konnte nicht größer sein. gemacht wurde, haben wir nicht gehabt. Revolutio- nen scheinen uns nicht zu liegen. Aber natürlich war Auch wir mit unseren globalen Kommunikations- 1989 eine Revolution, und natürlich war 1848 eine techniken unterliegen zuweilen diesem Irrtum. Revolution. Natürlich war der 1. Juli 1948 keine Re- volution, als vor fast genau 50 Jahren die alliierten Zwischen den beiden Daten, 1848 und 1989, lagen Befehlshaber den Ministerpräsidenten der Westzo- fast anderthalb Jahrhunderte des Mißerfolgs, der nen die Frankfurter Dokumente überreichten und Mißverständnisse, aber auch des mörderischen Miß- damit den Prozeß der Gründung unserer Bundesre- brauchs der Formel „Wir sind ein Volk". Hitler hat publik einleiteten. Die Dokumente wurden zum off e- sie für die Zerstörung des bürgerlichen Staates ge- nen Tor zur Welt für unsere Demokratie. Darum ist nutzt und die Geschichte der Deutschen in eine ver- sie fest verbunden mit der europäischen, ja mit der logene, blutige Geschichte der Ausgrenzung jener, amerikanischen Demokratiegeschichte. Vielleicht - „die nicht dazugehören", verwandelt. Abstamm- wir wissen es nicht - hätten wir ohne die westlichen, ungswahn stand gegen die Freiheitsrechte der Bür- demokratischen Sieger von 1945 den Weg in die De- ger. In seiner Diktatur galten Gehorsam und Abstam- mokratie so nicht zurückgefunden. mung, wurden Freiheit und Abstimmung zerstört. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem In dem Wort vom „Verfassungspatriotismus" hat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Dolf Sternberger die beiden großen Ziele - wir gehö- ren zusammen, als freie Bürger - vereint. Der Stolz Wir Mitglieder des Deutschen Bundestages sind auf die gemeinsame Verfassung, auf die Freiheits- heute stolz auf unsere Bürger, die im November 1989 rechte, die in unserer und in der europäischen Ge- mit Erfolg demonstrierten. Die Revolution hatte schichte erkämpft worden sind, macht die Bürger ebenjene doppelte Zielsetzung, die schon 1848 ge- zum Souverän. 150 Jahre nach 1848 sind wir stolz auf Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21755

Freimut Duve unsere Verfassung, stolz auf unsere Demokratie. Wir ren Berufen vergleichen, gerade wegen dieser histori- sind nicht deswegen einig über die Freiheitsrechte, schen Bedeutung des Parlaments immer noch der, weil die große Mehrheit deutsche Großeltern hatte. heute würde man sagen: großbürgerlichen Meinung Wir sind vielmehr einig, weil wir von den Rechten sind, Parlamentarier sollten sich niemals professiona- der Bürger, von der Demokratie, die auf einer Verfas- lisieren. Ich teile diese Meinung nicht. Hierzu habe sung beruht, gemeinsam überzeugt sind. Wir sind ich auch schon gesprochen. Aber ich achte diese Hal- ein Volk, weil wir das Volk sind, auf dem historischen tung, wenn sie sich auf das Bewußtsein von der histo- Boden unserer schönen und oft grausamen Verfas- rischen Bedeutung und der großen Tragödie der deut- sungsgeschichte. schen Parlamentsgeschichte gründet. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ganz anders steht es aber mit den Kritikern, die GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der immer wieder von der Bezahlung der Abgeordneten CDU/CSU und des Abg. Dr. Otto Graf reden, um die zentrale Rolle des Parlamentes zu be- Lambsdorff [F.D.P.]) schädigen. Meine Damen und Herren, der Bundespräsident (Beifall im ganzen Hause) hat in Frankfurt nachdrücklich auf die Freiheits- rechte hingewiesen, die trotz aller Niederlagen aus Solche Kritik mündet in die für jedes Land absurde- diesen Ereignissen hervorgegangen sind. Rudolf ste, aber auch gefährlichste aller Fragen: Warum Scharping, dessen Initiative wir diese Debatte heute brauchen wir überhaupt ein Parlament? zu verdanken haben, hat dies so formuliert: Die zentrale Verantwortung für uns als Mitglieder Die Ideen von 1848 blieben in den Köpfen der des Deutschen Bundestages liegt in der A rt und Weise, Menschen bis heute lebendig. Menschenrechte wie wir mit unserem Mandat umgehen. Zugleich liegt und Demokratie - sie gehören zur Identität der die Verantwortung unserer Kritiker in der A rt und Deutschen, auch im geeinten Europa. Weise, wie sie mit ihrer Kritik an uns umgehen. Denn eines können wir aus Erfahrung allen jungen Men- Wir sind die Erben, und wir im Deutschen Bundes- schen sagen, die die Frage „Wozu überhaupt?" stel- tag sind dies in besonderer Weise. Wir sind aber auch len: Innerer und äußerer Frieden, innere wie äußere die Erben des immer wieder geträufelten Giftes ge- Balance statt erpreßter innerer wie äußerer Stabilität gen die Wirklichkeit des Parlaments. Wahrlich nicht lassen sich nur mit parlamentarischen Verfassungen nur Oswald Spengler hat die Frankfurter National- und ihren zentralen Freiheitsrechten erhalten. versammlung ihrer unmittelbaren politischen Erfolg- losigkeit wegen als „Quasselbude" bezeichnet. Der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem faktisch-politische Mißerfolg dieses Parlamentes ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) über fast 100 Jahre immer wieder und besonders in Das beweist auf grausame Weise unsere eigene den 20er Jahren von den Nazis zum zentralen Argu- Geschichte. Ohne die Menschen- und Bürgerrechte ment gegen die Bürgerrechte der parlamentarischen von 1848, ohne die stets aufs neue korrigierende Verfassung mißbraucht worden: Die reden doch nur, Rolle des frei gewählten Parlaments und seines und dafür werden sie auch noch bezahlt. Erst die Zwillings, des freien kritischen Journalismus, führt Überwindung der Hitlerdiktatur hat zum Respekt vor jeder Weg - auch der mit glänzendem Marmor ge- dem Parlament und zum Respekt vor dem Wo rt der pflasterte - in die menschliche, in die nationale, in Gesetze, vor dem Wort des Parlamentes also, geführt. die wirtschaftliche Katastrophe. Die Diktaturen des Der antidemokratische Teil der Deutschen hat immer 20. Jahrhunderts haben ihren Ländern und ihren wieder mit populistischem Erfolg versucht, diesen Völkern diese Katastrophe beschert und den Frieden Respekt im Keim zu ersticken. gefährdet. Die Universalität dieser Feststellung erle- Heute sind die Parlamente in den Städten und Län- ben wir derzeit in besonderer Weise angesichts des dern und der Deutsche Bundestag fest im öffentli- Untergangs der herrschenden Klasse in Indonesien. chen Bewußtsein verankert. Aber ich möchte hinzu- Es gibt keinen Ausweg aus der Forderung der dorti- fügen: Es gab nicht nur seit 1968 auch in der deut- gen Menschen. schen Linken, ähnlich wie in der extremen Rechten, (Beifall bei der SPD) eine Haltung nach dem Motto: Wenn wir dieses bür- gerliche Parlament erst einmal überwunden haben, Antonia Grunenberg hat vor kurzem in einem Bei- dann ... Auch dies darf man nicht vergessen, sondern trag in der „FAZ" davor gewarnt, die Zukunft der muß immer wieder darauf hinweisen, daß in diesem freiheitlichen Demokratie ausschließlich an den wirt- Gedanken eine gefährliche Mißachtung der Parla- schaftlichen Wohlstand zu knüpfen und zu sagen: mentsgeschichte lag. Nur wenn der vorhanden ist, hat die Demokratie eine Chance. Ihr Argument scheint mir sehr wichtig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Denn die Freiheitsrechte müssen ja gerade dann Gel- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der tung haben, wenn wirtschaftliche und soziale Pro- CDU/CSU und der F.D.P.) bleme auftreten - und nicht umgekehrt. Wir sollten respektieren, wenn manche, die uns kri- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tisieren, dies tun, gerade weil sie ein so starkes histori- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sches Bewußtsein davon haben, was die Nationalver- CDU/CSU und der F.D.P.) sammlung und was das Parlament für unser Land und für Europa bedeuten. Es gibt idealistische Kritiker, Daß den Worten Taten folgen müssen - wer wüßte die, wenn wir uns etwa beim Thema Diäten mit ande- dies besser als wir Abgeordnete, die sich den Wäh- 21756 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Freimut Duve lern gegenüber ausweisen müssen für das, was sie Biographie damit gedroht hat, gehört nicht in das erreicht, und für das, was sie versäumt haben. Parlament.

Aber wir können mit Erfahrung und Entschlossen- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der heit feststellen: Wer mit extremistischen Thesen die F.D.P. und der PDS) Entmachtung des Rechtsstaats und die Knebelung 1848 war ein europäisches Jahr. Dieses Jahr ist der Freiheitsrechte propagiert, macht sich schuldig auch ein europäisches Jahr. Wir stehen vor einer gegen sein eigenes Land, gegen seine Mitbürger. europäischen Herausforderung, die durchaus zu der Auch das müssen wir diesem Herrn Verleger aus in 1848 analog ist. Wir haben die Einheit. Aber als München, der mit Phantomparteien junge Menschen Land, in das eingewandert wurde und wird, müssen in den antidemokratischen Extremismus lockt, immer wir den Staatsbürgerbegriff auf seinen Freiheitskern wieder entgegenhalten. konzentrieren und zugleich die Bürger anderer Her- kunft sehr viel intensiver in den demokratischen Pro- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord zeß und in die Verantwortung für die Demokratie einbeziehen. neten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Denn 1998 in Deutschland rechtsradikal zu sein DIE GRÜNEN) heißt, sich aus den Aufträgen unserer zwei Revolutio- nen - der von 1848 und der von 1989 - hinwegzusteh- len. Rechtsradikal, das heißt, sich den Zerstörern der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Kollege Duve, bitte Freiheit anzuschließen und nicht den Kämpfern für kommen Sie zum Schluß. die Freiheit. Wir dürfen nicht müde werden in dem Versuch, diese Menschen in die schwierige Freiheit Freimut Duve (SPD): Ja, Frau Präsidentin; ich und Verantwortung zurückzurufen. werde mich bemühen. Der Weg nach 1945 in die Freiheit und in den Wie verstärken wir gemeinsam auch mit den Ein- Rechtsstaat war nach zwölf Jahren Diktatur für Mil- gewanderten unseren Verfassungsauftrag? Wie festi- lionen von Bürgern nicht leicht. Der Weg nach 1989 gen wir das, was wir den Montagsdemonstrationen war für viele nicht leicht, die plötzlich mit der Frage zu verdanken haben? Kanada und die Vereinigten konfrontiert waren, ob sie 40 Jahre falsch gelebten Staaten haben gezeigt, wie Einwandererländer ein Lebens hinter sich haben. 40 Jahre sind für ein Men- gemeinsames Bewußtsein, eine gemeinsame Liebe schenleben viel mehr als 12 Jahre. zu ihrer Demokratie, zu ihrem Rechtsstaat entwickelt haben. Sie bauen ihren Stolz auf Verfassungspatrio- Denen, die daraus eine nostalgische Sehnsucht tismus. nach einer verklärten Diktatur der sogenannten Ein- heitspartei machen, muß entschieden widersprochen Diesen gemeinsamen Stolz auf die Verfassung zu werden. verankern ist in der elektronischen Moderne keines- wegs leicht. Wir wissen, was im Zusammenhang mit (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU,- dem den Fragen der Integration alles angesprochen wer- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. den muß. sowie bei Abgeordneten der PDS) Bürgerrechte und Menschenrechte können nur Aber auch ihren Anhängern muß die Tür in die de- überleben, wenn sie von einer großen Mehrheit ge- mokratische Familie immer wieder geöffnet werden. tragen sind. Wie wir, wie unsere Schulen und Hoch- schulen, wie unsere Betriebe, wie unsere Medien Für die Geschichte des Rechtsstaats und der De- diese Aufgabe angehen, möglichst viele Bürger an mokratie gilt ein radikaler Grundsatz - an ihn muß der Verantwortung für die zivile Gemeinsamkeit teil- immer wieder erinnert werden -: Wir hier im Parla- haben zu lassen, hängt nicht nur von uns ab. Dazu ment sind nicht immer Freunde; oft sind wir auch müssen alle, die hier ihre Heimat gefunden haben, entschiedene Gegner. Aber wir sind einander nie- beitragen. Auch sie müssen sich einer kritischen Dis- mals Feinde. Der Feindesbegriff gehört nicht in das kussion stellen, wenn sie sich nicht auf den Grund- Parlament. konsens freiheitlicher Bürgerrechte einlassen wollen, was sich etwa in der Mißachtung der Gleichheit der (Beifall im ganzen Hause) Frauen äußern kann. Das hängt aber auch von uns ab. Wir müssen ihnen die Chance dazu eröffnen, die- Das Wort „Feind" gehört nicht in die Demokratie. sen Beitrag zu leisten. Feinde sind jene, die die Demokratie zerstören wol- len. Wenn von ganz rechts oder ganz links in Diskus- (Beifall bei der SPD) sionsbeiträgen oder öffentlichen Auseinandersetzun- gen etwas gesagt wird, sind der Feindesbegriff und Deutscher Bürger zu sein ist keine Frage der Ab- der Verratsbegriff ganz schnell da. stammung, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Die vielen sehr unterschiedlichen Interessen, Hal- GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS sowie bei tungen und Meinungen müssen mit dem Wort, dem Abgeordneten der CDU/CSU) Argument und dem Wahlzettel ausgefochten wer- den; das darf niemals mit Gewalt geschehen. Wer mit sondern eine Frage der aktiven Mitverantwortung. politischer Gewalt droht oder in seiner politischen Ein Eröffnen der Rechte ist zugleich ein Eröffnen der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21757

Freimut Duve Pflichten. Das gilt für alle. Zu glauben, jemand sei das Wort nicht im Mediennebel verdunstet. Ohne das demokratisch verantwortlicher, weil er deutsch ist, Gewicht des Wortes gibt es kein Recht, keine Richter, und demokratisch unbelehrbarer, weil seine Eltern kein Parlament und keine Demokratie. Türken waren, ist auf Dauer keine akzeptable Unter- Danke schön. scheidung. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall des Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wie Sie uns gerade Ich freue mich über unsere Braunschweiger Kolle- gesagt haben, war dies Ihre letzte Rede im Deut- gin und unseren schwäbischen Kollegen mit den tür- schen Bundestag. Ich möchte Ihnen, Kollege Duve, kischen Namen Leyla Onur und Cem Özdemir. Sie von dieser Stelle aus in unser aller Namen ganz herz- beide sind für diese große Aufgabe der europäischen lich danken für Ihr Engagement in diesem Parlament, Demokratie im nächsten Jahrhundert wahrlich bes- für Ihren Umgang mit dem Wort und an allererster sere Zeugen als der Herr Verleger aus München oder Stelle - wie auch heute im Rahmen des 150jährigen als südfranzösische Bürgermeister, die im Namen ei- Gedenkens an die Paulskirche - für Ihr unerbittliches ner nationalen Front Bücher aus den Stadtbibliothe- Eintreten für die Menschenrechte, oft unter Einsatz ken entfernen, die ihnen nicht passen. Ihres Lebens. Herzlichen Dank! Das gilt auch umgekehrt: Einwanderer sind in die (Beifall im ganzen Hause) Demokratie und in den Rechtsstaat eingewandert. Wir müssen ihnen helfen, zu Bürgern bei uns zu wer- Wir wünschen Ihnen in Ihrem neuen Amt in der den, auch im Rahmen einer doppelten Staatsbürger- OSZE, das Sie bereits ausüben, gutes Vorankommen. schaft. Aber auch sie müssen für sich und ihre Kinder Da sind dicke Bretter zu bohren. A lles Gute! die Pflichten und Rechte der freiheitlichen Verfas- Ich rufe jetzt den Kollegen Werner Schulz auf, sage sung annehmen. aber gleich dazu, daß diese Ausnahmerechte, die sich der Kollege Duve genommen hat, für keinen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Duve, darf ich weiteren gelten. Sie noch einmal an die Redezeit erinnern? (Heiterkeit)

(SPD): Ich komme zum Schluß. - Ich Freimut Duve (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hatte meine Rede für die mir zur Verfügung stehende Werner Schulz NEN): Ich hoffe auch nicht, Frau Präsidentin, meine Redezeit vorbereitet. Aber man spricht ja doch relativ Damen und Herren, daß dies meine letzte Rede hier langsam. im Parlament sein wird. Seit einigen Monaten bin ich von den 54 Staaten (Heiterkeit und Beifall) der OSZE beauftragt, über die Freiheit des Wortes, über die Freiheit der Medien als eine Art Ombuds- Ich hoffe, daß ich Ihnen meine demokratischen Pro- mann zu wachen. Diesen Auftrag hätte es ohne die vokationen noch ein Weilchen bieten kann. Freiheitsgeschichte Europas nicht gegeben. Ohne sie wäre der dritte Korb des Helsinki-Vertrags nicht ge- Mit der heutigen Debatte zur bürgerlich-demokra- flochten worden. Ich will mich bemühen, mein Amt tischen Revolution vor 150 Jahren würdigen wir zum in diesem Geist des Frühlings der Völker Europas zu erstenmal in der fast 50jährigen Geschichte des führen. Deutschen Bundestages den Beginn der parlamenta- rischen Demokratie in Deutschland. Die Vielzahl der Gestatten Sie mir, Frau Präsidentin, zum Schluß Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträge, Konzerte, ein persönliches Wort - wobei ich mich für das Ober- Theaterrevuen, Artikel und dickleibigen Geschichts- ziehen der Zeit in aller Form entschuldigen möchte -: bücher, die in den letzten Monaten zu diesem Thema Dies ist meine letzte Rede im Deutschen Bundestag. erschienen sind, deuten darauf hin, daß es sich nicht Ich bin meiner Fraktion dankbar dafür. Dies ist ange- nur um eine halbe oder unvollendete, sondern auch sichts einer 18jährigen Zugehörigkeit zum Parlament um eine wiederentdeckte Revolution handelte. Trotz kein leichter Abschied. Man wird so ein bißchen - alledem und alledem - um die berühmten Worte Frei- wie meine Mutter gesagt hätte - melanklöterig. ligraths aufzugreifen - besteht noch immer eine Kluft zwischen der historischen Darstellung und der leben- Ich danke den Kolleginnen und Kollegen aller digen Aneignung unserer Geschichte. Fraktionen für die schöne Zusammenarbeit. Ich danke den Mitarbeitern des Bundestages, auch den Bei allem Verständnis für den CDU-Parteitag in Damen und Herren, die uns hier im Saal in ihren Bremen, der angespannten Wahlkampfsituation und schönen Uniformen so viele Jahre begleitet haben. dafür, daß der Herr Bundeskanzler do rt als Parteivor- Ich freue mich immer, wenn ich sie draußen einmal sitzender gefragt war: Daß die Bundesregierung letz- ohne Uniform treffe. Dann kann man ein bißchen ten Montag bei der offiziellen Feierveranstaltung in rumklönen. - Ich möchte auch meinen eigenen Mit- der Frankfurter Paulskirche allein durch den Drogen- arbeiterinnen, die heute im Saal sind, für die Arbeit beauftragten vertreten war, spricht bei dem anson- und das Engagement sehr herzlich danken. sten bestehenden Hang für symbolische Politik aller- dings auch Bände. Parlament heißt Parlament - das ist der O rt, wo ge- sprochen wird. Parlament heißt nicht Videothek, wo (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bilder inszeniert werden. Ich wünsche uns allen, daß bei der SPD und der PDS) 21758 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Werner Schulz (Berlin) Wie wären wohl die Feiern in Ost und West ausge- stand sich doch die Heilige Allianz als eine Verbin- fallen, wenn es die friedliche Revolution von 1989 dung gegen den demokratischen Fortschritt. nicht gegeben hätte?, fragt sich einer wie ich. Hat sich nicht erst hier und reichlich spät der unbändige Während die Paulskirchen-Versammlung eine mo- Wunsch nach Freiheit, Demokratie und Einheit er- derne Verfassung vorgelegt hat, aber die deutsche füllt, der in Hambach, Mannheim, Offenburg, Karls- Einheit verfehlte, erging es der Volkskammer genau ruhe, Berlin und Frankfurt erhoben, in Dresden und umgekehrt. Der Ruf „Wir sind ein Volk", wurde ein- Rastatt blutig niedergeschlagen, der von Bismarck gelöst, doch der vorherige Ruf „Wir sind das Volk", deformiert und von den Nationalsozialisten perver- also der Anspruch auf mehr Einfluß und Mitbestim- tiert wurde? mung, wurde von einer großen Koalition nicht be- rücksichtigt. Gewiß, wir sind im Gegensatz zu Frankreich, wie die Ausstellung in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle Der Verfassungsentwurf des runden Tisches kam zeigt, nicht gerade reich an Revolutionsdarstellun- nicht im mindesten zum Tragen. Auch über das gen. Doch wer die Bilder des Leipziger Malers Walter Grundgesetz hat das deutsche Volk nicht in freier Eisler zur Bürgerbewegung im Herbst 1989 kennt, Selbstbestimmung abgestimmt, wie dies verpflich- der sieht den Zusammenhang zwischen 1848 und tend in Art. 146 Grundgesetz stand und immer noch 1989. Da taucht es wieder auf, das Schwarz-Rot- steht. Gold, so wie es Freiligrath beschrieben und Robert Schumann vertont hat, in seiner ursprünglichen, frei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heitlichen, patriotischen Art. Wir könnten uns den und bei der PDS) kleinkarierten Streit um die Ausstattung des künfti- Wenn dies geschehen wäre, hätte dies mehr über un- gen Bundestages sparen, wenn wir uns diese Bilder sere demokratische Reife ausgesagt als jede präsi- im besten Sinne zu eigen machten. diale Hauruck-Rede zum Paulskirchen-Jubiläum. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der oft als Sonderweg zur Lösung der nationalen Frage bezeichnete Prozeß war ein verlust- und „In einer Weise, wie es die Weltgeschichte noch schmerzreicher Weg - von der Frankfu rter Paulskir- nicht gesehen hat, hat das Volk in Deutschland seine che über die Leipziger Nikolaikirche bis hin zum ge- Revolution gemacht. Es hat mit wenigen Ausnahmen samtdeutschen Parlament in Berlin. Gewaltanwendungen gescheut." Das hat nicht etwa ein Teilnehmer der Leipziger Montagsdemos gesagt, sondern der Abgeordnete der Frankfu rter Paulskir- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schulz, ge- chen-Versammlung, Robe rt Blum - jener linke Radi- statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckel? kaldemokrat, der am 9. November für die Freiheit starb. Er wurde in Wien hinge richtet, nicht ahnend, daß sein Traum von Freiheit und Einheit erst und ge- Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nau am 9. November 1989 mit dem Fall der Berliner NEN): Ja. Mauer und mit dem politischen Druck seiner Leipzi- ger Nachkommen in Erfüllung gehen sollte. - Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Meckel. Der 9. November ist der eigentliche Nationalfeier- tag, weil sich mit ihm die Geschichte der letzten 150 Jahre umreißen läßt. Er ist ein Gedenk- und Fei- Markus Meckel (SPD): Verehrter Kollege Schulz, ertag zugleich. Er erinnert daran, daß wir drei Revo- sind Sie bereit, anzuerkennen, daß die sogenannte lutionen brauchten, um Freiheit, Demokratie und Verfassung des runden Tisches eine wichtige Vorar- Einheit zu erreichen. Er läßt die dunklen Kapitel un- beit des runden Tisches für die Konstituierung von serer Geschichte mit Niederwerfung, Nazi-Putsch Demokratie war, daß man aber nicht im strikten und „Reichspogromnacht" nicht aus. Er ist kein Tag Sinne von einer Verfassung des runden Tisches spre- für ausgelassene Volksfeste, sondern er stimmt uns chen kann, da sie von der Verfassungskommission eher nachdenklich und hoffnungsfroh, unserer deut- des runden Tisches verabschiedet worden ist, nicht schen Mentalität entsprechend. vom runden Tisch selber, an dem sie nur diskutiert worden ist? - Das zum ersten. Statt dessen wurde willkürlich und ohne jeglichen historischen Bezug der 3. Oktober, der allenfalls an Zweitens. Sind Sie bereit, anzuerkennen, daß der den Todestag von Franz Josef Strauß erinnert, als Na- Beitrittsbeschluß der Volkskammer - hinter dem die tionalfeiertag in den Kalender gesetzt. große Mehrheit der Bevölkerung der DDR stand - ei- nen Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes Daß den Bürgerrechtlern das Vermächtnis von bedeutete und daß auch dies die große Zustimmung 1848/49 bewußt war, zeigt, daß wir der Modrow-Re- der Bevölkerung der DDR fand? Ich denke zwar, daß gierung den 18. März - den Tag der Berliner März Ihre Bewertung richtig ist, daß wir in der Verfas- Revolution - als Tag der Volkskammerwahl abran- sungskommission des ersten gesamtdeutschen Bun- gen. Doch während wir am runden Tisch - praktisch destages durchaus eine weitergehende Verfassungs- dem Vorparlament - saßen, wurde die „Allianz für diskussion hätten führen können, - Deutschland" geschmiedet. Dieser ungewöhnliche Begriff - „Allianz" - ist kein Zufall. Helmut Kohl hat sich den demokratischen Aufbruch einverleibt, zum Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bitte stellen Sie Machterhalt genutzt und ihn nicht fortgesetzt, ver eine Frage. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21759

Markus Meckel (SPD): - daß aber der Vorwurf, man Dabei kann sich die Arbeit dieser ersten National- hätte die Verfassung nicht anerkennen können, nicht versammlung - das wissen wir heute - durchaus se- stimmt. hen lassen: Sie hat eine auf den Bürger- und Men- schenrechten fußende Verfassung vorgelegt, die un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU serem Grundgesetz Orientierung gab; sie hat einen und der F.D.P.) föderalen Bundesstaat konzipiert, ein Verfassungsge- richt entworfen, die Bildung politischer Parteien und Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vereine initiiert; und selbst unser heutiger Parla- NEN): Frau Präsidentin, ich weiß nicht, wo die Frage mentsbetrieb mit Aktueller Stunde und Ausschußar- war. Ich glaube auch, daß der Fragesteller die Ant- beit greift auf die Paulskirche zurück. wort weiß, wie seine ausschweifigen Ausführungen deutlich machen. Das Wort „Grundrechte" und die wesentlichsten Grundrechte gehen auf die Paulskirche zurück. Des- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS wegen ist es verwunderlich, daß eine de facto große SES 90/DIE GRÜNEN) Koalition hier im Haus das Grundrecht auf Asyl und die Unverletzlichkeit der Wohnung ohne Probleme Dies wäre eine weitführende Debatte. Ich will des- eingeschränkt hat und sich dennoch auf die Ideale halb in meiner Rede fortfahren. der Paulskirche beruft. Das Jahr 1848 war auch das Jahr zweier Gesell- schaftsentwürfe: das des „Kommunistischen Mani- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fests", das Marx und Engels im Februar 1848 vorge- Und, Vera Lengsfeld, nicht nur Magdeburg ist pro- legt hatten, und das der „Demokratischen Bürgerge- blematisch. Problematisch ist auch, wenn man - so sellschaft" . Diktatur des Proleta riats auf der einen wie du - den Überwachungs- und Spitzelstaat erlebt Seite oder repräsentative parlamentarische Demo- kratie, so hieß die Kampf- und Klassenfrage, die sich hat, aber die verfassungsrechtlichen Konsequenzen bis in unser Jahrhundert und bis zur Zweistaatlich- außer acht läßt. keit zuspitzte. Die Ideologien des Kommunismus und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN des Nationalsozialismus, der politischen Extreme von sowie bei Abgeordneten der SPD) 1848/49, haben jeweils in totalitäre Systeme geführt. Zum Glück, das Gespenst des Kommunismus hat Soziale Rechte fanden allerdings keinen Eingang Europa verlassen, auch wenn sich das in Bayern of- in die Paulskirchen-Verfassung. Hier liegt ein folgen- fenbar noch nicht herumgesprochen hat. Daran än- schwerer Geburtsfehler unserer Demokratie. dert auch nichts, daß die PDS dem unverbesserlichen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Rest eine Traditions- und Tummelecke einräumt, was ihren Anspruch auf demokratischen Sozialismus Denn ohne soziale Gerechtigkeit hat auch die Demo- nicht unbedingt glaubwürdig macht. Einen akzepta- kratie keinen Bestand. blen Sozialismus in den Farben der DDR hat es nicht gegeben. Wer das verklärt, richtet selbst im nachhin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ein noch Schaden an. - Das Recht auf Arbeit war für das Volk untrennbar mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Begriff der Freiheit verbunden. Daß es nicht als sowie des Abg. [CDU/ Staatsziel in die Verfassung kam, liegt am Versagen CSU]) der Liberalen und ist bis heute noch in einer eher Besagtes Gespenst ist verschwunden - der braune passiven Regierungspolitik zur Arbeitslosigkeit zu Geist allerdings noch nicht. Die Erinnerung an die spüren. Paulskirche sollte uns auch eine Warnung sein, was geschieht, wenn die Politik nicht um die Demokratie (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS kämpft und die Demokratie nicht wehrhaft ist. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Solange die Bürgerinnen und Bürger auf Zuschau- Auch die Rechte der Frauen fanden kein Gehör, erdemokratie, Petitionen und Protestnoten angewie- obwohl die Frauen mit auf den Bar rikaden kämpften sen sind, laufen wir Gefahr, daß sich die Politikver- und den Männern in nichts nachstanden. Doch mit drossenheit ausbreitet und unser Staat den Berufsde- 1848/49 sollten wir auch den Beginn der Frauenbe- mokraten überlassen bleibt. Meinungs- und Presse- wegung feiern - wie Louise Otto-Peters, die Gründe- freiheit verlangen allerdings auch journalistisches rin und erste Vorsitzende des Allgemeinen Deut- Format, die Schwierigkeiten der politischen Willens- schen Frauenvereins schrieb: bildung reell zu schildern. Mitten in den großen Umwälzungen, in denen Die Nazis haben auf der Basis von Demokratiever- wir uns alle befinden, werden sich die Frauen ver- druß nicht nur das Parlament aufgelöst, sondern auch gessen sehen, wenn sie selbst an sich zu denken die demokratischen Mitglieder des Reichstages ver- vergessen. folgt und umgebracht. Die Verunglimpfung des Parla- ments hat allerdings lange Tradition. Schon Karl Marx Dem Männerparlament der Nationalversammlung in und Georg Herwegh haben mit intellektuellem Hoch- der Paulskirche gehörte - versteckt - nur eine Frau mut die Paulskirchen-Versammlung als „Schwatz- an, Malwida von Meysenbug. Wenn ich mich heute bude" bezeichnet. umschaue, stelle ich fest, daß mehr Frauen im Parla- 21760 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Werner Schulz (Berlin) ment sind. Aber in dieser Hinsicht könnten wir noch allerdings den Rat von beherzigen und weiter vorankommen. mehr Demokratie wagen sowie die notwendige Er- neuerung an Haupt und Gliedern dieser Republik in (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS Richtung einer deutschen demokratischen Bundesre- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) publik betreiben. Das könnte uns der inneren Ein- Mit den Anfängen der Demokratie in Deutschland heit, von der soviel die Rede ist, näherbringen. beginnt auch die Geschichte des politischen Asyls. Noch haben wir keinen gesellschaftspolitischen Viele der 48er Demokraten haben nach der Nieder- Grundkonsens gefunden, noch ist der demokratische schlagung der Revolution Deutschland verlassen und Zusammenhalt bedroht. Deutlich wird das an unserer als „Forty-eighters" im amerikanischen Bürgerkrieg Nationalhymne. Während die Konservativen die ihren zweiten Freiheitskampf gegen die Sklaverei dritte Strophe mit „Einigkeit und Recht und Freiheit" geführt. singen und die linken Autonomen keine Lieder ha- Friedrich Hecker, Gustav Struve, Peter-Joseph ben, intoniert die neue Rechte bereits wieder die erste Osterhaus, Carl Schurz, der spätere Innenminister Strophe mit „Deutschland, Deutschland über alles". der USA, sind nur einige der Million Deutschen, die Es wäre an der Zeit, das aufzugreifen, was uns Ber in den USA Aufnahme fanden. Was wäre wohl pas- tolt Brecht, den die CSU ja jetzt fast als Heimatdich- siert, wenn die USA ein solches völkisches Staatsbür- ter entdeckt hat, gerschaftsrecht gehabt hätten wie wir? Heute ist auch Deutschland längst ein Einwanderungsland. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Wer das ignoriert oder die Eltern von Flüchtlingskin NEN sowie bei Abgeordneten der SPD) dern in Sippenhaft nimmt, der ist und bleibt ein Re- aktionär, auch wenn er sich den Hecker-Hut aufsetzt. hymnisch ins nationale Stammbuch geschrieben hat, was uns heute stärker zusammenbringen und ins ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einte Europa führen könnte und was wir künftig zum sowie bei Abgeordneten der SPD) bescheidenen Streichquartett von Haydn singen soll- ten: Übrigens sind Friedrich Hecker in den USA fast ein Dutzend Denkmäler gewidmet - in Deutschland Anmut sparet nicht noch Mühe nicht eines. Leidenschaft nicht noch Verstand Daß ein gutes Deutschland blühe ( [Wiesloch] [SPD]: Nein, Wie ein andres gutes Land. das stimmt nicht!) Daß die Völker nicht erbleichen Der Berliner Senat hat sogar die auf Grund einer Bür- Wie vor einer Räuberin gerinitiative und eines Beschlusses der Bezirksver- Sondern ihre Hände reichen sammlung Mitte erfolgte Umbenennung von „Platz Uns wie andern Völkern hin. vor dem Brandenburger Tor" in „Platz des 18. März Und nicht über und nicht unter 1848" wieder rückgängig gemacht. Dafür sind dem Andern Völkern woll'n wir sein preußischen General von Wrangel, der die Revolu- Von der See bis zu den Alpen tion niederschlug, in Berlin gleich zwei Straßen ge- Von der Oder bis zum Rhein. widmet. - Und weil wir dies Land verbessern Noch immer ist nicht eingelöst, was Otto Suhr am Lieben und beschirmen wir's. 18. März 1948 gesagt hat: Und das liebste mag's uns scheinen So wie andern Völkern ihrs. ... wenn das deutsche Volk endlich die Demokra- tie begreifen will, dann muß es seine Helden des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Friedens und der Freiheit achten lernen. bei der SPD und der PDS) Ich denke, wir sollten die im Osten Deutschlands er- folgte Umbenennung von Straßen und Institutionen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: In der Debatte in einigen krassen Fällen auch im Westen fortsetzen. spricht jetzt Otto Graf Lambsdorff. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Frau Präsidentin! Abg. Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]) Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! „Die Freiheit der Person ist unverletzlich." „Die Wohnung Der Völkerfrühling 1848 war ein europaweiter Auf- ist unverletzlich." „Das Briefgeheimnis ist gewährlei- bruch der Völker zur Freiheit. Doch erst der Herbst stet. " „Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei." 1989 und der Umbruch in Osteuropa geben uns „Das Eigentum ist unverletzlich." - Diese Sätze kom- heute die Chance für ein f riedliches Zusammenle- men uns allen vertraut vor. Das Grundgesetz und die ben, den kulturellen und wi rtschaftlichen Zusam- Weimarer Verfassung wiederholen sie. Sie stammen menhalt in Europa. Wir sollten allerdings schleunigst aus dem Kernstück des großen Werkes der Paulskir- die Demokratiedefizite hinsichtlich Europaparla- che, dem Grundrechtskatalog der Verfassung. ment und Verfassung beseitigen. Daß viele Menschen sie auch heute noch als ausge- Meine Damen und Herren, wir ziehen im nächsten sprochen aktuell einstufen, zeigt, daß bei der Frage Jahr nicht von der Bonner in die Berliner Republik. der Rechte der Menschen das wahre große Ver- Die neue Regierung, der neue Bundeskanzler sollten mächtnis der 1848er Revolution zu suchen ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21761

Dr. Otto Graf Lambsdorff Die Mitglieder der Paulskirchen-Versammlung, erkannt, als er den Mächten der Reaktion mit viel die sich zugleich die große Aufgabe der Vereini- Spott die Zeilen entgegendichtete: gung Deutschlands gestellt hatten, speisten ihre Inspiration aber nicht nur aus der Idee der Men- Nein, Michel ist munter, wird hinfort wachen. schenrechte. Und läßt sich kein X für ein U hinfort machen. Ihr möget zensieren und Euch abkastein - Über dem Stuhl des Präsidenten der Versammlung Doch den Michel, den schläfert ihr nie wieder ein! prangten die Worte: Warum hat diese Revolution immer noch so eine vitale Symbolfunktion für das freiheitliche und demo- Des Vaterlandes Größe, des Vaterlandes Glück, kratische Deutschland? Die Antwort ist genau do rt zu Oh schafft sie, oh bringt sie dem Volke zurück. finden, wo die Sprache der Revolution auch heute Das blumige nationale Pathos hinter diesem Reim noch aktuell wirkt, nämlich bei jenem Menschen- wirkt - so sehr es für das Verständnis des Gesamt- rechtskatalog, den ich eben erwähnte. phänomens „ 1848 " wichtig ist - für uns heute wohl Der Grund für diese Aktualität wäre den damali- eher leicht belustigend. Aber dennoch haben Sie, gen Autoren dieses Katalogs kaum eine Überra- Herr Duve, recht, wenn Sie eine Parallele zwischen schung gewesen. Viele von ihnen hatten die Rechts- 1848 und 1989 ziehen. Im übrigen erlaube ich mir die theorien Immanuel Kants studiert und wußten, daß Bemerkung, daß es immer ein besonderes Vergnü- diese Rechte, die sie dort zu Papier brachten, univer- gen war, mit Ihnen hier im Plenarsaal diskutieren zu sal waren. Sie waren und sind gültig, unabhängig dürfen. Vielen Dank dafür! von Zeit und Raum. Sie erschütterten 1848 überall in Europa die absolutistischen Throne, die sich seit der (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und Restauration im Gefolge des Wiener Kongresses von der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜND 1815 nur allzu sicher gewähnt hatten. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Internationalität - oder wie man damals wohl Der dürre Gesetzestext der Menschenrechte hat gesagt hätte: Weltbürgerlichkeit - ist ein Aspekt, der seine bezwingende Wirkung ungebrochen beibehal- nicht vergessen werden sollte. Trotz des spezifisch ten. Die Paulskirchen-Versammlung konnte - das nationalen Hintergrundes der deutschen Ereignisse wissen wir - ihren Verfassungsentwurf nicht durch- fühlte man sich stets von den Ereignissen im Aus- setzen. In diesem Sinne scheiterte sie. In einem ande- land, insbesondere in Frankreich, inspiriert. Die ren Sinne scheiterte sie nicht: Sie war in ihrer tat- Paulskirchen-Versammlung hatte eine Friedensord- sächlichen politischen Tragweite trotz ihrer Nieder- nung vor Augen, die in der freiheitlichen Verfassung lage zu gewaltig, als daß man danach einfach zur Ta- aller europäischen Länder wurzelte. Ich denke, es ist gesordnung übergehen konnte. Die Idee der Freiheit auch dies eine immer noch aktuelle Idee. war ein für allemal in die deutsche politische Tradi- tion eingeflossen. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenngleich diese Idee in vielen Etappen der deut- Demokratie und Menschenrechte sind immer noch schen Geschichte - etwa der des Nationalsozialismus die besten Garanten für den Frieden. Do rt, wo Herr- oder der des sowjetgestützten und kommunistischen- schaftsregime nicht den inneren Frieden mit den Regimes in Ostdeutschland - niedergeschmettert eigenen Bürgern gefunden haben, steht erfahrungs- wurde, war sie doch immer wieder der Regeneration gemäß der äußere Frieden mit anderen Ländern auf fähig. Dies war sie nicht zuletzt, weil sie mit der 48er schwachen Füßen. Deshalb und weil Menschen- Revolution irgendwie in das kollektive Bewußtsein rechte natürlich immer auch ein Selbstzweck in sich eingedrungen war. Es ist sicher richtig, daß etwa der sind, ist es uns nicht gleichgültig, was außerhalb un- demokratische Neubeginn der Bundesrepublik in seres eigenen Landes in Sachen Menschenrechten mancher Hinsicht ein Werk der Westalliierten war, geschieht. Als 1989 das von Ronald Reagan zu Recht die den Geburtsvorgang geburtshelferisch unter- so apostrophierte „Reich des Bösen" zusammen- stützten. Aber Erfolg konnte dies nur haben, weil ein brach, meinten ja einige schlaue Geister tatsächlich, vielfältiges demokratisches und freiheitliches Be- es sei nun das Ende der Geschichte gekommen; bald wußtsein vorhanden war. Es konnte sein Selbstver- gebe es nur noch liberale Demokratien, nur noch ständnis auch daraus beziehen, daß es im denkwür- Meine technische Probleme würden ab und zu zu lö- digen Jahr 1848 ein Fanal der Freiheit gegeben hatte, sen sein. Schön wäre es gewesen! Sieht man sich in das ganz und gar ein eigenes, aus dem deutschen der Welt um, dann stellt man fest, daß das Ende der Volke gekommenes Werk war. Es gäbe sonst auch Geschichte selbst schon ein schnelles Ende gefunden keinen Grund, warum wir heute diesen Jahrestag fei- hat. ern sollten. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und DIE GRÜNEN]: Genau!) der SPD) Es sind nicht nur Kuba und Nordkorea, die einem Ich kann mir keine echte Regeneration irgendeines einfallen, weil sie die letzten Reste des kommunisti- deutschen Gemeinwesens vorstellen, die nicht an schen Ungeistes beherbergen. In Tibet wird eine alte das Vermächtnis der Revolution von 1848 anknüpft. Kultur durch Fremdherrschaft unterdrückt. In Burma Kein Geringerer als Hoffmann von Fallersleben hat wird der explizite Wille des Volkes zur Demokratie das Fortleben der Ideen der Revolution schon 1848 mit Füßen getreten. In Ruanda wurden wir vor kur- 21762 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Dr. Otto Graf Lambsdorff zem Zeuge eines Völkermordes, der seinesgleichen Aber, meine Damen und Herren, ich habe mich sucht. Immer noch besteht das Todesurteil gegen auch dafür zu bedanken - Frau Präsidentin, bei Ih- Salman Rushdie. In Weißrußland beobachten wir die nen sowie Ihren Vorgängerinnen und Vorgängern -, schleichende Wiederkehr kommunistischer Herr- daß ich mir trotz mancher scharfen Rede hier niemals schaftspraktiken. Die Liste ist schier unendlich. einen Ordnungsruf eingehandelt habe. Das fand ich schön. Ich will bei dieser Liste auch nicht die allen inter- nationalen Vereinbarungen zuwiderlaufende schau- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das wollen derhafte Praxis der Todesstrafe in den Vereinigten wir einmal nachlesen!) Staaten vergessen. Also, heute ist kein Anlaß, das nachzuholen, um das (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) gleich zu sagen. Sie ist um so beschämender, als die Vereinigten Staa- Nun, meine Damen und Herren, es ist mir sehr ten doch in vieler Hinsicht stets das große Vorbild al- wichtig, festzustellen, daß damals, 1848, wie heute ler demokratischen Staaten waren. Sie waren es der Parlamentarismus Kern jeder erfolgreichen frei- auch für die Mitglieder der Paulskirchen-Versamm- heitlichen Ordnung ist. Hier im Deutschen Bundes- lung, die einen regen Briefwechsel mit den weitaus tag liegt der Ke rn unserer Demokratie. Deswegen erfahreneren Parlamentskollegen in Washington war es für mich 26 Jahre lang auch eine Erfüllung, an pflegten und die nach dem Scheitern der Revolution dieser Stelle - allerdings insgesamt gesehen in vier in Scharen das Exil in der neuen Welt suchten. Plenarsälen - reden zu dürfen. Nicht umsonst legte die Paulskirchen-Verfassung Die gegenwärtige Menschenrechtssituation ist in § 186 fest: nicht mehr so sehr an weltbedrohendes Großmacht- streben gebunden. Deswegen wird sie hierzulande Jeder deutsche Staat soll eine Verfassung mit nicht mehr als so bedrohlich empfunden wie zur Zeit Volksvertretung haben. des kalten Krieges. Das darf uns aber nicht davon ab- halten, die Einhaltung der Menschenrechte zu einem Und - das war das Wichtige in dieser Zeit -: wesentlichen Maßstab unserer Politik zu machen. Die Minister sind der Volksvertretung verant- wortlich. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD) Im Parlamentarismus ist der Abgeordnete vom Volk wählbar und kontrollierbar und dennoch letzt- Das verlangt nicht nur Umsicht und Ausdauer, son- lich seinem eigenen Gewissen verpflichtet und nicht dern auch ein Umdenken. Man sollte vielleicht in Zu- Sklave des vermeintlichen gesunden Volksempfin- kunft Diplomatie weniger als die Kunst der Etablie- dens. Heinrich von Gagern, der Anführer der gemä- rung von Beziehungen zwischen regierenden Macht- ßigten Liberalen, meinte im März 1848: „ ... ich will habern definieren, sondern stärker als die Kunst der keine Pöbelherrschaft, kein Liebäugeln mit dem Pö- Etablierung von Beziehungen zwischen Völkern. bel. " Hinter dieser etwas grobschlächtig wirkenden (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Formulierung steckt indes nichts anderes als das, was Thomas Dehler 1952 vor diesem Hause sagte, als ten der CDU/CSU, der SPD und- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) man ihn bei der großen Debatte um die Todesstrafe darauf aufmerksam machte, daß diese doch Teil der Eine stabile freiheitliche Regierung muß die Nicht- Volksüberzeugung sei: relativierbarkeit von Menschenrechten immer und überall betonen. Diese nölige Stabilität ist die we- Ich glaube, man verkennt das Wesen der Demo- sentliche Aufgabe jeder Politik, die sich auf das Erbe kratie, wenn man glaubt, das Parlament sei der der 1848er Revolution berufen kann. Exekutor der Volksüberzeugung. Ich meine, das Wesen der repräsentativen Demokratie ist ein an- (Beifall des Abgeordneten Dr. Wolfgang deres, es ist das der parlamentarischen Aristokra- Weng [Gerlingen] [F.D.P.]) tie. Die Parlamentarier haben die Pflicht und die Möglichkeit, aus einer größeren Einsicht, aus ei- Meine Damen und Herren, es bedarf funktionie- nem besseren Wissen zu handeln, als es der ein- render Institutionen, damit die Menschenrechte nicht zelne kann. bloße Proklamation auf dem Papier bleiben. Haben wir nicht zum Beispiel bei der Abstimmung Dies ist heute auch für mich die letzte Rede, die ich über den Euro genau so gehandelt? vor diesem Hause, dem Parlament im freiheitlichsten Staat der deutschen Geschichte, halte. Ich habe es Meine Damen und Herren, die konstitutionell ge- immer als eine Ehre und Auszeichnung betrachtet, bundene parlamentarische Demokratie ist die Re- Volksvertreter sein zu dürfen. Erlauben Sie mir eine gierungsform, die am besten dazu geeignet ist, die persönliche Bemerkung. Ich weiß, ich habe gelegent- Ausübung politischer Macht an die Einhaltung eines lich bei Mitgliedern aller Fraktionen dieses Hauses höheren, von jeder demokratischen oder sonstwie heftigen Verdruß erregt. Dies war meine Absicht. getroffenen Entscheidung unabhängigen Standards zu binden. Dieser Standard sind die Rechte eines je- (Heiterkeit im ganzen Hause - Beifall bei den einzelnen. Es ist wichtig, daß der verfassungsge- der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der bundene Parlamentarismus um die Verantwortung CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS weiß, die er damit hat. Er muß von allen Seiten in sei- SES 90/DIE GRÜNEN) ner Integrität geschützt werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21763

Dr. Otto Graf Lambsdorff Die Mehrheit der Paulskirchen-Abgeordneten ein in Deutschland vorhanden, der nicht seine mußte sich damals mit ausgesprochen fundamenta- Vertreter nach Frankfurt gesandt hätte, um sich len Bedrohungen auseinandersetzen. Die Macht der bei dem Handelsminister „hören" zu lassen ... Reaktionäre, die zurück zu Absolutismus und Stän- Die Herren hielten die Erfüllung ihrer Wünsche destaat wollten, war stark, letztlich zu stark. Auch für das Wichtigste, was aus der Neugestaltung auf dem linken Flügel der Revolution gab es bereits Deutschlands hervorgehen könne; alles andere gefährliche Tendenzen. Für die Genauigkeit rechts- schien ihnen ganz gleichgültig zu sein. staatlicher Prozeduren und die Ablehnung von Ge- walt, wie sie die liberale Mehrheit beherzigte, hatten Die Lehre dieser schönen Sätze ist doch klar: Man viele nur Spott übrig. Das Phänomen, das man schon darf keine Freiheit verachten - nicht die großen, die bei der Französischen Revolution beobachtet hatte, klassischen Menschenrechte und auch nicht die klei- die hemmungslose „totalitäre Demokratie", wie der nen, die alltäglichen Marktfreiheiten. amerikanische Histo riker Talmon diesen Vorläufer Gerade letzteres verlangt dem Politiker enorm viel der sogenannten modernen Volksdemokratien ein- Widerstandskraft ab, soviel kann ich aus langer par- mal nannte, war auch 1848 deutlich sichtbar. 1848 lamentarischer Erfahrung versichern. Es ist ja so war schließlich - es ist schon gesagt worden - nicht leicht, das P rivileg über Freiheit und Wettbewerb zu nur das Jahr der Paulskirchen-Verfassung, der Bot- stellen. Deshalb erscheint es mir angemessen, meine schaft der Freiheit. Es war auch das Jahr des Erschei- Ausführungen heute mit den Worten jenes Ministers nens des „Kommunistischen Manifests", der Bot- Duckwitz aus dem Jahre 1848 zu beenden, die er an- schaft der Unfreiheit. gesichts der wachsenden Schar der ihn bedrängen- Unsere Demokratie ist zur Zeit nicht im Entfernte- den Lobbyisten fand: sten so gefährdet wie das Werk der Paulskirche. Den- Ich mußte daher, unbekümmert um die Schreier, noch gibt es wieder - die letzten Landtagswahlergeb- selbständig meinen Weg gehen. nisse zeigen es - deutliche Gegenströmungen zur freiheitlichen parlamentarischen Demokratie. Behal- Ich bedanke mich für Ihr Zuhören. ten wir stets eine klare Perspektive darüber, was wir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU da eigentlich verteidigen und mit wem wir dies tun. sowie bei Abgeordneten der SPD, des (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Das Kriterium kann nicht „rechts" oder „links", „pro- gressiv" oder „reaktionär" lauten, sondern kann nur in der Frage liegen, ob es freiheitlich-demokratisch Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Graf Lambsdorff, ist oder nicht. Wir dürfen weder auf dem linken noch lassen Sie mich von dieser Stelle aus ebenfalls fol- auf dem rechten Auge blind sein, sondern müssen, gendes zum Ausdruck bringen: Wir alle haben Sie wie es vernünftige Menschen eigentlich immer tun, stets als einen Parlamentarier aus Fleisch und Blut, wenn sie die Dinge klar sehen wollen, mit beiden als einen Vollblutpolitiker erlebt, der uns sicherlich Augen hinsehen. nicht nach dem Mund geredet hat. Keiner von uns wird immer mit dem einverstanden gewesen sein, Wenn man beide Augen schon einmal offen- hat, was Sie gesagt haben. Ich denke aber, daß Sie aber sollte man aber nicht nur die offenen Feinde der De- immer wieder gespürt haben, wieviel Aufmerksam- mokratie im Blick behalten. Freiheit geht meist keit Ihnen dieses Parlament entgegengebracht hat. scheibchenweise und auf Grund von Sorglosigkeit im Kleinen verloren. Auch dieses Problem kannte Ich wünsche mir, daß nachfolgende Parlamenta- man 1848 schon. Der Zünfte- und Ständestaat be- riergenerationen dem Beispiel von Freimut Duve und stand aus einer Unmenge von kleinen P rivilegien, Graf Lambsdorff folgen. Um unser Parlament wäre es die ihrem Empfänger eine Gefälligkeit bereiteten, dann gut bestellt. aber in ihrem Anwachsen den Bürgern insgesamt ein Herzlichen Dank. immer größeres Netz von Bevormundungen erbrach- ten. Gefälligkeiten gegenüber Lobbies jeder A rt - (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der das gilt damals wie heute - sind schleichendes Gift SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Demokratie. Ich rufe jetzt den Kollegen Professor Uwe-Jens (Beifall bei der F.D.P. - Heidemarie Wieczo Heuer auf. rek-Zeul [SPD]: Genau!) - Wer in dieser Frage mit einem Finger auf andere Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Frau Präsidentin! zeigt, zeigt immer mit vier Fingern auf sich selbst zu- Meine Damen und Herren! Das Hauptwerk der er- rück. sten deutschen Nationalversammlung war eine Ver- fassung des Deutschen Reiches. Das Ergebnis, vor (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) allem der Grundrechtskatalog, konnte sich sehen las- Meine Damen und Herren, fast wie die Klagen ei- sen. Dieter G rimm spricht in seinem Werk „Deutsche nes heutigen Wirtschaftsministers klingen die Worte Verfassungsgeschichte 1776-1886" auf Seite 196 mit von Arnold Duckwitz, der 1848 für kurze Zeit Reichs- Recht von einem revolutionären Veränderungspoten- handelsminister war: tial. Es war schwerlich ein Industriezweig, ein Berg- In Kraft getreten ist sie aber niemals. Der preußi- und Hüttenbau-, Schiffer- und Handwerkerver sche König, dem das Erbkaisertum angetragen 21764 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Dr. Uwe-Jens Heuer wurde, wies am 3. April 1849 die Krone „mit dem Lu- rechts und der offene Verfassungsbruch 1862 durch dergeruch der Revolution" brüsk zurück. Die Erhe- Bismarck. Er erklärte damals: bung von Verteidigern der Reichsverfassung in Süd- westdeutschland wurde von preußischen Truppen Allmählich wird die staatsrechtliche Praxis diese blutig niedergeschlagen. Rechtsfrage, das heißt diesen Konflikt zwischen geschriebenem Recht und in Erz gegrabenen Zwei Fragen sind zu stellen: Wie wurde diese Ver- Machtverhältnissen, in einem ganz anderen Sinn fassung möglich, und warum scheiterte sie? Die Be- erledigen. antwortung dieser Fragen könnte helfen, auch über Entsprechend entstand im Gefolge dreier Kriege nachfolgende Verfassungen, ihre Verteidiger und das Deutsche Reich als ewiger Bund der Fürsten, al- Gefährdungen bis hin zum heutigen Grundgesetz lerdings mit allgemeinem Wahlrecht für den Reichs- nachzudenken. tag. Erst die Niederlage im ersten Weltkrieg machte Die Frankfurter Verfassung war nicht einfach ein den Weg frei zur parlamentarischen Republik, aller- Produkt parlamentarischen Nachdenkens kluger dings überschattet durch die Ermordung von Rosa Köpfe. Sie war zunächst und vor allem Ergebnis einer Luxemburg und Karl Liebknecht. Die konservativen Revolution, einer radikalen Veränderung des politi- Kräfte blieben ungeschoren. Sie trugen im Zusam- schen Kräfteverhältnisses im Zusammenwirken ganz mengehen mit Hitler - bei aller notwendigen Kritik unterschiedlicher Akteure. Die Bourgeoisie war für an gravierenden Fehlern der Kommunisten und So- den deutschen Bundesstaat, der Adel, auch die Gra- zialdemokraten - die Hauptverantwortung für das fen, Herr Lambsdorff, und die Fürsten waren dage- Ende der Weimarer Republik und ihrer Verfassung. gen. (Beifall bei der PDS) Erst eine schwere Wi rtschaftskrise brachte die Die einzige Verfassungspartei war schließlich die Massen auf die Straße. Den letzten Anstoß gab „das deutsche Sozialdemokratie. Schmettern des gallischen Hahnes", wie Karl Marx es formulierte, die Pariser Februarrevolution, der Die ungeheuren Verbrechen des Faschismus und Sieg der Republik in Frankreich. Nach den März- der unter schweren Opfern erfochtene Sieg der Alli- kämpfen in weiten Teilen Deutschlands schien das ierten waren Grundlage eines radikaleren Neube- ganze Land auf dem Weg zum bürgerlichen Verfas- ginns. Er erfolgte bald in zwei Staaten, die einander sungsstaat zu sein. Ohne die Bereitschaft von Arbei- im kalten Krieg feindlich gegenüberstanden. In der tern, Handwerkern und Studenten, ihr Leben einzu- Bundesrepublik Deutschland wurde das entschei- setzen, wäre das Werk der Paulskirche nicht möglich dende Gewicht auf rechtsstaatliche Sicherungen, auf gewesen. Wolfgang Mommsen schreibt in der „Berli- die Gestaltung eines demokratischen und sozialen ner Zeitung" vom 16./17. Mai 1998: „Die Kämpfer Rechtsstaates gelegt. In der DDR standen die Beseiti- auf den Barrikaden, die Unterschichten ... waren die gung ökonomischer Grundlagen des Faschismus so- Motoren des Geschehens." wie die Herstellung weitgehender sozialer Gleichheit und Sicherheit im Mittelpunkt. Bis zum Schluß war (Beifall bei der PDS) das Recht Instrument, nicht auch Maß der Politik. Wir sollten auch ihrer heute gedenken, so- wie das 150 Jahre deutscher Verfassungsgeschichte bele- die Berliner Stadtverordnetenversammlung vor gen, daß der Verfassung stets gesellschaftliche, vor 50 Jahren -1948 geschah dies übrigens einmütig - allem ökonomische Widersprüche zugrunde liegen, tat. daß die Verfassung ein relativ selbständiges Kampf- Warum aber scheiterte die Verfassung? Beherrscht feld ist, soziale und politische Auseinandersetzungen wurde die Nationalversammlung vom „Rechten Zen- nicht ausschließt, sie vielmehr voraussetzt und ihnen trum", das sich für einen Deutschen Bundesstaat als den juristischen Rahmen gibt. Grundlegende Verfas- konstitutionelle Monarchie einsetzte, für eine Verein- sungsänderungen und gar -umstürze erfolgen dann barung mit den junkerlich-konservativen Kräften. und nur dann, wenn sich gesellschaftliche Kräftever- hältnisse geändert haben. Das erklärt auch, warum Nach der Junischlacht in Pa ris, der ersten rein pro- es trotz des Art. 146 des Grundgesetzes nach 1989/90 letarischen Erhebung, die das Recht auf Arbeit ver- keine neue Verfassung gegeben hat, der Verfas- teidigte, wuchs der Wille zum Kompromiß. Es muß sungsentwurf des runden Tisches in der letzten heute rückblickend die Frage gestellt werden, wie- Volkskammer nicht einmal in die Ausschüsse ge- weit dieser Kompromiß der Beginn dessen war, was langte und die Gemeinsame Verfassungskommission gewöhnlich als der deutsche Sonderweg bezeichnet unter der Losung „Das Grundgesetz hat sich be- wird - in Gestalt eines antidemokratischen Zusam- währt" kein wesentliches Resultat zustande brachte. mengehens von ökonomischer Macht der Bourgeoi- sie und politischer Macht des preußischen Junker Das Grundgesetz hat sich über Jahrzehnte gerade tums mit gefährlichen Folgen für Deutschland und dadurch als erfolgreich erwiesen, daß die politischen die Welt. Ich frage dies, ohne daß ich damit eine Grundrechte gesichert wurden und der Sozialstaat gleichsam automatische Zwangsläufigkeit behaup- ausgebaut wurde. Ist dieser Kompromiß heute in Ge- ten möchte. fahr? Der Verfassungsschutz und manche hier im Raum sehen das Grundgesetz durch Bestrebungen Die wichtigsten Etappen dieses Weges waren zu- am rechten und linken Rand, insbesondere durch die nächst die Oktroyierung einer - relativ liberalen - PDS, als gefährdet an. Beweise in bezug auf die PDS Verfassung am 5. Dezember 1848 in Preußen, die gibt es keine. Wenn es Verfassungsschutzberichte für Einführung des bis 1918 geltenden Dreiklassenwahl verfassungsfeindlich halten, daß eine Pa rtei für den Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21765

Dr. Uwe-Jens Heuer demokratischen Sozialismus eintritt, so verletzen sie wenn das Echo gering ist, ist der Trost so groß auch damit den Konsens des Jahres 1949 und behindern wieder nicht. die Integration wesentlicher Teile der ostdeutschen Offenbar brauchen wir wieder eine starke Volksbe- Bevölkerung. wegung - vielleicht ausgelöst durch „das Schmettern (Beifall bei der PDS) des gallischen Hahnes" - gegen Massenarbeitslosig- keit, für den sozialen und demokratischen Rechts- Die wirkliche Gefahr für den im Grundgesetz ver- staat des Grundgesetzes. ankerten Minimalkonsens geht von ganz anderer Seite aus. Es droht ein neuer Bismarckismus, eine (Beifall bei der PDS) konservative Revolution im Weltmaßstab. Innen- und Außenpolitik sollen der Globalisierung immer rigoro- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt die ser untergeordnet werden, durch Sparprogramme, Kollegin Michaela Geiger. Ausbau von Krisenreaktionsstreitkräften, verschärfte Repression im Innern und eben auch durch Abbau der Rechtsstaatlichkeit. Michaela Geiger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir Der Prozeß der Verschlechterung der grundgesetz- haben in den vergangenen Tagen und Wochen zahl- lichen Standards nahm seinen Ausgangspunkt in der reiche hervorragende Reden, Vorträge und Aufsätze Behandlung des angegliederten Ostdeutschlands. Er über das 150jährige Paulskirchen-Jubiläum gehört. machte an der Elbgrenze nicht halt. 1993 wurde das Ganz besonders schön und würdig habe ich die Feier Grundrecht auf Asyl, A rt. 16, in seinem Kerngehalt in Frankfurt empfunden, als wir - wie unsere Vorgän- beseitigt, 1994 durch Entscheidung des Bundesver- ger vor 150 Jahren - vom Kaisersaal des Alten Rö- fassungsgerichts die Einschränkung des Streitkräf- mers in die Paulskirche gezogen sind. teeinsatzes auf Verteidigung, A rt. 87 a, aufgehoben, 1996 das strafrechtliche Rückwirkungsverbot für be- Ich will heute zu diesen Gedenkreden nicht in stimmte Handlungen in der DDR außer Kraft gesetzt Konkurrenz treten. Ich möchte nur fragen: Was sagen und im März dieses Jahres schließlich der Wesensge- uns Parlamentarier heute die damaligen Vorgänge? halt des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Woh- Wo gibt es Parallelen? Was können wir aus dem da- nung, Art. 13, angetastet. Man kann diesen Prozeß maligen Geschehen lernen? Was können wir im heu- nicht besser charakterisieren, als dies Heribert Prantl tigen Bundestag besser machen? in der „Süddeutschen Zeitung" vom 9. August 1997 Ich will mit einer Äußerlichkeit beginnen: Die 598 getan hat: gewählten Abgeordneten, die am 18. Mai 1848 in der Paulskirche zusammenkamen, bildeten das erste na- 1992/94 wurde das Grundgesetz quasi unter tionale Parlament in Deutschland und stellten die Denkmalschutz gestellt. Heute bedauern die geistige und bürgerliche Elite Deutschlands dar. Die Denkmalschützer von gestern die Schwierigkei- damalige Nationalversammlung spiegelte aber ge- ten, die sich jetzt beim Umbau ergeben. Deshalb nauso wenig wie unser heutiger Bundestag die tat- kommen sie mit der Abrißbirne. sächliche Zusammensetzung der deutschen Nation Meine Damen und Herren, eine persönliche- Be- wider. merkung zum Abschluß. Die fast acht Jahre hier ge- (Beifall der Abg. Dr. [BÜND hörten für mich zu den interessantesten, aber auch NIS 90/DIE GRÜNEN]) schwierigsten Jahren meines Lebens. Das gehobene Bürgertum überwog bei weitem. (Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: O Gott!) Staatsbedienstete, Ju risten, Universitäts- und Schul- Ich muß Ihnen offen sagen, daß ich mehr rechtsstaat- lehrer, Richter, Staatsanwälte und Kleriker dominier- liches Bewußtsein bei meinen Kollegen im Bundes- ten. Frauen durften noch lange nicht wählen und wa- tag erwartet habe. Es sind gute Ju risten, und es wa- ren auch nicht wählbar. Kleinbürger, Bauern und ren faire Kollegen. Aber die Bereitschaft mancher, Handwerker fehlten fast völlig. vor der Politik des Bundeskanzleramtes zurückzu- (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Und weichen, wenn es um rechtsstaatliche Grundprinzi- Arbeiter!) pien geht, hat mich erschreckt. Ein CDU-Kollege hat mir erklärt, am schlimmsten sei es für ihn, wenn aus- Bis heute haben wir es nicht geschafft, eine etwas gerechnet ich Rechtsstaatlichkeit und Verfassungs- ausgewogenere Berufsstruktur in unser Parlament mäßigkeit einklage. zu bringen. Auch bei uns überwiegen die Staatsbe- diensteten, die Gewerkschaftsangestellten, die Juri- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Recht hat er!) sten. Selbständige, Freiberufler, Handwerker, Arbei- ter und Bauern fehlen auch heute noch fast völlig. Aber was erwarten Sie von mir? Daß ich hier die Hieran sollten wir in Zukunft etwas ändern, so Weltrevolution einfordere? schwer es auch ist und so lange es auch dauern wird. Angesichts der Erfahrungen, die ich in der DDR (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, mit der radikalen Unterordnung des Rechts unter die der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Politik gemacht und mit der ich mich auseinanderge- GRÜNEN) setzt habe, muß ich doch wohl heute dieselbe Frage stellen. Ich sehe es durchaus als einen Fortschritt an, Ich glaube nämlich, daß sich unser Volk in seiner daß eine oppositionelle Partei dies tun kann. Aber ganzen Breite besser vertreten fühlen würde, wenn 21766 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Michaela Geiger der Deutsche Bundestag etwas ausgewogener zu- auch einmal gründlich über etwas nachzudenken. sammengesetzt wäre. Es ist eine wichtige Aufgabe Wenn wir ehrlich sind: Die meisten von uns haben für uns, daran zu arbeiten. diese Zeit nie. Reich war das Paulskirchen-Parlament an Dichtern Aber ich glaube, wir müssen nicht jede nebensäch- und Denkern. In dem ersten deutschen Parlament sa- liche Frage im Bundestag debattieren. Das könnten ßen mehr Männer, die der geistigen Elite ihres Vol- wir auch in öffentlichen Ausschußsitzungen tun. kes angehörten, als in allen anderen Volksvertretun- gen danach, zum Beispiel der Dichter Ludwig Uh- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. land, der Historiker Johann Gustav Droysen, der sowie bei Abgeordneten der SPD und des Märchensammler Jacob Grimm und viele andere. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das hatte uns das damalige Parlament voraus: die Aber für die wirklich brennenden Fragen, die auch Präsenz der Dichter und Denker, die ihre Gedanken unsere Bürger interessieren, brauchen wir ausrei- und Überlegungen in die Beratungen einbrachten chend Raum. Angenommen, wir hätten - wie in der und sie entscheidend mitprägten. Es ist ein Manko Paulskirche - tatsächlich Dichter und Denker in un- unserer heutigen Zeit, daß sich die Intelligenz, die seren Reihen: Glauben Sie, man könnte es einem Dichter und Denker vom Tagesgeschehen der Politik Martin Walser, einem oder einem so fernhalten und daß sie die Politik allenfalls aus ge- Günter Grass zumuten, seine Gedanken in fünfein- sichertem Abstand kritisch betrachten und kommen- halb oder dreieinhalb Minuten herunterzuspulen? tieren. Wir sollten uns schon einmal fragen, woran Das ist eine absurde Vorstellung. Aber manchmal das liegt und wie und ob wir dies ändern können. muß man absurde Vorstellungen aufzeigen, um zu sehen, daß etwas in die falsche Richtung läuft. Etwas ganz besonderes war die Debattenkultur in der Paulskirche. Stunden-, tage- und wochenlang (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge wurde mit großer Leidenschaft debattiert. Die Deut- ordneten der F.D.P.) schen debattierten damals, als hätten sie die Demo- Jetzt aber wieder zurück zur Paulskirche. Woran kratie erfunden. Sie nahmen sich Zeit dazu: Allein sind die damaligen Demokraten gescheitert? Die Re- die erste Lesung des Grundrechtskatalogs bean- volutionäre sind zum einen am fehlenden Rückhalt spruchte die Zeit vom 3. Juli bis zum 12. Oktober - im Volk gescheitert; die Deutschen waren in ihrer also mehr als ein viertel Jahr. Solch langen Debatten breiten Masse trotz aller wi rtschaftlichen Not keine will ich heute nicht das Wort reden. Aber für die Revoluzzer. Vor allem aber hatten die Abgeordneten wirklich wichtigen Themen sollten wir uns hier im außer der Waffe des Wortes keine reale Gewalt. Sie Parlament schon mehr Zeit nehmen. hatten weder Armee noch Polizei, um ihren Forde- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. rungen Nachdruck zu verleihen. Während die Abge- sowie bei Abgeordneten der SPD und des ordneten noch konzentriert an der Verfassung arbei- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) teten, machten die Fürsten schon wieder gegen die neu errungene Demokratie mobil. Warum hören wir immer wieder gern Rednern zu, die nur mit einigen Notizen zum Pult kommen? Weil Was sagt uns das? Eine Demokratie muß wehrhaft sie ihre Gedanken ausführen können und- weil sie sein, sonst ist sie zum Scheitern verurteilt. Ich bin sich besser auf neue Argumente einlassen können. dem Bundespräsidenten sehr dankbar, daß er bei sei- Aber wenn man sowenig Zeit hat wie die meisten ner Rede am 18. Mai in Frankfurt betont hat, daß, von uns - auch mir geht es heute wieder so -, muß wer da glaube, „sich aus Unzufriedenheit einen vor- man seine Rede aufschreiben, um alle Gedanken un- übergehenden Flirt mit den Gegnern der Demokratie ter einen Hut zu bekommen. Da leidet die Debatten- leisten zu können", buchstäblich mit dem Feuer kultur. spiele. (Beifall der Abg. Lisa Peters [F.D.P.]) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Günter Rixe [SPD]) Es wird steril und langweilig, und zwar nicht nur für uns selbst, sondern - das ist das Eigentliche - beson- Er hat gesagt: ders für unsere Zuhörer und Zuseher. Das Spiel, in dem sich linker und rechter Extre- Die Hetze, in die wir uns in jeder Sitzungswoche mismus gegenseitig die Stichworte und Begrün- treiben lassen, hat mit der Würde des Parlaments dungen liefern, hat schon einmal eine deutsche nichts zu tun. Wir jagen von Ausschußsitzung zu Demokratie zerstört. Ausschußsitzung, von einem Gremium zum anderen Ich bin davon überzeugt - das sage ich mit allem und schließlich in die Bundestagssitzung. Beklagen Ernst -, daß es unter den demokratischen Parteien sollten wir uns allerdings ausschließlich bei uns den Grundkonsens geben muß: Es darf keine Zu- selbst. Es ist allein unsere Sache, unsere Geschäfts- sammenarbeit mit der extremen Rechten und der ex- ordnung und unsere Tagesordnungen so zu gestal- tremen Linken geben. ten, daß der parlamentarische Alltag so ablaufen kann, wie man sich das ideal vorstellt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Günter Rixe [SPD]) Nietzsche hat einmal gesagt: „Nicht wir geben den Gedanken Audienz, sondern die Gedanken geben Das heißt nicht, daß wir deren Wähler ausgrenzen uns Audienz. " Für diese Audienz der Gedanken sollten. Ganz im Gegenteil: Wir müssen sie in den brauchen wir aber Zeit. Wir brauchen die Muße, Kreis der Demokraten zurückholen, und das sollte je- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21767

Michaela Geiger der an seinem Platz tun. Auch wir in Bayern hatten wir unsere Bürger davon überzeugen können, daß es vor einigen Jahren relativ hohe Prozentzahlen von sich lohnt, dafür einzutreten und dafür zu kämpfen. Wählern der äußersten Rechten. Wir haben mit die- Ich bedanke mich. sen Rechten nicht zusammengearbeitet, obwohl uns das viele nicht zugetraut haben. Wir haben diese (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und Rechten mit aller Härte bekämpft. Wir haben ihre dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ideologie angegriffen und sind so mit dem Problem Abgeordneten der SPD) fertig geworden. Heute erwarte ich von der alten, traditionsreichen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der Partei der SPD, daß sie mit der äußersten Linken auf Kollege Hans-Ulrich Klose. die gleiche Weise verfährt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hans-Ulrich Klose (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 150 Jahre später Kein Schmusekurs, kein Anbiedern, sondern ha rte eine Debatte im Deutschen Bundestag über die Re- Auseinandersetzung mit den Fakten: so bekämpft volution von 1848, das ist keine Selbstverständlich- man extremistische Parteien. Leider ist Sachsen-An- keit. Aber sie ehrt dieses Parlament, weil es jene halt kein ermutigendes Beispiel. ehrt, die dem ersten gesamtdeutschen Parlament, der Nationalversammlung von 1848, angehörten. In (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einem Land mit eher bescheidenen demokratischen Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst im Traditionen - die Kollegin Lengsfeld hat es gesagt - dritten Anlauf haben es die Deutschen geschafft, ist es gut, solche - im heutigen Sprachgebrauch - eine stabile parlamentarische Demokratie zu instal- „Highlights" zu pflegen. lieren. So gut wie heute ist es trotz - zugegeben - Daß die Nationalversammlung verhältnismäßig de- mancher Schwierigkeiten den Deutschen noch nie mokratisch gewählt wurde - ein Frauenwahlrecht gegangen. gab es ja nicht - und zusammentreten konnte - ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!) nau am 18. Mai 1848-, das war der eigentliche Höhe- punkt. Denn diese Wahl ist den Regenten der Einzel- In den Zeiten, in denen das Parlament entmachtet staaten als Zugeständnis an den demokratischen oder gar abgeschafft war, hatten Deutsche und ganz Zeitgeist abgetrotzt worden. Die Herren sind ja nicht Europa Furchtbares zu erleiden. Auf diese Zusam- von einem Moment auf den anderen zu Demokraten menhänge müssen wir unsere Bevölkerung immer geworden. Dazu kam aber auch, daß im Kreis der Re- wieder hinweisen. Wir müssen gerade deshalb im- volutionäre die parlamentarischen Reflexe zumindest mer wieder jeder Geringschätzung und Verächtlich- zum Teil unscharf ausgebildet waren. Die republika- machung des Parlaments entgegentreten. nische Linke, für die die Namen Struve und Hecker stehen, wollte lieber das sogenannte Vorparlament Noch eines: Keine Demokratie ist eine statische als, wie es hieß, Kontrollausschuß gegenüber dem Angelegenheit. Sie entwickelt sich immer weiter, na- damaligen Bundestag im Amt lassen, um jeglicher türlich ohne ihre Grundüberzeugungen zu vernach- „Reaktion" vorzubeugen. Den Glauben an die - ich lässigen. Der schlanke Staat und die Entbürokratisie- zitiere Valentin - „alles erlösende Kraft des parla- rung, die überall gefordert werden, könnten gerade mentarischen Prinzips" teilte sie nicht. Es war - der hier bei uns im Parlament praktiziert werden. Wir ha- Wahrheit die Ehre - die liberale Mehrheit, die einen ben uns im Bundestag mit Regelungen überzogen, entsprechenden Antrag zurückwies und dafür sorgte, die die freie Entfaltung des Parlaments einschnüren, daß das parlamentarische Prinzip nicht schon am die unserer Darstellung nach innen und außen nicht Anfang zugunsten eines wie auch immer definierten guttun. virtuellen Volkswillens aufgegeben wurde. Winston Churchill hat in seiner berühmt geworde- (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sehr nen Rede im Jahr 1947 im Unterhaus gesagt: richtig, Herr Präsident!) Mancherlei Regierungsformen sind in diesem Das Volk selbst, von dem in den Reden des Jahres Jammertal schon ausprobiert worden und werden 1848 und 1849 auffallend häufig die Rede ist - in der in Zukunft noch ausprobiert werden. Kein Kombination „ Volksstaat", noch auffälliger in der Mensch behauptet, Demokratie sei der Weisheit Kombination „Volksheer" -, hat diese Entwicklung letzter Schluß. Ja, man hat von ihr gesagt, daß sie offenbar gutgeheißen. die schlechteste Regierungsform überhaupt - mit Ausnahme aller anderen - sei, mit denen man es Jedenfalls wurden die Parlamentarier, die sich von Zeit zu Zeit versucht hat... . vor 150 Jahren in Frankfurt einfanden, stürmisch be- grüßt - freundlicher als jemals danach ein deutsches (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Churchill war Parlament. das!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem - Ja, genau der war es. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, arbeiten wir Die Hoffnungen, die sich mit diesem Parlament gemeinsam daran, daß diese „schlechteste Regie- verbanden, waren - das ist die Erklärung - weitrei- rungsform ... - mit Ausnahme aller anderen -" erhal- chend, umfassend, aber auch widersprüchlich. Ent- ten bleibt, daß sie überzeugen kann und vor allem daß sprechend groß, umfassend, aber auch widersprüch- 21768 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Hans-Ulrich Klose lich war der Erwartungsdruck. Damals sei es, liest man delten die Revolution, die europäisch und demokra- bei den Historikern - zugegeben: nicht bei allen -, tisch begann, sehr schnell, gewissermaßen von Mo- nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa nat zu Monat, in ein Szenario nationaler Konf likte. um Freiheit und Demokratie gegangen, in Wien Es ist dieser Punkt, der mich an den damaligen Er- ebenso wie in Paris und in Berlin. Aber das ist, eignissen in besonderer Weise interessiert und, wie scheint mir, eine wenig präzise und eher etwas be- ich zugeben muß, auch erschreckt. Daß die Bildung schönigende Aussage. des deutschen Nationalstaates schon in der Anfangs- In Frankreich mag das Bemühen um Demokratie phase mit nationalen Überlegenheitsgefühlen ein- und um die Republik im Vordergrund gestanden ha- herging und letztlich - was nicht die Ironie der Ge- ben. In Wien dagegen ging es um die Rechte der na- schichte beschreibt, sondern deren bittere Logik - tionalen Minderheiten im Verbund des Vielvölker- durch einen provozierten Krieg gegen Frankreich be- staates Österreich, und in Deutschland ging es vor al- wirkt wurde, hat die folgenden europäischen und lem um die nationale Einheit, um sie zuerst und erst deutschen Katastrophen nicht herbeigeführt, aber in zweiter Linie um die geschriebene Verfassung, um doch vorbereitet. Demokratie, konstitutionelle Monarchie oder Repu- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE blik, und die die bei der Auslösung soziale Frage, GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord der Revolution eine so entscheidende Ro lle gespielt neten der CDU/CSU) hatte, geriet im weiteren Verlauf eher zur Neben- sächlichkeit. Daß auch das Kommunistische Manifest Der deutsche Nationalstaat - die „verspätete " Nation im Jahre 1848 veröffentlicht wurde, erscheint, so ge- - entstand nicht als demokratischer Staat. Die Demo- sehen, eher als Zufall. kratie kam, als das Kaiserreich fiel, und wurde von ei- nem Regime nationalistischer Barbarei hinweggefegt. Meine Damen und Herren, wenn man aus heutiger Sicht nachliest, was vor 150 Jahren geschrieben und in Es folgten nach dem zweiten Weltkrieg - der der Nationalversammlung gesprochen wurde, ent- schrecklichsten Katastrophe - der Verlust der Einheit deckt man viele Übereinstimmungen im Begriff lichen und der dritte demokratische Versuch auf deutschem und in der Wortwahl und zugleich außerordentliche Boden, aber nur in einem Teil Deutschlands. Erst Unterschiede. Besonders auffallend im Unterschied zu heute, nach der friedlichen Wiedervereinigung, ha- unserer heutigen Zeit - Graf Lambsdorff, Sie haben es ben wir Deutschen die Chance, Einheit und Demo- erwähnt - das nationale Pathos, das in den Reden der kratie zu vollenden. Vielleicht ist es die heutige Ge- Nationalversammlung mitschwang, ja dominant war: neration, die 150 Jahre später aufgerufen ist, auf na- Deutsche Größe, deutsche Ehre - oder, mit negativem tionaler und europäischer Ebene zu einem guten Vorzeichen: „Verrat an der Nation" . Solche Begriffe Ende zu führen, was damals begann und scheiterte. würde in diesem Hause, im heutigen Deutschen Bun- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem destag, niemand verwenden, nicht einmal denken. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Damals aber beschrieben solche Worte das eigentliche Ziel der Revolution: die Bildung eines deutschen Rei- Unsere Chancen stehen nach über 40 Jahren west- ches für alle Deutschen in allen seinen Gliederungen, deutscher und fast zehn Jahren gesamtdeutscher De- in einem nicht exakt definierten Territo rium, mokratie nicht schlecht. Gleichwohl dürfen wir die - Gefahren nicht übersehen. Es gibt - darauf hat der (Dr. Otto Graf Lambsdorf [F.D.P.]: Richtig!) Herr Bundespräsident in seiner Frankfu rter Rede hin- dessen Grenzen aber weit, weit vorgeschoben waren: gewiesen - heute eine zunehmende Zahl von Men- „von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis schen, die an der Demokratie, ihrem Wert und vor al- an den Belt". lem ihrer Leistungsfähigkeit zweifeln. Sie ist im Osten des wiedervereinigten Deutschlands größer als im Es läßt sich nicht leugnen, daß dieser Umstand den Westen, was niemanden verwundern kann. Aber Charakter der demokratischen Revolution des Jahres auch im Westen hat die Zustimmung zur parlamenta- 1848 schon bald verändert hat. Aus der demokrati- risch-demokratischen Staatsform abgenommen. schen wurde eine nationale Revolution, und die ist letztlich an dem Unwillen nicht nur der Abgeordne- Daß das, liebe Kolleginnen und Ko llegen, auch mit ten, sondern der Deutschen insgesamt gescheitert, uns, den Politikern, und mit der - ich will das einmal andere - nicht deutsche - nationale Befreiungsbewe- so formulieren - fast natürlichen Neigung von Par- gungen als legitim anzusehen und zu akzeptieren. teien zu tun hat, bei der Willensbildung des Volkes nicht nur mitzuwirken, sondern sie durch Parteitags- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ beschlüsse zu ersetzen, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Durch Spie gelstriche!) Dies galt natürlich auch umgekehrt. Denn auch von das ist gewiß richtig. außen, von Rußland oder von England her, bei den Polen und Tschechen wurde mißtrauisch, ja besorgt, (Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND zum Teil sogar feindselig beobachtet, was da in NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutschland geschah. Dennoch widerrate ich dem öffentlichen Kotau. (Vorsitz : Vizepräsidentin Michaela Geiger) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Vielleicht kann man es so sagen: Die nationale ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ Frage oder Pluralis, die nationalen Fragen verwan DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21769

Hans-Ulrich Klose Wer von Verdrossenheit redet, muß auch die Verdros- Dazu kommt der - wenn ich so sagen darf - „Kul- senen ansprechen. Demokratie - wenn ich das so sa- turschock" einer Bevölkerung, die aus einem diktato- lopp formulieren darf - ist doch keine Theatervorstel- rischen Fürsorgestaat in die oft sehr kalte, unfreund- lung, liche Freiheit einer nur mäßig gebändigten globa- lisierten Marktwirtschaft entlassen wurde. Verzeihen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sie, daß ich das so harsch formuliere. Aber zumindest ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ in der Analyse sollte man sich um Objektivität bemü- DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) hen, ohne den persönlichen Standpunkt zu verleug- bei der einige Akteure - Politiker genannt - auf der nen. öffentlichen Bühne agieren, während das Volk als (Beifall bei der SPD) Publikum in privaten Auditorien sitzt und Beifall klatscht oder buh ruft, je nachdem, ob das Stück ge- Der Wille zur Objektivität zwingt uns auch zu der fällt oder nicht. Frage, ob die inzwischen 50 Jahre alte westdeutsche Demokratie den Deutschen zur Herzensangelegen- Demokratie ist die Sache aller. Alle müssen sich heit geworden ist. Es sollte so sein, meinte der Herr auf die eine oder andere Weise beteiligen, mitwirken, Bundespräsident bei seiner Rede in Frankfu rt. Demo- mitbestimmen, Mitverantwortung übernehmen. kratie, sagte er, „ist gewiß zuerst eine Sache der Ver- nunft - aber sie ist auch eine Sache des Herzens". - (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem Es wäre gut, wenn es so wäre. Jedenfalls muß gute BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. Politik - Politik, die gut ist in der Absicht und im Er- sowie bei Abgeordneten der PDS) gebnis - so angelegt und ausgerichtet sein, daß sie Nicht das unterwürfige Versprechen der Politik, demokratisch überzeugt. künftig alles besser zu machen, nein, vor allem die Daß aber demokratische Überzeugung im Nach- Bereitschaft vieler, möglichst aller, Politik als eigene kriegsdeutschland immer auch etwas mit ökonomi- Aufgabe zu begreifen, sich also in den oft mühseli- schem Erfolg und der Zauberformel „Wohlstand für gen Willensbildungsprozessen der Demokratie zu alle" zu tun hatte, das wird spätestens heute offen- engagieren, nur dies gibt der deutschen Demokratie bar, also in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft die Chance, sich immer wieder zu erneuern und ge- stärker als zuvor spaltet und schichtet in Reich und gen ihre Verächter zu behaupten. Arm, Gewinner und Verlierer. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Heute, in Zeiten der Unsicherheit - um das Wo rt ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ „Krise" zu vermeiden -, wird sich zeigen, ob diese DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Demokratie eine Schönwetterdemokratie ist, ob die soziale Verantwortung vor allem der Eliten, ob ihre Nur so, mit diesem Bewußtsein und Selbstbewußt- Führungsverantwortung über den Ho rizont des eige- sein, wird auch dieses Parlament seinen Auftrag er- nen Interesses und Wohlergehens hinausreicht. füllen können, nicht in der Distanz zum Volk - bis- weilen geradezu ängstlich -, sondern mitten im Volk, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mit hohen demokratischen Anforderungen an sich DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Rita Süss selbst und an das Volk, als dessen Repräsentanten- muth [CDU/CSU]) auf Zeit - ich betone: auf Zeit - wir handeln. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang jeden- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne falls daran, daß es in der Demokratie um Rechte und ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ Pflichten geht, daß den Rechten, die normiert sind, DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) Pflichten gegenüberstehen, die nicht normiert, son- dern ein Gebot des Gewissens sind. Die Unzufriedenheit mit der Politik und dem de- mokratischen System ist derzeit in Ostdeutschland (Beifall bei der SPD) besonders hoch. Dafür gibt es viele Gründe: soziale, Dieses Gebot zur Selbstverpflichtung trifft vor ökonomische und - nicht zu vergessen - kulturelle, allem die Stärkeren im Verhältnis zu den Schwäche- über die ich im Detail aus Zeitgründen nicht spre- ren. Das sollte gerade heute bedacht werden, wenn chen kann. Ein ganz wichtiger Grund ist sicher die von „Opfern" gesprochen wird, wenn Opfer gefor- Enttäuschung darüber, daß hochgesteckte und hoch- dert werden. geschaukelte Erwartungen nicht - noch nicht - reali- siert werden konnten. Realistischerweise konnte das (Beifall bei der SPD) auch niemand so schnell erwarten. Es war aber zu er- Es war immer und bleibt auch heute ein guter warten - einige wenige haben es auch gesagt -, daß Grundsatz, daß die starken Schultern stärker tragen die Wiederherstellung der Einheit mit Schmerzen müssen als die schwachen. Reformen, die Reformen verbunden sein würde. Es konnte nicht nur Gewin- genannt werden, sollten diesem Grundsatz folgen; ner der Einheit geben, es gab auch Verlierer. Daß die sonst sind es keine. sich heute als - wie sie es empfinden - „gedemü- tigte" Verlierer zumindest in Teilen der PDS zuwen- (Beifall bei der SPD) den, ist nicht nur ihr, sondern vor allem jenen zuzu- schreiben, die die Erwartungen allzu hoch get rieben Die soziale Frage - ich sagte es schon - hat auch haben. die Mitglieder der Nationalversammlung von 1848 beschäftigt. Allerdings waren sie mehrheitlich der (Beifall bei der SPD) Auffassung, die auch heute wieder vertreten wird, 21770 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Hans-Ulrich Klose daß nämlich der Markt, daß die von ihm vorangetrie- Mehrheit mit Problemen durch eine ausländische bene Entwicklung der industriellen Produktivkräfte Minderheit materiell und kulturell bedroht fühlt. De- am besten geeignet sei, allgemeinen Wohlstand zu mokratische Politik sollte darauf mit dem verstärkten schaffen. Folglich finden sich in dem Verfassungs- Bemühen um soziale und kulturelle Integration rea- text, der schließlich in der Paulskirche mit Mehrheit gieren, die beiden, Deutschen und Ausländern, zu- verabschiedet wurde, keine Hinweise auf soziale gute kommt, Rechte und auf den Sozialstaat. Der ist eine Errun- genschaft der jüngeren Vergangenheit und ist heute (Beifall bei Abgeordneten der SPD) im Prinzip, aber nur im Prinzip, unbest ritten. Gestrit- nicht mit Populismen oder mit der billigen Erklärung, ten wird, wie wir alle in diesem Hause wissen, über daß man solches Protestverhalten angesichts der den Umfang und die Einzelausgestaltung sozialstaat- Lage doch verstehen müsse. licher Systeme und Leistungen. Es ist gewiß legitim, gegen falsche Politik zu prote- Dieser Streit ist heftig, besonders in heutiger Zeit; stieren. Die beste Form des Protestes - ich wiederhole denn er berührt die materielle Existenz von Men- es - ist aber das eigene demokratische Engagement, schen und das „Eingemachte" der Politik. Sozialde- der Versuch also, es selbst besser zu machen als an- mokraten auf der einen Seite, so könnte man sagen, dere. Diese Form des Protestes ist hilfreich. Liberale auf der anderen: die Existenz des Grabens ist nicht zu leugnen. Bisweilen hat man das Gefühl, Der Protest wird illegitim, wenn er sich in Haß und daß es heute eher darauf ankommt, Brücken ab- als Feindschaft verwandelt. aufzubauen. Es ist also kein Wunder, daß heftig ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) stritten wird Stimmen für die DVU sind Stimmen für eine Partei, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Haß und Feindschaft predigt. Dennoch sage ich: Meinungsverschiedenheiten, (Beifall im ganzen Hause) auch in grundsätzlichen Fragen, teilen uns nicht auf, dürfen uns nicht aufteilen in Demokraten und Nicht- Dies als legitime Reaktion auf äußere Umstände zu demokraten. akzeptieren wäre wiederum eine Form von Beliebig- keit, die nicht akzeptiert werden darf. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) CDU/CSU und der F.D.P.) Rechtsextremistische Parteien zu wählen mag viel- Es ist mir wichtig, auf diesen Punkt auch in aufge- leicht - „vielleicht" sage ich eher zögernd - ent- regter Zeit, in Wahlkampfzeiten, aufmerksam zu ma- schuldbar sein in Ländern ohne Schuld, in Deutsch- chen. Die Profiteure einer solchen Entwicklung, die land nach Auschwitz nie. aus demokratischen Gegnern Feinde macht - Feinde, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Herr Kollege Duve -, wären die wirklich nicht demo- ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ kratischen extremistischen Parteien auf der rechten DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) und auf der linken Seite. - (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem Nein, Deutschland, wir Deutschen sollten uns auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) künftig aller nationalistischen Reflexe enthalten und sie, wenn vorhanden, entschieden bekämpfen. Wir Die werfe ich nicht alle in einen Topf. Es macht haben genügend Erfahrung, wohin eine extremisti- schon Sinn, im einzelnen nachzuprüfen, abzuwägen sche, auf Konfrontation angelegte Politik führen und und zu urteilen. Aber ich füge hinzu: Es macht auch welche Folgen es haben kann, wenn eine Gruppe Sinn, sich an klaren Grundsätzen und demokrati- der Gesellschaft eine andere für minderwertig erach- schen Maximen zu orientieren. Beliebigkeit, in wel- tet und auch so behandelt. cher Form auch immer, sollte unser aller Sache nicht sein. Wir, die Deutschen, sind durch die Einheit wieder eine Nation geworden und sollten das auch innerlich (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem akzeptieren. Es ist - wir wissen es - eine schwierige, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) durch Erfahrung und Geschichte hin und her geris- sene Nation. Dennoch sollten wir bedenken: Dieses Im übrigen möchte ich Sie auf einen wichtigen Mal haben wir die nationale Einheit nicht durch Punkt aufmerksam machen. Die entschiedensten Krieg und Gewalt und gegen andere, sondern f ried- Gegner des Sozialstaates, der auf dem Prinzip der So- lich und mit Zustimmung aller Nachbarn wiederge- lidarität gründet, sind jene, die von den Vorzügen wonnen. Diese Tatsache sollte unser nationales Be- des Sozialstaats profitieren, die aber andere - weil sie wußtsein prägen und uns ermutigen, auch künftig al- sie für minderwertig halten, sich selbst dagegen für les in unseren Kräften Stehende zu tun, um die Pro- besser - von diesen Vorzügen ausschließen wollen. bleme, die nationalen und die internationalen, zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne meistern und den Menschen Sicherheit und Hoff- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nung zu geben. und der PDS) Die Deutschen als Volk guter Nachbarn nach innen Das war schon immer so und ist auch heute so. Da- und außen - auf dieses Ziel muß sich deutscher Pa- her ist es kein Wunder, daß der Anteil der DVU-Wäh- triotismus heute und morgen konzentrieren. Und nur ler dort besonders hoch ist, wo sich eine deutsche auf dieser Basis, nicht durch Flucht vor der Ge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21771

Hans-Ulrich Klose schichte, haben wir eine Chance, Europa aufzu- Mir ist wichtig, daß wir beim Gedenken an die bauen, als Gemeinschaft freier Völker, die als gute Frankfurter Paulskirche allerdings auch folgendes Nachbarn miteinander leben und zusammenarbei- nicht vergessen - da mag ich mich vom Kollegen ten. Das, meine Damen und Herren, ist die Lehre der Klose unterscheiden -: Die Entwicklung - bis hin vielleicht doch nicht gescheiterten Revolution von zum Kommunistischen Manifest - wäre anders ver- 1848. laufen, wenn es in Deutschland den Willen zu sozia- len Reformen auf breiter Basis gegeben hätte, wenn (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem auch in der Frankfurter Paulskirche die Idee der So- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. zialstaatlichkeit, die wir später verwirklicht haben, sowie bei Abgeordneten der PDS) eine Rolle gespielt hätte und wenn die kirchlichen Sozialenzykliken anders durchgesetzt worden wä- ren. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Professor Dr. Rita Süss- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU muth, CDU/CSU-Fraktion. und der SPD) Damit möchte ich auf keinen Fall den großen Auf- Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU): Frau Präsidentin! bruch von damals herabsetzen. Ich wünsche mir, daß Meine Damen und Herren! Als die Frankfurter Pauls- wir in Teilen der Bevölkerung gegenwärtig einen sol- kirchen-Versammlung zusammentrat, war die frei- chen Aufbruch in Sachen Freiheit und Demokratie heitliche Revolution in den meisten europäischen hätten, wie wir ihn 1848/49 gehabt haben. Ländern schon gescheitert. Es war in der Tat eine europäische Bewegung mit jeweils nationaler Aus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU richtung. Vergessen wir aber nicht: Sie war immer und der F.D.P.) verbunden mit Freiheit und Einheit. Ich komme zu einem weiteren Punkt. Auch ich denke, daß in der Tat offenbleibt und die Historiker Am Ende dieser Debatte möchte ich als erstes fest- darüber streiten, ob es sich um eine Revolution oder stellen: Wie immer die Historiker über 1848/49 urtei- um einen Aufstand handelte. Wenn wir uns die Barri- len: Daß wir heute zum erstenmal diese Freiheitsbe- kaden vom März, die Ereignisse des ganzen Jahres wegung im deutschen Parlament würdigen, uns da- und die vielen blutigen Opfer - es waren mehr als mit auseinandersetzen und fragen, was wir damit zu 200 000 - vor Augen führen, dann möchte ich hier sa- tun haben, ist eine historische Einmaligkeit. Das hat gen: Es war ein Akt der Gewalt, mit dem die Bewe- vorher nicht stattgefunden. gung niedergeschlagen wurde. Wenn hier eben be- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und tont worden ist, daß viele Deutsche nicht mitgemacht dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben, dann möchte ich erwidern: Allein im südbadi- schen Raum wäre die freiheitliche Revolution zu ei- Wir mögen von den Ergebnissen her sagen: Sie ist nem Erfolg geführt worden, wenn sie nicht mit Waf- gescheitert. Sie führte nur zur konstitutionellen Mon- fengewalt niedergeschlagen worden wäre. archie; sie wurde nicht von allen getragen. Ich sage dagegen ganz deutlich: Sie ist die Grundlage unserer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, heutigen Demokratie; denn weder 1918 noch 1948/ der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE 49 wären ohne Rückgriff auf die Taten der damaligen GRÜNEN) Bürger und - das füge ich hinzu - Bürgerinnen mög- Das damalige Preußentum fühlte sich durch die lich gewesen. Damals wurden die Grundrechte for- Idee einer konstitutionellen Monarchie verächtlich muliert, die auch Eingang in das Grundgesetz gefun- gemacht. Man wollte so etwas wie eine konstitutio- den haben, eine Verfassung, die wir heute zu Recht nelle Monarchie nicht anerkennen; man lehnte es ab, als die freiheitlichste unserer Geschichte bezeichnen. Macht aus der Hand des Souveräns, des Volkes, ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) liehen zu bekommen. Sie waren Könige oder Kaiser von Gottes Gnaden. Wenn wir in unseren Parlamenten immer das prak- Man muß sehr stark zwischen der Obrigkeit und tizierten, was der erste Präsident der Paulskirche, dem Volk unterscheiden. Das Volk wurde niederge- ch von Gagern, als Richtschnur streng verfolgt Heinri halten. Denn gegenüber nichts hatten die damaligen hat, nämlich daß wir den anderen eben nicht als Machthaber mehr Mißtrauen und nichts erschien ih- Feind und Gegner betrachten, sondern ihn vielmehr nen gefährlicher als Menschen, die kundig gemacht reden lassen, ihm zuhören und Diffamierungen ver- waren. Man wollte die Bevölkerung nicht mit dem meiden, dann würden wir feststellen, daß alle die Re- Ziel bilden, daß sie in einem Staatswesen mitwirken geln, die wir uns gegeben haben, auch die Frankfur- könnten. ter Paulskirche schon kannte. Das ist ganz entschei- dend, wenn wir als demokratisches Vorbild in die Of- Noch ein Wort zur Elite. Wir alle kennen das Wo rt, fentlichkeit hineinwirken wollen. das die Frankfurter Paulskirche begleitete: Wir brau- chen nicht Gelehrte, sondern Staatsmänner. Darin (Beifall bei Abgeordneten der SPD) liegt eine Verächtlichmachung aller Dichter und Zu den Regeln der Geschäftsordnung - das wurde Denker, aller derjenigen, die das Nachdenken über schon gesagt - haben wir nicht viel hinzugefügt. etwas mindestens genauso hoch bewe rtet haben wie das Handeln. In der Tat gehören Denken und Tun zu- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch) sammen. Aber was die Arbeit im Rahmen eines par- 21772 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Dr. Rita Süssmuth lamentarischen Systems mitunter sehr aufwendig sentliche. Wir haben in dieser Parlamentsperiode macht, ist, daß es manchmal angezeigt erscheint, 802 Gesetzentwürfe, Verordnungen und Entschlie- über eine Sache lieber zwei- oder dreimal nachzu- ßungen eingebracht. Davon sind mehr als 400 erle- denken. Schnellschüsse zu machen ist einfacher. digt worden. Sind wir wirklich der Meinung, daß die Dazu sage ich: Nur eine Diktatur ist schnell. alle notwendig waren? - Ich nicht. Das heißt, Kon- zentration ist ausschlaggebend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und des BÜNDNIS Zweitens. Seit langem ist es mein Wunsch - ich SES 90/DIE GRÜNEN) wiederhole ihn heute -, bei aller Einflußnahme im Wege von Vorberatungen in der Fraktion und durch Die Idee der Freiheit gilt es nach wie vor - gerade Parteibeschlüsse dem Parlament mehr Gelegenhei- gegenwärtig - vor ihrer Relativierung zu schützen. ten zu offener Debatte, zur Beteiligung an Problem- Diejenigen, die in Freiheit leben, meinen, sie brau- lösungen zu geben. Immer dann ist es am besten. che nicht mehr wehrhaft verteidigt zu werden. Das Allerwichtigste, das von diesem Parlament ausgehen (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der kann, ist: Freiheit ist ein wichtiges Gut. Freiheit ist SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) anstrengend. Wer meint, Freiheit sei nur dann erstre- benswert, wenn sie mit wirtschaftlichem und sozia- Das schließt überhaupt nicht aus, daß die Lösungen lem Wohlstand unmittelbar einhergehe, der verkennt hinterher in Partei- und Fraktionsbindung gefunden die Opfer all derjenigen, die für die Freiheit unend- werden. lich viel gelitten haben. Ein Letztes: Wir brauchen Transparenz, Über- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, schaubarkeit. Das Wichtigste aber ist - damit möchte der F.D.P., der SPD und des BÜNDNIS ich schließen - die Sprache. Die Frankfu rter Paulskir- SES 90/DIE GRÜNEN) che baute auf den Geist und die Macht der Sprache und lehnte Gewalt ab. Deswegen wurde ihr später Das sage ich im Blick auf alle Freiheitskämpfer wäh- vorgehalten, sie sei zu schwach gewesen. Ich setze rend der Nazidiktatur und der nachfolgenden Dikta- nach wie vor - ob wir nun Vaclav Havel oder andere turen. Ich denke, heute ist zu Recht noch einmal in diesem Sinne zitieren - auf die Macht und die daran erinnert worden: Die erste gewaltfreie Revolu- Durchsetzungskraft des Wortes. Wägen wir ab, und tion haben wir 1989 erlebt. seien wir vor allen Dingen in Wahlkampfzeiten vor- sichtig mit unserem Wort ! Auch dort sind Frauen und Männer vorangegan- gen; nicht gleich war das ganze Volk auf den Stra- Ich danke. ßen. Immer bedarf es derjenigen, die vorangehen. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Allerdings: Lassen Sie uns den Begriff der Elite nicht einschränken. Im Sinne von Michaela Geiger: Wich- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tig ist, daß wir bei dem Grundsatz bleiben, alle müs- sowie der Abg. Dr. Heidi Knake-Werner sen ihren Beitrag zur Demokratie leisten. Wo die bür- [PDS]) gerliche Gesellschaft nicht mitmacht, ist die Demo- kratie bald verloren. Dann haben wir jene -„Sessel- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe mentalität", die die Demokratie zugrunde richtet. die Aussprache. Deshalb möchte ich den Elite-Begriff ausweiten: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2a und b auf: Die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts hat uns gezeigt, daß ein Handwerker nicht deswegen keine Überweisungen im vereinfachten Verfahren Elite ist, weil er keinen hohen gesellschaftlichen Sta- tus einnimmt. Wichtig ist das holländische Prinzip: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Wer etwas zu sagen hat und Kompetenz aufweisen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur kann, der gehört zur Elite - nicht jener, den wir Umsetzung der EG-Einlagensicherungsricht- künstlich zu ihr zählen. linie und der EG-Anlegerentschädigungs- richtlinie (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der - Drucksache 13/10 736 SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) —Überweisungsvorschlag: Ich wünschte mir, daß sich jene, die ständig erklä- Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft ren, wir im Parlament leisteten nichts und seien zu Haushaltsausschuß hoch bezahlt, einmal aus ihrem Sessel erheben und ins Parlament kommen, um selbst teilhaben zu kön- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung nen, welche Leistungen erbracht werden. Vorher eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur werden wir ihre Meinung nicht ändern können. Aufhebung von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten des - Drucksache 13/10 708 BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) —Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend) Ein letzter Gedanke: Ich bin davon überzeugt, daß Innenausschuß Ausschuß für Gesundheit auch wir in diesem Parlament einen neuen Aufbruch brauchen. Ich nenne nur ein paar Stichworte: Er- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen stens. Wir brauchen mehr Konzentration auf das We- an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21773

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Wider- erstens keine Meldepflicht gebe und weil zweitens spruch. Dann ist das so beschlossen. keine radiologische Gefahr vorgelegen habe. Es ist durch nichts zu rechtfertigen, wenn gerade in dieser Damit vife ich Zusatzpunkt 1 auf: Weise argumentiert und die Wahrheit verdreht wird. Es geht doch gar nicht darum, ob es eine Melde- Vereinbarte Debatte zur pflicht gegeben hat oder nicht, sondern es geht darum, ob gesetzliche Grundlagen, die existieren, Sicherheit von Castor-Transporten eingehalten werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. (Beifall bei der CDU/CSU) - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlos- Aus der Strahlenschutzverordnung ergibt sich je- sen. denfalls für die Kernkraftwerke die Verpflichtung zur Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wo rt der Weitergabe ihrer Kenntnis von den Grenzwertüber- schreitungen an den Inhaber der Beförderungsge- Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Re- aktorsicherheit, Frau Angela Merkel. nehmigung. Wer Transporte in ein Kernkraftwerk be- reitstellt und weiß, daß Kontaminationen am Bestim- mungsort festgestellt werden, der hat ebenso wie an- Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, dere an dem Transport Beteiligte die Pflicht, die Ge- Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! nehmigungs- und Aufsichtsbehörden über diesen Meine Damen und Herren! Ich habe heute dem Aus- Sachverhalt zu informieren. schuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit einen umfassenden Be richt über die Hergänge Wer nun aber wie die Energieversorgungsunter- vorgelegt und möchte diejenigen, die sich für die De- nehmen über diese gesetzlichen Regelungen einfach tails interessieren, darauf verweisen. Ich glaube, in hinwegredet, der braucht sich nicht zu wundern, unserer Debatte heute nachmittag geht es um eine wenn das Vertrauen in die Kernenergie in der Bevöl- politische Bewertung. kerung verlorengeht. Wer wie die SPD und die Grü- nen von der Verantwortung der Länder gerade we- Die Mitteilung über die Erkenntnisse von Grenz- gen der Verantwortung beim Beladungsvorgang im wertüberschreitungen bei Transporten von abge- Kernkraftwerk einfach ablenken will, der betreibt brannten Brennelementen nach Frankreich, die von vier Monate vor der Bundestagswahl nur ein rein par- Energieversorgungsunternehmen über Jahre hinweg teitaktisches Spiel, der betreibt nur noch Wahlkampf. zurückgehalten worden sind, hat zu einem tiefen Das werde ich nicht zulassen. Vertrauensverlust in der Bevölkerung geführt. Wir brauchen uns jetzt nicht zu wundern, wenn bei den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Bürgerinnen und Bürgern der Verdacht aufkommt, Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ man nehme es mit Grenzwerten sowieso nicht so ge- NEN): Was machen Sie denn anderes? - nau. Man habe schon immer geahnt, daß bestimmte Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ablenkungs Kreise unserer Gesellschaft skrupellos über Ängste manöver!) und Sorgen der Menschen hinwegsehen. Man müsse - Damit eines klar ist: Grenzwerte gibt es nicht aus jetzt vielleicht auch noch fürchten, daß zum Beispiel Jux; deshalb ist ein Ignorieren von Überschreitungen Dosimeter, die die Castor-Transpo rte begleitenden dieser Grenzwerte unter keinen Umständen hin- Polizisten mit sich führen, falsch geeicht sind und nehmbar. vielleicht auch noch falsche Ergebnisse zeitigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, dieser Vertrauensver- lust wiegt um so schwerer, als es bei der f riedlichen Das gilt auch dann, wenn wir wissen, daß in Deutsch- Nutzung der Kernenergie um ein Thema geht, bei land keine gesundheitliche Gefahr für die Bevölke- dem Urängste von Menschen wach werden. Wie rung und das Personal bestand und dies nach Anga- ,können wir mit etwas umgehen, das wir nicht sehen, ben der französischen Behörden auch für Frankreich nicht riechen, nicht fühlen können? Wie können wir zutrifft - auch wenn do rt noch weiter untersucht uns darauf verlassen, daß das Risiko der Verstrah- wird. lung beherrschbar ist? Wie soll man das Risiko der Wenn jetzt der Vorsitzende der Gewerkschaft der friedlichen Nutzung der Kernenergie und der Entsor- Polizei laut ruft, bei den Castor-Transporten seien die gung insgesamt einordnen, wenn verschiedene Wis- Polizisten - so wörtlich - „verheizt" worden, so ist senschaftler und Gutachter, die doch die Gefahr ei- das eine völlig unverantwortliche und unerträgliche gentlich einschätzen können müßten, zu unter- Stimmungsmache, die in keiner Weise gerechtfertigt schiedlichen Ergebnissen kommen? Wem soll man ist, da - Sie wissen es genau - bei den Transpo rten in vertrauen - denen, die das Risiko für beherrschbar die Zwischenlager Gorleben und Ahaus gerade halten, oder denen, die es für unverantwo rtlich hal- keine Grenzwertüberschreitungen vorgelegen ha- ten? Übertreibt die eine Gruppe, verharmlost die an- ben. dere? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Vollends unverständlich wird die gesamte Diskus- Widerspruch bei der SPD und dem BÜND sion dann - insbesondere für die unbetei ligten Zu- NIS 90/DIE GRÜNEN) schauer -, wenn man den Sprecher eines Energiever- sorgungsunternehmens sagen hört, man habe die Meine Damen und Herren, ich habe immer deut- Grenzwertüberschreitungen nicht gemeldet, weil es lich gemacht und werde dies auch weiter deutlich 21774 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Bundesministerin Dr. Angela Merkel machen, daß ich die friedliche Nutzung der Kernen- als darum, was ich nach Recht und Gesetz zu tun ergie für verantwortbar halte, gerade und insbeson- habe? dere in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Ministe- rin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- Es gibt einen klaren Gesetzesauftrag, wonach ich neten Behrendt? dafür zu sorgen habe, daß die atomrechtlichen Vor- schriften von den Ländern nach Recht und Gesetz auszuführen sind. Sie, Herr Fischer, wollen den Men- Bundesministerin für Umwelt, Dr. Angela Merkel, schen einreden, daß ich nur deshalb, weil ich für et- Naturschutz und Reaktorsicherheit: Nein, ich ge- was bin, nicht in der Lage oder gewillt sei, hierbei statte keine Zwischenfragen. Diejenigen, die mich Recht und Gesetz einzuhalten. Umgekehrt soll es jetzt fragen wollen, haben in den letzten Tagen zum doch heißen: Nur wenn man gegen die friedliche Teil alles gewußt. Deshalb habe ich keine Intention, Nutzung der Kernenergie sei, könne man auch ver- Ihre Fragen heute zu beantworten. antwortungsbewußt zum Schutze der Menschen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) handeln. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist nicht Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie brauchen wahr!) das nicht zu begründen. Ein solches Denken, Herr Fischer, halte ich für diabo- (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ lisch. NEN]: Das Parlament hat die Aufgabe, zu kontrollieren, das sind Regeln!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie und viele Ihrer Leute verbinden quasi die Einhal- Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, tung von Recht und Gesetz mit politischen Überzeu- Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Vizepräsi- gungen. Ich halte das für perfide. Ich werde es Ihnen dent, ich weiß nicht, ob Sie die Vizepräsidentin - nicht durchgehen lassen.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Ministe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rin, ich habe den Zwischenruf nicht gehört. Aber Sie brauchen Ihre Entscheidung nicht zu begründen. Im übrigen sind Sie sehr still, wenn man bei Ihnen Das ist Ihr gutes Recht. nachfragt, was Sie in Ihrer Amtszeit als hessischer Umweltminister von 1991 bis 1994 gewußt haben. Bitte fahren Sie fo rt. Ich lese dazu in der Zeitung: keinerlei Erkenntnisse. Ihr Verhalten ist damit zutiefst entlarvend. Ihnen (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ geht es nur darum, jetzt eine Wahlkampfkampagne NEN]: Auch eine Vizepräsidentin darf- zwi zu machen. Das werden die Bürgerinnen und Bürger schenfragen!) durchschauen. Es ist keineswegs so, daß wir nicht aufklären wollen.

Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Naturschutz und Reaktorsicherheit: Danke. - Herr Fi- scher, weil ich die friedliche Nutzung der Kernener- Meine Damen und Herren, wenn man mir man- gie für verantwortbar halte, werfen Sie mir vor, daß gelnde Distanz zur Sache vorwirft - Herr Schröder ich ein Erfüllungsgehilfe der Atomindustrie hat das sehr explizit getan; nicht nur Sie, Herr Fi- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ scher, und nicht nur Sie, Herr Müller -, sage ich: Der DIE GRÜNEN]: O nein!) Kanzlerkandidat der SPD ist Mitglied im Aufsichtsrat von Preussen-Elektra, einem der von den Kontamina- und für die Einschätzung der Gefahren nicht sensibel tionen betroffenen EVUs. Mehr noch: Im Aufsichtsrat sei, weil mir Distanz zur Sache fehle. von Preussen-Elektra sitzt der Energieminister von Schleswig-Holstein, und die Vorgängerin von Herrn (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Schröder im Aufsichtsrat war Frau Griefahn, also die DIE GRÜNEN) beiden für die Aufsicht zuständigen Minister in ih- Herr Müller hat es noch etwas „netter" als „Kumpa- rem Land. Machen Sie sich selbst Ihren Reim auf die nei mit der Atomindustrie" bezeichnet. Distanz oder die Nichtdistanz! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Meine Damen und Herren, bei dieser Angelegen- heit geht es wahrlich nicht um Wahlkampf. Es geht Meine Damen und Herren in der Opposition, wel- für jeden - ob er nun für oder gegen die f riedliche ches Denken offenbaren Sie dabei? Haben Sie ei- Nutzung der Kernenergie ist - darum: Mein Handeln gentlich begriffen, daß es in dieser Frage weniger als Sicherheitsministerin ist von Recht und Gesetz darum geht, welche Grundüberzeugung ich habe, und von dem entscheidenden Gebot, dem Gebot der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21775

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Sicherheit, bestimmt. Dies hat absoluten Vorrang vor Transportbehältern in Sellafield durch das nie- Wirtschaftlichkeit oder Versorgungssicherheit. dersächsische Umweltministerium informiert. Was Frankreich anbelangt, möchte ich sagen, daß mir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - meine französische Kollegin gestern erklärte, daß sie Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wenn etwas pas wahrscheinlich noch eine Stunde nach mir von den siert, ist keiner schuld!) Kontaminationen erfahren hat. Daran sehen Sie, daß Das Zurückhalten von Informationen über das hier sozusagen Gleichstand vorliegt. Überschreiten der Grenzwerte in Frankreich durch die EVUs ist deshalb - auch wenn es keine Sicher- Meine Damen und Herren, ich habe es in diesen heitsfrage in dem Sinne ist, daß Gefahr bestanden Tagen auch noch mit einer völlig absurden anderen hätte - in keinem Fall hinnehmbar. Genau deshalb Diskussion zu tun. Es wird ein vermeintlicher Wider- habe ich die Erkenntnisse über Grenzwertüber- spruch zwischen den Aussagen mancher Wissen- schreitungen bei Transporten von abgebrannten schaftler oder Techniker und den Aussagen des Bun- Brennelementen nach entsprechender Information desumweltministeriums herbeigeredet. Ich will sa- aus Frankreich an die Öffentlichkeit gebracht. Nicht gen, einen solchen Widerspruch gibt es nicht. Es trifft die Medien, nicht Sie, Herr Fischer, nicht Herr zwar zu, daß das in der Wissenschaft erörterte Pro- Struck, sondern niemand anderes als ich ist an die blem möglicher Kontaminationen bei Brennelement Öffentlichkeit gegangen. Das war auch richtig so. transporten, die erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt werden können, in Fachkreisen diskutiert (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wurde. Was ist geschehen? 1997/98 wurden bei insgesamt Meine Damen und Herren, ich habe diese Diskus- 68 Transporten mit abgebrannten Brennelementen sion nicht begonnen, weil ich der Meinung bin, daß von deutschen Kernkraftwerken nach La Hague in Ministerien nicht jede wissenschaftliche Diskussion 16 Fällen Kontaminationen mit erhöhter Radioaktivi- und nicht jeden wissenschaftlichen Fachkongreß tät gefunden -13 an den Bodenwannen, 3 an den Be- nachvollziehen können. Es wird immer wieder eine hältern. Die französischen Behörden haben darüber Fachkonferenz vom 8. bis zum 10. Mai 1991 in Groß- hinaus bestätigt, daß in Frankreich bei Transporten, britannien angeführt. Wir haben einmal geschaut, die von französischen Kernkraftwerken stammen, wer dort aus Deutschland anwesend war. Ich kann auch Kontaminationen an der Außenabdeckung der Ihnen sagen, Herr Fischer, es waren drei Vertreter Eisenbahnwaggons festgestellt wurden. Dies sind der EVUs und einer des hessischen Umweltministeri- rein innerfranzösische Transpo rte gewesen. ums, wenn die Teilnehmerlisten stimmen, die uns übersandt wurden. In die britische Wiederaufbereitungsanlage Sella- field sind 1997/98 50 Transporte aus deutschen Kern- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja und?) kraftwerken verbracht worden. Aus Großbritannien liegen uns noch keine offiziellen Behördenmitteilun- Ich habe die Diskussion nicht begonnen. Ich sage gen vor. Nach Angaben der britischen Betreiberge- nur: Schauen Sie - ehe Sie rufen und sich über an- sellschaft BNFL weisen ein oder zwei Transportbe- gebliche Widersprüche beschweren -, wie die Sach- hälter erhöhte Kontaminationen auf. Die Verschmut- verhalte genau waren. Ich weiß nicht, ob Sie zu Ihrer zungen sind trotz regelmäßiger Kontrollen- in Zeit als Umweltminister über alles diskutiert und al- Deutschland nicht entdeckt worden. In Deutschland les gewußt haben. Auf jeden Fall halte ich es für wurden zu keinem Zeitpunkt - ich sage das noch ein- merkwürdig. Aus dem Bundesamt für Strahlenschutz mal deutlich - erhöhte Kontaminationen festgestellt. - um es gleich vorneweg zu sagen - war anfangs bei der Organisation dieser Tagung einer der Mitarbeiter Die deutschen Betreiber haben bereits seit Jahren beteiligt. Er ist später ausgeschieden. Anwesend war Kenntnis von konkreten Verschmutzungen der er nicht. Transportbehälter; es sind französische. Gleichwohl wurden das Eisenbahn-Bundesamt und das Bundes- Meine Damen und Herren, weil sich aber bei allen umweltministerium über diesen Sachverhalt nicht in- bekannten Kontrollmessungen keine Grenzwert- formiert. Die Energieversorgungsunte rnehmen ha- überschreitungen ergeben haben, gab es genau des- ben dies in einer gemeinsamen Erklärung vorgestern halb keinen Ansatzpunkt, diesen wissenschaftlichen erneut gegenüber der Öffentlichkeit eingeräumt. Fragestellungen nachzugehen. Das war übrigens nicht nur in Deutschland so, das ist auch in der Ich möchte hier ein für allemal klarstellen: Erstmals Schweiz, in England und in Frankreich so gewesen. ist das Bundesumweltministerium mit Telefax vom Damit kann ich nur feststellen: Wir haben heute ein 24. Apri l 1998 von den in Valognes festgestellten Problem, ganz klar. Wir kannten es nicht, und wir konkreten Kontamintionen über die französischen müssen deutlich sagen: Ansatzpunkte für konkrete Behörden informiert worden. Ich sage Ihnen auch Verschmutzungen hatten wir in Deutschland keine. zum Schutze meiner Beamten: Es gibt keinerlei An- Das halte ich für außerordentlich wichtig. haltspunkte dafür, daß andere Sachverhalte vorlie- gen. Ich bitte Sie wirklich, mit Ihren Verdächtigun- Es haben sich an Behältern und Waggons keine gen, Vermutungen usw. vorsichtig zu sein, auch im Hinweise auf Kontamination ergeben. Während des Sinne der Beamten. Transports führt das Eisenbahn-Bundesamt auf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bahnhöfen stichprobenartige Messungen an Behäl- tern und Waggons durch. Auch hier haben sich keine Am 19. Mai 1998 wurde das Bundesumweltmi- Hinweise auf Kontaminationen ergeben. Ich werde nisterium von den erhöhten Kontaminationen an immer wieder gefragt, warum nicht bei jedem Trans- 21776 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Bundesministerin Dr. Angela Merkel port gemessen wird: Jeder Transpo rt wird zunächst mich nicht des Eindruckes erwehren, daß der kon- beim Abgang gemessen. Beim Eisenbahn-Bundes- krete Fall der Grenzwertüberschreitungen bei Trans- amt gab es keinerlei Anhaltspunkte, daß während porten nach Frankreich manchen ganz gelegen des Transports etwas passieren könnte. Deshalb die kommt, um dieses Problem - es ist ein Problem; ich stichprobenartige Überprüfung; im Jahre 1997 er- betone es noch einmal - für ganz andere Zwecke zu folgten Kontrollen an 60 Prozent der Waggons. nutzen. Erst durch die Messungen bei der Umladung auf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) französischer Seite konnte eine Realisierung der be- stehenden Möglichkeit einer Grenzwertüberschrei- Offensichtlich will man den Ausstieg aus der friedli- tung festgestellt werden. Sowohl die französische chen Nutzung der Kernenergie mit allen Mitteln, Seite als auch die durch sie unterrichteten Energie- notfalls auch mit Unwahrheiten, herbeizwingen, weil versorgungsunternehmen haben es aber unterlassen, man natürlich kühl kalkuliert, daß Meldungen über den zuständigen Behörden in der Bundesrepublik nicht zu billigende Grenzwertüberschreitungen Deutschland ihre Kenntnisse über diese Meßergeb- Ängste auslösen und zwischen Verunreinigungen nisse zu übermitteln. und realer Gefahr kaum noch unterschieden wird. Dies ist eine zutiefst verantwortungslose Politik ge- Fazit ist: Das Bundesumweltministerium hatte vor genüber den Menschen in diesem Lande. dem 24. April keine Informationen über die konkre- ten Kontaminationen. Das Bundesumweltministe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rium hat unmittelbar nach Kenntnis der Vorgänge Herr Fischer, als ich gehört habe, wie Sie in Ihrer von sich aus die Öffentlichkeit informiert. Damit ist Pressekonferenz am Montag wirk lich mit innerem das Bundesumweltministerium seiner Sorgfalts- und Drang Ihre Äußerungen dazu benutzt haben, von ei- Aufsichtspflicht nachgekommen. genen Desastern wie den Beschlüssen zum Ausstieg Meine Damen und Herren, nach den nunmehr vor- Deutschlands aus der NATO oder zur Erhöhung des liegenden konkreten Erkenntnissen sind wir jetzt in Benzinpreises auf 5 DM abzulenken, wurde ich den der Lage, zu handeln und das Problem zu lösen. Des- Eindruck nicht los, daß es Ihnen eigentlich nur um wegen habe ich in einem Zehn-Punkte-Plan die Wahlkampf geht. nächsten Schritte sehr klar beschrieben. Sie werden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Länder einschließen. Wir haben die Gesellschaft für Reaktorsicherheit beauftragt, die technischen Meine Damen und Herren, ich sage mit großem Fragen zu erkunden. Wir werden uns nicht auf das Ernst: Diese Diskussion führt uns an die ganz span- Votum der Elektrizitätsversorgungsunternehmen ver- nende und für die Zukunft der Bundesrepublik lassen. Deutschland wichtige Frage, wie wir mit Hochtech- nologien umgehen. Klar ist, der Umgang mit Hoch- (Dr. Gerhard F riedrich [CDU/CSU]: Herr technologien fordert klare Grenzwerte und Richtli- Fischer, Sie hätten es wissen müssen! - nien zur Vermeidung von Sicherheits- bzw. Gesund- Gegenruf des Abg. Joseph Fischer [Frank heitsrisiken. Überschreitungen und Nichteinhaltun- furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ich gen müssen konkret kontrolliert und im Zweifelsfall bin schuld!) - umgehend abgestellt werden. Weil aber nicht jedes Des weiteren haben wir Anweisung an das Eisen- theoretisch denkbare physikalische Phänomen im bahn-Bundesamt gegeben, mögliche rechtliche Vorfeld absolut ausgeschlossen werden kann, gibt Schritte zu ergreifen. Ferner habe ich gestern mit das Kriterium der Sicherheitsrelevanz ein Hand- meiner französischen Kollegin einen transparenten lungsraster vor, nach dem etwa mit Hilfe von Mes- Informationsaustausch zwischen den französischen sungen Risiken eingeschätzt, bewe rtet und unter- und den deutschen Behörden vereinbart. Ich habe schieden werden können. So wird es möglich, daß keinerlei Zweifel daran, daß das klappen wird. man weder einen Staat völlig bewegungs- und hand- lungsunfähig macht noch über bestimmte Vorkomm- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nisse und Erscheinungen einfach hinwegsieht oder Solange die Ursachen nicht geklärt sind, wird der sie gar billigend in Kauf nimmt. Stopp von Transporten bestrahlter Brennelemente ins Meine Damen und Herren, damit untrennbar ver- Ausland und im Inland fortgelten. bunden ist das Gebot der Transparenz. Das heißt in Am 2. Juni 1998 werde ich mit den Ländermi- diesem Fall Offenlegung und Austausch konkreter nistern den Zehn-Punkte-Plan diskutieren und dabei Meßergebnisse. Schließlich gehört zu einer verant- auch eine Reihe von Fragen stellen. Ich habe die wortungsvollen Einschätzung des in diesem Fall von Länder aufgefordert, sämtliche Meßprotokolle über den Elektrizitätsversorgungsunternehmen einge- die Eingangs- und Ausgangskontrollen in den Ke rn räumten Versäumnisses - ich wi ll hier auch ganz rten be--kraftwerken im Zusammenhang mit Transpo deutlich sagen, daß mir die Entschuldigung der Ener- strahlter Brennelemente ins Ausland und im Inland gieversorgungsunternehmen zur Zeit überhaupt zu übersenden. Die Stromerzeuger habe ich mit gest- nicht hilft; ich brauche ein verantwortungsvolles rigem Schreiben aufgefordert, mir bis zum 3. Juni Handeln dieser Unternehmen und die Umsetzung ihre Vorschläge über technische und organisatori- der notwendigen Schritte - auch: sche Maßnahmen zuzusenden. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Meine Damen und Herren, angesichts dieser Fak- DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch freiwillige ten und des bisherigen Erkenntnisstandes kann ich Vereinbarungen!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21777

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Es darf keine Pauschalverurteilung vorgenommen den, wenn keine anderen geschäftsordnungsmäßi- werden. - Ich sage das mit der nötigen Distanz, die gen Anträge vorliegen. Sie mir nicht gleich wieder abzusprechen brauchen. Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Michael - Deshalb muß dieser Sachverhalt in den Gesamtzu- Müller. sammenhang der Entsorgung radioaktiver Abfälle und der friedlichen Nutzung der Kernernergie einge- ordnet werden. Es gehört zu meiner Verantwortung Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! als Umwelt- und Reaktorsicherheitsministerin, dies Meine Damen und Herren! genauso deutlich zu machen, wie es - gerade wegen Der Rechtsbruch, gar der organisierte, ... forde rt der verständlichen Ängste der Menschen - zu meiner die Demokratie und den Staat ... zentral Verantwortung gehört, die notwendigen Schritte zur heraus...... Niemand ist berechtigt, sich den Teil Klärung des konkreten Problems weiter voranzubrin- der Rechtsordnung herauszupicken, der ihm gen. paßt, und den Rest zu mißachten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ursula Ich habe diese Verantwortung auch und gerade in Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] bezug auf die Sicherheitskonzeption von Kernkraft- und Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]) werken in Mittel- und Osteuropa. Sie verurteilen die Dies sagte Innenminister Kanther in der Debatte Gesellschaft für Reaktorsicherheit als in keiner Weise über die Castor-Transpo rte im letzten Jahr. Aber er unabhängig. Ich aber werde von meinem österreichi- meinte nicht die Atomkraftbetreiber; vielmehr schen Kollegen - Österreich ist bekanntlich ein Land, meinte er die Demonstranten. Ich meine, Frau Um- das die friedliche Nutzung der Kernenergie nicht be- weltministerin, Sie hätten die heutige Debatte auch fürwortet - gebeten, darauf hinzuwirken, daß Mitar- zum Anlaß nehmen sollen, sich bei den Demonstran- beiter der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in das ten zu entschuldigen. Ich glaube, Frau Merkel, dies Kernkraftwerk Mochovce fahren, um darüber zu ur- hätte Ihnen und der Bundesregierung gut zu Gesicht teilen, ob dort die Sicherheitsbestimmungen einge- gestanden. halten werden. Sind wir denn völlig verrückt - muß ich wirklich einmal fragen -, unseren eigenen Sach- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE verstand aus parteitaktischen Überlegungen herun- GRÜNEN und der PDS) terreden? Ich kann Ihnen versichern: Ich mache das Heute müssen wir feststellen, daß es bei a ller Kritik nicht mit! an einzelnen Vorgängen während der Demonstratio- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen in erster Linie fast kriminelle Energie auf der Seite der Atomkraftbetreiber gegeben hat, nämlich Das 1979 zwischen Bund und Ländern vereinbarte beim Verschweigen von radioaktiven Gefährdungen. muß weiterentwickelt werden. Entsorgungskonzept (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) GRÜNEN und der PDS) Ein solches Entsorgungskonzept ist, Frau Fuchs, lei- Herrn Kanther ist völlig recht zu geben, wenn er der gescheitert. Als wir mit Herrn Bohl, Herrn- Rex- sagt: Dies forde rt die Demokratie heraus - weil es das rodt, Herrn Müntefering, Herrn Schröder und den Vertrauen in den Rechtsstaat beschädigt. Das ist der EVUs zusammengesessen haben, gab es nur eine un- entscheidende Punkt! gelöste Frage, die hieß: Wohin geht der nächste Ca- Wir stellen fest: Die Energieversorgungsunterneh- stor-Transport? Nach Ahaus oder nach Gorleben? In men haben mehr als zehn Jahre geschwiegen, zum dieser Frage haben Sie gekniffen; daraufhin ist es Teil über gravierende Verstöße. Es gab Verstrahlun- nicht zum Entsorgungskonsens gekommen. gen, die teilweise mehr als das Dreitausendfache des (Widerspruch bei der SPD - Wolf-Michael Grenzwerts erreicht haben. Wenn das keine massi- Catenhusen [SPD]: Jetzt ist es aber gut!) ven Verstöße gegen Vorsorge und Sicherheit sind, dann weiß ich nicht, was massive Verstöße sind. Ich möchte nur noch eines sagen: Wenn diese Si- tuation etwas für sich hat, dann die Chance, gemein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sam transparent, konsistent und auch mit Vernunft BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Probleme zu lösen, die auf uns zukommen. Ich Dies als Kavaliersdelikt abzutun geht nicht! werde meinen Beitrag dazu leisten. Dadurch zerstört man auch das Vertrauen in die Herzlichen Dank. Technik; dadurch zerstört man das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit von Politik. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der F.D.P.) Es ist unverfroren, wenn sich die Vertreter der Energieversorgungsunternehmen heute hinstellen und sagen, die Unternehmensleitungen hätten davon Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bevor ich das nichts gewußt, sondern nur einige Mitarbeiter auf Wort weitergebe, möchte ich das Haus darauf auf- unteren Ebenen. Das nehmen wir ihnen nicht ab. merksam machen, daß zwei Entschließungsanträge vorliegen, und zwar von der Fraktion der SPD und (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, über die GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord wir im Anschluß an diese Debatte abstimmen wer neten der F.D.P.) 21778 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Michael Müller (Düsseldorf) Ich verweise beispielsweise auf einen B rief der fran- Man hat nach dem Motto „Augen zu und durch" ge- zösischen Nuklearfirma Cogema von 1990, in dem handelt. Ich möchte hinzufügen: Die Schuld daran sie sagt, sie werde in Zukunft auf Bitten der Betreiber kann man nicht allein Frau Umweltministerin Merkel von Atomkraftwerken nicht mehr die Transportunter- geben, auch ihr Vorgänger war nicht viel besser. Wir nehmen, sondern nur noch die EVUs über Strahlen- erinnern uns an die Auseinandersetzung um den Nu- werte informieren. Was kann das denn anderes be- klearskandal Ende der 80er Jahre und an die Ankün- deuten, als daß einige in der Spitze der Unternehmen digung, die gesamten Transportsysteme für nu- Bescheid gewußt haben? Anders sind solche B riefe kleare Abfälle neu zu ordnen. Heute stellen wir fest, nicht zu erklären. daß die Transportunternehmen mindestens zu 80 Pro- zent in Händen der EVUs sind. Stimmt da nicht die (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Dann muß Feststellung Ihres früheren Kollegen Hans Dichgans, Herr Schröder erst recht Bescheid gewußt daß man die Festlegung der Steuersätze nicht den haben! - Christian Schmidt [Fürth] [CDU/ Millionären überlassen dürfe? Das gilt doch hier ge- CSU]: Was hat denn Herr Schröder nauso. gewußt?) Deshalb kommen Sie, meine Damen und Herren, aus (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der politischen Verantwortung der Bundesregierung DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der für diese Sache nicht heraus. PDS) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wir haben den Eindruck, daß Sie sich immer mehr in GRÜNEN und der PDS) dem Irrgarten Atomwirtschaft verlaufen haben und daher in immer neue Sackgassen geraten. Es ist vielleicht altmodisch geworden, von politischer Verantwortung zu sprechen, aber es sollte zur politi- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was redet schen Moral gehören. der denn da?) Ich unterstelle Frau Bundesumweltministerin Mer- kel nicht, daß sie selber von den Vorgängen gewußt Frau Merkel, wir forde rn Sie auf, endlich wirkliche hat. Ich habe das auch öffentlich nie gesagt. Es ist Konsequenzen zu ziehen. Wir fordern Sie auf, nicht aber eindeutig, daß es eine politische Verantwor- nur die Atomwirtschaft anzugiften und den Finger zu tung ihres Amtes gibt. Wenn man hier trotz der wis- erheben, sondern ernsthaft zu prüfen, wie zuverläs- senschaftlichen Debatte über diese Fakten, trotz Ver- sig sie handelt. Wir fordern eine Entflechtung von öffentlichungen in zahlreichen Publikationen und Transportunternehmen und Betreibern. Es muß eine trotz der Diskussionen auf Fachkongressen erklärt, klare Trennung geben, sonst ist keine Vertrauensba- das Ministerium habe davon nichts gewußt, dann sis gegeben. frage ich, wie dieses Ministe rium organisiert ist. Eine solche Aussage über Unwissen bei Radioaktivität ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht hinzunehmen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wir stellen fest: Es gibt - zumindest derzeit - keine GRÜNEN und der PDS) sichere Entsorgung. Die Atomwirtschaft steht auf tö- nernen Füßen. Auch Sie müßten eingestehen, daß es Meine Damen und Herren, wir können es nicht zu- ohne ein Konzept für eine dauerhafte Entsorgung lassen, daß uns Unternehmen auf der Nase herum- keine Zukunft für die Atomwirtschaft geben kann. tanzen, insbesondere nicht bei der Risikotechnologie Atomkraft. Wir dürfen die Verantwortungsebenen (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Jetzt ist nicht verwischen. Wir wissen nicht, was die Bundes- die Katze aus dem Sack!) regierung gewußt hat. Einmal unterstellt, sie hätte nichts gewußt, dann müßte sie jetzt aber viel klarer - Ja, das ist das Grundproblem unseres Streites. Sie handeln. Wir fragen uns, warum nicht unter Bezug- versuchen, eine Politik gegen die Mehrheit der Be- nahme auf das Atomgesetz die Zuverlässigkeit so- völkerung durchzusetzen. Die Mehrheit der Bevölke- wohl der Transporteure von nuklearem Mate rial als rung will nämlich eine andere Energiepolitik. Das auch der Betreiber von Atomkraftwerken in Frage wissen Sie doch ganz genau. Das ist doch der eigent- gestellt und überprüft wird. Ankündigungen nützen liche Streitpunkt! da nichts! (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ GRÜNEN und der PDS) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Ihr Motto „Augen zu und durch" unterstreicht, daß Es drängt sich der Verdacht auf, daß entweder die Sie an einer Technologie festhalten wollen, die keine kritische Distanz zur Atomwirtschaft zu gering war Zukunft hat. oder Sie von diesen Vorgängen nicht gewußt haben. Eines von beidem - Schlamperei oder Kumpanei - Im Zusammenhang mit Osteuropa muß man fra- kann nur stimmen. Ich vermute, das erstere. Aber gen: Wieso war es möglich, daß in Mochovce in der das wäre nicht weniger schlimm. Slowakei ein Kraftwerk mit deutscher Hilfe nachge- rüstet wurde, dessen Sicherheitsstandards den west- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der lichen Sicherheitsanforderungen der 70er Jahre ent- PDS) sprechen? Was anderes als bloße wi rtschaftliche In- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21779

Michael Müller (Düsseldorf) teressen der Atomwirtschaft können dahinterstehen? Weiter habe ich gelernt, daß die Rede der Ministe- Das ist doch nicht hinnehmbar! rin mit Wahlkampf nichts zu tun haben soll. Ihre Rede soll auch nichts mit dem verzweifelten Versuch (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE zu tun haben, sich aus der politischen Verantwortung GRÜNEN und der PDS) zu stehlen. Ihre Atompolitik ist gescheitert. Deshalb müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir zu einer Neuordnung der Energiepolitik insge- und bei der SPD) samt kommen. Anknüpfend an die Diskussion über die heutige (Zuruf des Abg. Siegfried Hornung [CDU/ Lage möchte ich sagen: Nicht nur in der Atomener- CSU]) giepolitik, sondern auch in der Atomtechnik scheint - Mein Gott, Sie können mir doch jetzt nicht vorwer- nichts unmöglich zu sein. Es wurde uns jahrelang fen, daß ich seit 25 Jahren für eine andere Energiepo- verkündet, bei dem Castor-Behälter handele es sich litik streite. Das hat doch nichts mit Wahlkampf zu um ein mehrfach geprüftes, unbedingt sicheres Sy- tun. stem. Jetzt heißt es, es handele sich um ein tonnen- schweres Ungetüm aus Stahl. Plötzlich lernen wir, (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) Frau Ministerin, daß dieses tonnenschwere Stahlun- Wo leben wir denn eigentlich? Das ist doch nur kon- getüm sozusagen weint und schwitzt. Jetzt passieren sequent. Dinge, die zu dem Schluß führen, daß es sich nicht um ein sicheres System handelt, sondern um ein Sy- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE stem, bei dem es mehrfach zu erheblichen Über- GRÜNEN und der PDS) schreitungen der gesetzlichen Grenzwerte für Strah- Ich kann doch nichts dafür, daß Sie seit 25 Jahren lenexpositionen gekommen ist. Dies war ganz offen- verblendet sind. Es wird Zeit, daß wir auf Einsparung sichtlich den Betreibern, aber auch den Behörden be- von Energie und ihre effektivere Nutzung und die kannt, wurde aber von ihnen verschwiegen. Genau Solartechnologie setzen und nicht an Technologien über diesen Fall reden wir heute. festhalten, die keine Mehrheit in der Bevölkerung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN finden. und bei der SPD) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Der Castor-Skandal steht für den Irrweg der deut- GRÜNEN und der PDS) schen Energiepolitik. Es ist nicht der erste Skandal, Alle Fakten müssen auf den Tisch. Eines ist klar: mit dem wir hier zu tun haben. Ich mache Ihnen das Wenn es auf die vielen offenen Fragen keine befrie- nicht zum Vorwurf. Sie waren damals, in der Zeit vor digenden Antworten gibt, dann müssen wir den Bun- der deutschen Einheit, noch nicht im Deutschen Bun- deskanzler auffordern, gegenüber der Umweltmi- destag. Der Transnuklear-Skandal hatte exakt die- nisterin die politischen Konsequenzen zu ziehen; selbe Struktur. Diejenigen, die das Geschäft schon denn es gibt eine politische Verantwortung. Niemand länger kennen - egal, auf welcher Seite -, werden darf sich ihr entziehen - egal, auf welcher Seite die- sich daran erinnert fühlen, daß auch damals die Pro- ses Hauses. bleme hinsichtlich einer Risikotechnologie, wie sie gefährlicher nicht sein kann, auf höchst menschliche Vielen Dank. Art und Weise - mit Hilfe von Schmiergeldern, Bor- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dellbesuchen und vor allen Dingen mittels des Ver- GRÜNEN und der PDS) schweigens der Risiken - gelöst wurden. Das war da- mals der Transnuklear-Skandal.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Waren Sie Wort dem Abgeordneten Joseph Fischer. dabei?) (Zuruf von der CDU/CSU: Der erzählt uns - Entschuldigung, dazu wurde ein entsprechender jetzt die Stories von der Startbahn West!) Untersuchungsausschuß eingerichtet. Wenn Sie des Lesens fähig sind, können Sie ja die Protokolle nach- lesen. Darin ist alles genau aufgeschrieben worden. Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ren! In der Atompolitik ist man ja einiges gewohnt. bei der SPD und der PDS) (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Von Frau Ministe rin, die heutige Situation erinnert Fischer auch!) mich auch an den 17. Dezember 1987, als beim Wie- Ich habe gelernt, daß es an dem neuen Skandal zwei deranfahren von Biblis A der Primärkreislauf wegen Hauptschuldige gibt. Einer steht vor Ihnen. eines klemmenden Ventils von der Mannschaft - ge- gen alle Sicherheitsmaßnahmen, die in den Betriebs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) handbüchern beschrieben waren - geöffnet wurde. Das habe ich gerade den Worten der zuständigen Mi- Erst fünf Jahre danach kam dieser Störfall über den nisterin entnommen. Der zweite Hauptschuldige ist Umweg Amerika an den Tag. Es wurde damals ge- schwiegen, aus demselben Grunde, aus dem heute Gerhard Schröder. wieder geschwiegen wurde, nämlich weil man die (Zuruf von der CDU/CSU: Auch richtig!) Atomenergie nach wie vor als sichere Energie dar- 21780 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 Joseph Fischer (Frankfurt) stellen wollte. Deshalb hat man vertuscht und ge- ihn! Sie untersuchen Fischer, wir untersuchen Mer- täuscht. kel, unter denselben Bedingungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten sowie bei Abgeordneten der SPD und der der PDS) PDS) So war es auch beim Castor. Da müssen Sie es sich Ich habe überhaupt kein Problem damit, mich sofort schon gefallen lassen, daß Ihnen die Verantwortung darauf einzulassen. Aber so einfach, daß Sie die dafür zugeschoben wird. Auch beim Castor war es Schuld jetzt den Ländern zuweisen, wird es nicht ge- doch Angela Merkel, die an erster Stelle immer ge- hen. Sie kennen genau die Zuständigkeiten. sagt hat: „Wir ziehen das durch" und die immer ver- (Kurt kündet hat, es gebe keine radiologischen Einwände, -Dieter Grill [CDU/CSU]: Eben! Des es gebe keine Sicherheitsbedenken, die nicht geprüft wegen!) worden seien. Von wegen Entsorgungssicherheit! Mein zweiter Vorwurf: Sie versuchen gegenwärtig, sich aus der Ich sage Ihnen, Frau Ministerin - dafür mache ich politischen Verantwortung herauszu- stehlen. Sie meinen, bundespolitische Verantwor- das Geschäft lange genug, und da geht es mir nicht um eine einfache Schuldzuweisung; tung gebe es nicht, sondern Sie könnten sie bei den Ländern ablegen. Ich sage Ihnen folgendes, Frau (Zuruf von der CDU/CSU: À la Müller!) Merkel: Sie sind doch diejenige, die gegenüber den Ländern in einem solchen Maße mit Weisungen gear- ich weiß, wie schwierig es werden wird, die ganze beitet hat, daß Ihr Vorgänger, Professor Töpfer, nach Sache hier aufzuarbeiten und vor allem die prakti- gerade als Waisenknabe erscheint. schen Probleme zu lösen, wenn Sie im September als Regierung abtreten -: Die Erfahrung zeigt, daß das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch nicht das Ende des Verschweigens und Ve rtu- sowie bei Abgeordneten der SPD) schens war. Jedesmal, wenn ein Land aus dem betreiberfreundli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen Gesetzesvollzug - mein dritter Vorwurf - und bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS der PDS) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Der erste große Vorwurf, den wir Ihnen machen ausscheren will, kommt eine Weisung aus Bonn. müssen, ist Ihre Vertrauensseligkeit gegenüber der Biblis A wäre schon längst stillgelegt, wenn Sie es Atomwirtschaft. nicht mit einer Weisung weiter am Netz halten wür- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den. Sie wissen genau, warum: weil es den Sicher- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten heitserfordernissen von der Baukonstruktion her der PDS) nicht entspricht, die heute Stand der Technik in der Bundesrepublik Deutschland sind. Das muß man Lesen Sie doch mal in einer grünen Zeitung, nämlich auch als Befürworterin oder Befürworter der Atom- in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom- heuti- energie sehen. gen Tage, was dort über Ihr Verhältnis zur Atomwirt- schaft steht. Ich zitiere: Sie wissen ganz genau, welchen Streit, welche Auseinandersetzung und welche Konflikte wir um Wer als Minister mit einer solchen Indust rie zu Hanau hatten. Bei Hanau haben wir, nachdem wir tun hat, verdient keine Vorwürfe, sondern Mit- die Regierung damals übernommen haben, festge- leid. Wie soll er, kann er eine Behörde führen, die stellt, daß dort die Genehmigungen von der Firma immerzu Offenheit und Transparenz predigt, Siemens selbst erarbeitet wurden und die zuständige beim Einlösen dieses Versprechens aber auf die Behörde unter CDU-Führung nur noch ihr Signum Mitwirkung und die Zuarbeit einer Branche an- daruntergesetzt hat. Realität war, daß die Originalak- gewiesen ist, die von Offenheit und Transparenz ten teilweise noch bei der Betreiberin lagen und ähn- aus guten Gründen nicht viel hält? Um sich in ei- liche Dinge mehr. Das zeigt das ganze Ausmaß von ner derartigen Gesellschaft zu Tisch zu setzen, damals. braucht man lange Löffel: längere offenbar, als Angela Merkel sie besitzt. Und in dieser Kontinuität steht der gegenwärtige Skandal der Verquickung von Politik mit den Interes- Nun kommen Sie - das kenne ich schon von Ihrem sen der Atomwirtschaft. Das ist der vie rte Punkt, den früheren Kollegen Töpfer - mit dem beliebten Spiel: wir Ihnen vorwerfen. die Länder. Erst ist der Fischer schuld, dann ist der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schröder schuld, und dann sind die Länder schuld. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Angela Merkel, die in den letzten Tagen wie ein be- der PDS - Siegfri gossener Atompudel dastand, verkündet jetzt: Mein ed Hornung [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung und Verleum Name ist Hase, ich weiß von nichts und trage keine dung!) Verantwortung dafür. - Die Länder sind also plötzlich schuld. Da mache ich Ihnen einen einfachen Vor- Da kann ich Ihnen beim besten Willen nicht den Vor- schlag - ich habe ihn vorhin schon gemacht -: Lassen wurf ersparen, daß Sie eine Politik der Erfüllungsge- Sie uns gemeinsam einen Untersuchungsausschuß hilfenschaft gegenüber den Interessen der Atomwirt- einrichten! Uns fehlt die Mehrheit. Beantragen Sie schaft betreiben. Denn wo bleibt denn jetzt die Ent- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21781

Joseph Fischer (Frankfurt) schuldigung von Angela Merkel bei den friedlichen gungssicherheit vorbei, in dem Moment sind die Demonstranten? Atomkraftwerke dicht.

(Widerspruch des Abg. Ku rt-Dieter Grill (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, [CDU/CSU]) bei der SPD und der PDS) Untersuchungsausschuß? Jederzeit und gerne und - Nein, hören Sie sich das einmal an. Ausgerechnet sofort! Sie, Herr Grill, der Mister Gorleben persönlich. Sie kommen mir gerade recht! Sie sollten sich doch bes- Der entscheidende Punkt ist jedoch: Wir diskutie- ser als Abgeordneter der Firma Cogema begreifen. ren hier bereits über die Abwicklung des nuklearen Abenteuers. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo denn?) bei der SPD und der PDS) Nehmen Sie die letzte Erklärung von Herrn Farnung, Das sage ich Ihnen, wissend um den Vorwurf, den dem Vorstandssprecher von RWE Energie, zur Grund- ich hier erhebe. lage! Er erklärt klipp und klar: Eine neue Reaktor- linie ist viel zu teuer, ist nicht wettbewerbsfähig. Das (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Ein Lügner! - heißt, was wir hier diskutieren, ist doch nur noch eine Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Unerträg Verzögerung. Anstatt endlich mit konkreten Aus- lich, was Sie hier machen!) stiegsschritten Ernst zu machen, mit Schritten eines Umstiegs auf eine von einem breiten Konsens getra- - Herr Bundeskanzler, wenn Sie finden, das sei uner- gene atomenergiefreie Energiezukunft, blockieren träglich, dann sage ich Ihnen: Unerträglich ist die Sie dies weiter. Verquickung der Interessen der Atomwirtschaft und das, was wir in diesem Zusammenhang mit diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn in der Vergangenheit erlebt haben. Das ist un- sowie bei Abgeordneten der SPD) erträglich! Aus all diesen Gründen, die ich vorgetragen habe, müssen Sie, wenn Sie den Begriff der politischen Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, antwortung ernst nehmen, zurücktreten, Frau Mer- bei der SPD und der PDS) kel. Daß Sie das nicht tun werden, ist mir völlig klar. Die gewaltige Regierungsumbildung des Bundes- Nein, meine Damen und Herren, nein, Herr Bun- kanzlers ist schon zu Ende. Da haben Sie noch ein- deskanzler, wir werfen Ihnen hier Erfüllungsgehil- fenschaft vor, mangelnde Distanz. Wie ist es denn mal Glück gehabt; sie beschränkte sich auf den Re- möglich, frage ich Sie, daß einer der wichtigsten Ab- gierungssprecher. Die Abteilung Schmutz wird jetzt noch nachgereicht. Aber wenn politische Verantwor- teilungsleiter in dieser Frage, Dr. Hohlefelder, bei der tung einen Sinn macht, müssen Sie zurücktreten. Firma Veba eingestellt wurde, nachdem er aus dem Dienst der Bundesregierung ausgestiegen ist, wo er Darüber hinaus müssen wir uns endlich von dieser auch für Energiepolitik zuständig war? Was sind das nicht verantwortbaren Energieerzeugungsform Atom- für merkwürdige Verknüpfungen? Ist auch- das un- energie verabschieden und den Ausstieg aus ihr und möglich, Herr Bundeskanzler? Hat das etwas mit der den Einstieg in eine atomenergiefreie Zukunft orga- Sache zu tun, oder hat es mit der Sache nichts zu nisieren. tun? Das zeigt nicht zum erstenmal - ich wiederhole: Transnuklear, Biblis, jetzt der Castor-Skandal - das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ausmaß von Verfilzung in Deutschland zwischen bei der SPD und der PDS) Aufsichts- und Genehmigungsbehörden auf Bundes- ebene und der Atomwirtschaft. Damit muß Schluß Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das sein. Das ist die Konsequenz, die wir aus dem Castor Wort dem Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle. Skandal zu ziehen haben. (F.D.P.): Herr Präsident! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dr. Guido Westerwelle Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte bei der SPD und der PDS) gerne vorab eine Bemerkung machen: Wenn so et- Frau Ministerin, wenn Sie es ernst meinen, warum was stattgefunden hat und wenn ein solcher Vorgang dann nicht neben der GRS ein unabhängiges Institut, in die Öffentlichkeit geraten ist, dann ist es nicht nur das über jeden Zweifel erhaben ist? Warum berufen das Recht, sondern auch die Pflicht der Opposition Sie nicht das Öko-Institut als Gutachter? hier im Deutschen Bundestag, zu untersuchen und auch anzuprangern, wenn es entsprechendes Regie- (Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU rungsversagen gibt. Aber ich möchte auf der anderen und der F.D.P.) Seite klar sagen: Das, was beide Redner der Opposi- tion bislang vorgetragen haben, war ziemlich dünne - Sehen Sie, das genau wollte ich haben, Herr Bun- Suppe. deskanzler. Allein die Erwähnung des Namens (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - „Öko-Institut" führt zu dieser Reaktion, weil Sie ge- Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nau wissen: In dem Moment, in dem die Desinforma- tionspolitik von Kraftwerksbetreibern und Bundes- Sie haben nichts anderes vorgetragen als persönliche aufsicht durchstoßen wird, ist es mit der Entsor Ehrabschneidungen gegenüber einem Kollegen der 21782 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Dr. Guido Westerwelle CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Herr Fischer, auf Ihre habe es zu verantworten, daß ihr die Atomwirtschaft Rede paßt das Wo rt von Goethe: Informationen verschwiegen hat, dann zeigen vier Finger der gleichen Hand auf Sie zurück. Denn wenn Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, Sie Frau Merkel vorwerfen, sie habe nicht gewußt, Was ihm an Wahrheit ... fehlt. was die Atomwirtschaft verbockt hat, dann müssen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Sie Ihren Umweltministern - an der Spitze - den gleichen Vorwurf machen. Dann hat er Im übrigen hat die Atomindustrie in bezug auf die genauso versagt wie die Ministe rin, von der Sie jetzt Sicherheit des Castor-Behälters nicht die Wahrheit politische Konsequenzen verlangen. gesagt. Wer die Unwahrheit sagt, zerstört Vertrauen, und wer Vertrauen zerstört, schafft Angst bei den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Menschen. Ich finde, daß die Opposition der Versu- Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: chung widerstehen sollte, mit dieser Angst der Men- Dann machen wir doch einen Untersu schen parteipolitische Vorteile erzielen zu wollen. chungsausschuß!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Im übrigen ist es schon ein starkes Stück, der Mi- nisterin vorzuwerfen, sie sei für die Atomenergie, Die Freie Demokratische Pa rtei hat diese Debatte deswegen habe sie nicht genügend Distanz zur Kon- beantragt, lange bevor Sie aufgewacht sind. Dies trolle der Atomwirtschaft. zeigt nur, Herr Kollege Fischer: Wenn Rotgrün die Wahl gewinnt, dann wird nur eines besser: die Oppo- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt sition. doch!) (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Der Verteidigungsminister ist auch für die Bundes- DIE GRÜNEN - Wolf-Michael Catenhusen wehr. Trotzdem erwarte ich von ihm, daß er die Bun- [SPD]: Das würden wir gerne einmal aus deswehr kritisch kontrolliert. Die Innenminister sind probieren! - Weitere Zurufe von der SPD: hoffentlich für die Polizei; aber ich erwarte gerade Üben!) deswegen von ihnen, daß sie der Polizei kritisch auf die Finger schauen, wenn sich diese nicht an Recht Es besteht die dringende Notwendigkeit, meine und Gesetz hält, was Gott sei Dank die Ausnahme Damen und Herren, diese Fälle aufzuklären. ist. (Unruhe - Glocke des Präsidenten) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) - Ich freue mich sehr, Herr Kollege, daß sich die Auf- Die Atomministerin ist für die Kernenergie. Das regung über Ihre Rede jetzt so weit gelegt hat, daß nimmt ihr jedoch gewiß nicht die Fähigkeit, nach Sie wieder Platz nehmen können. - Ich möchte sa- Recht und Gesetz Aufsicht zu führen. gen: Es wäre die Aufgabe des Deutschen Bundesta- ges, zu untersuchen - das müssen wir tun; deswegen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) reden wir hier darüber -, wer in der Energiewirt- Ich finde es im übrigen auch sehr bedauerlich, daß schaft Unterlassungen begangen und Dinge ver- Sie allen Ernstes eine Diskussion darüber initiieren schwiegen hat. Wir sind der Meinung, daß diejeni- - wollen, was bei den Castor-Transpo rten stattgefun- gen in der Atomwirtschaft, die Angaben verschwie- den hat. gen haben, eine persönliche Verantwortung tragen. Diejenigen, die in der Atomwirtschaft Verantwortung (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: dafür tragen, daß verschwiegen wurde, diejenigen, Das müssen gerade Sie sagen!) die in den Vorstandsetagen Dinge unter den Teppich Die friedlichen kehren wollten, müssen ihren Hut nehmen. Sie kön- Demonstranten gegen den Castor nen nicht mehr als persönlich zuverlässig gelten. sind von keinem Redner der Koalition jemals kriti- siert worden. Deswegen ist auch eine rechtliche Prüfung erforder- lich, meine Damen und Herren. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND (Beifall bei der F.D.P.) NIS 90/DIE GRÜNEN) Kritisiert haben wir diejenigen, auch aus den Reihen Wir sagen als F.D.P., daß es aus unserer Sicht genü- der Fraktion der Grünen, die zur Gewalt gegen Sa- gend Anlaß gibt, in ein Verfahren einzutreten, das chen, nämlich zur Schienendemontage, aufgerufen die Zuverlässigkeit der Atomwirtschaft und ihrer Ver- haben. treter überprüft. Die Zuverlässigkeit ist gerade in die- sem Bereich von herausragender Bedeutung. Wer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) verschweigt und vertuscht, dem fehlt diese Zuverläs- sigkeit, der kann nicht weiter tätig sein. Wenn Sie die Unsicherheit von Castor-Transpo rten kritisieren, dann können Sie nicht allen Ernstes sa- Die Bundesumweltministerin hat den Vorgang in gen, das Zersägen von Schienen im Rahmen von Ca- ihrem Bereich unmittelbar aufgeklärt. Sie hat damit stor-Transporten sei ein Beitrag zur Erhöhung der Si- der Klarheit und der Wahrheit den Vorrang vor politi- cherheit. Es ist absurd, was Sie dazu vorgetragen ha- schem Kalkül gegeben. ben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposi Wer wie Sie den sofortigen Ausstieg aus der Kern- tion, der Bundesumweltministerin vorwerfen, sie energie forde rt, der muß dann genauso die ökologi- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21783

Dr. Guido Westerwelle sche Abwägung im Blick auf die anderen Energiege- gen. In der Regel sind solche Risiken beherrschbar, winnungsformen vornehmen. Wer den sofortigen das heißt vom Ausmaß und den Folgen her kontrol- Ausstieg aus der Kernenergie forde rt, der muß lierbar. Selbst die schlimmste Flugzeugkatastrophe ebenso wenigstens über die Entsorgung dessen spre- ist zum Beispiel vom Ausmaß her begrenzbar. chen, was bislang angefallen ist. Auch diese Antwort bleiben Sie schuldig, (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Würden Sie das auch für die Klimafrage sagen?) (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie! Wo ist denn das Endlager?) Genau das ist bei der Atomenergie nicht der Fall. Das ist die große Sorge der Bevölkerung. weil Sie es vorziehen, parteipolitisch auf der Welle der Empörung zu surfen, anstatt zur Lösung der Pro- (Beifall bei der PDS) bleme beizutragen. Wenn es hier je zu einem wirklich schlimmen Un- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) fall kommt, ist niemand von uns - auch nicht die Wir als Freie Demokratische Pa rtei sagen: Was vor heute Regierenden - in der Lage, die Folgen abzu- schätzen, zu begrenzen und irgendwie beherrschbar tuscht worden ist, muß transparent gemacht, muß vorgetragen werden. Die Politik hat einen Auftrag zu gestalten. Das ist der Unterschied zu allen ande- ren Formen der Energiegewinnung. zur Transparenz. Wir begrüßen, daß die Vorgänge durch die Umweltministerin an die Öffentlichkeit ge- (Beifall bei der PDS - Zurufe von der CDU/ kommen sind. Die Konsequenzen werden uns noch CSU) lange beschäftigen. Es werden rechtliche und organi- satorische Konsequenzen sein. Aber aus diesem Miß- Ich weiß, daß es zum Beispiel in Bergwerken brauch der Energiewi rtschaft kann ganz gewiß nicht schlimme Unfälle mit höchst tragischen Folgen gege- der Schluß gezogen werden, die neoromantische ben hat. Aber auch das blieb immer begrenzt, so tra- Umweltpolitik von Rotgrün sei für Deutschland der gisch es war. Das ist bei der Atomenergie nicht der Weg in das 21. Jahrhundert. Fall, wie wir zum Beispiel aus der Ukraine wissen und wie wir das für kein einziges Kraftwerk mit der Ich weiß, Sie sind der Meinung, daß die Energie- letzten notwendigen höchsten Sicherheit ausschlie- versorgung im Grunde genommen eine Sache ist, die ßen können. Das ist das Grundproblem, um das es aus der Steckdose kommt. hier geht. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das ist aber dürftig! - Weitere Zurufe von der SPD Angesichts dessen sage ich: Mehr Vorsicht ist im- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mer angebrachter, als im wirtschaftlichen Interesse bestimmter Leute zu sagen „Durch durch das Risiko" Sie sind bis heute nicht in der Lage, einen abschlie- und einfach zu hoffen, daß nichts passieren wird. Je- ßenden vernünftigen Vorschlag für die Energiege- der und jede hier hofft, daß nichts passiert. Aber winnung in Deutschland vorzulegen. wenn es passiert, kann niemand dafür letztlich die Verantwortung übernehmen. Sie ist überhaupt nicht zu übernehmen, weil sie durch niemanden vertretbar Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre Redezeit! - ist. Deshalb brauchen wir den Ausstieg aus der Atomenergie. Alternativen dazu müssen gefördert Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Sofort, mein letzter und entwickelt werden. Gedanke. (Beifall bei der PDS) Denn wir müssen in einem Energiemix berücksich- tigen, daß jede Form der Energiegewinnung nicht Die Mittel für die Erforschung der Solarenergie ohne Risiko ist. Wir sollten gemeinsam daran arbei- sind übrigens ständig gekürzt worden. Allein bei der ten, die Risiken zu minimieren. Das ist die Aufgabe Gestaltung des Haushalts trägt die Bundesregierung des Deutschen Bundestages. Seine Aufgabe ist es eine hohe Verantwortung, weil dies nämlich zum nicht, in der Bevölkerung Ängste zu schüren. Ausdruck bringt, in welcher Richtung sich die dies- bezügliche Energiepolitik gestalten soll. Es liegt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) doch, Frau Bundesministerin Merkel, im Interesse zum Beispiel der Atomlobby, wenn man die Mittel Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem zur Erforschung der Solarenergie kürzt, weil sie dann Abgeordneten Dr. Gregor Gysi das Wo rt. weiß, daß sie mit der Atomenergie länger Profit be- treiben kann und daß es länger dauert, bis ausrei- chende Alternativen zur Verfügung stehen. Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Man kann - das ist richtig, Herr Oder wie sieht es mit der Diskussion über die Sub- Westerwelle - diese Debatte nicht führen, ohne über vention der Kohle aus? Das geht doch in dieselbe Atomenergie an sich zu sprechen. Sie haben soeben Richtung, nämlich alle anderen Energieformen stär- erklärt, daß jede Form von Energiegewinnung Ri- ker zu diskreditieren als die Atomenergie, obwohl siken in sich birgt. Jede Form von Indust rie birgt Ri- gerade sie die gefährlichste von allen Energiegewin- siken in sich; jede Form von Verkehrssystem birgt nungsformen ist. Risiken in sich. Aber es gibt einen großen Unter- schied zwischen der Nutzung von Atomenergie und (Beifall bei der PDS - Dr. Renate Hellwig anderen Risikotechnologien und Produktionszwei- [CDU/CSU]: Seit wann wissen Sie das?) 21784 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Dr. Gregor Gysi Frau Bundesministerin, es kann sein, daß Sie über Demonstrationen. Das wäre wirklich aufrichtig ge- viele Einzelheiten nicht informiert worden sind; das wesen. will ich gar nicht in Zweifel ziehen. Aber wissen Sie, was mich stört? Sie haben früher mit einer Überzeu- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne gung und einer Hundertprozentigkeit davon gespro- ten der SPD) chen, daß die Transpo rte sicher sind, und stellen sich heute hier hin und sagen zum Beispiel, alle wüßten - Das haben Sie versäumt. Das halte ich wirk lich für ei- nicht: gehen davon aus, sondern: wüßten -, daß die nen schweren Fehler. Transporte nach Ahaus und Gorleben nie ein Gefähr- Das können Sie einfach nicht leugnen. Es stimmt dungsmoment enthielten, daß es dort nie eine Konta- auch nicht, Herr Westerwelle, was Sie hier gesagt ha- mination und eine Überschreitung der Grenzwerte ben, nämlich daß nur diejenigen, die dabei Gesetze gab. Ich frage Sie: Woher wissen Sie das denn? Es überschritten hätten, kritisiert worden seien. Soll ich sind doch dieselben Quellen, auf die Sie sich früher Ihnen einmal sagen, was Bundesinnenminister Kan- gestützt haben und die sich vor kurzem als falsch er- ther am 9. Mai 1996 pauschal über alle diese Demon- wiesen haben. strantinnen und Demonstranten gesagt hat: „Unap- Können wir nicht einmal lernen, in der Politik vor- petitliches Pack, Politchaoten und Gewalttäter". Das sichtiger zu formulieren? Weshalb müssen wir immer war seine Bezeichnung für Menschen, die auf Gefah- so formulieren, als wüßten wir die Dinge hundertpro- ren in dieser Gesellschaft aufmerksam machen woll- zentig? Warum haben Sie den Demonstrantinnen ten und die damit recht hatten. und Demonstranten nie gesagt: soweit ich weiß oder nach den mir vorliegenden Informationen? Da strah- (Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der len Sie eine Sicherheit aus und sagen, Sie wüßten CDU/CSU) das alles ganz genau; es werde a lles hundertprozen- Die meisten von denen waren völlig f riedlich. tig kontrolliert. Es gebe keine Grenzwertüberschrei- tung. Es gebe keine Gefährdung. Wenn sich dann Jetzt frage ich Sie: Von wem ging die größere Ge- später herausstellt, daß dies falsch ist, dann ist Ihre fahr aus, von diesen Demonstranten oder von den einzige Erklärung: Ich habe es nicht gewußt, das ist Transporten? Jetzt wissen wir: von den Transpo rten. mir nicht gesagt worden. - Ich meine, so kann man in der Politik Verantwortung nicht wahrnehmen. So (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Herr Gysi, kann man sie auch nicht tragen. Das ist der falsche Sie reden wider besseres Wissen!) Ansatz. Die Grenzwertüberschreitungen betrugen zum Teil (Beifall bei. der PDS) das Dreitausendfache des Zulässigen. Das ist doch Im übrigen scheint es auch nicht ganz zu stimmen: keine Bagatelle, über die man hier einfach hinweg- Vor ein paar Jahren haben Sie mit Blick auf die gehen kann. Atomwirtschaft erklärt, daß beim Backen immer ein Ich sage ein Weiteres: Sie sagen, die entsprechen- bißchen Backpulver danebenfällt, und damit auf den wissenschaftlichen Diskussionen waren Ihnen mögliche Gefahren hingewiesen. Das Problem war nicht bekannt. Ich zitiere hierzu nur einen, Herrn Ihnen also - unabhängig von den Informationen,- die Professor Schlich, den Erfinder des Castors. Sie erhalten haben - zumindest bewußt. Deshalb sage ich auch, was hier schon andere ge- (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Etwas ande sagt haben: Sie haben in den letzten Tagen viele Er- res fällt Ihnen doch gar nicht ein!) klärungen abgegeben; Sie haben Pressekonferenzen - Moment! Daß jemand, der ein bestimmtes Trans- gegeben. Es ist nicht so, daß man da nicht auch ein portsystem erfindet, von diesem auch etwas versteht, bißchen Mitleid hätte. Man weiß ja, wie schwer es in ist doch nicht völlig abwegig. Deswegen hätte man solchen Situationen ist; das ist nicht das Problem. doch auch einmal zuhören können, als er etwas ge- Aber ich hätte auch erwartet, Frau Bundesministerin, sagt hat. daß Sie einmal eine Erklärung gegenüber den De- monstrantinnen und Demonstranten abgegeben hät- Er hat etwas ganz Einfaches gesagt, nämlich daß ten; denn sie hatten in der Sache einfach recht, und bei einem längeren Transpo rt Wasser verdunstet und die Frau Bundesministerin hatte einfach unrecht. Sie daß dann, wenn das Wasser verdunstet, Radioaktivi- haben eine Gefahr beschrieben, die real existierte tät frei wird und das eine beträcht liche Gefahr sei. und dessen Existenz sie bestritten hat. Eine so einfache, selbst mir als physikalisch eher un- Wenn man sich so irrt gebildetem Menschen einleuchtende Logik (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es ist (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht nur physi falsch, was Sie hier sagen!) kalisch ungebildet!) und so viele andere, die man verunglimpft und krimi- will man im Bundesumweltministerium nicht zur nalisiert hat, recht hatten, dann gehört es sich, an ei- Kenntnis genommen oder nicht nachvollzogen ha- nem solchen Tag als erstes zu sagen: Sie hatten im ben. Das hängt eben mit folgendem zusammen: Prinzip - jetzt einmal ganz unabhängig von den Me- Wenn Sie eine innere Verteidigungshaltung gegen- thoden; darüber kann man immer noch reden - recht, über dieser Wirtschaft haben, wenn Sie ständig Es- und ich hatte unrecht; dafür entschuldige ich mich sen mit diesen Vorständen veranstalten, dann fühlt bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der man sich denen so verbunden, daß man innerlich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21785

Dr. Gregor Gysi jede Kritik und jede Gefährdungsbeschreibung ab- Sie hat in ihrer Amtszeit Großartiges geleistet. Sie ge- blockt. nießt international höchstes Ansehen. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Das ist in der Politik immer gefährlich. Sie hat im Gegensatz zu einer Reihe derer, die hier (Beifall bei der PDS) nur Sprüche geklopft haben, in Kioto Hervorragen- Deshalb meine ich, es wäre wirklich besser, hier des für den Umweltschutz geleistet. Sie ist sehr wohl würde eine Entfilzung in jeder Hinsicht stattfinden. in der Lage, ihre Aufgabe in jeder Weise verantwort- lich wahrzunehmen. Nun gibt es den Antrag der Grünen auf Ablösung der Ministerin. (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie ist Physikerin und keine Notarin!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein! Rücktritt!) Es ist schon ein ziemlich mieses Spiel, in einer sol- chen Debatte - bei aller Leidenschaft in Wahlkampf- - Rücktritt, ja. - Herr Fischer, lassen Sie mich dazu zeiten - einer Persönlichkeit vorzuwerfen, sie sei Er- zwei Bemerkungen machen. Wir werden nicht dage- füllungsgehilfe irgendwelcher Interessen, nur weil gen stimmen. Warum ich aber nicht richtig begeiste rt man mit der Politik nicht übereinstimmt. ll ich Ihnen erklären. bin, wi (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Erstens. Woher nehmen Sie denn überhaupt Ihre Hoffnung, daß der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Herr Abgeordneter Fischer, wenn Sie es unbedingt danach jemanden zum Bundesminister oder zur Bun- wollen, dann haben Sie die Gelegenheit, in einem desministerin berufen wird, der in irgendeiner Hin- Ausschuß, dessen Einsetzung Sie herbeiführen kön- sicht besser wäre, was die Kontrolle der Atomwirt- nen, über die Arbeit dieser Umweltministerin im schaft anbelangt? Diese Hoffnung habe ich nicht. Bund und der Minister in den Ländern das Notwen- dige in Erfahrung zu bringen. Da Sie sich auf den (Beifall bei der PDS - Dr. Guido Wester Weg gemacht haben, mit den Sozialdemokraten in welle [F.D.P.]: Da sind Sie Rea list!) diesem Hause und - wie wir in diesen Tagen erlebt Zweitens. Wissen Sie überhaupt, was uns das ko- haben - auch mit der PDS Mehrheiten zu bilden: Bil- sten würde? Ich gehe davon aus, daß alle Minister den Sie doch eine Mehrheit auch in diesem Aus- am 27. September weg sind. Wenn wir jetzt einen schuß! neuen Minister berufen, müssen wir diesen nachher auch noch abfinden. Das ist den Steuerzahlerinnen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ und Steuerzahlern eigentlich nicht zuzumuten. Dann DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie gerne!) halte ich es diese drei Monate lieber noch aus. Sie haben Furcht, weil Sie die Wahrheit scheuen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ten der SPD) - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Damit ich aber nicht in den Ruf komme, Frau Bun- DIE GRÜNEN]: Ach woher!) desministerin Merkel zu unterstützen - was ihr per- Sie wissen genauso gut wie ich und jeder auf der sönlich auch ungeheuer schaden würde - werde ich sozialdemokratischen Bank - von Herrn Gysi wi ll ich Ihrem Antrag trotzdem zustimmen. hier nicht sprechen -, daß die Bundesministerin in (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne dieser Sache ihre Pflicht getan hat. Sie ist zu Recht ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - darüber empört, daß die Verantwortlichen in diesem Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Großes Bereich der Industrie ihre Pflicht nicht getan haben. Geschrei und dann billiger Abgang!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Also die sind schuld!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl das Wo rt. Wir sind sehr wohl bereit, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Das ist heute sehr deutlich geworden. Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler (von der CDU/ CSU sowie von Abgeordneten der F.D.P. mit Beifall (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für mich eine einmalige Chance, dem Abgeord- Aber man sollte nicht den Andersdenkenden in einer neten Gysi einmal recht zu geben. Deswegen bin ich so billigen Form als Erfüllungsgehilfen bezeichnen. ans Rednerpult gekommen. Er hat mit Recht die Er- Wenn dies zur Regel würde, dann fiele mir zu den wartung ausgesprochen, daß ich dem Antrag auf Ab- Namen, die in diesen Tagen im Rahmen einer neuen lösung der Kollegin Merkel nicht zustimmen werde. Regierungsbildung genannt werden, eine ganze Menge zum Thema Erfüllungsgehilfe ein. Die Gründe sind eindeutig: Sie ist eine ausgezeich- net arbeitende Ministerin. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) DIE GRÜNEN]: Was denn?) 21786 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl - Der Abgeordnete Struck weiß am besten, wen ich die friedliche Nutzung der Kernenergie bejaht, ist meine. Wenn Sie das so wollen, können wir das ma- der Kern ihres Problems. Sie will das durchsetzen; sie chen. will die Probleme nicht wahrhaben. Ich erinnere mich noch an die Energiekonsensgespräche. Sie sind (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ daran gescheitert, Frau Merkel, daß Sie und Herr DIE GRÜNEN]: Was denn?) Rexrodt ein Bekenntnis zum weiteren Ausbau der Unser Stil ist das nicht. Atomenergie wollten und nicht bereit waren, mit uns zusammen die praktischen Probleme der Entsorgung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu lösen. Deswegen ist es falsch, wenn Sie, die Sie Jedenfalls will ich hier ausdrücklich sagen, daß die die friedliche Nutzung der Kernenergie bejahen, hier Kollegin Merkel ihre Pflicht in hervorragender Weise so tun, als ob Sie nicht der Kern des Problems wären. erfüllt hat (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN]: Das große Bundesverdienst kreuz!) Ich bin mit der Bejahung der friedlichen Nutzung der Atomenergie groß geworden. Ich kann viele der und daß die Vorschläge, die sie heute eingebracht von Frau Merkel geäußerten Sätze nachvollziehen. hat, auch umgesetzt werden. Im übrigen müssen Sie Auch sie ist mit der Bejahung von technischem Fort- sich daran gewöhnen: Sie wird auch am Ende dieses schritt groß geworden. Aber sie kann die Debatte, Jahres noch ihr Ressort innehaben. die in unserer Gesellschaft gelaufen ist, nicht so ganz (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - nachvollziehen. Zurufe von der SPD) (Widerspruch bei der CDU/CSU - Hans Peter Repnik [CDU/CSU]: Welche Arro Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das ganz! Unglaublich!) Wort der Abgeordneten Anke Fuchs. Sie hat im Grunde nicht mitbekommen, was viele So- zialdemokraten davon überzeugt hat, den Ausstieg Anke Fuchs (Köln) (SPD): Herr Präsident! Meine aus der Kernenergie zu wollen, nämlich die Tatsache, Damen und Herren! Der Bundeskanzler ist ja artig, daß jahrelang abgegebene Versprechungen der Wis- wenn er seine Ministerin schützen will. senschaft und der Atomkraftwerksbetreiber, sie wür- (Zuruf von der CDU/CSU: Danke, Frau Leh den das Problem der Entsorgung lösen, nicht gehalten -rerin!) wurden. Das Problem der Entsorgung ist nicht gelöst; deswegen müssen wir aus der Nutzung dieser Energie Aber wenn das alles war, was Sie zu dem für mich aussteigen. Das ist meine tiefste Überzeugung. politisch unbegreiflich schwierigen Thema „Wie ge- hen wir mit Atomenergie und ihrer Entsorgung um?" (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne zu sagen haben, dann habe ich den Verdacht: Sie ha- ten der PDS - Zuruf von der CDU/CSU) ben etwas gewußt, und Ihre Nähe zu den Atomkraft- - Die Entsorgungsfrage ist nicht gelöst, Herr Kollege. werksbetreibern ist größer, als wir bisher vermutet - Transporte lösen das Problem nicht. Bei der Erzeu- haben. gung von Kernenergie fallen abgebrannte Brenn- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE stäbe an. Es kann doch nicht angehen, daß wir die- GRÜNEN und der PDS) sen Müll durch Europa kutschieren müssen, weil sich die Atomkraftwerksbetreiber nicht in der Lage se- Folgendes möchte ich gerne hinterfragen: Der hen, vor Ort für eine regionale Lagerung zu sorgen. Bundeskanzler rühmt sich immer seiner guten Kon- Das ist doch das Problem. takte zur Wirtschaft. Wer sagt mir eigentlich, daß er nicht auch sehr gute Kontakte zur Atomwirtschaft (Dr. Gerhard F riedrich [CDU/CSU]: Das ist hat? Wer sagt mir eigentlich, daß er nicht viel früher eine Unverschämtheit! - Dr. Renate Hellwig gewußt hat, daß es Probleme bei den Transpo rten [CDU/CSU]: Sie sind das Problem!) gibt? Also stellen Sie sich hier nicht hin und tun Sie nicht so naiv, Herr Bundeskanzler. Sie haben Dreck - Ich bin nicht das Problem. Ich werde dafür sorgen, am Stecken, was diese Dinge bet rifft. daß wir aus der Kernenergie aussteigen, weil die Pro- bleme der Entsorgung nicht zu lösen sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und der PDS - Widerspruch bei der CDU/ DIE GRÜNEN) CSU - Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mies! Mies!) Wir werden nach dem 27. September die Energie- konsensgespräche wieder aufnehmen und als erstes Aber ich wollte mich eigentlich zu diesem Thema die Frage der sicheren Entsorgung lösen. Dann wer- ganz anders äußern. den wir ein Konzept erarbeiten, wie wir langfristig (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - aus der Kernenergie aussteigen. Darüber müssen Sie mit mir nicht diskutieren. Sie sind nicht bereit, zuzu- Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!) geben, daß die Frage der Entsorgung der abgebrann- Ich will Frau Merkel bescheinigen, daß sie ganz tap ten Brennstäbe nicht gelöst ist. Das ist der Kern unse- fer kämpft. Aber es bleibt folgender Vorwurf: Daß sie rer Auseinandersetzungen. Deshalb sind wir über- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21787

Anke Fuchs (Köln) zeugt, daß wir aus der Nutzung dieser Energie aus- spräch irgendwelche Anmerkungen gemacht worden steigen müssen. sein. Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Frau Merkel hat gesagt, wir wollten ein Wahl- Um das gleich aufzugreifen: Wenn auch die Län- kampfthema. Wahlkampfthemen haben wir eigent- der Fehler gemacht haben, dann werden wir Sozial- lich genug. demokraten dafür sorgen, daß auch diese Fehler auf den Tisch kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU) Unser Regierungsprogramm liegt vor. Wir wollen die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Frau Merkel, Sie tun ge- - Natürlich. Ich werde an die von uns gestellten Lan- rade so, als hätten wir dafür gesorgt, daß die Behälter desregierungen appellieren, die Genehmigung für leck sind, um das Thema im Wahlkampf verwenden weitere Transporte zu entziehen, wenn Fehler ge- zu können. Das ist wohl ein bißchen überzogen. macht wurden und Vertuschungspolitik betrieben wurde. Dieses Problem ist viel zu gefährlich, als daß Richtig ist aber, daß die Frage der Gefährdung durch diese Energie von Ihnen unterschätzt wird, sich jemand aus der Verantwortung stehlen könnte - weil Sie an der friedlichen Nutzung der Kernenergie sei es der Bund oder seien es die Länder. Wenn der festhalten. Das ist Ihr großer Fehler und läßt jene Bundeskanzler hier Frau Merkel beredt in Schutz Kompetenz und Sorgfalt vermissen, derer es bei die- nimmt, dann bleibt bei mir der Verdacht: Angesichts sem Thema eigentlich bedürfte. Jede Pommesbude seiner guten Kontakte zur Wirtschaft hat er mehr ge- wird geschlossen, wenn das Fett zu lange gebraucht wußt, als wir bisher geahnt haben. wird. Aber bei der Kernenergie lassen wir einfach zu, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Anlagen weiter zu betreiben, obwohl das Pro- blem der Entsorgung der Brennstäbe nicht gelöst ist Nun haben sich - das fand ich das Tollste - die und bei den Transporten gefährliche Strahlung aus- Atomkraftwerksbetreiber entschuldigt, so als ob es getreten ist. Das kann doch so nicht weitergehen. damit getan sei, vor der Regierung einen kleinen Knicks zu machen und zu sagen: Tut mir leid, da ist Sie sagen „Stopp der Transporte" - vier Monate etwas schiefgelaufen. - Ich finde, das ist ein unbe- vor der Bundestagswahl. Am liebsten aber würden schreibbares Maß an Unverschämtheit. Sie doch die Entsorgungspolitik wie bisher betreiben und Castor-Behälter weiter beladen. Das halten wir (Beifall der Abg. Ursula Schönberger für unverantwortlich. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dann lassen sie noch verlautbaren, sie hätten die DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutz politische Bedeutung verkannt. Umgekehrt wird mutz [PDS]) doch ein Schuh daraus: Sie haben gewußt, wie bri- sant dieses Thema ist, und sie wußten, welche politi- Nun haben Sie einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt. schen Konsequenzen es hat, wenn die Informationen Das ist ja alles ganz ordentlich aufgeschrieben; das weitergegeben werden. Sie wußten, daß diese Infor- finde ich auch durchaus akzeptabel. Aber die zehn mation, auf die Tagesordnung des Parlaments ge- Punkte lesen sich für mich wirklich wie ein Schulauf- bracht, die ganze Debatte um die Atomenergie wie- satz auf dem Küchentisch. Da heißt es dann:- der aufwärmt. Das wollten sie doch gerade vertu- Bei den Meldewegen müssen die aufgetretenen schen. Deswegen haben sie doch die Informationen Mängel beseitigt werden. nicht weitergegeben. Das ist Vertuschung seitens der Atomkraftwerksbetreiber. Donnerwetter! (Beifall bei der SPD und der PDS) Es muß sicher sein, daß bei Transporten Kontami- nationen, wo und wann auch immer sie auftreten Ich sage es Ihnen noch einmal - das ist auch in den und gemessen werden, allen zuständigen Behör- Diskussionen klargeworden -: Niemand von Ihnen den mitgeteilt werden. kann sich hier hinstellen und zackig sagen, wir sind für die friedliche Nutzung der Kernenergie. Dazu Das ist Teil eines Zehn-Punkte-Plans einer Ministe- müßten Sie mir die Frage beantworten können: Wie rin, die die Frage beantworten muß, wieso bei Trans- halten wir es denn nun mit den abgebrannten Brenn- porten mit abgebrannten Brennelementen nach stäben? Was soll denn damit passieren? Sollen wir Frankreich Strahlung austreten konnte. Angesichts denn so weitermachen, daß wir die Transpo rte durch dessen einen solch lapidaren Kram aufzuschreiben, die Lande juckeln lassen - wieder nach Gorleben, da- halte ich für unter dem Niveau einer Bundesministe- mit Sie dort Ihren Auftritt haben, Herr Kollege Grill? rin, die für dieses schwierige Gebiet zuständig ist. Nein, meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wir steigen aus der Kernenergie aus; denn ich kann ten der PDS) nicht sehen, wie das Entsorgungsproblem gelöst wer- Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß die den wird. Atomkraftwerksbetreiber Fehler gemacht haben. Ich (Beifall bei der SPD und der PDS - Zuruf akzeptiere auch, daß Sie jetzt sagen, vor dem 24. Ap ril von der CDU/CSU: Volksverdummung!) haben Sie nichts gewußt. Ich glaube Ihnen das schon, aber wiederhole, was ich am Anfang gesagt habe: Es Deswegen werden wir sorgfältig darauf achten, wel- gibt so viele Kontakte und Gespräche, und dennoch che Informationen wir bekommen. Wir werden darauf will keiner etwas gewußt haben, sollen in keinem Ge achten, wie es sich mit den Meldepflichten verhält. 21788 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Anke Fuchs (Köln) Ich komme noch einmal auf das Verhältnis der Re- geht, und ganz sanft zu werden, wenn es um die Ver- gierung zu den Atomkraftwerksbetreibern zurück. antwortung der von Ihrer eigenen Pa rtei gestellten Ich erinnere mich daran, daß wir vor zehn Jahren das Landesminister geht. Bundesamt für Strahlenschutz und Reaktorsicher- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt doch heit eingerichtet haben, weil Herr Töpfer damals alle gar nicht!) Informationen bei sich haben wollte. Er sagte, wir müssen aufpassen, daß bei der gefährlichen Atom- Ganz sanft werden Sie da und lassen Zuverlässigkeit energie nicht so viele Fehler gemacht werden. Was prüfen. hat dieses Bundesamt eigentlich die letzten zehn Jahre gemacht? Wo sind eigentlich die Informationen (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ob die Genehmi hingeflossen? Das Ergebnis ist auch ein Versagen gung für weitere Transporte zu entziehen dieser Regierung, die davon ablenken will, daß sie ist!) nicht genügend Sorgfalt darauf verwendet hat, die Ich sage Ihnen einmal noch etwas anderes, das mir Lösung des Transport- und Entsorgungsproblems heute vormittag aufgefallen ist. Da wacht man auf, wirklich voranzutreiben. Herr Bundeskanzler, liest Zeitung und sieht eine Deswegen finde ich es auch - wie soll man das am Liste der Hoffnungsträger der SPD. besten sagen? - nicht hinnehmbar, daß die Atomwirt- ( [CDU/CSU]: Oje!) schaft sagen kann: Es gibt ja keine gesetzliche Mel- depflicht, und deswegen müssen wir nichts unter- Frau Kollegin Fuchs, für Umwelt, Bildung und For- nehmen. Ist das eigentlich die Moral von Gemein- schung ist künftig die Frau Kollegin Bulmahn vorge- samkeit in unserem Land? Kann eine Industrie, die sehen. ganz genau weiß, wie groß die Ablehnung dieser (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr gut!) Technologie ist, wie gefährlich die Nutzung dieser Energie ist und daß das Problem der Entsorgung Sie hat eine Zeitlang zugehört; es ist für sie vielleicht nicht gelöst ist, wirklich sagen: Wir rühren uns nur auch ganz interessant. Ich muß aber schlicht feststel- nach Gesetzeslage? Es ist ein Verfall der Werte in un- len: Weder Sie noch Herr Müller sind im Konzept des serem Land und ein Verfall der Zusammenarbeit zwi- Bundeskanzlerkandidaten der SPD vorgesehen. schen Regierung und Wirtschaftsvertretern, wenn (Widerspruch bei der SPD) wir es durchgehen lassen, daß die Atomkraftwerks- betreiber sagen: Wir erfüllen unsere Pflicht, und da- - Doch! - Wir diskutieren heute mit der alten Garde bei belassen wir es. Ich würde es wirklich sehr be- der SPD, und Frau Bulmahn, die Hoffnungsträgerin, dauern, wenn wir jetzt ein Gesetz erlassen müßten, hört zu. Das ist ganz interessant. das eine Meldepflicht einführt. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Machen Sie sich Das ist ein Armutszeugnis unserer ganzen Atom- über mein Leben keine Sorgen, Herr Kol politik. Deswegen ist es an der Zeit, daß wir unsere lege!) Konzepte einbringen. Nach dem 27. September wer- Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Vor- den wir uns dieses Themas so annehmen, daß dessen bemerkung zu machen. Ich habe heute im Umwelt- Brisanz erkannt wird, daß die gesellschaftliche Ak- - ausschuß um 12.40 Uhr kurz den Saal verlassen, um zeptanz wiederhergestellt wird und daß der Streit um zu telefonieren. Im Saal hat der Kollege Lennartz für die Nutzung der Kernenergie aufhört. die SPD Fragen gestellt, und vor dem Saal hat der Vielen Dank. Kollege Müller Fragen beantwortet. Er wollte gar nicht wissen, was Frau Merkel im Umweltausschuß (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gesagt hat. ten der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Meine verehr- Herr Kollege Müller, Sie haben vergessen, sich bei ten Kolleginnen und Kollegen, es mag ja sein, daß der Umweltministerin dafür zu entschuldigen. Ihr die Lautstärke der Zurufe in einem inneren Zusam- Verhalten, Herr Müller, gehört sich nicht. menhang mit der Lautstärke der Rede steht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Und m it den Ich habe noch eine Vorbemerkung zu machen. Es Inhalten, Herr Präsident!) wurde uns immer wieder eine gewisse Nähe zu der Aber wenn beides so laut wird, daß man dem Redner sogenannten Atombranche unterstellt. Erstens be- nicht mehr zuhören kann, dann ist das nicht in Ord kenne ich mich dazu. Ich bin Anhänger der fried- nung. Ich glaube, wir sollten uns etwas zurückhalten. lichen Nutzung der Kernenergie. Dieses vorausgeschickt gebe ich das Wo rt dem Ab- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geordneten Dr. Gerhard F riedrich. Zweitens weise ich jeden Verdacht zurück, daß ich ein Spezi von Vorstandsetagen bestimmter Energie- Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Herr Präsident! versorgungsunternehmen bin. Ich habe dafür auch Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kolle- meinen Grund, Herr Kollege Müller. Wir haben im gin Fuchs, Sie sind ja eine erfahrene Politikerin. Des- bayerischen Wackersdorf die Polizei eingesetzt, um halb schaffen Sie es, ganz dramatisch zu werden, einen Zaun zu verteidigen; aber diejenigen, deren wenn es um die Verantwortung von Frau Merkel Anlage dort gebaut werden sollte, hatten sich schon Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21789

Dr. Gerhard Friedrich verabschiedet. Seitdem habe ich ein gewisses Miß- waren dafür - auch im Bundestag habe ich jahrelang trauen gegenüber einzelnen dieser Branche. dafür gekämpft -, Wiederaufarbeitung im bayeri- schen Wackersdorf durchzuführen. Sie haben diese (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Anlage mit den Müllers zusammen erfolgreich be- und der F.D.P.) kämpft. Die derzeitigen Castor-Transporte ins Aus- Deren wirtschaftliche Interessen sind Ihnen wichtiger land liegen unter anderem in der Verantwortung von als der politische Schaden, den sie immer wieder an- Joschka Fischer. richten. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sind keine Spezis; aber wir haben zu einzel- Herr Fischer, Sie haben gefragt: Warum hat der nen Personen und zu einzelnen Firmen Vertrauen. frühere Abteilungsleiter das Bundesum- Das entscheiden wir ganz individuell nach unseren Hohlefelder weltministerium verlassen und ist zu den Energiever- persönlichen Erfahrungen. sorgern gegangen? - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Der Kollege Fischer hat sich darüber aufgeregt, daß DIE GRÜNEN]: Wegen mir!) wir ihn für diese Dinge verantwortlich machen. Sie - Herr Fischer, so naiv sind Sie doch nicht. Der wird hätten sagen müssen: teilweise verantwortlich ma- dort besser bezahlt. chen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Ganz genau!) DIE GRÜNEN]: Voll!) Es gibt auch noch einen zweiten Grund. Ich habe Das eine wissen Sie ja: Für die Kontrollen der Castor zu den Beamten im Bundesumweltministerium stän- beim Verlassen eines Kernkraftwerks sind ehälter dig Kontakt. Diese Leute sagen: Die üblen Verdächti- die Länder verantwortlich. gungen der Grünen und der Sozialisten halten wir (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ langsam nicht mehr aus. Das ist unerträglich. DIE GRÜNEN]: Ja!) (Beifall bei der CDU/CSU) Als früherer Atomminister von Hessen haben Sie einige Jahre lang die Verantwortung dafür getragen, Es ist doch langsam kein Beamter mehr so blöd, für daß Castor-Behälter ausgelaufen sind, die in Frank- dieses miese Gehalt dauernd solche Kampagnen ge- reich eine hohe Strahlenbelastung aufwiesen - gen sich zu ertragen. Das sind die Gründe, weshalb Herr Hohlefelder dieses Ministerium ziemlich er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schöpft und ausgelaugt verlassen hat. nicht in Deutschland, sondern in Frankreich. (Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS) Auf Ihre Vorwürfe gegen Frau Merkel, sie hätte von den Grenzwertüberschreitungen wissen müssen, sage Jetzt die Frage des Kollegen. ich Ihnen - Sie waren ja nicht im Umweltausschuß, Sie können es nicht wissen -: Heute hat sich herausge--B- Herr Schütz, stellt, daß die Mitarbeiter im Bundesumweltministe- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: eine Sekunde; ich möchte mir diese Zwischenbemer- rium von diesen Grenzwertüberschreitungen keine kung erlauben. Ich finde es nicht gut, wenn wir hier Kenntnis hatten. Einige Länderministerien, auch das über persönliche Motive eines Beamten sprechen, von Ihnen früher geführte hessische Atomministe- den viele von uns kennen, der aber keine Möglich- rium, hatten dagegen sehr wohl Kenntnis davon. keit hat, sich hier zu äußern. Man kann alle mögli- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ chen allgemeinen Überlegungen anstellen; aber es DIE GRÜNEN]: So läuft das bei euch! - ist nicht in Ordnung, hier einen einzelnen Menschen Zurufe von der CDU/CSU) öffentlich anzugehen, der sich nicht äußern kann. Das bitte ich doch zu bedenken. Deshalb waren Sie, Herr Kollege Fischer, viel näher dran - nicht nur weil Frau Merkel früher in einem an- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Herr Präsi deren Teil Deutschlands gelebt hat. dent, die Grünen waren es! - Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ja, wo sind wir denn, Herr Präsident?) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- Ich gebe nun das Wort zu einer Zwischenfrage. legen Schütz? Bitte, Herr Kollege Schütz. (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) Dietmar Schütz (Oldenburg) (SPD): Herr Kollege Friedrich, hat von ihren Be- Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Sofort, aber zu- Frau Ministerin Merkel vor möchte ich noch meine Ausführungen zum Kolle- amten einen Revers unterschreiben lassen - Sie hat gen Fischer zu Ende führen. das heute im Ausschuß berichtet -, wonach keiner von diesen Tatsachen gewußt habe. Sie behaupten Herr Kollege Fischer, Sie haben wahrscheinlich jetzt, die Länder hätten das gewußt. Woher haben noch nicht gemerkt, daß Sie noch ein großes Stück Sie die Kenntnis, daß die Länderminister davon ge- Verantwortung für die Castor-Transporte tragen. Wir wußt haben? Könnte man nicht auch dort einen Re- 21790 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Dietmar Schütz (Oldenburg) vers über diese Fragen anfordern? Woher beziehen zusetzen ist. Wenn es keinen gibt, liegt es ausschließ- Sie Ihr Wissen, daß Frau Merkel nichts gewußt hat lich daran, daß Sie und die SPD den Ausschuß noch und daß die Länderumweltminister in Hessen und nicht beantragt haben. Niedersachsen davon gewußt haben? Dann habe ich noch eine allerletzte Bemerkung. Es (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ist wieder nicht das, was ich eigentlich sagen wollte. DIE GRÜNEN]: Die haben alles gewußt!) Wissen Sie, Herr Müller, was unser Problem ist? (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nein!) Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Herr Kollege Schütz, das Wissen habe ich, weil ich mit der Um- Sie sagen vor der Wahl wieder einmal: Zusätzliche weltministerin und ihren Beamten in den letzten Ta- Vorschriften, zusätzliche Kontrollen, alles ist schreck- gen mehrfach gesprochen habe. Die Umweltministe- lich. Ihr Kanzlerkandidat stellt fest, diese Umwelt- rin in Bonn hat ihre Beamten befragt. Wir wissen von bürokratie ist unerträglich. All die Vorschriften, die den Energieversorgungsunternehmen - das ist auch Sie uns empfehlen, will dieser Populist Schröder in den schriftlichen Berichten festgehalten -, daß sie streichen. Das bringt mich dazu, zu sagen: Nicht nur zumindest einige Länderaufsichtsbehörden infor- die Energieversorgungsunternehmen haben zur Zeit miert haben. Frau Merkel ist nicht befugt, in Hessen Glaubwürdigkeitsprobleme, auch die Genossen ha- dienstliche Erklärungen zu verlangen. Das muß ben sie. schon der grüne hessische Umweltminister tun. Viel- leicht schläft er noch, Herr Fischer. Danke. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Präsident, ich darf mir erlauben, festzustellen, daß das Thema Hohlefelder vom Kollegen Fischer Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Kurz- aufgeworfen wurde - mit einer üblen Spekulation. intervention gebe ich dem Abgeordneten Rolf Köhne (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU das Wort. und der F.D.P.) Ich hatte jahrelang wöchentlich oft mehrfach mit Rolf Köhne (PDS): Herr Kollege Friedrich, ich war Herrn Hohlefelder Kontakt. Das, was ich Ihnen ge- heute mit Ihnen zusammen im Umweltausschuß und sagt habe, entspricht dem Eindruck aus diesen Ge- habe dort nicht vernommen, daß die Bundesumwelt- sprächen. Ich spekuliere nicht wie Sie, Herr Fischer. ministerin bekanntgegeben hat, aus Gesprächen mit den Energieversorgungsunternehmen sei herausge- (Beifall bei der CDU/CSU) kommen, daß Landesbehörden (Birgit Homburger [F.D.P.]: Sie haben noch Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Abgeord- neter Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des mehr nicht verstanden!) Abgeordneten Köhne? von diesen Kontaminationen gewußt hätten. Ande- renfalls wäre jetzt von Ihnen oder aber von der Bun- Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Nein. Ich bitte desministerin selbst zu erklären, welche Ministerien um Verständnis, ich bin überhaupt noch nicht bei aus welchen Ländern das gewesen sind. Vor allem meinem vorbereiteten Text. Ich werde ihn aus zeitli- wäre zu erklären, warum es nicht die Pflicht dieser chen Gründen auch gar nicht mehr vortragen kön- Behörden war, das Bundesumweltministerium unver- nen. Ich sage Ihnen nur noch zwei Dinge. Herr Präsi- züglich zu informieren. Diese Frage ist, meine ich, dent, ich fasse mich kurz. von einem ganz eminenten öffentlichen Interesse. Erstens. Der Sprecher der Grünen hat heute ge- sagt: Die Koalition hat einen Untersuchungsausschuß Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege in dieser Angelegenheit verhindert. Ich sage Ihnen, Friedrich, Sie können darauf antworten. Herr Fischer: Mit der Rechtsordnung hatten Sie schon immer Ihre Probleme. Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Herr Präsident! (Horst Kubatschka [SPD]: Das sind doch Meine Damen und Herren! Diese Information habe Unterstellungen!) ich aus verschiedenen Gesprächen der letzten Tage. Sie waren doch ein starker Kämpfer im Zusammen- Wahrscheinlich hatte der Kollege Köhne keine Zeit, hang mit dem Frankfurter Flughafen. Das wissen wir den schriftlichen Bericht der Umweltministerin so- doch noch. Jetzt sind Sie altersweise geworden. wie eine Sammlung von Presseerklärungen zu lesen, die mir und allen interessierten Kolleginnen und Kol- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Alt, aber legen in den letzten Tagen zur Verfügung gestellt nicht weise!) wurden. Wenn ich die Unterlagen sofort finde, werde ich sie Ihnen im Laufe der Debatte übermitteln. An- Angefangen haben Sie einmal ganz anders. sonsten werde ich Ihnen sofort nach Ende der De- Herr Kollege Fischer, ich empfehle Ihnen: Lesen batte per Fax die Fundstellen mitteilen, aus denen Sie Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes. Dort steht, daß sich ergibt: Die Energieversorgungsunternehmen be- auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Deut- haupten, sie hätten einzelne Landesministerien über schen Bundestages ein Untersuchungsausschuß ein- die Probleme, die seit 1985 auftreten, informiert. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21791

Dr. Gerhard Friedrich Den Kollegen Fischer habe ich angesprochen, weil der Menschen nur noch mehr. Was Sie hier machen, er ab 1985 für eine gewisse Zeit Atomminister in Hes- finde ich unzulässig. sen war. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe nun der Abgeordneten Birgit Homburger das Wo rt. Das Hin- und Herschieben von Verantwortung, wie es hier stattgefunden hat, sind die Leute leid. Die Leute wollen von uns keine Panikmache und auch Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Meine kein Herunterreden. Die Menschen erwarten von Damen und Herren! Die Vorgänge um die radioaktiv uns Aufklärung und das Ergreifen der nötigen Maß- strahlenden Transportbehälter haben - das ist hier nahmen. Genau das werden wir tun. heute mehrfach festgestellt worden - zu einer un- glaublichen Verunsicherung der Menschen in (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Deutschland geführt. Diese Verunsicherung ist ver- ständlich und berechtigt. Es ist, wie ich finde, uner- Zweitens. Weitere Grenzwertüberschreitungen träglich, daß es überhaupt soweit kommen konnte. müssen technisch ausgeschlossen werden. Solange das nicht geschehen ist, können und dürfen keine (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne weiteren Transporte genehmigt werden. Darüber ten der SPD) sind wir uns einig. Zu Ihrer Unterstellung, Frau Fuchs, man werde weitere Transpo rte vor der Bun- Es ist ein unglaublicher Vorgang, daß die Elektrizi- destagswahl vorübergehend aussetzen, tätsversorgungsunternehmen in diesem Land seit Mitte der 80er Jahre davon wußten und es den auf (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Jawohl! So ist sichtführenden Behörden nicht mitgeteilt haben. Die- das aber!) ser Vorgang hat eine Bedeutung, die weit über die Frage der Castor-Transpo rte hinausgeht und auch obwohl man alles am liebsten unverände rt weiterma- die Akzeptanz der f riedlichen Nutzung der Kern- chen wolle, kann ich nur sagen - ich kenne Sie schon energie in Deutschland trifft. lange und schätze Sie eigentlich -: Die Rede, die Sie hier gehalten haben, war absolut unter Ihrem Ni- Das Verhalten der Kernkraftwerksbetreiber und veau. der Transportfirmen hat deren Glaubwürdigkeit be- schädigt. Aber gerade Glaubwürdigkeit ist im Hin- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - blick auf die Akzeptanz einer so risikobehafteten Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Finde ich gar Technologie wie der Kernenergie eine der grundsätz- nicht!) lichen Voraussetzungen dafür, daß Vertrauen über- haupt geschaffen werden kann. Mit ihrem Verhalten Drittens. Die betroffenen Kernkraftwerksbetreiber ist die Wirtschaft ihrer gesellschaftspolitischen Ver- und die Transportfirmen müssen nicht nur organisa- antwortung nicht gerecht geworden. Sie hat sich mit torische, sondern auch personelle Konsequenzen der Geheimniskrämerei einen Bärendienst erwiesen. ziehen. Es darf sich nicht wiederholen, daß eine sol- - Man hat fast schon den Eindruck, als wollten die che Information angeblich auf der mittleren Ebene EVU selbst den Ausstieg aus der Kernenergie in steckenbleibt. Transparenz und Vertrauenswürdig- Deutschland beschleunigen. keit müssen zur Unternehmensphilosophie werden. Wer diesen Leitlinien nicht gerecht wird, der ist für Dieses Verhalten wird und muß Konsequenzen ha- verantwortliche Posten in dieser Risikobranche nicht ben. Die F.D.P. verlangt, daß die Vorgänge lückenlos qualifiziert. aufgeklärt werden. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Erstens. Wir müssen die wirkliche Strahlenbela- ten der CDU/CSU) stung aller Transporte ermitteln und veröffentlichen. Nach den heutigen Erklärungen im Umweltausschuß Abschließend möchte ich, meine Kolleginnen und scheint es so, daß eine Gefährdung für Menschen Kollegen von der SPD, zu Ihrem Entschließungsan- nicht vorgelegen hat. Wir sind es den Beamten von trag eine Bemerkung machen. Sie bieten in diesem Polizei und Bundesgrenzschutz, aber auch den Mitar- Antrag einen Entsorgungskonsens an. Ja, wir brau- beitern der Transportfirmen jedoch schuldig, daß das chen mindestens einen Entsorgungskonsens; eigent- wirklich mit letzter Gewißheit aufgeklärt wird. lich brauchen wir einen Energiekonsens.

Nur eines geht nicht, Herr Kollege Müller und Frau (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ja!) Kollegin Fuchs: Sie dürfen hier nicht sagen, wir wür- den radioaktive Gefährdungen verschweigen. - Das Der Umgang mit der Risikotechnologie Kernkraft stimmt nicht. Vor allem Sie, Frau Fuchs, haben ge- darf nicht weiter Gegenstand politischer und ideolo- sagt, Behälter seien leck gewesen. Das ist eine Fehl- gischer Grabenkämpfe sein. Wir von seiten der F.D.P. information. Es geht nicht um leckgeschlagene Be- waren immer bereit, Gespräche darüber zu führen. hälter; es gab überhaupt keine leckgeschlagenen Be- Aber, Frau Kollegin Fuchs: Herr Schröder hat in zwei hälter. Vielmehr geht es um das technische Phäno- Anläufen zur Herstellung eines Energiekonsenses men des sogenannten Ausschwitzens. Wer so argu- von seiner eigenen Partei keine Vollmacht zum Ab- mentiert, wie Sie das hier tun, der schürt die Ängste schluß eines solchen erhalten. Wem die eigene Pa rtei 21792 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Birgit Homburger eine solche Vollmacht nicht einräumt, der darf auch Außerdem möchte ich Ihnen, Frau Fuchs, sagen: keine Regierungsverantwortung übernehmen. 1990 hat Johannes Rau von dieser Bundesregierung, von Bundeskanzler Helmut Kohl und seinem damali- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne gen Umweltminister Klaus Töpfer verlangt, schnellst- ten der CDU/CSU) möglich einen Beschluß, den die rotgrüne Regierung in Niedersachsen - auch die Grünen! - mitgetragen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das hat, für die Errichtung eines Endlagers für nicht wär- Wort dem Abgeordneten Kurt-Dieter Grill. meentwickelnde Abfälle und für zentrale Zwischen- lager zu fassen.

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Herr Präsident! (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Thema!) Meine Damen und Herren! Frau Fuchs, ich möchte zunächst einmal auf Ihre Argumentation eingehen. Sie haben überhaupt keine Veranlassung, dieser Wer in Deutschland eine solche Vergangenheit hin- Bundesregierung vorzuwerfen, sie ginge mit dem sichtlich des Umgangs mit Kernenergie wie die so- Thema unsensibel und konzeptionslos um, weil wir zialdemokratische Pa rtei unter der Regierung gemeinsam mit Ihnen 1990 solche Beschlüsse gefaßt Schmidt hat, der sollte mit dieser Art von Vorwürfen haben. Fassen Sie sich an die eigene Nase, bevor Sie mehr als vorsichtig umgehen. uns beschimpfen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Wer einen Kanzlerkandidaten hat, der sich über Jahre hinweg gerühmt hat, daß er zur Energiewirt- Als letztes, meine Damen und Herren, möchte ich schaft einen besseren Kontakt als die CDU/CSU hat, sagen: Mich erschüttert, daß Sie in anderen politi- wer protzend damit durchs Land gezogen ist, daß die schen Fragen in Deutschland Rationalität und Ver- Energiewirtschaft auf sein Wort und nicht mehr auf nunft einfordern und uns vorwerfen, wir würden die das der CDU/CSU hört, der sollte mit dieser Art Pole- Ängste der Menschen schüren. Sie haben in diesen mik, mit dieser Art Diffamierung aufhören und vor Tagen hemmungslos wider bessere Erkenntnis Ihrer der eigenen Haustür kehren. eigenen Landesbehörden Ängste geschürt. Dieses ist schriftlich dokumentiert. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Dem ist hinzuzufügen, daß alle norddeutschen Mi- ordneten der F.D.P. - Anke Fuchs [Köln] nisterpräsidenten, allen voran Gerhard Schröder, [SPD]: Wo denn?) stillschweigend - in Vereinbarungen mit der VEBA und der Preussenelektra - darauf setzen - wenn Sie Ich komme zu dem, was Herr Fischer gesagt hat. so anfangen, dann muß ich das so deutlich sagen, Herr Fischer, Sie sind ein Meister der Verleumdung. auch wenn es mir leid tut -, daß die Wiederaufberei- Ich fordere Sie hiermit auf, das, was Sie schon tungsanlage in La Hague als Zwischenlager dient, ein paarmal gesagt haben, außerhalb des Plenums um nur keinen Castor-Transpo rt nach Gorleben öffentlich zu wiederholen oder mir schriftlich mitzu- durchführen zu müssen. So sieht die Realität- aus, für teilen, damit ich Sie endlich verklagen kann. Sie sind die Frau Simonis, Herr Runde und Herr Schröder ste- ein Verleumder, weil Sie vor diesem Parlament Be- hen. hauptungen aufstellen, für die Sie keinerlei Beweise (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Quatsch ist das!) in der Hand haben. Und Sie stellen sich hierhin und beschimpfen diese Ich komme nun zu den Ablegern Ihrer Politik in Umweltministerin und diesen Bundeskanzler, ob- den Ländern und will Ihnen nur zwei Dinge vorlesen, wohl Sie für die Transporte nach La Hague sorgen. damit Sie es endlich begreifen. Frau Griefahn hat den Bürgerinnen und Bürgern in Lüchow-Dannen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge berg nach dem letzten Castor-Transpo rt folgendes ordneten der F.D.P.) mitgeteilt:

Herr Müller, Sie haben behauptet, daß Frau Mer- Im Verlauf der Transpo rt- und Einlagerungsvor- kel und wir alle von der CDU/CSU nach dem Prinzip gänge wurden auch zahlreiche weitere Messun- „Augen zu" vorgingen. Nach der Sitzung des Um- gen von verschiedenen Institutionen durchge- weltausschusses heute morgen sage ich, daß bei Ih- führt (z. B. GSF ... Eisenbahnbundesamt, Green- nen die Ohren zu sind, weil Sie die Fakten nicht zur peace, GNS, BLG, BfS). Trotz unterschiedlicher Kenntnis nehmen. Meßgeräte und Randbedingungen liegen die uns Frau Fuchs, in bezug auf den Standort Gorleben bekannten Meßergebnisse in einer vergleich- möchte ich Ihnen gern eines mit auf den Weg geben: baren Größenordnung weit unterhalb der für die Ich habe erlebt, was die Bundesregierung unter Hel- Polizeibegleitung festgelegten Grenzwerte. mut Schmidt wollte, umgesetzt und von Ernst Al- Das ist der B rief aus dem Hause Griefahn. brecht und den Kommunalpolitikern vor Ort verlangt hat. Sie sollten sich schämen, daß Sie diejenigen, die (Zurufe von der SPD: Das ist nicht wahr!) die Aufgabe der Entsorgung vor Ort ernst nehmen, vor diesem Parlament in einer solchen A rt und Weise - Doch! Hören Sie einmal zu! Das, was Sie hier be- beschimpfen. haupten, ist schlicht und einfach falsch. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21793

Kurt-Dieter Grill Am 19. Mai dieses Jahres haben Vertreter der Län- gangenheit bisher alle Warnungen in den Wind ge- der Saarland, Hessen, , Nordrhein-Westfa- schlagen. 'Sie haben einem Weiterbetrieb der Kern- len und Niedersachsen im Länderfachausschuß energie das Wo rt geredet; Sie haben sich um die Kernenergie folgende Feststellung getroffen: Ängste und Sorgen der Bürger nicht gekümmert; Sie haben bis heute kein Wort der Entschuldigung für Selbst bei einer hypothetisch angenommenen In- die Menschen gefunden, die in Ahaus und Gorleben korporation der gesamten auf einem Waggon ge- friedlich demonstriert haben. messenen Aktivität durch das Transportpersonal ist die dadurch erzeugte Dosis gering. Gefahren (Beifall bei Abgeordneten der SPD) für Mensch und Umwelt gehen von diesem Phä- nomen zumindest von den deutschen Transpor- Es ist verheerend, wenn sich eine Umweltministe- ten nicht aus. rin so eng an die Kernenergie anlehnt, wenn sie sich kritiklos auf die Seite der Kernenergie schlägt und Unterschrieben wurde dieser Be richt von Vertretern wenn sie kein Wort zum Ausstieg aus der Kernener- aus sechs sozialdemokratisch oder rotgrün regierten gie findet. Sie befürworten den Weiterbetrieb der Ländern. Ich frage Sie: Wo ist der Beweis für die Vor- Kernenergie und auch die weitere Durchführung von würfe gegen Frau Merkel? Castor-Transpo rten quer durch die Bundesrepublik, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die der damalige Wirtschaftsminister von Nordrhein Westfalen, Wolfgang Clement, völlig zu Recht als un- sinnig und als politische Provokation bezeichnet hat. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Grill, ich kann persönlich Ihre Erregung verstehen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) aber ich kann in diesem Hause - Sie mögen Ihre Aus- einandersetzung außerhalb dieses Hauses austragen Ich will mich dieser Äußerung ausdrücklich anschlie- - den persönlichen Vorwurf „Verleumder" nicht ste- ßen und ihn in seiner Meinung unterstützen. henlassen. Deswegen rufe ich Sie zur Ordnung. Frau Merkel, Sie beziehen sich immer wieder auf (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Herr die Bund-Länder-Vereinbarung aus dem Jahre 1979. Fischer wurde nicht gerügt! Unglaublich! - Sie sollten dann ehrlicherweise aber auch sagen, daß Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU] an Abg. diese Bund-Länder-Vereinbarung folgenden Punkt Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ beinhaltet: Zwischenlagerung erst dann, wenn die DIE GRÜNEN] gewandt: Sie sind ein übler Endlagerung gesichert erscheint. - Es gibt aber welt- Patron!) weit kein funktionierendes Endlager. Auch in der Bundesrepublik ist keines in Sicht. Das hat Sie aber Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Hans-Peter nicht daran gehindert, auf diesem Wege weiterzuge- Kemper. hen. Sie lösen das Problem auf Ihre Weise, indem Sie sagen: Ich erkläre die Endlagerung für gesichert. - Hans-Peter Kemper (SPD): Herr Präsident! Meine Damit ist das Problem für Sie vom Tisch. Dieses Vor- Damen und Herren! Ich will mich an der Diskussion gehen ist typisch für die Leichtfertigkeit, mit der Sie über Verleumdung und Nichtverleumdung hier nicht dieses Problem behandeln. Es ist auch typisch dafür, beteiligen. Ich will nur ein Wort des Kollegen- Fried- wie unsensibel Sie mit den Ängsten der Menschen in rich aufgreifen, der einige der Redner des heutigen diesem Bereich umgehen. Tages zum alten sozialdemokratischen Eisen gezählt hat. Ich denke, Herr F riedrich, daß auch ich dazuge- Ich will noch an folgendes erinnern: In der aufge- höre, weil ich nicht zur neuen Riege gehöre. Ich muß heizten Atmosphäre auf Grund der Transpo rte nach aber feststellen, daß auch Sie der Ministerriege nicht Gorleben haben Sie wenige Tage später erklärt: angehören und damit möglicherweise zum alten Ei- Transporte nach Gorleben sind nicht mehr durchzu- sen der CSU gehören. setzen. Wir müssen jetzt Transpo rte nach Ahaus ins Auge fassen. (Heiterkeit bei der SPD) Im Zusammenhang mit der Aussage, niemand Das ist ein Glück für Sie, denn dann wird Ihnen das wolle den Kalkarer Kern haben, haben Sie erklärt: Wahlergebnis vom 27. September nicht so weh tun. Wir müssen Ahaus als Lagerstandort für den Kalka (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) rer Kern ins Auge fassen. - Sie haben den Menschen im Kreis Borken und den Menschen in Ahaus folgen- Frau Merkel, ich habe Ihrer Rede sehr aufmerksam den Eindruck vermittelt: Weil sie sich in der Vergan- zugehört und mich gefragt: Wer redet do rt eigent- genheit gesetzestreu und besonnen verhalten haben, lich? Ist das eine Oppositionskollegin oder die verant- bekommen sie nun den gesamten atomaren Dreck wortliche Umweltministerin? der Bundesrepublik vor die Tür gekippt. Die heutige Debatte führen wir auf Grund der Wie wenig sensibel und wie uneinsichtig Sie mit Ignoranz und Inkompetenz dieser Bundesregierung diesem Problem umgehen, will ich an zwei Beispie- und ihrer Umweltministerin. len deutlich machen. (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Oh!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Es ist nicht die erste Debatte, die wir im Zusammen Kemper, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- hang mit dieser Frage führen. Sie haben in der Ver gen Dr. Gerhard F riedrich? 21794 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Hans-Peter Kemper (SPD): Nein, jetzt nicht. heitsgefühl der Bevölkerung. Wenn Sie in einer sol- chen Situation hingehen und die Polizei demotivie- Erstes Beispiel: Sie wußten seit dem 24. April 1998 ren und verunsichern, dann richten Sie schweren konkret um die Gefährdungslage. Sie hatten seit Schaden innerhalb der inneren Sicherheit an. Ende April den Kenntnisstand, den Sie heute haben. Dennoch lag im Innenausschuß ein Antrag vor, der (Vorsitz: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) sich mit der Problematik der Atomenergie befaßte. In Es wird deutlich, daß die innere Sicherheit bei dieser diesem Antrag wurde die Atomenergie als unver- Regierung und bei dieser Koalition in sehr schlechten zichtbar und verantwortbar dargestellt und weiteren Transporten nach Gorleben und Ahaus das Wo rt ge- Händen ist. redet, obwohl Sie damals seit 14 Tagen den heutigen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Kenntnisstand hatten. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist unerhört!) Wer so leichtsinnig mit den Gefühlen der Men- schen umgeht und wer so leichtfertig einen verläßli- Ein zweites Beispiel: Am 9. Mai hat der NRW-Tag chen Partner der Politik, nämlich die Polizei, demoti- der Jungen Union in Ahaus stattgefunden. Haupt- rednerin war Angela Merkel -14 Tage, nachdem Sie viert und verunsichert, der muß sich fragen lassen, ob er oder sie der richtige Mann oder die richtige den Kenntnisstand hatten, den Sie heute haben. Frau in diesem Amt ist. Sie sollten ernsthaft darüber (Anke Fuchs [SPD]: Das ist ja interessant!) nachdenken. Allein Ihr Auftritt an diesem Ort unmittelbar nach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne dem Castor-Transpo rt nach Ahaus war eine Provoka- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tion. (Beifall bei der SPD) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Der nächste Red- ner ist Dr. Klaus Lippold. Aber auch dort haben Sie keinerlei Nachdenklichkeit oder Einsicht erkennen lassen; denn Sie haben auf dieser Veranstaltung in Ahaus erklärt: Menschen Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): und Umwelt waren nicht gefährdet. Ich gehe davon Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und aus, daß bald wieder Transporte nach La Hague ge- Herren! Die Union läßt sich in nichts, aber auch in hen werden. Von Castor-Stopp, von Einsicht, von gar nichts in der Frage der Vorsorge übertreffen. Des- Nachdenklichkeit überhaupt keine Spur. halb haben wir der Frage deutlich Rechnung getra- gen: War eine Gefährdung für die Bevölkerung oder Ich will aber noch einen anderen Aspekt anspre- für die Polizei gegeben? chen, der bisher erst sehr wenig zur Sprache gekom- men ist. Castor-Transpo rte haben auch Bedeutung Jetzt zitiere ich Frau Griefahn 1997: „Diese Gefähr- für den Bereich der inneren Sicherheit. Viele zehn- dung hat es nicht gegeben. " Sie behaupten hier das tausend Beamte haben - unabhängig von ihrer per- Gegenteil. Hat Frau Griefahn damals gelogen? sönlichen Überzeugung, unabhängig davon, ob sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) für oder gegen Atomenergie, für oder gegen- Trans- porte sind - ihren Dienst verrichtet, indem sie die Ga- Wie ist denn der wahre Sachverhalt? Sie drehen es storen begleitet haben, über weite Strecken und sehr gerade so, wie Sie es brauchen. Es gibt keine interna- lange. Sie haben das getan im Vertrauen auf die Aus- tionale Institution, die heute nicht deutlich sagt: Es sage der Umweltministerin: Das ist ungefährlich. Ich gibt keine Gefährdung für die Bevölkerung, es gibt sage Ihnen: Diese Beamtinnen und Beamten fühlen keine Gefährdung für die Begleitmannschaften, es sich von der Umweltministerin heute belogen und gibt keine Gefährdung für die Polizei. getäuscht. (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Wor (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne über reden wir denn?) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was es gibt, sind Sozialdemokraten, die auf dieses Sie haben damit Ihre Fürsorgepflicht sträflich ver- Thema heute gar nicht eingegangen sind, weil sie nachlässigt. Sie haben die Polizei verunsichert und ihre Vorwürfe nicht belegen können. demotiviert . Ihre Inkompetenz ist auf dem Rücken (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Polizei ausgetragen worden. Es ist nur allzu ver- ständlich, daß die Gewerkschaft der Polizei eine An- Es gibt Sozialdemokraten, die hier als Ministerzög- zeige gegen Sie erstattet hat. Wenn Sie hier behaup- linge sitzen und nur noch Sinn dafür haben, was am ten, es handele sich bei dieser Anzeige der GdP um 27. September passiert. Aber denen ist die Gesund- eine unverantwortliche Stimmungsmache, dann heit der Bevölkerung und die Gesundheit der Polizei kann ich Ihnen nur sagen: Unverantwo rtlich ist das, schnurzegal. Das ist doch der Punkt. was Sie hier tun, nicht das, was die GdP macht. (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne bei der SPD) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dann wollen wir doch einmal sehen: Wie ist denn Wir können eine demotivierte Polizei gerade in das Interesse der Sozialdemokraten in den Ländern? dieser Situation nicht gebrauchen. Alle reden von in- Da schaue ich hier auf die Regierungsbank und do rt nerer Sicherheit. Alle reden vom subjektiven Sicher auf die Bundesratsbank und muß fragen: Wo sind Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21795

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) denn Ihre Leute, die sich der Länderverantwortung mit den Betreibern. Da will ich wissen: Was hat er ge- in diesem Zusammenhang stellen? tan? Zu welchen Ergebnissen hat das geführt? Dar- über soll Rechenschaft abgelegt werden. Deshalb Ich verstehe natürlich, daß Herr Fischer in dieser verstehe ich, daß Sie die Länder in diese Frage nicht Frage die Länderverantwortung vom Tisch bringen hineinziehen wollen. Denn dann müßten Sie das will, denn die Aufsichtspflicht liegt in erster Linie ganz deutlich auf den Tisch legen. Aus dieser Verant- klar und eindeutig bei den Ländern. wortung entlassen wir Sie nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und Jetzt zitiere ich den Kanzlerkandidaten, der zwar der F.D.P.) im Feingestreiften durchs Land geht, aber die Zu- Ich sage ganz deutlich: Für mich stellt sich nicht ständigkeiten nicht kennt und deshalb sagt, dafür sei die Frage über Frau Merkel. Für mich stellt sich die ausschließlich der Bund zuständig. Ich sage ganz Frage, ob Aufsichtsratsmandat und Aufsichtspflicht deutlich: Ihr Kanzlerkandidat sollte sich in der Sache miteinander vereinbar sind. Diese Frage will ich von firm machen, bevor er dazu eine Äußerung macht. Ihnen genauso beantwortet haben. Dann hat er gesagt, diese Bundesregierung lasse (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sich von der Wirtschaft über den Tisch ziehen. Da mauscheln Sie herum und stellen sich hier als Saubermänner hin. Das können Sie dann machen, Herr Lippold, ge- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: wenn nicht ich ans Rednerpult gehe. statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Struck? (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Solange wir hier aufpassen, kommen Sie aus der Nein. - Jetzt kommen wir zu einem ganz sensiblen Ihnen zuzuordnenden Verantwortung nicht heraus. Punkt: Wen kontrolliert Herr Schröder eigentlich in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident des Landes Deshalb: Stellen Sie sich hier hin und sagen Sie, Niedersachsen im Aufsichtsrat eines großen Kraft- was in den Ländern geschehen ist! Dann können wir werkbetreibers? Kontrolliert Herr Schröder sich miteinander diskutieren. Bis dahin übernehmen wir selbst? Darauf möchte ich eine Antwort haben. voll die Vorsorge für die Bevölkerung und für die Polizei und sorgen dafür, daß keine Gefährdungen (Kerstin Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ auftreten. NEN]: Schreien Sie doch nicht so! Wir sind doch nicht taub!) Vielen Dank. Kontrollierte Frau Griefahn sich selbst? Darauf (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und möchte ich eine Antwort haben. Kontrollierte Herr der F.D.P.) Möller sich selbst? Darauf möchte ich eine Antwort haben. Denn auch der Aufsichtsrat gehört zum Un- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer ternehmen, und der Aufsichtsrat hat Verpflichtun-- Kurzintervention hat der Kollege Struck. gen. Ich möchte wissen: Was hat das neue Aufsichtsrats- Dr. Peter Struck (SPD): Herr Kollege Lippold, wer mitglied Schröder in seiner Verantwortung als Auf- schreit, hat unrecht; das möchte ich als erstes sagen. sichtsratsmitglied gemacht? (Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU sowie CSU und der F.D.P.) bei Abgeordneten der F.D.P.) Daß Ihre Fraktion Ihre Rede mit bierzeltartigem Bei- Wo hat er intern einen Auftrag vergeben, nachzuprü- fall belohnt, spricht nicht unbedingt für die Qualität fen, wo Versäumnisse sind? der Rede. Herr Kollege Lippold, Sie haben überhaupt nichts zur Sache gesagt. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Worüber reden Sie eigentlich?) (Widerspruch bei der CDU/CSU - Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Natür Können Sie belegen, daß dieser Auftrag da ist, oder lich, Sie haben es nur nicht verstanden!) können Sie es nicht? Hat er wieder einmal nur ge- schwätzt, und muß er in der nächsten Runde nach Ih- Ich stelle Ihnen jetzt eine Frage: Ist Ihnen vielleicht ren Interventionen wieder zurücknehmen, was er im Eifer der feurigen Rede der Satz durchgegangen, vorher gesagt hat? uns Sozialdemokraten sei die Gesundheit von Poli- zeibeamten völlig gleichgültig (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Pause! Holen Sie (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Schnurz!) einmal Luft!) - schnurz -, und sind Sie bereit, ihn zu korrigieren? Das ist doch der Sachverhalt; da entlassen wir Sie Ich will Ihnen, Herr Lippold, konzedieren, daß in nicht aus der Verpflichtung. einer solchen Rede, einer solchen Debatte so etwas schon einmal passieren kann. Aber dann wäre ich Ih- Hier draußen sagen Sie, die Indust rie ziehe Sie nen dankbar, wenn Sie das gleich korrigierten. Wenn über den Tisch. Aber Sie ziehen mit der Indust rie, Sie allerdings dabei bleiben, dann will ich Ihnen sa- 21796 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Dr. Peter Struck gen: Wenn das die Art und Weise der Auseinander- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungs- setzung im Bundestagswahlkampf ist, dann können antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. Sie sich auf einiges gefaßt machen. gegen die Stimmen von SPD, (Beifall bei der SPD) (Walter Hirche [F.D.P.]: Gegen wenige Stim men der SPD!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Lippold. Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Struck, ich habe gedacht: Jetzt kommt auf Drucksache 13/10813. Wer stimmt für diesen Ent- ein Sozialdemokrat mit einem fundierten Beitrag. schließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Zum erstenmal bin ich von Ihnen enttäuscht. Ich sage ganz deutlich, warum. (Unruhe bei der CDU/CSU) Wenn Sie nicht verstanden haben, was ich zur Sa- Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von che gesagt habe, können wir das in einem Privatissi- CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von Bünd- mum gleich nachholen. Ganz wesentlich ist, daß wir nis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der SPD die Zuständigkeiten herausgestellt haben, daß wir abgelehnt. deutlich gemacht haben, daß keine Gefährdung für die Bevölkerung besteht, daß keine Gefährdung der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Polizei vorhanden ist. Fragestunde (Zurufe von der SPD) - Drucksachen 13/10757, 13/10778 - - Das ist alles zur Sache, Herr Struck. Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Dann habe ich gesagt, daß Ihre Leute heute an der Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Diskussion, die ja von der Gefährdung ausging, über- Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht der Parla- haupt kein Interesse mehr gezeigt haben. Sie haben mentarische Staatssekretär Walter Hirche bereit. Wir heute nur noch versucht, mit Informationslücken zu beginnen mit der Dringlichen Frage 1 des Abgeord- argumentieren - die ich persönlich geißele, Herr neten Dr. Helmut Lippelt: Struck, und zwar schärfer als Sie, denn Sie haben Gedenkt die Bundesregierung der Aufforderung des österrei- dies gerade nicht angesprochen. Diese Informations- chischen Umweltministers Martin Bartenstein nachzukommen, lücken haben nicht wir zu verantworten, sondern vor Aufnahme des Probebetriebes die Sicherheitsauflagen des die, die in den Wirtschaftsunternehmen sitzen und slowakischen Atomkraftwerkes Mochovce zu überprüfen, des- von denen ich schon in x Interviews ganz deutlich sen Bau Deutschland mit Kreditbürgschaften unterstützt hat, und von wem wird diese Überprüfung ggf. vorgenommen wer- gesagt habe, daß wir sie zur Rechenschaft ziehen den? werden, wenn nachgewiesen werden kann, daß sie (Unruhe) davon gewußt und nicht gehandelt haben. -Das alles ist bei Ihnen heute nicht mehr zum Tragen gekom- men. - Ich bitte diejenigen, die nicht mehr hier sein wollen, jetzt auch hinauszugehen. - Herr Staatssekretär! Ich sage es einmal so: Daß Sie keinen einzigen Satz zur Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder in den Gremien gesagt haben, ist entlarvend. Das Walter Hirche, Pari. Staatssekretär bei der Bundes- heißt doch im Klartext, daß Sie von dieser Kernfrage ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- ablenken wollen. cherheit: Frau Präsidentin! Herr Kollege Dr. Lippelt, zu Ihrer Frage 1 sage ich: Die Bundesregierung ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Auffassung, daß die slowakische Seite den von der Europäischen Kommission beauftragten interna- Ich verstehe das, Herr Struck. Es ist Ihre Aufgabe tionalen Experten die sicherheitstechnischen Unter- als Parlamentarischer Geschäftsführer, daß Sie denje- lagen kurzfristig zugänglich machen sollte, damit nigen, der auf einen bestimmten Stuhl möchte, aber diese sich selbst ein belastbares Bild von der Sicher- nicht dort hinkommt, in Schutz nehmen müssen. heit des Kernkraftwerkes Mochovce machen können. Aber Sie haben es heute in einer vergleichsweise Dies steht in Übereinstimmung mit dem österreichi- schwachen Form getan. schen Wunsch nach weiterer Aufklärung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Im Rahmen multilateraler Zusammenarbeit, insbe- sondere durch das PHARE-Programm der Europäi- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich schließe die schen Union, wie auch in bilateraler Zusammenarbeit Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den werden unter anderem von der Gesellschaft für Anla- Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf gen- und Reaktorsicherheit, GRS mbH, mit der slo- Drucksache 13/10820. Wer stimmt für diesen Ent- wakischen atomrechtlichen Aufsichts- und Genehmi- schließungsantrag? - gungsbehörde Untersuchungen und Gespräche zur Sicherheit des KKW Mochovce mit dem Ziel geführt, (Zuruf von der CDU/CSU: Von denen ist daß alle international für erforderlich erachteten doch niemand mehr da!) Nachrüstmaßnahmen realisiert werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21797

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage, Herr sage der GRS deutlich macht, daß die Bedingungen, Dr. Lippelt. die Deutschland an den Hermes-Kredit gestellt hat, nicht erfüllt worden sind? Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für diese Aus- Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- kunft. Weshalb hat Ihr Ministerium es bisher so er- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- scheinen lassen, als mäßen Sie den österreichischen cherheit: Es ist ja so, daß bei diesen Feststellungen, Bewertungen nur wenig Wert bei? Ich zitiere nur ei- Herr Abgeordneter, von den Punkten auszugehen nen Satz des Sprechers Ihres Ministeriums: „Wir ha- ist, zu denen uns Informationen übermittelt worden ben keine Veranlassung, an den sicherheitstechni- sind. Es ist in der Tat richtig, daß uns zu einigen schen Fortschritten zu zweifeln." Punkten noch keine Dokumentationen vorliegen und wir deswegen die slowakische Seite aufgefordert ha- Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ben, uns diese Dokumentationen zu übermitteln, ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- weil die slowakische Seite erklärt hat, daß die ent- cherheit: Dieser bei Ihnen möglicherweise entstan- sprechenden Nachbesserungen - auch zu den Punk- dene Eindruck ist von vornherein un richtig. Wir ha- ten, die Sie als noch nicht abgearbeitet benennen - ben uns intensiv darum bemüht, durch bestimmte erfolgt seien. Wir können das nicht nachprüfen, so- Maßnahmen konkrete Nachrüstungen zu erreichen. lange uns die Dokumentationen dazu nicht vollstän- Hierzu hat es einen Meinungsaustausch und sehr dig vorliegen. konkrete Kooperationen mit den slowakischen Be- hörden gegeben. Wir haben das weniger über die Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Ku- Presse vermittelt, weil wir nicht den Eindruck hatten, batschka. daß sich die slowakische Seite von der intemationa- len Presse beeindrucken läßt. Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben von konkreten Maßnahmen gesprochen. Wel- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zweite Zusatz- che waren das? frage. Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Von slowakischer Seite, nämlich vom Staatspräsiden- cherheit: Herr Abgeordneter, es hat ja im Zusammen- ten, sind dazu ja sehr ablehnende Äußerungen ge- hang mit dem ganzen Bereich der Nachrüstung und macht worden. Insofern bestand doch der Eindruck - der Änderungen am KKW Mochovce viele Maßnah- dieser ist über die Presse vermittelt worden, der Ihre men gegeben. Ich denke zum Beispiel an die Auf- Erkenntnisse noch gar nicht zugrunde lagen -, daß wärmung des Inhaltswassers des Notspeisewasser- Sie sich überhaupt nicht kümmerten. Ist Ihnen das behälters oder an neue Druckhaltersicherheitsven- nicht aufgefallen? tile. Als drittes will ich noch die Installation von Ke rn -flutbehältern nennen. Es gibt eine Reihe von Spezial- Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- maßnahmen, die dort ergriffen worden sind. Insbe- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- sondere ist es so gewesen, daß wir den Aufsichtsbe- cherheit: Der Eindruck ist unberechtigt. Denn, Herr hörden über die GRS mit Rat zur Verfügung gestan- Abgeordneter, auch die österreichische Regierung, den haben. Dieser Rat ist in Teilbereichen auch ange- bei der Sie besondere Unterstützung vermuten, hat nommen worden. in all diesen Fragen immer wieder versucht, und Im übrigen wissen Sie, daß auch die österreichi- zwar mit unserer positiven Resonanz, Deutschland sche Expertenkommission, auf die wir nachher si- als einen Gesprächspartner einzuschalten, der ganz cherlich noch zu sprechen kommen werden, versucht offenkundig größere Einwirkungsmöglichkeiten auf hat, unseren Rat mit einzubeziehen, weil in a ll diesen die Entscheidungen der slowakischen Behörden hat. Gesprächen deutlich geworden ist, welch herausra- Dies geschah möglicherweise deshalb, weil wir uns gende Stellung - im Unterschied zu den Vorwürfen, weniger öffentlich, als vielmehr konkret hilfreich ge- die vorhin in der Debatte gegenüber der GRS erho- äußert haben. ben worden sind - die GRS mit ihren Fachleuten in den Augen sowohl der Slowaken als auch der Oster- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege reicher genießt. Behrendt. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich rufe die Dring- Wolfgang Behrendt (SPD): Herr Staatssekretär, Sie liche Frage 2 des Abgeordneten Dr. Lippelt auf: haben in Ihrer Antwort soeben erwähnt, daß die GRS Welchen Stellenwert mißt die Bundesregierung der Warnung im Rahmen des PHARE-Programms der EU eine Un- des Leiters der internationalen Expertenkommission zu Mo- tersuchung der Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt chovce vor der Aktivierung des Reaktors bei, weil dadurch Si- hat, Ich habe an Sie die Frage: Wie bewe rten Sie im cherheitsmängel geschaffen würden, „die später nicht mehr Rahmen dieser Untersuchung die Feststellung, daß oder nur noch mit enormen Kosten aufzuheben wären"? vom Betreiber von Mochovce nur 56 von 89 erforder- lichen Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt worden Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- sind, und würden Sie mir zustimmen, daß diese Aus- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- 21798 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Parl. Staatssekretär Walter Hirche sicherheit: Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter! Verbesserungen hinzuwirken. In Deutschland haben Nach den der Bundesregierung vorliegenden Unter- Sie als Partei sich daran beteiligt. International hat lagen der österreichischen Expertenkommission wird sich auch Österreich beteiligt. Es hat dann heftige von dieser nicht behauptet, daß mit der Inbetrieb- Diskussionen gegeben. Die Slowakei hat ihren An- nahme des Reaktors Sicherheitsmängel geschaffen trag auf Kreditgewährung zurückgezogen und ge- werden, die später nicht behoben werden können. sagt: Wenn ihr uns hineinreden wollt, dann finanzie- ren und machen wir das ganz alleine. In einem der Bundesregierung zugeleiteten Aide Mémoire wird um Unterstützung der österreichi- Deswegen haben diejenigen, die dazu beigetragen schen Haltung gebeten, daß die slowakische Seite haben, daß das Kreditverfahren der EBRD geschei- die für den 20. Mai geplante erste Aktivierung des tert ist, ein sehr großes Stück Verantwortung daran, Reaktors vom KKW Mochovce verschiebt - das ist ge- daß sich die Situation so entwickelt hat, wie es sich schehen -, damit nicht - ich zitiere aus dem Aide Mé- jetzt darstellt. moire - „allenfalls notwendige Reparaturmaßnah- Die Bundesregierung hat dagegen immer versucht, men nach der Aktivierung des Reaktors nur mit gro- durch konkrete Hilfeleistung einzuwirken - ange- ßen Problemen und unter hohen Kosten durchgeführt sichts der offensichtlichen Finanzprobleme, die in werden können". diesem Zusammenhang in der Slowakei vorhanden Das Sicherheitsbedenken der österreichischen Ex- sind, und auch angesichts des Energiebedarfs, der perten bezieht sich in erster Linie auf eine mögliche auf Grund der sozialen Probleme in diesem Lande Versprödung des Reaktordruckbehälters. Es gibt an- gedeckt werden muß. erkannte wissenschaftlich-technische Verfahren, die Ich begrüße es außerordentlich, daß die österrei- beim Auftreten dieses Phänomens zur Anwendung chische Regierung nach einer Meldung der „Süd- zu bringen sind. Die Bundesregierung ist der Auffas- deutschen Zeitung" vom heutigen Tage unter Ände- sung, daß diese Verfahren in vollem Umfang einge- rung ihrer bis gestern eingenommenen Position nun setzt werden sollen, um die Versprödung so gering durch Kabinettsbeschluß festgelegt hat, dem Nach- wie möglich zu halten. barland finanzielle Unterstützung zur Behebung der Nach Ansicht der Bundesregierung sind den von aufgetretenen Mängel anzubieten. Die österreichi- der Europäischen Union beauftragten Experten die sche Regierung geht damit den gleichen Weg wie die entsprechenden Sicherheitsdokumentationen von deutsche Bundesregierung im Zuge der Gewährung der slowakischen Seite kurzfristig zur Verfügung zu konkreter finanzieller Hilfen, um auf Verbesserun- stellen. gen bei der Sicherheitstechnik einzuwirken. Ich denke, daß wir auf diesem Weg erfolgreich sind.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage. Wir haben deswegen in der Slowakei die abschlie- ßende Dokumentation eingefordert. Ich denke, daß dies am Ende einen größeren Erfolg haben wird als Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Bemühungen der internationalen Expertenkom- Herr Staatssekretär, da Sie das Problem, daß dieser mission. Bezogen auf Ihre Frage kann ich Ihnen kei- Reaktor keinen Berstschutz hat und daß dementspre- nen Zeitpunkt nennen. Ich gehe davon aus, daß wir chend Versprödungsprobleme schon eine sehr ernste diese Dokumentation bekommen, damit unsere Be- Sache sind, wahrscheinlich kennen, darf ich Sie im sorgnisse ausgeräumt werden. Hinblick darauf, daß die Mochovce-Debatte schon lange läuft und der Reaktor in dieser Woche angefah- ren werden sollte, fragen: Warum ist die Bundesre- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zweite Zusatz- gierung nicht früher darauf aufmerksam geworden, frage, Herr Lippelt. daß man hier energisch hinterhergucken muß, und wieviel Zeit hat Ihnen die Slowakei denn jetzt zur Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Prüfung der Unterlagen zugesichert, das heißt, wie- Herr Staatssekretär, weil Sie so eindringlich geschil- viel Zeit hat sie zugesichert, bevor sie den Reaktor dert haben, wie schwierig die Verhandlungen mit dann doch in Gang setzt? den Slowaken waren und daß es zum Abbruch der Kreditgewährung durch die EBRD kam, frage ich mich natürlich: Wie konnten Sie in dieses Geschäft Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- überhaupt einsteigen, obwohl doch ganz klar ist, daß cherheit: Herr Abgeordneter, zunächst einmal unter- Sie es hier mit jemandem zu tun haben, der diktatori- streiche ich, daß wir heute in diesem Haus nicht zum sche Gelüste hat und sich daher auch nicht leicht erstenmal über das Thema diskutieren. Bei früheren reinreden läßt? Debatten hat es einen sehr tiefgreifenden Dissens in Nun haben Sie im letzten Moment das Anfahren der Frage gegeben, wie man auf die slowakische Re- des Reaktors noch etwas hinausgeschoben. Finden gierung einwirken kann, die in souveräner Entschei- Sie nicht auch, daß Sie wirkliche Zusagen brauchen, dung und unter Zurückweisung jeder Einmischung um genügend Zeit zur Prüfung zu haben, bevor er von außen die Probleme lösen will, die sie im eigenen angefahren werden soll? Land in diesem Zusammenhang hat. Da war die Position der Bundesregierung, im Rah- Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- men der EBRD und des ursprünglich beantragten ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Kreditverfahrens über Kreditvergabe auf konkretere cherheit: Herr Kollege, ich begrüße Ihre Frage sehr, Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21799

Parl. Staatssekretär Walter Hirche weil sie es ermöglicht, auf einen Punkt aufmerksam Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- zu machen, der in anderen Zusammenhängen, etwa ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- bei der Frage, unter welchen Bedingungen der Frie- sicherheit: Frau Präsidentin und Frau Kollegin, ich denseinsatz von Truppen erfolgt, bestimmte morali- weiß jetzt nicht genau, ob ich nicht schon Teile der sche Gesichtspunkte in ein neues Licht bringt. Antwort auf Ihre Frage, die Sie gestellt haben, vor- wegnehme. Aber sei es drum. Zunächst einmal geht die Bundesregierung weiter davon aus, daß nicht der Abbruch von Gesprächen Zunächst einmal stelle ich fest: Die EBRD hat kei- und die Verdammung von Gesprächspartnern, auch nen Kredit abgelehnt. Vielmehr hat die slowakische nicht das Fingerzeigen auf Gesprächspartner Pro- Regierung vor der Entscheidung ihren Antrag zu- bleme löst. Diese kann man nur im Dialog bewälti- rückgezogen. Das macht schon einen kleinen Unter- gen. Wir haben die Linie über den EBRD-Kredit und schied aus. Damit war uns aber die Möglichkeit der auch über die Hermes-Bürgschaft - darauf komme Einwirkung versperrt. Wir versuchen jetzt, über die ich noch - verfolgt, weil es dadurch konkrete Verbes- Hermes-Bürgschaften, die an Siemens gegeben wor- serungen gibt. den sind, in den Fragen der Sicherheitstechnik eine Verbesserung zu erreichen. Wir sind uns sicher, daß Ich will aber in aller Deutlichkeit sagen: Die Ent- uns das gelingen wird. scheidung, ob ein Reaktor in einem bestimmten Staat Darüber hinaus benutzen wir dies sozusagen als angefahren wird oder nicht, fällt nicht in der Bundes- Türöffner, um über alle Fragen der Sicherheit zu re- republik Deutschland. Diese Entscheidung trifft jeder den. dieser Staaten souverän für sich allein. Gerade die Staaten in Mittelosteuropa verbitten sich auf Grund Ich bin wirklich erfreut darüber, daß die österrei- der historischen Erfahrungen in diesem Jahrhundert chische Regierung den Weg, den die Bundesregie- in besonderer Weise, daß sie aus Deutschland belehrt rung seit langem gegangen ist, inzwischen auch ge- werden. Deswegen befinden wir uns in einem ganz hen will, weil sie sieht, daß Dialog mehr bringt als die schwierigen Überzeugungsprozeß. Veröffentlichung von Interviews in Zeitungen.

Ich möchte um Verständnis dafür bitten, daß es in Darf ich mit dem einer solchen Situation immer besser ist, wenigstens Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Einverständnis der anderen Fragesteller vorschlagen, etwas zu erreichen, also zum Beispiel dieses Versprö- daß diese Frage gleich im Zusammenhang - falls dungsproblem anzugehen, anstatt zu sagen: Wir kla- noch etwas zu ergänzen ist - beantwortet wird? Sie gen die Leute an; dann haben wir ein reines Gewis- kommen gleich an die Reihe. Es handelt sich ja um sen, daß wir unsere Position vertreten haben; alles den gleichen Kontext. andere ist uns egal! Ich rufe die Dringliche Frage 3 der Abgeordneten Die Bundesregierung begibt sich hier in einen kon- Schönberger auf: struktiven und kritischen Dialog. Möglicherweise er- reichen wir am Ende nicht all das, was wir wollen. Welche vertraglichen Möglichkeiten hat die Bundesregie- rung, vor Aufnahme des Probebetriebes die Einhaltung der Si- Ich glaube aber, es ist trotzdem verantwortungsbe- cherheitsauflagen des slowakischen Atomkraftwerkes Mochov- wußter, in diesen Dialog zu gehen, statt die Hände in ce durchzusetzen, dessen Bau Deutschland mit Kreditbürg- den Schoß zu legen. schaften unterstützt hat, und beabsichtigt sie, diese Möglich- keiten auszuschöpfen?

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Schönberger, Walter Hirche, Parl. Staatssekretär der Bundesmi- bitte. - nisterin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: Ich möchte eine kurze Ergänzung zu der Ant- Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch sagen: wort auf Frage 3 anbringen. Die Bundesregierung kurze Fragen, kurze Antworten. Ansonsten befürchte glaubt, daß sie mit der Hermes-Bürgschaft insofern ich, daß wir diesen Komplex in einer Stunde noch einen Beitrag dazu leisten kann, daß die erforderli- nicht abgeschlossen haben. chen Nachrüstungen im sicherheitstechnischen Be- reich nach westeuropäischem Standard erfolgen kön- nen. Denn dabei geht es um die Lieferung von be- Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sonders sicherheitsrelevanter Leittechnik durch die Herr Staatssekretär, es geht nicht nur um einen Dia- Firma Siemens. Nach dem Scheitern des EBRD-Pro- log mit der Slowakei, sondern auch darum, daß Sie jekts hat sich die Bundesregierung damit angesichts die Fertigstellung von Mochovce über die Hermes- der von der slowakischen Regierung beschlossenen Kreditbürgschaften im Namen Deutschlands finan- Fertigstellung des Kernkraftwerks Mochovce für die ziert haben, obwohl Europa, obwohl die EBRD dies Erhöhung der nuklearen Sicherheit in einem sehr abgelehnt hat. sensiblen Bereich eingesetzt. Sie haben gesagt: Es gibt offensichtlich Finanzpro- Die Bundesregierung hat im übrigen keine ver- bleme in der Slowakei. Wird nicht umgekehrt ein traglichen Einwirkungsmöglichkeiten. Bei der Zu- Schuh daraus? Dieses Atomkraftwerk hätte über- sammenarbeit auf dem Gebiet der kerntechnischen haupt nicht fertiggestellt werden können, wenn es Sicherheit setzen wir auf einvernehmliche Abspra- nicht die deutsche Unterstützung dafür gegeben chen und Lösungen mit der slowakischen atomrecht- hätte - für ein Atomkraftwerk, das keinen Berst- lichen Aufsichts- und Genehmigungsbehörde. Wir schutz besitzt. versuchen, alles, was wir tun, mit der EU und den 21800 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Parl. Staatssekretär Walter Hirche entsprechenden Gremien do rt abzustimmen, weil wir Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): glauben, daß wir mit dieser Vorgehensweise unse- Sie haben ausgeführt, die Hermes-Bürgschaften zu- rem Ziel, mehr Sicherheit, näherkommen. Denn die rückzuziehen, gehe gar nicht mehr. Außerdem hätten EU wird ja irgendwann einmal über einen möglichen Sie keinen Anlaß, an den Erklärungen der Regierung Beitritt der Slowakei entscheiden müssen. zu zweifeln. Das sei dahingestellt! Das heißt de facto: Auch wenn Mochovce in Bet rieb geht, ohne daß die Sicherheitsauflagen erfüllt sind, und Bohunice nicht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Schönberger. nach einem Jahr abgeschaltet wird, gibt es keine Möglichkeit, die Hermes-Bürgschaft zurückzuzie- Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hen. Habe ich Sie da eben richtig verstanden? Habe ich Sie bei Ihrer Antwort richtig verstanden, daß es keine Möglichkeiten gibt, über Regelungen - welcher Art auch immer - im Rahmen der Hermes Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Bürgschaften die Aufnahme des Probebetriebes zu ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- verhindern, bevor nicht die Sicherheitsauflagen, die sicherheit: Frau Kollegin, das geht schon vom Verfah- ja mit den Hermes-Bürgschaften verknüpft waren, ren her gar nicht. Wenn eine Bürgschaft gegeben erfüllt sind? Und: Gilt dies gleichzeitig für die Ab- wurde, dann wird sie zu einem bestimmten Zeit- schaltung von Bohunice? Das heißt: Sind wir jetzt in punkt fällig. Sie verkennen da die Sachverhalte. einer Situation, daß schon Gelder geflossen sind und Viel wichtiger ist mir, in diesem Zusammenhang wir auf das Goodwill der Slowakei angewiesen sind, noch einmal festzuhalten, daß - entgegen dem, was daß also eine eventuelle Nicht-Abschaltung von Bo- in der Frage 2 von Herrn Dr. Lippelt so zweideutig hunice nicht verhindert werden kann? formuliert worden ist - auch die österreichische Ex- pertenkommission, jedenfalls nach dem Zwischenbe- Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- richt, der uns gestern abend übermittelt worden ist, ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- nicht von nicht behebbaren Sicherheitsmängeln aus- cherheit: Ich darf darauf hinweisen, daß die Erteilung geht. Vielmehr seien die Mängel nachträglich nur der grundsätzlichen Zusage für eine Hermes-Dek- „mit Problemen und zu hohen Kosten" zu bereini- kung, die im Mai 1996 erfolgt ist, an die schriftliche gen. Das ist ein Unterschied zu der Annahme, die Si- Erklärung von Siemens gebunden war, wonach der cherheitsmängel seien sozusagen unüberwindbar. Sicherheitsstandard im Rahmen des jetzigen Projekt- Wir bemühen uns im Dialog mit der slowakischen konzepts dem seinerzeitigen, unter Mitwirkung der Seite, daß bestimmte Maßnahmen - ich habe das GRS erstellten - aber nicht verwirklichten - EBRD- ausgeführt: das ist aus Aspekten der Sicherheit sinn- Konzept entspricht. Anläßlich der Unterzeichnung voll und liegt, wie wir meinen, durchaus auch im des Kreditvertrages im Mai 1996 hat der damalige wirtschaftlichen Interesse der Betreiberseite - jetzt slowakische Wirtschaftsminister Ducky - das zu dem vorgenommen werden und nicht erst nach Anlaufen zweiten Teil Ihrer Frage - die Absicht seiner Regie- des Betriebes. rung bekräftigt, die Blöcke I und II des Kernkraftwer- kes Bohunice nach einem Jahr zuverlässigen Be- triebs von Mochovce abzuschalten. In bezug auf Zunächst Herr - Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: -diese Position ist Ende März dieses Jahres beim G Behrendt. 24-Meeting noch einmal bestätigt worden, daß die Slowakei zu ihrer Erklärung von früher steht. Wolfgang Behrendt (SPD): Ich habe eine Zusatz- Wir nehmen das zur Kenntnis. Wenn Regierungs- frage zu der Frage 2 und eine zu der Frage 3. vertreter das erklären, haben wir auch keine Veran- Herr Staatssekretär, Sie haben die Bedeutung des lassung, daran zu zweifeln. Denn das würde uns im österreichischen Gutachtens zur Neutronenversprö- Dialog und in unserem Bestreben, auf Grund von Si- dung des Reaktordruckbehälters so ein bißchen cherheitsinteressen Einwirkungen vorzunehmen, nur heruntergespielt. Ist Ihnen bekannt, daß die österrei- zurückwerfen. Wir werden die Entwicklung abwar- chische Sicherheitskommission mit ihren Erkenntnis- ten müssen. sen - daß diese Neutronenversprödung ein ernstes Ich will noch einmal ganz klar sagen: Die Bundes- Problem für Mochovce darstellt - durchaus nicht republik Deutschland hat keinerlei Möglichkeiten, alleine dasteht, sondern schon im Dezember 1994 in einem anderen Staat in vertraglichen Beziehungen einem Bericht eines deutsch-französischen Experten- vorzuschreiben, was diesbezüglich zu passieren hat. teams die Forderung erhoben wurde, die Neutronen- Wenn wir die Hermes-Bürgschaft zurückziehen wür- strahlenbelastung von Betriebsbeginn an wirksam den - was gar nicht mehr geht, also nur hypothetisch herabzusetzen? Schon damals wurde diese Forde- angenommen -, wäre ein Weniger an Sicherheit die rung von den Betreibern des Kernkraftwerkes in einzige Konsequenz. Ich glaube nicht, daß es einen Mochovce nicht aufgegriffen. Inzwischen liegen Abgeordneten in diesem Hause gibt, der der Bundes- neue Sicherheitsberechnungen vor, nach denen sich regierung empfiehlt, weniger an Sicherheit anzustre- dieses Problem im Vergleich zu den Erkenntnissen ben, als möglich ist. aus dem Jahre 1994 um ein Vielfaches verschärft hat.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Sie haben die Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Möglichkeit einer zweiten Zusatzfrage. Ich darf Sie ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- noch einmal darum bitten, sich kurz zu fassen. sicherheit: Herr Kollege, ich habe ausdrücklich be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21801

Parl. Staatssekretär Walter Hirche stätigt, daß auch die Bundesregierung in dem Thema werden, damit die Dinge eben nicht erst in ferner der Versprödung der Behälter ein langfristiges Pro- Zeit, wenn das Problem konkret auftreten könnte, blem sieht. Es verbietet sich mit Blick auf die Zeit, in sondern in einem früheren Zeitraum angegangen die Sache tiefer einzusteigen. Nur soviel: Versprö- werden. Ich bin gern bereit, Sie in einer Zusatzinfor- dungsgefahr bedeutet in diesem Zusammenhang, mation auch schriftlich darüber zu informieren, was daß Materialien, die - ich sage das vereinfacht - auf sich da denken läßt. Aber ich bitte um Verständnis - eine Betriebszeit von 40 Jahren ausgelegt sind, schon auch um einem Techniker gegenüber nichts Falsches nach 20 Jahren, also der halben Bet riebszeit, be- sagen zu müssen -, daß ich das jetzt nicht im Detail stimmte Ermüdungserscheinungen aufweisen. Diese ausführen möchte. Mängel lassen sich durch Nachglühen, also mittels zusätzlicher Maßnahmen, beheben, oder man trifft gleich zu Beginn bestimmte andere Maßnahmen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Lippelt. Wir würden immer empfehlen, möglichst zu Be- ginn Maßnahmen zu treffen; denn die Kosten, die im Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Laufe des Prozesses auftreten, sind nicht geringer, Herr Staatssekretär, würden Sie mir widersprechen, wenn man sie auf das Ganze umrechnet. Aber es ent- wenn ich sage, daß ich nach all dem, was ich von Ih- stehen keine Sicherheitsprobleme dadurch, daß der nen gehört habe, zu der genau entgegengesetzten Reaktor jetzt angefahren wird. Vielmehr entstehen Interpretation komme? Meciar lehnte EBRD-Kredite sie wegen der Versprödung in einem bestimmten ab. Siemens war sehr interessiert, trotzdem zu liefern. Zeitpunkt. Das leugne ich in keiner Weise. Im Ge- Sie sicherten das durch Hermes-Bürgschaften ab. genteil: Das ist ein Gesprächsthema, und es ist - da Das bedeutet aber, daß Sie sich in die Gefahr mit kann man den Bericht der Österreicher durchaus un- Herrn Meciar und seinem Atomkraftwerk hineinbe- terstreichen - sozusagen der zentrale Punkt, über gaben, während Sie vorhin doch sagten, daß bei der den wir uns auch weiter unterhalten werden. bekannten engen Kassenlage für die slowakische Seite ein Problem bestand. Weshalb haben Sie Siemens überhaupt so hilfreich unter die Arme ge- Wolfgang Behrendt (SPD): Darf ich gleich meine griffen, statt den Reaktor zu verhindern? Zusatzfrage zu der Frage 3 anschließen?

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wir gehen in der Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Reihe der Wortmeldungen jetzt weiter. Wir werden ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- diesen Komplex gleich abschließen müssen. cherheit: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß die Hermes-Bürgschaft von Siemens dazu führt, Herr Kubatschka. die Leittechnik, das heißt den Sicherheitsbereich des Kraftwerks nach westeuropäischem Standard deut- Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, Sie lich zu verbessern. Wenn das Geld nicht zur Verfü- weisen darauf hin, daß die Versprödung ein langwie- gung gestellt worden wäre, wäre das nicht passiert. riges Problem ist: Das ist es bei jedem Kernkraftwerk. Es wäre eine Technik zur Anwendung gekommen, Die Schwierigkeit ist, daß wir den Zeitpunkt, zu dem die wir für sicherheitsbedenklich halten. Ich stelle die Stabilität des Sicherheitsbehälters durch diese nur fest, daß seitens der Fraktion der Grünen jetzt Versprödung am Ende ist, nicht kennen. Aber wie eine Forderung kommt, kein Bundesgeld für die Ver- wollen Sie dann dieses Problem jetzt lösen? Heißt besserung der Sicherheit im Kraftwerksbereich zu das, daß Sie jetzt den Sicherheitsbehälter - Entschul- geben, mit einer Begründung, Herr Lippelt, über die digung, nicht Sie, aber die Betreiber - vor Ort durch ich Sie noch einmal nachzudenken bitten würde. Nachglühen der Stähle und so weiter behandeln? Das ist ja abenteuerlich. Die slowakische Regierung hat sich aus - wie sie uns sagt - sozialen oder Arbeitsplatzgründen und wegen der Notwendigkeit, Energie für Wirtschafts- Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- prozesse bereitzustellen, für den Bau dieses Kraft- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- werks entschieden. Wir hätten das vielleicht anders cherheit: Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen im Inter- gemacht, aber das ist nicht unsere Entscheidung; die esse unseres Dialogs erst einmal sehr dankbar, daß Slowakei ist ein souveräner Staat. Jetzt sagen Sie, Sie sich selber korrigiert haben. Man muß gerade wir sollten sie in der Situation, in der sie sind, alleine dann, wenn man im internationalen Geschäft ist, auf- lassen und sozusagen in ihrem Saft schmoren lassen. passen, daß nicht Halbsätze falsch ankommen. Die Bundesregierung versteht internationale Zusam- menarbeit gerade unter den Prinzipien von Rio, in Zur Sache selber: Ich bin kein Techniker und kann denen wir nachhaltige Entwicklung als den Drei- Ihnen zu den Einzelheiten nichts sagen. klang der Prinzipien sozial, wi rtschaftlich und ökolo- (Horst Kubatschka [SPD]: Ich schon!) gisch bezeichnet haben. Dann kann man sich nicht zurücklehnen und sagen: Wir lassen sie ganz allein, - Das ist in diesem Fall ein Pluspunkt für Sie. - Ich sollen sie sehen, was sie machen. Vielleicht verhun- will nur soviel sagen: Es gibt ja bestimmte Maßnah- gern sie dann, oder sie kommen nicht zurecht. men, die man auch zu Beginn, ohne daß man auf die- ses Nachglühen zugreifen muß, ergreifen kann. Die (Ursula Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE GRS befindet sich im Dialog mit der slowakischen GRÜNEN]: Hierbei geht es doch nicht ums Behörde darüber, wann diese Maßnahmen ergriffen Verhungern!) 21802 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Parl. Staatssekretär Walter Hirche Das ist eine Moral, die wir nicht akzeptieren und Die Frage 1 des Abgeordneten Hans Wallow wird nicht mitmachen. schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wenn nicht bei uns, wird sie sich anderswo Geld besorgen. Dann wird dort eine faule Technik benutzt, Wir kommen zu Frage 2: Ich höre gerade, daß die während wir hier durch eine Hermes-Bürgschaft un- Abgeordnete Faße nicht anwesend ist. Es wird ver- ter Nutzung der Erfahrungen der Firma Siemens ein fahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Stückchen Verbesserung erreichen können. Hierbei Entschuldigen Sie, Herr Staatssekretär Kolb. Herz- ist mir der Spatz in der Hand immer noch lieber, als lichen Dank fürs Hiersein. wenn überhaupt nichts zur Verfügung steht. Ich bin sehr gern bereit, an Hand dieser Frage einmal über Ich komme nun unmittelbar zum Geschäftsbereich die Moral in der internationalen ökologischen Zu- des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Beant- sammenarbeit, in der Entwicklungszusammenarbeit wortung erfolgt durch die Parlamentarische Staatsse- zu diskutieren. kretärin Frau Dr. Sabine Bergmann-Pohl. Ich wundere mich sehr, Herr Lippelt, daß Sie sich Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Hans Büttner diesen Argumenten bisher angeschlossen haben. Wir auf: kennen uns nun schon einige Zeit. Daher habe ich Hält es die Bundesregierung nach dem Urteil des Europäi- trotzdem die Hoffnung, daß Sie nach Abwägung der schen Gerichtshofes über das Gesundheitswesen vom 28. April Argumente übermorgen vielleicht zu einem anderen 1998 noch für zulässig und sinnvoll, daß deutsche Krankenkas- Ergebnis kommen. Man muß helfen, wo man kann, sen die Erstattung der Kosten für Arzneimittel verweigern, die von zugelassenen Ärzten verschrieben werden und in einem wenn man die Sicherheit verbessern kann. Deswe- EU-Land zugelassen sind und do rt gekauft werden können? gen die Bundesregierung anzugreifen, weil sie etwas für mehr Sicherheit in Europa tun will, ist eine er- Parl. Staatssekretärin staunliche Fortsetzung der Debatte, die wir eben Dr. Sabine Bergmann-Pohl, beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsiden- über die Castor-Transpo rte geführt haben. tin! Herr Kollege Büttner, das im Vertrag von Amster- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dam ausdrücklich vereinbarte Prinzip der Subsidiari- tät beläßt den Mitgliedstaaten uneingeschränkt die Kompetenz, ihre Systeme der sozialen Sicherheit Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich sage gleich, selbst zu organisieren. Diesem haben Bundestag und daß ich nur noch die Frage von Herrn Köhne zulasse. Bundesrat mit überwältigender Mehrheit zuge- Wir haben jetzt eine halbe Stunde über diesen Kom- stimmt. plex diskutiert. Nach der Beantwortung dieser Frage wird er beendet. Herr Köhne. Nach Auffassung der Bundesregierung bleibt es zur Zeit im Verhältnis zu den anderen EU-Staaten bei der Weitergeltung der Verordnung 1408/71 über Rolf Köhne (PDS): Herr Staatssekretär, ist Ihnen die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und eigentlich nicht klar, daß zwar einerseits die Firma der Selbständigen, da die Urteile spezielle Luxem- Siemens Leittechnik liefert, die zur Sicherheit dient, burger Fälle betrafen. Die Verordnung sieht vor, daß daß andererseits aber ohne diese Leittechnik das die Krankenkasse die Erbringung von Leistungen im Atomkraftwerk überhaupt nicht betreibbar ist und anderen EU-Staat genehmigen kann. Eine darüber daß es daher rein technisch gesehen sehr wohl die hinausgehende Übertragung der EuGH-Urteile auf Möglichkeit gibt, über Siemens Druck auszuüben, die soziale Krankenversicherung bedarf wegen der um die Nichtinbetriebnahme dieser Leittechnik zu möglichen globalen Gefährdung insbesondere der erzwingen oder zumindest einzufordern, daß diese Steuerungsfähigkeit und Finanzierbarkeit dieses so- Sicherheitsprüfungen so wie gefordert stattfinden zialen Sicherungssystems nach Auffassung der Bun- können? desregierung einer sorgfältigen Prüfung. Das Bundesministerium für Gesundheit hat mit Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- den Spitzenverbänden der Krankenkassen, den Ta- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- rifpartnern, den Leistungserbringern sowie den Auf- cherheit: Herr Kollege, es gibt viele Kraftwerke auf sichtsbehörden die Frage der Übertragbarkeit der der Welt, die ohne die Siemens-Technik laufen. Es beiden EuGH-Urteile auf die gesetzliche Kranken- gibt solche Kraftwerke, die erhebliche Sicherheits- versicherung erörtert. Die große Mehrzahl der Betei- risiken bergen. Das wäre auch hier das Ergebnis ge- ligten war sich in diesen Gesprächen darin einig, daß wesen, wenn wir die Hilfe verweigert hätten. Ich eine Übertragung der EuGH-Urteile auf die deutsche denke, daß wir hier verantwortlich gehandelt haben gesetzliche Krankenversicherung rechtlich nicht und deswegen, weil wir geholfen haben, eine zwingend ist. Sie würde im übrigen grundsätzliche Chance haben, die Sicherheitsmängel, die wir heute Fragen der sozialen Krankenversicherung aufwerfen. noch sehen, mit dem Ziel, sie abzustellen, weiter zu beheben. Das ist - so hoffe ich immer noch - das In- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Bütt- teresse des ganzen Hauses. ner.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Vielen Dank, Herr Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Darf ich aus Ihrer Staatssekretär. Ich komme jetzt zum Geschäftsbe- Antwort schließen - Sie haben gesagt, dieses EuGH- reich des Bundesministeriums für Wi rtschaft. Urteil gebe nun den Krankenkassen die Möglichkeit, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21803

Hans Büttner (Ingolstadt) Kosten für Medikamente, die im europäischen Aus- bau. Für die Fragen 4 und 5 des Kollegen Klaus-Jür- land zugelassen sind, zu erstatten -, daß sich Kran- gen Warnick wurde schriftliche Beantwortung bean- kenkassen bei der Ablehnung der Finanzierung in tragt. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. solchen Fällen, in denen die Medikamente für ein- Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- zelne lebensnotwendig werden können, nun nicht desministeriums für Bildung, Wissenschaft, For- mehr darauf berufen können, daß dies gesetzlich schung und Technologie. Für die Fragen 6 und 7 des nicht zulässig ist, sondern es jetzt im Ermessen der Abgeordneten Horst Kubatschka wurde schriftliche Krankenkassen liegt, ob sie so verfahren wollen oder Beantwortung beantragt. Die Antworten werden als nicht? Anlage abgedruckt.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun- beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit Büttner, meine Aussage der Möglichkeit der Geneh- und Entwicklung. Für die Frage 8 des Abgeordneten migung einer Krankenkasse für die Erbringung einer wurde schriftliche Beantwortung bean- Leistung in einem anderen EU-Staat hat sich nicht tragt. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. auf das EuGH-Urteil bezogen, sondern auf die Ver- Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundes- ordnung, die ich Ihnen vorgelesen habe. Diese Ver- ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung ordnung bezieht sich darauf, daß jemand, der sich steht uns der Parlamentarische Staatssekretär zum Beispiel in einem anderen EU-Land befindet Dr. Klaus Rose zur Verfügung. Die Frage 9 des Kolle- und akut krank wird, dort auch eine medizinische gen Frederick Schulze (Sangerhausen) wird schrift- Versorgung im Rahmen des Sachleistungsprinzipes lich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abge- erhält. Darauf bezieht sich diese Verordnung. Das druckt. EuGH-Urteil berührt diesen Gegenstand nicht un- mittelbar. Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Jür- gen Koppelin: Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Eine weitere Zu- Auf welcher Grundlage kommt das Bundesministerium der satzfrage. Nach den mir bekannten Bestimmungen Verteidigung zum Rüstungsvorhaben „Gepanzertes Transpo rt Kraftfahrzeug- - GTK" zu dem Ergebnis, wonach beide ARGE müssen spätestens ab dem Jahr 2000 Arzneimittel, GTK-Angebote deutlich günstiger als das TEAM Inte rnational die in anderen EU-Ländern zugelassen werden, auch Angebot sind (s. DER SPIEGEL vom 18. Mai 1998)? auf unserem Markt zugelassen werden. In Deutsch- Bitte schön, Herr Staatssekretär. land sind dann Arzneimittel zugelassen, deren Wirk- samkeit noch nicht überprüft ist. Würden Sie mir un- ter diesem Gesichtspunkt des EuGH-Urteils nicht zu- Dr. Klaus Rose, Parl. Staatssekretär beim Bundes- stimmen, daß es jetzt schon legitim wäre, wenn deut- minister der Verteidigung: Lieber Herr Kollege, Basis sche Ärzte in Deutschland Patienten ein Medikament für das Ergebnis sind die vergaberechtlich allein zu verschrieben, das sie im speziellen Fall therapeutisch berücksichtigenden, verbindlichen Angebote, die für wichtig erachten, das aber auf dem deutschen beide Konsortien zeitgerecht zum 1. Oktober 1997 abgegeben haben. Dabei waren in der Summe von Markt noch nicht zugelassen ist, aber zum Beispiel- in Italien oder in Frankreich? Entwicklungskosten und Beschaffungskosten für ein erstes Los von 600 Fahrzeugen die Angebote von ( Vo r s i t z: Vizepräsidentin Michaela Geiger) ARGE GTK für 6x6- wie für 8x8-Basisfahrzeuge so- wohl für die bilaterale als auch für die t rilaterale Zu- Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin sammenarbeit günstiger als die von TEAM Interna- beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege, tional für ein 6x6-Fahrzeug. Vergleichsgrundlage diese Zusatzfrage steht in überhaupt keinem Zusam- waren die Preise mit Preisstand Februar 1997 ohne menhang zu der ursprünglichen Frage, Mehrwertsteuer. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Doch!) Bilateral, also deutsch-britisch, ergibt sich ein Preisvorteil von rund 315 Millionen DM für das da sich hier auf arzneimittelrechtliche Grundlagen ARGE-GTK-6x6-Konzept und von rund 200 Millionen bezogen wird. Ich kann Ihnen aber dazu sagen, daß DM für das ARGE-GTK-8x8-Konzept gegenüber es bereits jetzt schon eine zentrale Zulassungsstelle dem 6x6-Angebot von TEAM International. T rilate- in Europa für Medikamente und hier eine gegensei- ral, also deutsch-britisch-französisch, beträgt der Ko- tige Anerkennung gibt. Ein Medikament, das in stenvorteil für die drei Nationen bei Auswahl des Deutschland nicht zugelassen ist, darf auch nicht un- ARGE-GTK-6x6-Konzepts rund 250 Millionen DM mittelbar zu Lasten der gesetzlichen Krankenversi- -und rund 90 Millionen DM bei Auswahl des ARGE cherung von einem Arzt verordnet werden. GTK-8x8-Konzepts gegenüber dem 6x6-Angebot von TEAM International. Weitere Fragen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bei der Rückrechnung auf die nationalen Pro- liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende des grammkosten für Entwicklung und optionale Be- Geschäftsbereiches des Bundesministeriums für Ge- schaffung eines ersten Loses von 200 Fahrzeugen er- sundheit. Ich bedanke mich bei der Parlamentari- schen Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl. geben sich bilateral beim 6x6-Angebot von ARGE GTK gegenüber dem TEAM-International-Angebot Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- für ein 6x6-Konzept Kostenvorteile von 120 Millionen nisteriums für Raumordnung, Bauwesen und Städte DM für den Bund. Bei trilateraler Realisierung des 21804 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Parl. Staatssekretär Dr. Klaus Rose Programms liegen die nationalen Programmkosten Dr. Klaus Rose, Parl. Staatssekretär beim Bundes- für das ARGE-GTK-6x6-Konzept um 85 Millionen minister der Verteidigung: Ich kann es natürlich auch DM günstiger und für das ARGE-GTK-8x8-Konzept schriftlich mitteilen. um 28 Millionen DM günstiger als die von TEAM In- ternational angebotenen Preise. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte schön, eine Im Preis-Leistungs-Verhältnis, das zudem die Effi- weitere Zusatzfrage. zienz der geforderten Leistungserfüllung berücksich- tigt, ist das ARGE-GTK-Angebot für das 8x8-Konzept Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatssekretär, zu eindeutig besser als das von TEAM International an- den Preisen gehören natürlich auch die Entwick- gebotene 6x6-Konzept. lungskosten. Können Sie sagen, wie hoch die Ent- Ich gebe zu, daß ich viele Zahlen vorgetragen wicklungskosten sind, die der Pa rtner Großbritan- habe. Aber ich wollte das hier so deutlich zum Aus- nien übernimmt, und in welcher Form abgerechnet druck bringen. wird? Wird in einem Betrag oder gestaffelt abgerech- net werden, oder wie wird das Abrechnungsverfah- ren aussehen? Wie hoch wird der Anteil sein, den Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte, eine Zu- Großbritannien für die Entwicklung aufbringen muß? satzfrage. Das muß man dann ja auch auf den Systempreis um- rechnen. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatssekretär, Sie haben die Unterschiede zwischen den einzelnen An- Dr. Klaus Rose, Parl. Staatssekretär beim Bundes- geboten bei 600 Fahrzeugen genannt. Sie wissen, minister der Verteidigung: Ich habe mich auf die daß im Zusammenhang mit der Zustimmung des deutschen Kosten konzentriert. Ich kann selbstver- Haushaltsausschusses eine Bestellung von 200 Fahr- ständlich auch nachliefern, was die B riten oder die zeugen und nicht, wie das erste Los sagt, von Franzosen zu zahlen haben. 600 Fahrzeugen vorgesehen ist. Angesichts dessen müßten Sie doch - das ist auch meine Frage gewesen - die durchschnittlichen Systempreise der einzelnen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Eine weitere Zu- Anbieter pro Fahrzeug errechnet haben. satzfrage, bitte schön.

(F.D.P.): Herr Staatssekretär, die Dr. Klaus Rose, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Jürgen Koppelin minister der Verteidigung: Herr Kollege, das war Ihre Planung des BMVg besagt, daß 3 000 Fahrzeuge be- zweite Frage. nötigt werden. Rechnet man im BMVg auch damit, daß es etwas weniger Fahrzeuge sein könnten? Dann würde sich ja auch der entsprechende Preis pro Fahr- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Entschuldigung, ich kor- zeug verändern. rigiere mich. Dr. Klaus Rose, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Dann rufe ich minister der Verteidigung: Das BMVg arbeitet eng gleich die Frage 11 auf: mit dem Parlament zusammen. Wenn Haushaltsaus- schuß und Verteidigungsausschuß der Meinung sind, Wie hoch waren im Vergleich die jeweiligen Angebote (nur deutscher Anteil) für den durchschnittlichen Systempreis pro daß es nicht bei der ursprünglich geplanten Zahl Fahrzeug sowohl bilateral als auch trilateral? bleiben wird, wird das Ministe rium entsprechend rechnen müssen. Dr. Klaus Rose, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Verteidigung: Die durchschnittlichen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Jetzt die letzte Systempreise lagen für die ARGE-GTK-6x6-Fahr- Zusatzfrage, Herr Kollege Koppelin, bitte schön. zeuge bei allen Va rianten deutlich unter den Ange- boten von TEAM International für die 6x6-Fahr- (F.D.P.): Herr Staatssekretär, ist zeuge. Im Vergleich der von ARGE GTK angebote- Jürgen Koppelin Ihr Haus bereit, dem Haushaltsausschuß, bevor Sie -nen 8x8-Varianten mit den TEAM-International-6x6 die Beschaffung vornehmen, ein MoU vorzulegen, Fahrzeugen waren die Angebote für die Gruppen- das im Detail so formuliert ist, daß man erkennen transport-Panzer und die Fahrschulfahrzeuge von kann, welchen Betrag die Pa rtner bei den Entwick- ARGE GTK günstiger, während die von TEAM Inter- lungskosten übernehmen? national angebotenen Führungsfahrzeuge kosten- günstiger waren. Dr. Klaus Rose, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ich bitte um Verständnis, daß ich wegen der Ver- minister der Verteidigung: Lieber Herr Kollege, Sie traulichkeit der Angaben Einzelheiten nur in nicht- gehören dem Haushaltsausschuß an und wissen, daß öffentlichen Sitzungen der zuständigen Ausschüsse, wir immer bereit sind, das zu tun. nicht aber hier im Plenum vortragen kann. (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht!) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Sie können es auch schriftlich mitteilen, Herr Staatssekretär. Wir werden das also auch in Zukunft machen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21805

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Die Fragen 12 Braunschweig mit dem Vertragspartner Deutsche und 13 der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard werden Bahn AG fortzusetzen? schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Dr. Willi Hausmann, Staatssekretär im Bundesmi- Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Bundesministeriums der Verteidigung. Ich bedan- Wir stehen derzeit mit den Betreibern der beiden ke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Schulen in Verhandlungen bezüglich einer Verlänge- Dr. Klaus Rose. rung über 1998 hinaus. Ich hatte bereits darauf hin- gewiesen, daß die Wirtschaftlichkeitsprüfung noch Ich möchte vor allem die Parlamentarischen Ge- nicht abgeschlossen ist. Wenn sich bei der Wirt schäftsführer darauf aufmerksam machen, daß diese -schaftlichkeitsprüfung ergeben sollte, daß der Be- Fragestunde vermutlich keine ganzen zwei Stunden trieb in Bodenteich kostengünstiger zu gestalten ist, dauern wird. Wir werden sofort nach Beendigung der dann wird das bestehende Vertragsverhältnis aufge- Fragestunde in die Aktuelle Stunde eintreten. löst und die Schule in Bodenteich betrieben. Ich Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- möchte aber noch einmal darauf verweisen, daß wir desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und noch nicht soweit sind. Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatssekretär Dr. Willi Hausmann zur Verfügung. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Eine zweite Die Fragen 14 und 15 der Abgeordneten Verena Frage, bitte schön. Wohlleben werden schriftlich beantwortet. Die Ant- worten werden als Anlage abgedruckt. Klaus Hagemann (SPD): Wie wird es sich auf die Wir kommen zur Frage 16 des Abgeordneten Klaus bisher bestehenden Standorte, die hier genannten, Hagemann: aber auch die weiteren, auswirken, wenn es eine Übergabe der Facheinführung an die Wohlfahrtsver- Sieht die Bundesregierung in dem kasernenförmigen Cha- bände geben sollte? rakter der zur Zeit als mögliche Standorte für Zivildienstschulen geprüften BGS-Kase rnen in Braunschweig und Bodenteich Pro- bleme für die Akzeptanz des Angebots der politischen Bildung, Dr. Willi Hausmann, Staatssekretär im Bundesmi- und gibt es Pläne, durch Umbaumaßnahmen den pädagogi- schen Rahmen positiv zu ändern? nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Die Prüfung, ob die Fachlehrgänge den Wohlfahrts- Bitte schön, Herr Staatssekretär. verbänden übergeben werden sollten, ist noch längst nicht abgeschlossen. Ich habe hierüber Gespräche mit dem Hauptpersonalrat geführt und darauf hinge- Dr. Willi Hausmann, Staatssekretär im Bundesmi- nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: wiesen, daß sich die Verhandlungen erst in einem Herr Abgeordneter Hagemann, die Bundesregierung frühen Stadium befinden und daß vor dem Jahr 2000 prüft zur Zeit unter Beachtung der gesetzlichen Ver- mit einer Änderung nicht zu rechnen ist. pflichtungen zu Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in Abstimmung mit dem Bundesrechnungshof, ob Zi- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Damit kommen vildienstschulen, die bisher in von Vertragspartnern wir zur Frage 17 der Abgeordneten Siegrun Klem- zur Verfügung gestellten Liegenschaften bet rieben mer: werden, wirtschaftlicher in freien oder freiwerden- den Bundesliegenschaften untergebracht werden Hat die Bundesregierung bei der Neustrukturierung der Zi- vildienstschulstandorte die Ergebnisse der Wirtschaftlichkeits- können. prüfung der drei bereits in Bundesliegenschaften befind lichen Zivildienstschulen einbezogen, und ist die Bundesregierung Die BGS-Kasernen in Braunschweig und Boden- zur Auffassung gelangt, daß grundsätzlich eine größere Wi rt teich wurden in diesem Zusammenhang einer nähe- -schaftlichkeit der Standorte in Bundesliegenschaften erzielt ren Prüfung unterzogen. Diese Prüfung hat ergeben, werden kann? daß typische Kasernenanlagen, wie die in Braun- Bitte, Herr Staatssekretär. schweig, zur politischen Bildung Zivildienstleisten- der grundsätzlich nicht geeignet erscheinen. Dr. Willi Hausmann, Staatssekretär im Bundesmi- Etwas anderes gilt grundsätzlich für den bisheri- nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: gen BGS-Standort Bodenteich, der bereits seit 1976 Frau Abgeordnete Klemmer, eine Entscheidung über speziell zu Aus- und Fortbildungszwecken genutzt mögliche Neustrukturierungen einzelner Zivildienst- wird. Das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsprüfung schulstandorte ist bisher noch nicht getroffen. Im bleibt abzuwarten. Zuge der Wirtschaftlichkeitsprüfung wird zu klären sein, ob im konkreten Fall der Betrieb in einer bun- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte schön, eine deseigenen Liegenschaft gegenüber dem bisherigen Zusatzfrage, Herr Hagemann. Betrieb kostengünstiger ist. Eine generelle Aussage über eine größere Wi rtschaftlichkeit in Bundeslie- genschaften kann nicht getroffen werden. Klaus Hagemann (SPD): Inwieweit sieht die Bun- desregierung die Möglichkeit, die Zusammenarbeit der pädagogisch bewährten Standorte Buchholz - ich Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zusatzfrage, habe mir ihn unmittelbar ansehen können - und bitte. 21806 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Siegrun Klemmer (SPD): Herr Staatssekretär, es Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen vom wird Sie nicht wundern, wenn ich als Haushälterin 19. Oktober 1991 über die Errichtung der Stiftung für zur Wirtschaftlichkeit eine Zusatzfrage habe. Gibt es das sorbische Volk ist die zweite Amtszeit des Stif- zu den bisher bestehenden 20 Schulen eine Wi rt tungsrates der Stiftung am 5. November 1997 ausge- -schaftlichkeitsprüfung, die eine Vergleichbarkeit zu- laufen. Dennoch trifft es nicht zu, daß die Tätigkeit läßt? Gibt es eine Wirtschaftlichkeitsprüfung, aus der des Stiftungsrates deswegen derzeit ruht. Vielmehr sich eine Kostenstruktur ableiten läßt, die ergibt, daß haben die bisherigen Vertreter des sorbischen Volkes größere Schulen kostengünstiger sind? im Stiftungsrat anläßlich dessen Sitzung vom 5. No- vember 1997 mit Zustimmung der Vertreter der Län- der Sachsen und Brandenburg sowie des Bundes er- Dr. Willi Hausmann, Staatssekretär im Bundesmi- nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: klärt, sie würden unabhängig von dem zwischen Nein. Sachsen und Brandenburg noch nicht geschlossenen Staatsvertrag zugunsten der Sorben weiterhin ihre Pflicht im Stiftungsrat erfüllen, um die Arbeitsfähig- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Haben Sie eine keit des Gremiums nicht zu gefährden. Der Stiftungs- weitere Zusatzfrage? rat kann daher jederzeit beschlußfähig tagen, sofern hierfür Veranlassung besteht. Siegrun Klemmer (SPD): Ja, gerne. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zusatzfrage? - Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte. Bitte.

Siegrun Klemmer (SPD): Wir wissen aus Erfahrun- Stephan Hilsberg (SPD): Herr Staatssekretär, ist Ih- gen an anderen Einrichtungen - nicht gerade an Zi- nen bekannt, daß der Stiftungsrat selber seine Tätig- vildienstschulen -, in denen junge Männer dieser Al- keit ganz anders einschätzt und erklärt hat, das Ru- tersklasse zusammen sind, daß die soziale Kontrolle hen seiner Tätigkeit hänge damit zusammen, daß nicht unbedingt parallel zur Größenordnung der Ein- sich die Bundesregierung einseitig aus ihrer finan- richtung zunimmt. Daher meine Frage: Wird bei ei- ziellen Verpflichtung für die Finanzierung der Stif- ner Wirtschaftlichkeitsprüfung für neue und dann ja tung für das sorbische Volk zurückzieht? wohl auch größere Standorte der Faktor der „Vanda- lismuserscheinungen" eingerechnet? Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Das ist keine objektive Be- Dr. Willi Hausmann, Staatssekretär im Bundesmi- schreibung des Zustandes. Es gibt zwar noch Pro- nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: bleme bei der Abwicklung der Beschlußfassung über Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung sicher nicht, aber den Staatsvertrag zwischen Brandenburg und Sach- er wird bei einer Entscheidung insgesamt mit einge- sen, aber soweit ich informiert bin, soll er in Kürze, rechnet. wahrscheinlich im Juli, unterzeichnet werden. Dann müßten die Länderparlamente das Abkommen ratifi- zieren, so daß ich diesbezügliche Schwierigkeiten Danke schön. Vizepräsidentin Michaela Geiger: nicht sehe. Die Frage 18 der Abgeordneten Leyla Onur wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ihre zweite Frage, bitte. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Vielen Dank, Herr Staatssekre- Stephan Hilsberg (SPD): Die ursprüngliche An- tär, Dr. Hausmann. fangsfinanzierung der Stiftung für das sorbische Volk seitens der Bundesregierung war ja eine unerläßliche Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- Voraussetzung dafür, daß diese Stiftung ihre Arbeit nisteriums des Innern. Zur Beantwortung steht uns überhaupt aufnehmen konnte. Seit einigen Jahren der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Car- zieht sich die Bundesregierung einseitig jahr- und stens zur Verfügung. stückweise aus der Finanzierung dieser Stiftung zu- Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Stephan rück. Wie verträgt sich das mit der im Gegensatz zum Hilsberg auf: Westen nachlassenden Wirtschaftskraft der Länder? Halten Sie diesen Rückzug aus der finanziellen Ver- Was tut die Bundesregierung und was hat sie bisher getan antwortung für diese Stiftung nicht für etwas zu früh? zur Wiederaufnahme der derzeit ruhenden Tätigkeit des Stif- tungsrates der Stiftung für das sorbische Volk, um damit der ihr aufgegebenen „besonderen Verantwortung des Staates für die Parl. Staatssekretär beim Bun- Bewahrung und Fortentwicklung der sorbischen Kultur und Manfred Carstens, Tradition" (Protokollnotiz Nr. 14 zu Artikel 35 des Einigungsver- desminister des Innern: Man kann wirklich sagen, trages) gerecht zu werden? daß der Bund diese Stiftung überdurchschnittlich stark gefördert hat. Das haben Sie in Ihrer Frage ja Bitte schön, Herr Staatssekretär. im Grunde genommen auch zum Ausdruck gebracht. In den Anfangsjahren sind es erhebliche Beträge ge- Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- wesen, die seitens des Bundes zur Verfügung gestellt desminister des Innern: Entsprechend dem Erlaß des worden sind. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21807

Parl. Staatssekretär Manfred Carstens Die Finanzierung soll ja noch eine Reihe von Jah- Stephan Hilsberg (SPD): Durch die Anerkennung ren in der bisherigen Größenordnung weitergehen, und Ratifizierung der Europäischen Charta zum aber der Bund will sich in Jahr für Jahr zunehmen- Schutz der Regional- und Minderheitensprachen, dem Maße von dieser sehr starken Finanzierung zu- also auch zum Schutz unserer ethnischen Minderhei- rückziehen. Er will die Förderung nicht auf Null zu- ten, hat ja die Bundesregierung und damit die Bun- rückschrauben, sondern bis 2007 noch etwa 7 oder desrepublik deutlich gemacht, daß der Schutz dieser 8 Millionen DM jährlich zur Verfügung stellen. Das Minderheiten eine Aufgabe von nationalem Rang ist. scheint mir mehr als angemessen zu sein, wenn ich Wir teilen diese Ansicht mit den anderen Mitglied- daran denke, daß der Freistaat Sachsen und das staaten der Europäischen Union. Mir ist bekannt, daß Land Brandenburg, die die Länderkompetenz haben, die Bundesregierung beispielsweise für die deutsche die eigentlich Verantwortlichen und Zuständigen Minderheit in Dänemark mehr Geld ausgibt als für sind. Man hat es ja in diesen Ländern zwischenzeit- die Minderheiten im unserem eigenen Land. Ist die lich auch als richtig erkannt, diesen Weg zu gehen, Relation da gewahrt, oder wie verträgt sich das mit- denn, wie gesagt: Der Vertrag zwischen Sachsen und einander? Brandenburg soll wohl im Juli unterzeichnet werden. Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Ich kann jetzt auf Anhieb Wir kommen zur Vizepräsidentin Michaela Geiger: nicht überprüfen, ob Ihre Behauptung richtig oder Frage 20 des Abgeordneten Stephan Hilsberg: falsch ist. Wie verträgt sich nach Ansicht der Bundesregierung die von (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Das war auch ihr begonnene Kürzung der Zuschüsse für die Stiftung des sor- bischen Volkes, welche durch die beteiligten Länder Sachsen nicht die Frage!) und Brandenburg nicht ausgeglichen werden kann, mit dem in der Bundesrepublik Deutschland am 1. Februar 1998 in Kraft In den nächsten Tagen werde ich die deutsche Min- getretenen Rahmenübereinkommen des Europarates zum derheit in Dänemark und auch die dänische Minder- Schutz nationaler Minderheiten und der - ebenfalls ratifizierten heit in Deutschland besuchen. Sie erhalten, wie ich - Europäischen Cha rta der Regional- und Minderheitenspra- meine, eine angemessene Förderung. Diese ange- chen? messene Förderung erhalten auch weiterhin die Sor- Bitte, Herr Staatssekretär. ben. Es ist ein erheblicher Betrag, der von uns zur Verfügung gestellt wurde. Ich habe eben die Zahl ge- nannt: 16 Millionen DM. Das ist ein erheblicher Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- Posten. Brandenburg und Sachsen müssen sich stär- desminister des Innern: Die kulturellen Einrichtun- ker beteiligen, als das bislang der Fall ist. Auch die gen der Sorben sind seit 1991 aus Bundes- und Län- beiden Länder sehen das ein. dermitteln über die im selben Jahr errichtete sächsi- sche Stiftung für das sorbische Volk finanziell unter- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Eine Zusatzfrage stützt worden, wobei der Bund bisher unbeschadet wird nicht mehr gewünscht. der vorrangigen verfassungsrechtlichen Zuständig- keit der Länder für das sorbische Volk drei Sechstel, Wir kommen jetzt zur Frage 21 des Abgeordneten also die Hälfte, der jährlich notwendigen Haushalts- Kurt Neumann: mittel bereitgestellt hat. Die Bundesregierung ist der Wie viele Fälle nachgewiesener „Inoffizieller Mitarbeit" für Auffassung, daß sich die Länder entsprechend ihrer das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR verfassungsmäßigen Verpflichtung nunmehr nach- sind der Bundesregierung und den ihr nachgeordneten Behör- haltiger als der Bund an dem Erhalt der kulturellen den bekannt, bei denen Einrichtungen der Sorben finanziell beteiligen müs- - kein Beschluß zur Umregistrierung vom Vorlauf zum Inoffi- sen. Folgerichtig soll die Bundesförderung künftig ziellen Mitarbeiter (IM) erfolgte, angemessen vermindert werden. - keine F-16-Karteikarte mit entsprechender Eintragung als IM vorhanden ist, Das von Deutschland ratifizierte Rahmenüberein- - keine schriftliche Verpflichtungserklärung vorliegt, kommen zum Schutz nationaler Minderheiten wird - kein Vermerk über eine mündliche oder sonstige Verpflich- tung aktenkundig ist, durch die künftig geplante Verminderung der Bun- - kein handschriftlich gefertigter Be richt und auch kein von desförderung nicht berührt. Bund und Länder erfül- dem IM unterschriebener Be richt aufgefunden wurde, len ihre Verpflichtungen nach dem Rahmenüberein- - keine von dem IM unterzeichnete Quittung über Zuwendun- kommen entsprechend ihren Zuständigkeiten. gen vorliegt und auch - kein Hinweis auf eine Auszeichnung durch das MfS gegeben Die Ratifizierung der Europäischen Cha rta der Re- ist, gional- oder Minderheitensprachen durch die Bun- und welchen Anteil (in Prozent) machen diese Fälle an allen be- desrepublik Deutschland ist für Juli 1998 vorgese- kanntgewordenen Fällen der „Inoffiziellen Mitarbeit" für das hen. Das Inkrafttreten wird voraussichtlich am 1. No- MfS aus? vember 1998 erfolgen. Die dem Europarat notifizier- Bitte schön, Herr Staatssekretär. ten Verpflichtungen zum Schutz der sorbischen Spra- che werden bereits erfüllt. Ihre Einhaltung wird auch künftig gewährleistet werden. Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Es bestand und besteht kein Anlaß, die genannten Einzelkriterien statistisch sepa- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zusatzfrage? - rat zu erfassen. Derartige Zahlen liegen demzufolge Bitte, Herr Hilsberg. nicht vor. 21808 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zusatzfrage, braucht, um die Validität der Stasi-Unterlagen zu ver- bitte. deutlichen. Er hat noch folgenden Satz angefügt: Die Akten haben einen recht hohen Aussage- Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos): Auf Grund wert, deshalb sind unsere Ge richte und ist die meiner Erfahrung mit Akten aus den Beständen des Forschung auch so interessiert, die Akten zu be- ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit und kommen. auf Grund anderer Kenntnisse kann ich aber feststel- len, daß eine ganze Reihe von Fällen zu klären sind, Daß der Wahrheitsgehalt von MfS-Akten als über- bei denen bestimmte Kriterien eine Rolle spielen. Ist durchschnittlich hoch einzuschätzen ist, ergibt sich es daher nicht sinnvoll, zukünftig den Bestand der aus folgendem: Akten der Gauck-Behörde so zu strukturieren und so Erstens. Gezielte Informationsgewinnung war eine auszuwerten, daß man feststellen kann, nach wel- der Hauptaufgaben des Ministeriums für Staatssi- chen Merkmalen eigentlich dingfest gemacht wer- cherheit und bildete die Grundlage für fast alle ande- den kann, wer ein IM ist, und daß man das auch stati- ren operativen Aktivitäten. Angesichts der zentralen stisch belegen kann? Bedeutung der Informationstätigkeit war der Staats- sicherheitsapparat hier bemüht, verfälschende Fak- Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- toren systematisch auszuschalten, weil sie die eigene desminister des Innern: Man kann diesen Vorschlag Effizienz gefährdeten. Er führte daher eine perma- in der Tat einmal überprüfen. Bislang haben wir dazu nente Überprüfung und Bewe rtung seiner eigenen aber keine Veranlassung gesehen. Informationserhebung durch. (Katrin Fuchs [Veri] [SPD]: Das ist aber sehr Zweitens. Der Staatssicherheitsdienst besaß eine unbefriedigend!) straffe militärische Struktur, in der die jeweiligen Lei- ter einen relativ überschaubaren Kreis von direkt Un- terstellten anleiteten und kontrollierten. Daneben be- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zweite Zusatz- standen auf der zentralen Ebene, auf der Ebene der frage. Hauptabteilungen und selbständigen Abteilungen des Ministeriums sowie auf der Ebene der Bezirks- Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos): Ich frage ein- verwaltungen sogenannte Kontrollgruppen, die über mal andersherum. Ich kenne eine ganz Menge die Einhaltung von dienstlichen Bestimmungen und von Akten. Mir ist aber kein einziger Fall unter- anderen Vorgaben wachten. Diese Struktur gewähr- gekommen, in dem ein IM existiert hat und nicht leistete im MfS ein hohes Maß an Regelkonformität eines dieser Tatbestandsmerkmale vorhanden war. in operativer Praxis und Aktenführung. Könnte es sein, daß deswegen keine Angaben ge- macht werden können, weil es einen solchen Fa ll Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zusatzfrage, nicht gibt? bitte.

Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos): Kann ich die desminister des Innern: Das kann ich nicht bestäti- Antwort so verstehen, daß auf Grund der Feststel- gen. lung, die Sie getroffen haben, davon auszugehen ist, daß die Aktenführung stets entsprechend den Richt- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Dann kommen linien, die beim MfS bestanden, erfolgte und daß wir jetzt zur Frage 22 des Abgeordneten Kurt Neu- man, wenn bestimmte Maßnahmen nicht getroffen mann: wurden, davon ausgehen kann, daß auch die Grund- lagen für diese Maßnahmen nicht gegeben waren? Ist der Bundesregierung die Aussage des Bundesbeauftrag- ten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehema- ligen DDR, , bekannt, der am 28. Mai 1996 im Parl. Staatssekretär beim Bun- Hessischen Rundfunk zur Aktenführung innerhalb des MfS un- Manfred Carstens, ter anderem ausgeführt hat: desminister des Innern: Was damals im einzelnen ge- macht wurde, weiß ich nicht. Ich wollte gerade sa- „Ein militärisches System lügt sich nicht selbst in die Tasche. gen: leider nicht, aber ich weiß es Gott sei Dank Militärische Mitarbeiter können versetzt werden. Was ma- chen die Nachfolger mit einem Kunstprodukt von Akten? nicht. Und können sie mit diesem Menschen, über den die Akte an- gelegt ist, überhaupt arbeiten? Diese Fragen stellen heißt (Katrin Fuchs [Vera] [SPD]: In diesem Fall schon, mit einiger Sicherheit davon auszugehen, daß die muß man sagen: leider!) Akten korrekt sein müssen", Aber durch das, was wir jetzt in der Gauck-Behörde und teilt sie diese Bewe rtung der Korrektheit und des Wahr- heitsgehalts der Stasi-Akten? - um das einmal vereinfacht auszudrücken - feststel- len können, wird leider belegt, daß man do rt sehr Bitte schön, Herr Staatssekretär. präzise vorgegangen ist und daß man sehr großen Wert darauf gelegt hat, das, was man erforschen wollte, auch richtig zu erforschen. Manfred Carstens, ParI. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: In der Sendung des Hessi- schen Rundfunks vom 28. Mai 1996 hat der Bundes- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zweite Zusatz- beauftragte das in der Frage genannte Zitat ge- frage. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21809

Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos): Vielleicht Die Bundesregierung hat sich in den europäischen darf ich das präzisieren. Wenn nach den Richtlinien Gremien mehrfach für eine Messung auch bei noch vorgesehen war, daß ein IM-Vorlauf nach vorheriger höheren Geschwindigkeiten eingesetzt. Eine solche Anwerbung durch Beschluß in eine IM-Akte umge- Ausgestaltung des Prüfverfahrens war allerdings widmet wurde, und ein solcher Vorgang nicht akten- nicht durchzusetzen. kundig ist, kann man dann davon ausgehen, daß eine solche IM-Werbung mit hoher Wahrscheinlich- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zusatzfrage? - keit nicht stattgefunden hat? Bitte, Herr Büttner.

Parl. Staatssekretär beim Bun- Manfred Carstens, Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Staatssekre- desminister des Innern: Man kann mit hoher Wahr- tär, sehen Sie sich nach den jetzt bekanntgeworde- scheinlichkeit davon ausgehen, daß das, was in den nen Untersuchungen des schwedischen „Elchte- Akten festgehalten wurde, auch stimmt. sters" Robert Collins nicht veranlaßt, die Meßverfah ren noch einmal zu überprüfen? Denn er hat einem Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos): Danke sehr. Bericht des Magazins „Plusminus" zufolge festge- stellt, daß die der deutschen Kfz-Steuererhebung zu- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Die Frage 23 des grunde liegende EU-einheitliche Prüfmethode nicht Abgeordneten Hans Wallow wird schriftlich beant- die Schwächen überdecken kann, die dadurch ent- wortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. stehen, daß Autos, die als besonders umweltfreund- lich gelten, in Wirklichkeit ein wesentlich schlechte- Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des res Abgasverhalten aufweisen als Autos, die schlech- Bundesministeriums des Innern. Vielen Dank, Herr ter eingestuft sind. So weisen - so heißt es in dem Be- Staatssekretär Carstens. richt - als Umweltverschmutzer geltende Autos, für Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- die besonders viel Steuern zu entrichten sind, we- desministeriums der Finanzen. Ich begrüße zur Be- sentlich bessere Abgaswerte auf als vermeintlich um- antwortung den Parlamentarischen Staatssekretär weltfreundlichere Kfz, die steuerlich begünstigt wer- Hansgeorg Hauser. den. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß wir jetzt Darf ich um die noch drei Fragen haben und daß dann die Aktuelle Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frage bitten! Stunde beginnt. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Hans Bütt- Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Ja, Frau Präsiden- ner auf: tin. - Halten Sie es angesichts dieses Testes, der ein Wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß das Kraft- realistisches Fahr- und Beschleunigungsverhalten fahrzeugsteuerrecht, das das Ziel verfolgt, den Schadstoffaus- zugrunde gelegt hat, nicht für dringend erforderlich, stoß von Autos zu verringern, bald korrigiert wird, nachdem ak- das europäische Prüfsystem schleunigst zu revidie- tuelle Meßuntersuchungen ergeben haben, daß durch die amt- lichen Testverfahren für die Euro-Abgasnorm Pkw, die im real- ren? Denn es wird doch wohl nicht im Interesse der en Verkehrsverhalten wesentlich höheren Schadstoffausstoß- Bundesregierung sein, daß man mit dem Steuerrecht verursachen, steuerlich begünstigt werden gegenüber Fahrzeu- Umweltverschmutzer belohnt und andere bestraft. gen, die im amtlichen Testverfahren schlechter abschneiden, im realen Verkehrsverhalten jedoch einen deutlich geringeren Schadstoffausstoß aufweisen, und wenn nein, warum nicht? Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Herr Kollege Büttner, im Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Grundsatz gebe ich Ihnen natürlich recht. Es wäre desminister der Finanzen: Frau Präsidentin, Herr Kol- verkehrt, wenn man schadstoffärmere Autos schlech- lege Büttner, die Besteuerung von Personenkraftwa- ter als die schadstoffverursachenden Fahrzeuge be- gen erfolgt unter anderem in Abhängigkeit von der handeln würde. Allerdings muß man dazu sagen, Einhaltung EG-weit gültiger Schadstoffgrenzwerte. daß für die von Ihnen zitierte Sendung offenbar Fahr- Diese Werte werden in einem vorgeschriebenen zeugtests durchgeführt wurden, die - so ist es mir Prüfverfahren gemessen. Das europäische Meßver- dargestellt worden - in Extremsituationen stattgefun- fahren besteht aus einem Stadtfahrzyklus, der den den haben. Es wurden also nicht die normalen Fahr- Stop-and-go-Verkehr in europäischen Ballungsge- verhältnisse berücksichtigt. bieten repräsentiert, und einem Außerortzyklus, der Man muß wissen, daß es in den meisten europäi- Fahrten um 90 km/h und 120 km/h darstellt. schen Ländern Höchstgeschwindigkeitsbegrenzun- Die Bundesregierung sieht in dem derzeit gültigen gen gibt, so daß ein Test, der auf ein Durchschnitts- Abgasmeßverfahren eine geeignete Methode, die fahrverhalten abstellt, nicht unter solchen Hochge- Abgasemissionen von Pkw zu messen und die Pkw schwindigkeitsverhältnissen durchgeführt werden entsprechend den von ihnen eingehaltenen Grenz- muß. Gleichwohl hat die EU-Kommission für die vor- wertstufen steuerlich einzuordnen. Das Meßverfah aussichtlich ab dem Jahr 2000 geltenden Abgas- ren stellt nicht auf Extremsituationen, die jeweiligen grenzwerte ein geändertes Prüfverfahren vorgeschla- Einsatzbedingungen und das individuelle Fahrver- gen. Dabei soll insbesondere die Dauer des Bet riebs halten ab, sondern beschreibt das mittlere europäi- mit Leerlaufdrehzahl verkürzt und der Sta rt des Mo- sche Fahrverhalten. Dieses Vorgehen ist für eine flä- tors berücksichtigt werden. Allerdings sind auch in chendeckende Luftreinhaltepolitik sinnvoll. diesem Verfahren keine höheren Geschwindigkeiten 21810 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser vorgesehen, weil diese - wie gesagt - in den meisten 21 Milliarden US-Dollar, davon sind 15,1 Milliarden Ländern nicht zulässig sind. US-Dollar bereits ausgezahlt. Die Weltbank hat diesen drei Ländern einen mittel- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zweite Zusatz- fristigen Kreditrahmen von bis zu 16 Milliarden US- frage. Dollar in Aussicht gestellt; davon waren 5,4 Milliar- den US-Dollar rasch ausgezahlte Liquiditätshilfen, Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Ist Ihnen nicht be- die sich auf die Sektoren Soziales - also Armutsbe- kannt, daß dieser schwedische Test nicht auf höhere kämpfung -, Finanzen und Unternehmensumstruk- Geschwindigkeiten abgezielt hat, sondern in erster turierung konzentrierten. Auch hierzu die Details: Linie darauf, daß für die Beschleunigung im inner- Für Thailand waren es 1,5 Milliarden US-Dollar, da- städtischen Verkehr von null auf 50 km/h nach dem von sind 350 Millionen US-Dollar bereits ausgezahlt; europäischen Test - so diese Untersuchung und die- für Indonesien waren es 4,5 Milliarden US-Dollar, da- ser Bericht - etwa 25 bis 30 Sekunden veranschlagt von ist offensichtlich noch nichts ausgezahlt worden; werden, während die normale Beschleunigung im in- für Korea waren es 10 Milliarden US-Dollar, davon nerstädtischen Verkehr wesentlich kürzer ist? Daher sind 5 Milliarden US-Dollar bereits ausgezahlt. kommen durch das europäische Testverfahren ge- rade im innerstädtischen Verkehr Falschmessungen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zusatzfrage? - und falsche Ergebnisse zustande. Ist die Bundesre- Bitte. gierung bereit, diese Testergebnisse zum Anlaß zu nehmen, das gesamte Testverfahren schleunigst noch einmal einer Prüfung zu unterziehen und dar- Gernot Erler (SPD): Herr Staatssekretär, hat es in auf hinzuwirken, daß auf europäischer Ebene nicht IWF und Weltbank interne Diskussionen über diese bis zum Jahr 2000 gewartet werden muß, um eine doch sehr massiven Programme, die Sie soeben be- eventuell falsche und schädliche Steuerung über das ziffert haben, gegeben? Steuerrecht zu verhindern? Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Über eine Diskussion, ob desminister der Finanzen: Herr Kollege Büttner, Sie das in diesen Größenordnungen auszuzahlen ist oder haben selbst angesprochen, daß die EU für die ent- ob es verminderte oder erhöhte Programme sein sol- sprechenden Abgaswerte zuständig ist. Wenn sich len, kann ich Ihnen nichts berichten. Natürlich haben aus diesem Test tatsächlich neue Erkenntnisse erge- aber die jüngsten politischen Unruhen in Indonesien ben sollten, die allgemein gültig sind und nicht, wie zu Diskussionen geführt, denn sie haben ja die Um- ich es bereits erwähnt habe, extreme Situationen dar- setzung der Wirtschaftsreformen behindert. Die stellen, dann werden sie in der Überprüfung des Weltbank hat die anstehenden Kreditanträge bis zur Prüfverfahrens sicherlich berücksichtigt werden. Klärung der Lage zurückgestellt, und der IWF wird Anfang Juni über die Auszahlung einer weiteren Kreditrate beraten. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Vizepräsidentin Michaela Geiger: Es wird eine wei- Anlage abgedruckt. tere Zusatzfrage gestellt. Ebenso werden die Fragen 27 und 28 des Abgeord- neten Horst Schmidbauer (Nürnberg) schriftlich be- Gernot Erler (SPD): Herr Staatssekretär, würden antwortet. Die Antworten werden als Anlage abge- Sie die Informationspolitik von IWF und Weltbank druckt. bezüglich der Höhe der zur Verfügung zu stellenden Gelder als normal bezeichnen? In den letzten Mona- Wir kommen jetzt zur Frage 29 des Abgeordneten ten war es ja schwierig, die Zahlen, die Sie eben ge- Gernot Erler: nannt haben, zu erhalten. In welchem Umfang haben der Inte rnationale Währungs- fonds (IWF) und die Weltbank seit Auftreten der Finanzkrisen in Südostasien Hilfszahlungen an betroffene Länder dieser Re- Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- gion geleistet, und wie wurden diese Zahlungen auf die einzel- desminister der Finanzen: Mir ist nicht bekannt, daß nen betroffenen Länder aufgeteilt? es schwierig war, diese Zahlen zu erhalten. Ich habe Bitte sehr, Herr Staatssekretär. an der Informationspolitik nichts auszusetzen.

Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Wir kommen desminister der Finanzen: Herr Kollege Erler, der jetzt zur Frage 30 des Abgeordneten Gernot Erler. IWF hat folgende Kreditprogramme für die drei am In welchem Umfang mußte die Bundesrepublik Deutschland meisten von der Krise betroffenen Länder - das sind an IWF und Weltbank zusätzliche Mittel für diese Hilfspro- Thailand, Indonesien und Korea - zur Verfügung ge- gramme zur Verfügung stellen, und wie hoch war bisher der stellt: für Thailand 3,9 Milliarden US-Dollar, davon deutsche Anteil an den IWF- und Weltbankleistungen zur Be- sind 2,7 Milliarden US-Dollar bereits ausgezahlt; für hebung der Krise in Südostasien in Prozent und in absoluten Zahlen? Indonesien 10 Milliarden US-Dollar, davon sind 4 Mil- liarden US-Dollar bereits ausgezahlt; für Korea Bitte sehr, Herr Staatssekretär. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21811

Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zweite Zusatz- desminister der Finanzen: Deutschland hat weder frage. dem IWF noch der Weltbank zusätzliche Finanzmittel für die Hilfsprogramme in Südostasien zur Verfü- (SPD): Herr Staatssekretär, es ist ja in gung gestellt, da ein solcher Beitrag auf Grund der Gernot Erler den vergangenen Jahren in die drei betroffenen Län- Art der Finanzierung beider Institutionen nicht erfor- der Südostasiens, die jetzt diese große K rise durchle- derlich ist. ben und internationale Unterstützung erhalten, sehr Der IWF vergibt an Mitgliedsländer mit Zahlungs viel spekulatives Geld geflossen. Was würden Sie je- bilanzschwierigkeiten Kredite, die die Durchführung mandem antworten, der behauptet, daß mit Steuer- von Wirtschaftsreformen erleichtern sollen. Die Kre- geldern aus Deutschland und natürlich auch aus an- dite werden aus den Einzahlungen der Mitgliedslän- deren westlichen Ländern letztlich fehlgelaufene der, also aus den Quoten, bereitgestellt. Dazu stellt Geldspekulationen abgedeckt werden? die Bundesbank dem IWF einen Teil ihrer Währungs- reserven zur Verfügung und erhält dafür eine Forde- rung gegenüber dem IWF, die vom IWF verzinst wird. Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Man muß hier wirklich Die Kreditlinien der Weltbank refinanzieren sich zwischen den Unterstützungsmaßnahmen, die über durch Anleihen am Kapitalmarkt. Die Zinsen für die die Weltbank und den IWF durchgeführt werden, Kredite an die Krisenländer sind so kalkuliert, daß wobei Deutschland im Rahmen seines Anteils an die- die Kosten der Refinanzierung gedeckt sind und sen Institutionen sozusagen pauschal mitbeteiligt ist, keine Belastungen für die nationalen Haushalte der und den anderen Schritten unterscheiden, die priva- Anteilseigner entstehen. Beide Institutionen finanzie- ter Natur sind, wenn beispielsweise durch deutsche ren ihre laufenden Ausgaben - Personal und Verwal- Banken Kreditvergaben erfolgen und do rt möglicher- tung - für ihre reguläre Tätigkeit aus Einnahmen auf weise Risiken entstehen. Ich denke, das muß man Grund ihrer Kreditvergabe, und die Weltbank finan- voneinander trennen. Für die Risikofreudigkeit oder ziert diese auch aus Erträgen des Eigenkapitals. die Zurückhaltung der deutschen Banken kann die Haushaltsmittel der Mitgliedsländer sind daher nicht Bundesregierung natürlich keine Verantwortung erforderlich. übernehmen. Der Anteil eines einzelnen Landes an einem Kredit einer multilateralen Institution kann nicht im einzel- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Die Frage 31 des nen beziffert werden, da die Zentralbanken, das Abgeordneten Diet rich Austermann wird schriftlich heißt im Falle Deutschlands die Deutsche Bundes- beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abge- bank, ihre Währungsreserven nicht zur Einzelfinan- druckt. zierung der jeweiligen IWF-Kredite, sondern durch einmalige Einzahlungen zur Verfügung stellen. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Finanzen. Vielen Dank, Der deutsche Anteil an den Mitgliedsquoten des Herr Staatssekretär Hauser. IWF beträgt zur Zeit 5,7 Prozent und am Kapital der Weltbank 4,65 Prozent. Die Aussage, daß der deut- Wir sind damit auch am Ende unserer heutigen sche Anteil an einem IWF-Kredit damit 5,7 -Prozent Fragestunde. betrage, trifft zwar rechnerisch in genereller Form, also theoretisch, zu, berücksichtigt aber nicht den Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 2 auf: multilateralen Charakter der Institution und ihrer Fi- nanzierung. Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zu den auslän- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zusatzfrage, derpolitischen Beschlüssen der CSU bitte. Die Aktuelle Stunde findet auf Verlangen der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen statt. Gernot Erler (SPD): Herr Staatssekretär, kann man daraus schließen, daß eine solche Krise wie die in Süd- Das Wort hat die Abgeordnete Kerstin Müller, ostasien gar keine finanzpolitische Herausforderung Bündnis 90/Die Grünen. Ich erinnere: Bei der Aktuel- für die westlichen Länder darstellt? Denn so, wie Sie len Stunde beträgt die Redezeit st rikt fünf Minuten. es dargestellt haben, lassen sich auf dem Kapitalmarkt oder durch Nutzung von Eigenkapital grenzenlos Pro- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gramme zur Stützung in einer solchen Krise auflegen. NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Oder ist das eine unzulässige Schlußfolgerung? Wir nähern uns der heißen Phase des Wahlkampfes.

Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Man desminister der Finanzen: Ich denke, es ist eine un- merkt es!) zulässige Schlußfolgerung. Denn die zur Krisenbe- - Ja, zum Beispiel heute morgen. - Das steht wohl wältigung notwendigen Institutionen, IWF und Welt- seit dem Parteitag der Kolleginnen und Kollegen der bank, sind ja vorhanden. Die Mitgliedsländer arbei- CSU in Ingolstadt fest. ten in diesen Institutionen mit und bestimmen damit, in welcher Form Maßnahmen dieser Institutionen (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Ich habe eingeleitet werden. Sie nicht gesehen, Frau Müller!) 21812 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Kerstin Müller (Köln) Die CSU hat da, wie ich finde, einen sehr gefährli- Dieses Land in der Mitte Europas war schon immer chen Weg betreten. Denn was waren die Parolen die- ein Einwanderungsland; das wird es auch bleiben. ses Parteitages? „Kein unkontrollierter Zustrom", Der Kollege Geißler hat dazu treffend ausgeführt: „Grenze der Aufnahmefähigkeit erreicht", „gegen Genausogut wie diese CSU-Parole gegen Einwande- Überfremdung und Identitätsverlust", „Abschiebung rung ließe sich der Satz festschreiben, daß es im der Eltern straffällig gewordener Kinder", also die Wald keine Eichhörnchen zu geben hat. Nun gibt es Wiedereinführung der Sippenhaft - so möchte ich halt Eichhörnchen im Wald. Ich kann dem Kollegen einmal formulieren -, die damit bet rieben wird - das Geißler in diesem Punkt nur nachdrücklich zustim- sind die Töne der CSU zur Ausländerpolitik. Was für men. eine unglaubliche Demagogie! (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Da wird (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er sich sehr freuen!) und bei der SPD - Dr. Peter Ramsauer Pro Jahr kommen zirka 700 000 Menschen hierher. [CDU/CSU]: Sie haben unsere Papiere gar Gleichzeitig wandern etwa 550 000 Menschen wieder nicht gelesen!) aus. Wir haben netto eine Einwanderung von jährlich - Doch, sehr ausführlich. etwa 150 000 bis 200 000 Menschen. Das sind gerade einmal 0,2 Prozent der Bevölkerung. In ganz Bayern lebten 1996 gerade einmal 5000 Ausländerinnen und Ausländer mehr als 1995. Ange- Angesichts dieser Tatsachen kann doch nur je- sichts dessen sprechen Sie von unkontrollie rtem Zu- mand, der unter dramatischem Realitätsverlust lei- strom oder gar von Überfremdung. det, behaupten, die Bundesrepublik sei kein Einwan- derungsland. Genausowenig kann man behaupten, (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Bei uns ihr drohe die Überfremdung. Was Sie, meine Damen leben die Ausländer sicher!) und Herren von der CSU, da machen, ist eine ab- Was Sie, meine Damen und Herren von der CSU, struse Ignoranz der Realität. Warum reden Sie so ein hier schüren, das sind Rassismus und Minderheiten- Zeug daher? - Weil Sie mit solchen Tiraden im Wahl- feindlichkeiten pur. kampf von den tatsächlichen Problemen ablenken wollen, und zwar von Arbeitslosigkeit und von Entso- (Jürgen Augustinowitz [CDU/CSU]: Un lidarisierung. Das sind nämlich die Dinge, für die Sie -glaublich!) mitverantwortlich sind. Darüber wollen Sie in diesem Wahlkampf nicht reden. Das ist wirklich ein „erschreckender Rechtsruck" - da muß ich Herrn Westerwelle ausnahmsweise ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mal recht geben - oder ein „Wahlkampf aus der Jau- Sie wollen Angst machen, Angst vor Überfrem- chegrube", wie sogar die „Bild am Sonntag" kom- dung und Kriminalität. Sie wollen die Angst vor Aus- mentierte. ländern schüren und damit auf Stimmenfang gehen. Wenn diese Kritik Sie schon nicht beeindruckt, Ich denke, wer diesen Weg geht, der tut mehr, als dann sollte Sie doch zumindest das Lob von der fal- nur Parolen zu dreschen, der bereitet - gewollt oder ungewollt - den Nährboden für ausländerfeindliche schen Seite nachdenklich machen. Die DVU- beschei- nigte Ihnen nämlich, daß sie - Zitat - nach Ihrem Gewalt. Rechtsruck in der Ausländerpolitik nicht mehr drauf- (Dr. [CDU/CSU]: Ziemliche satteln wolle und deshalb keinen Sinn mehr darin Unverschämtheit!) sehe, sich an der Landtagswahl in Bayern zu beteili- gen. Ich finde, spätestens nach dieser Feststellung Ich möchte gerade in dieser Woche daran erinnern: sollten Ihnen Skrupel hinsichtlich der von Ihnen ge- Übermorgen jährt sich der Brandanschlag von Solin- faßten Beschlüsse kommen. gen zum fünftenmal. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Hier eine und bei der SPD - Dr. Peter Ramsauer Kausalität herzustellen ist ein dicker Hund!) [CDU/CSU]: Sie glauben auch jeden Blöd - Das sage ich nicht. Es gibt aber eine Zeitgleichheit. sinn!) Darüber kann man wenigstens einmal nachdenken. Wir sind stolz auf die europäische Einigung. Wir Solingen war dramatisch genug. sind stolz darauf, daß die Menschen das Recht ha- Auf dem Höhepunkt der Asyldebatte, auf dem Hö- ben, sich innerhalb Europas frei zu bewegen und hepunkt des Geredes von „Das Boot ist vo ll " geschah sich an jedem Ort ihrer Wahl niederzulassen. Was der Brandanschlag von Solingen. Ich sage: Demokra- soll da eine Parole wie: „Deutschland und Bayern tische Politiker dürfen sich niemals zum Stichwortge- sind kein Einwanderungsland"? Heißt das, daß die ber für ausländerfeindliches Gedankengut machen. Türen im Haus Europa wieder verschlossen werden sollen? Wollen Sie neue Grenzen zwischen den euro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN päischen Ländern aufbauen? Was Sie den Menschen und bei der SPD) da suggerieren, ist der Rückfall in ein borniertes na- tionales Denken, das ist der Abschied vom europäi- Wer mit Worten zündelt, der ist nachher auch mit- schen Erbe der Nachkriegszeit. verantwortlich, wenn es wieder brennt. Da sind Sie alle, meine Damen und Herren von der Koalition, in (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Tosender der Pflicht: Sie dürfen diese makabre Arbeitsteilung Beifall! Stille bei den Grünen!) mit der CSU nicht akzeptieren. Ich sage einmal: Das Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21813

Kerstin Müller (Köln) Zündeln muß doch spätestens nach den hohen Wahl- Ich will, damit wir in Klarheit diskutieren und die ergebnissen der DVU in Sachsen-Anhalt aufhören. Positionen gegenüberstellen können, kurz deutlich machen, was in diesen Gesetzentwürfen steht; denn Nicht nur das: Wenn wir den Rechtsradikalismus die Bevölkerung hat viel mehr Anspruch darauf, das wirksam bekämpfen wollen, dann brauchen wir jetzt zu erfahren. Bisher haben Sie den Inhalt überwie- klare Signale der Integration. Das bedeutet vor allen gend verschwiegen. Dingen: Wir brauchen ein modernes, ein zeitgemä- ßes Staatsbürgerschaftsrecht, und wir brauchen ein Sie wollen, daß pro Jahr 440 000 Menschen zusätz- Einwanderungsgesetz. lich nach Deutschland kommen. Dazu kommt der Fa- miliennachzug, der von Ihrer Seite sehr großzügig geregelt werden soll. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ihre Redezeit ist zu Ende. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei sind 220000 Aussiedler!) (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kerstin Müller - Ja, diese Linie steigt auf und ab. Insgesamt macht NEN): Es kommt darauf an, Einwanderung zu gestal- dies ungefähr 1 Million Menschen, die zu den ohne- ten und die Integration zu fördern, statt Angst zu hin schon kommenden Asylbewerbern und Asylbe- schüren und die Menschen gegeneinander aufzu- rechtigten hinzugezählt werden müssen. bringen. Darum muß es uns in den nächsten Mona- ten gehen. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Aussiedlern?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS) - Für die Aussiedler haben Sie eine Übergangsrege- lung vorgesehen. Drei Jahre lang wollen Sie sie noch Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat als Deutsche betrachten, jetzt der Abgeordnete Michael Teiser, CDU/CSU- (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Fraktion. GRÜNEN]: Vier!) danach als Einwanderer. Das ist übrigens ein Punkt, (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Michael Teiser der es wert wäre, in einer Aktuellen Stunde behan- Meine Damen und Herren! Liebe Frau Müller, die delt zu werden. Aktualität der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde zeigt sich insbesondere an der Teilnahme von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sieben Abgeordneten der grünen Fraktion. Ferner wollen Sie durch eine Stichtagsregelung a ll (Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ denjenigen, die hier sind - gleichgültig, ob legal oder NEN]: Die Opposition hat die Mehrheit!) illegal; Hauptsache, sie sind sechs Monate in Insofern sollten Sie sich einmal fragen, ob es wirklich Deutschland -, per Gesetz ein Aufenthaltsrecht ge- Sinn unserer Arbeit ist, daß wir uns zu einzelnen Be- ben und streben letztendlich für alle das Wahlrecht schlüssen von Parteiorganen bzw. von Parteien im an. - Rahmen einer Aktuellen Stunde auslassen. Das ist der Inhalt Ihrer Gesetzentwürfe, die Sie im (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacob Innenausschuß eingebracht haben. Sie sind do rt sen [F.D.P.]) selbst von der SPD abgelehnt worden, obwohl wir natürlich nicht wissen, ob die Gründe der Ablehnung Die Beschlüsse Ihrer Parteitage, die Zurücknahme seitens der SPD dieselben waren wie seitens der und Relativierung Ihrer Parteitagsbeschlüsse und de- CDU. ren Fassung in Kurzform hätten Gelegenheit ge- geben, im Bundestag nicht nur Aktuelle Stunden, (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Sie können ja sondern sozusagen aktuelle Tage durchzuführen. Da mal fragen!) wäre viel Diskussionsbedarf. Aber wir sehen keinen Ich sage Ihnen hier ganz deutlich: Das, was Sie Sinn darin, das zu tun. zum Thema der Aktuellen Stunde gemacht haben, (Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ nämlich die Beschlüsse des CSU-Parteiausschusses, NEN]: Wir entwickeln uns nach vorn und würde, selbst wenn Sie mir jetzt Einzelmeinungen Sie zurück!) anderer entgegenhalten, auf jedem Bundesparteitag der CDU mit überwältigender Mehrheit ebenso be- Ich will Ihnen allerdings deutlich sagen, was wir schlossen. machen werden. Sie haben es eben wieder vermie- den, deutlich zu machen, was Sie eigentlich wollen. (Beifall bei der CDU/CSU - Lachen beim Sie haben den Vertretern der deutschen Medien, die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aus Zeitgründen selten in der Lage sind, Gesetzent- Was haben Sie den Punkten, die Sie selbst eben würfe zu lesen, und sich statt dessen auf kurzgefaßte aufgeführt haben, eigentlich entgegenzusetzen? Sie Pressemitteilungen verlassen, natürlich nicht gesagt, sagen: Wir sind ein Einwanderungsland. Wir bestrei- was Sie im letzten Monat in den Sitzungen des In- ten das. Das ist der grundlegende Unterschied zwi- nenausschusses an Gesetzentwürfen eingebracht ha- schen uns. ben. Sie haben diese eben ganz kurz ange rissen: das sogenannte Niederlassungs- und das Einwande- Ich sage Ihnen, damit Sie das beispielhaft nachvoll- rungsgesetz. ziehen können: Nur durch die Tatsache, daß sich je- 21814 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Michael Teiser mand zehnmal pro Tag illegal auf mein Grundstück ebenfalls unstrittig. - Insofern an die CSU: Es besteht begibt, ist es noch lange kein öffentlicher Marktplatz, völlige Übereinstimmung. sondern noch immer mein Grundstück. Vielen Dank. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Da fängt es aber doch schon an!)

Deswegen können Sie aus der Zuwanderung weder Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat ableiten, daß wir dadurch zum Einwanderungsland jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Cornelie Sonntag geworden sind, noch, daß wir dies wollten. Die große Wolgast, SPD-Fraktion. Mehrheit hier im Haus und die große Mehrheit der Bevölkerung können Ihnen da nicht folgen. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Frau Präsi- Ich bin gespannt, was die PDS nachher von sich dentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Zur Land- geben wird, die von dem Ansinnen der Grünen be- tagswahl in Bayern wird die DVU nicht antreten. Das züglich der Einwanderung und der Niederlassung hat offenbar seine Gründe. Die Rechtsextremen fin- begeistert war. den rechts von der CSU kaum Platz. (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Bin ( [CDU/CSU]: Erzählen ich nicht!) Sie lieber etwas von der PDS! Die ist genauso radikal wie die anderen!) Aber ich will Ihnen schon vorweg sagen - wir können in der Aktuellen Stunde ja nicht abwechselnd reden Aber das bietet keinen Anlaß zum Prahlen. Denn es -: Sie sollten sich sehr wohl überlegen, Frau Jelpke, signalisiert nicht etwa demokratische Hygiene, Kol- wie Sie sich dazu einlassen werden. Das letzte, was lege Marschewski, sondern leider eine unappetitli- Sie im Ausschuß eingebracht haben - der Kollege che Nähe bei Wortwahl und Gedankengut gerade zu Penner hat Ihnen das deutlich gesagt -, war heute den politischen Kräften, denen die CSU und auch morgen der faktische Ersatz der parlamentarischen Teile der CDU - ich denke da etwa an den schleswig- Demokratie durch die Urdemokratie. Dann allerdings holsteinischen CDU-Landesvorsitzenden mit seinen frage ich Sie: Wie, glauben Sie, würde das, was Sie offen reaktionären Thesen - angeblich das Wasser im Bereich des Ausländerrechts wollen, in einer abgraben wollen. Volksabstimmung entschieden? Würde sie in Ihrem (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS Sinne ausgehen oder möglicherweise anders? SES 90/DIE GRÜNEN) (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Man muß die Eine solche Rechnung kann und darf nicht aufgehen. fünf Minuten Redezeit nicht ausschöpfen!) Denn im Stafettenlauf bei Feindseligkeiten gegen Ich kann deutlich sagen: Die Überschriften der Be- Fremde wird derjenige auf jeden Fall siegen, der am schlüsse der CSU „Zuzug reduzieren" etc. sind rücksichtslosesten und radikalsten voranprescht. Punkte, die von der CDU und der großen Mehrheit Natürlich gibt es Angst und Animositäten in der der Bevölkerung voll geteilt werden. Bevölkerung gegenüber Zuwanderern. Es ist auch - überhaupt nicht zu leugnen, daß sich in sozialen Pro- (Beifall bei der CDU/CSU) blemgebieten diese Konflikte ballen. Hinzu kommt „Keine doppelte Staatsbürgerschaft" - dies wird, wie die Angst vor der Konkurrenz, die zum Beispiel von Sie festgestellt haben, billigen Arbeitskräften aus Osteuropa auf deutschen Baustellen ausgelöst wird. Darüber muß man reden. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Aber es sind allesamt Probleme, die diese Regierung NEN]: Von der CDU voll geteilt!) in 16jähriger Amtszeit angehäuft hat, ohne sie lösen voll geteilt. Richtig, Herr Kollege! Sie haben das bei zu können. Weder zur Bekämpfung der Massenar- den Abstimmungen in diesem Haus gemerkt. beitslosigkeit und zur Minderung der Sorgen um die soziale Sicherheit noch zur Beseitigung von Lohn- Die Feststellung, daß der Erwerb der deutschen dumping und illegaler Arbeit war diese Koalition fä- Staatsangehörigkeit das Ergebnis eines Integrations- hig. prozesses sein muß und nicht am Beginn stehen darf, (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das Asyl ist auch völlig in Ordnung. Dies ist hier auch mehr- hat mit Ihrer tollen Partei 10 Jahre gedau fach diskutiert worden. Die Antwort darauf, wieso es ert! 10 Jahre! Ihr seid eine tolle Partei!) der Integration dienen soll, wenn ein Siebenjähriger einen zweiten Paß im Schrank seines Vaters liegen Nicht einmal um Integration und Konfliktminderung hat, sind Sie uns bis heute schuldig geblieben. im Verhältnis zwischen Einheimischen und Zuwan- derern hat sie sich bemüht. Das positive Signal einer durchgreifenden Staatsbürgerschaftsreform hat sie Ihre Redezeit ist Vizepräsidentin Michaela Geiger: ebenfalls nicht gesetzt. zu Ende. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das wol len wir auch nicht!) Michael Teiser (CDU/CSU): Daß die illegale Ein- wanderung konsequent verhindert werden muß, ist Was machen Sie jetzt? - Sie widmen sich dem End- ebenso völlig klar. Daß die erfolgreiche Asylpolitik resultat Ihrer falschen Politik. Sie greifen eine ange- der Bundesregierung fortgesetzt werden muß, ist spannte Stimmungslage auf und reizen viele Men- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21815

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast schen dazu, für die eigenen Sorgen und die eigene Für uns ist die Sache eindeutig: Mit Zündeln gegen Unzufriedenheit Sündenböcke zu suchen. Das ist fa- Minderheiten darf man nicht auf Wählerfang gehen. tal und verantwortungslos. Wer gegen diesen Grundsatz verstößt, zerstört auch den Konsens der Demokraten und unsere politische (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Kultur, über die wir heute mittag in sehr würdiger ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Form diskutiert haben. Wer dagegen verstößt, han- Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Wer hat delt nicht nur schädlich, sondern schändlich. die Aktuelle Stunde beantragt? Sie oder wir?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Wir haben den Antrag nicht gestellt. Sie wissen, und der PDS) daß das von anderer Seite kam. Ich möchte an dieser Stelle noch eine weitere Be- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat die merkung machen, damit keine Mißverständnisse auf- Abgeordnete Cornelia Schmalz-Jacobsen, F.D.P.- kommen. Kein noch so t ristes Wohnmilieu, keine Ar- Fraktion. beitslosigkeit und keine Angst um Ausbildungs- plätze rechtfertigen Haß und Gewalt gegen Men- schen, die anders aussehen oder an etwas anderes Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Frau Präsi- glauben. dentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Jede und jeder von uns hat seine Erfahrungen mit Parteitags- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE beschlüssen gemacht. Das möchte ich vorausschik- GRÜNEN und der F.D.P. - Cem Özdemir ken. Ob man zu Parteitagsbeschlüssen unbedingt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müßten Aktuelle Stunden beantragen muß, eigentlich alle mitklatschen!) (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Meine Damen und Herren, auf keinem anderen NEN]: Das gehört zur Verteidigung der Gebiet - das wissen Sie sehr wohl - sind Halbwissen Rechte in diesem Land!) und Fehldeutungen so verbreitet wie beim Thema Ausländer. Was hilft dagegen? - Dagegen hilft doch ist in der Tat mit einem Fragezeichen zu versehen. nur sachliche Aufklärung etwa über Geschichte und Ich bedauere sehr - das muß ich Ihnen schon sagen -, Entwicklung der Migration in unserem Land, über daß wir heute in dieser Form über Ausländerpolitik Fluchtursachen, auch über die grundgesetzlich ver- debattieren müssen. Parteitagsbeschlüsse, die kaum ankerten Ansprüche auf Zugang zu diesem Land - eine Chance haben, überhaupt in das gemeinsame etwa über das Asylverfahren oder den Familiennach- Wahlkampfprogramm von CDU und CSU zu kom- zug oder die Möglichkeiten, als Spätaussiedler oder men, scheinen mir kein angemessener Anlaß zu sein. Bürgerkriegsflüchtling anerkannt zu werden. So habe ich das aus Ihren Reihen vernommen. Der Kollege Geißler - den ich hier vermisse; er hat sicher- Oder wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen lich etwas Besseres zu tun - hat sich sehr deutlich ge- aus der CDU und vor allen Dingen aus der CSU, un- äußert. Es ist Wahlkampf, und da scheint das so sein ter dem Stichwort „Zuzug verringern" alles das, was zu müssen. ich eben erwähnt habe, schlichtweg streichen- oder kappen? - Dann sagen Sie das; dann wissen wir Be- Ausländerpolitik ist zum zentralen Bereich unserer scheid. Innenpolitik geworden. Mit diesem Thema gewinnen manche ganz offenkundig Wahlen; und andere hof- (Michael Teiser [CDU/CSU]: Im Grundge fen nur, mit diesem Thema Wahlen gewinnen zu setz steht nichts von Familienzuzug!) können. Ich erinnere Sie daran, daß 1989 die CDU in Wir Sozialdemokraten sagen schon deutlich, daß Berlin, ziemlich zum Ende ihres Wahlkampfes, ge- längst nicht alle, die hierherkommen, bleiben kön- meint hat, einen krassen Anti-Ausländer-Wahlkampf nen, und wir sprechen auch über bestimmte Formen führen zu müssen. Das Resultat war nicht eine Stär- von Kriminalität bei Ausländern, allerdings auch kung der CDU, sondern das Einrücken der soge- über die Eigenheiten von Kriminalitätsstatistiken. nannten Republikaner in das Abgeordnetenhaus. Wir sagen ebenso klar aber auch: Wer hier ein Blei- In Baden-Württemberg haben wir vor zwei Jahren berecht hat, darf auf unsere Pa rtnerschaft, unsere So- lidarität, unsere gesellschaftliche und politische Zu- erlebt, daß die Sozialdemokratische Pa rtei einen sehr wendung und auch auf eigene Teilhabe rechnen. Wir schäbigen Wahlkampf gegen deutschstämmige Aus- wollen keine neuen Zuzugswege öffnen, sondern die siedler geführt hat. Auch hier war das Ergebnis nicht, daß die Sozialdemokraten gestärkt wurden, sondern Zuwanderung dort steuern und politisch gestalten, wo das möglich ist. daß sich die Republikaner behaupten konnten. Wenn ich mich recht erinnere, gingen sie sogar gestärkt aus Nicht Katzbuckeln gegenüber rechtsaußen ist ge- diesem Wahlkampf heraus. Es gibt andere Beispiele. boten, sondern Schärfe und Härte. Darüber dürfen Sie innerhalb der Union und mehr noch innerhalb Immer wieder stellt sich dann die Frage, wen die der Koalition ruhig Ihren Strauß austragen. Leute eigentlich wählen, das O riginal oder die Ko- pie? Der alte Satz von Franz Josef Strauß, es dürfe (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das keine Partei rechts von der CSU geben, ist beden- machen wir! Sprechen Sie lieber ein biß kenswert und verständlich. Aber kann dieses Ziel je- chen über die PDS!) des Mittel rechtfertigen? 21816 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Cornelia Schmalz-Jacobsen Meine Kolleginnen und Kollegen, nur damit Sie es Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat wissen: Ich habe das Papier hier, und ich habe es jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke, PDS. auch gelesen; ich habe mir sogar Passagen angestri- chen. Ulla Jelpke (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Fast alles und Herren! Ehrlich gesagt frage ich mich, worin die hat der Bundestag beschlossen!) Aktualität dieser Debatte besteht ; denn eigentlich haben wir es hier mit immer wiederkehrenden Rollen Eigentlich lohnt es nicht, so viele Worte um das Pa- der CDU und der CSU zu tun: Sind die Rechtsextre- pier zu machen. Denn neben Selbstverständlichkei- misten stark, biedert sich die CSU diesen an, und die ten, allgemein Anerkanntem und unbest rittenen All- CDU versucht die Mitte zu erreichen. Ich finde es gemeinplätzen sowie, ich muß das leider sagen, einer schon traurig, Herr Marschewski, daß die CSU vier Portion halbgarer Wunschvorstellungen - zum Bei- Wochen nach dem erschreckenden und bedrücken- spiel die Forderung, die „Rücknahmebereitschaft der den Ergebnis der DVU einen Parteitag durchführt Herkunftsländer zu stärken"; wie denn, bitte? - stek- und sich nicht scheut, ausgerechnet Peter Gauweiler, ken darin leider einige gefährliche Giftpfeile. Deswe- der ein ausgemachter Anhänger von rassistischen gen hat das zu den von manchen gewünschten Reak- und völkischen Positionen ist, die ausländerpolitische tionen in der Öffentlichkeit geführt. Haltung der CSU auf diesem kleinen Parteitag der Sie sagen, die Grenzen unserer Aufnahmefähig- Öffentlichkeit präsentieren zu lassen. keit seien erreicht. Das mag sein; darüber kann man diskutieren. Aber selbst wenn es so sein sollte - Ich meine, ich sage nichts Neues, wenn ich hier warum die krampfhafte Ablehnung eines Zuwande- feststelle: Deutschland ist ein Einwanderungsland. rungskontrollgesetzes? 9 Prozent unserer Bevölkerung haben keinen deut- schen Paß; genau das ist das Kriterium. Da beispiels- (Beifall bei der F.D.P.) weise Sie, Herr Teiser, hier Herrn Gauweiler zitiert haben, „Deutschland und Bayern sind kein Einwan- Sie wissen selbst ganz genau, daß man nur mit einem derungsland" : Ich hatte ursprünglich vor, die CDU Gesetz, das Zuwanderung steuern und, wenn not- etwas differenziert von der CSU zu behandeln, aber wendig, begrenzen kann, weiterkommt. Die Unter- offensichtlich haben Sie ähnliche Positionen wie die stellung des CSU-Parteitages, ein jedes Gesetz dieser CSU in Bayern übernommen, als das hohe Ergebnis Art müsse mehr Zuwanderung bewirken, verkauft der DVU zu verzeichnen war. die Bürger in Wirklichkeit für dumm. Nichtsdestotrotz muß man hier feststellen, daß ge- „Deutschland ist kein Einwanderungsland" - das rade die CSU in ihrem Land die Migrantinnen und können Sie mit Ihrer Mehrheit sicherlich in der Baye- Migranten, die Ausländerinnen und Ausländer be- rischen Verfassung festschreiben. Aber ich frage nutzt, um ihre schäbige Politik in Sachen Rassismus mich - ei, potztausend -: Wie sind denn die 1,1 Millio- weiter zu verfolgen. Wir kennen die Parolen von Poli- nen Ausländer, die in Bayern leben, dorthin gelangt? tikern dieser Partei, der CSU, die immer wieder sa- (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE gen, Ausländer nähmen Deutschen die Arbeitsplätze GRÜNEN]: Mit dem Fallschirm gelandet!) weg, sie seien kriminell, sie würden das Asylrecht mißbrauchen, Sozialleistungen mißbrauchen usw. „Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht eignet sich nicht für Experimente und Anpassung an den Von Gauweiler konnten wir in den letzten Tagen Zeitgeist. " Also, wir wollen es an die Zeit anpassen - hören: „Wir haben in Deutschland und Bayern die und das ist nötig! Grenzen der Aufnahmefähigkeit erreicht". Das Boot sei voll. All das haben wir schon oft genug gehört Ihr Vorwurf „doppelte Staatsbürgerschaft - eine und haben erlebt, wie dadurch gezündelt worden ist. für das Herz und eine für den Geldbeutel" kann ja Ich meine, daß sich all diese Sprüche, die hier von nicht Ihr Ernst sein. Das klingt gut und giftig - und ist der CDU/CSU kommen, überhaupt nicht von denen unwahr. Was ist denn mit all diesen Kindern aus den der DVU unterscheiden. Sie haben ja auch deutlich binationalen Ehen? Was ist mit den vielen Aussied- angekündigt, daß Sie deren Politik übernehmen wol- lern, die zwei Staatsbürgerschaften haben? len. Ich bin fest davon überzeugt: Wer glaubt, Rechtsra- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Die Redezeit ist dikale bekämpfen zu können, indem man ihre Paro- zu Ende, Frau Kollegin. len übernimmt, bläst Wind in das Feuer, das Neona- zis dann nehmen, um Asylheime und Ausländerun-

Cornelia Schmalz -Jacobsen (F.D.P.): Da sind eine terkünfte anzustecken. Nur zu Ihrer Erinnerung: Erst ganze Reihe von Dingen, ob für Herz oder für Geld- vor zwei Wochen ist ein Asylbewerberheim in Ai- beutel, jedenfalls ohne Verstand gemacht worden. chach in Bayern angezündet worden. Ich meine, daß Das muß ich Ihnen leider unterstellen. Sie mit Ihrer Politik nicht wenig Verantwortung dafür tragen. Ich komme zum Schluß. Wir haben es hier mit ei- ner bunten, populistisch gefärbten Mischung zu tun, (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine die so gottlob nie in die Wirklichkeit umgesetzt wer- Unverschämtheit!) den wird. Doch anstatt alles zu tun, um dafür zu sorgen, daß (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) wachsender Rechtsextremismus, Antisemitismus, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21817

Ulla Jelpke Rassismus und Ausländerfeindlichkeit geächtet und gleichen Rechte erhalten wie Deutsche. Wer hier sanktioniert werden, haben Sie, wie gesagt, die Stim- lebt, hat die gleichen Rechte zu bekommen. Dafür mung weiter angeheizt. werden wir weiter kämpfen. Nur so werden Rassis- mus und Rechtsextremismus tatsächlich zu bekämp- Wes Geistes Kinder hier im Moment reden, haben fen sein. wir gestern gehört, als der neue Regierungssprecher Hauser und der CSU-Generalsekretär Protzner unter Danke. Beweis stellen wollten, was für tolle Leute sie doch sind: Wir haben von ihnen heute in den Zeitungen (Beifall bei der PDS) beispielsweise lesen können, „die schmutzigste Wahl in einem deutschen Parlament seit 1933" sei in Sach- sen-Anhalt durchgeführt worden. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frau Abgeord- nete, ich finde es nicht angemessen, daß Sie eine de- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - mokratische Partei des Bundestages beschuldigen, Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Die an irgendwelchen Verbrechen beteiligt zu sein. schmutzigste Wahl! Völlig richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer Höppner mit Hitler gleichsetzt, der kann sich hier nicht hinstellen und so tun, als wolle er junge Das Wort hat jetzt der Bundesinnenminister Menschen, die von Rechtsradikalen beeinflußt sind, Dr. Manfred Kanther. überzeugen und sie eines Besseren belehren. Wer so etwas sagt, ist in meinen Augen völlig unglaubwür- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Frau dig. Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nach (Beifall bei der PDS) der Haltung der Bundesregierung gefragt. Deshalb sei mir gestattet, daß ich auszugsweise - aber wört- Nicht nur das. Sie haben mit diesen Zitaten und lich - aus Beschlüssen der Bundesregierung zitiere: auch mit der Jubelei, die Sie hier zeigen, deutlich ge- macht, wie Sie die Verbrechen des Nationalsozialis- Nur durch eine konsequente und wirksame Poli- mus verharmlosen. tik zur Begrenzung des Zuzugs aus Ländern, die nicht Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ sind, läßt sich die unverzichtbare Zustimmung DIE GRÜNEN) der deutschen Bevölkerung zur Ausländerinte- gration sichern. Dies ist zur Aufrechterhaltung Das ist wirklich eine Verharmlosung gegenüber den des sozialen Friedens unerläßlich. Jüdinnen und Juden, den Roma und Sinti, den Men- schen mit Behinderung und den politischen Geg- Es besteht im Kabinett Einigkeit, daß die Bundes- nern, die wirklich etwas anderes erlebt haben als republik Deutschland kein Einwanderungsland das, was Sie hier vergleichend angeführt haben. ist und auch nicht werden soll. ... Das Kabinett ist Man mag es kaum aussprechen. sich einig, daß für alle Ausländer, die aus Ländern außerhalb der EG kommen, ein weiterer Zuzug - Aber auch andere Aussagen wie die des neuen Re- unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglich- gierungssprechers kann man lesen. Ich zitiere: keiten verhindert werden soll. ... Ausländer, die ... ungefähr dasselbe, als wenn die Nationalsozia- sich illegal in der Bundesrepublik aufhalten, sol- listen unter anderem Namen nach dem Krieg mit- len prinzipiell abgeschoben werden. Ausländer- regiert hätten. schwarzarbeit ist st rikt zu unterbinden und schär- fer zu verfolgen. Ich möchte Sie nur an Namen wie Globke, Filbinger oder Kiesinger erinnern. Diese Männer waren Nazis (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ und haben unter der CDU in diesem Hause mitregie- NEN]: Deutsche Schwarzarbeit auch!) ren können, wie Sie wissen. Soweit die Beschlüsse der Bundesregierung aus SPD (Beifall bei der PDS) und F.D.P. vom 11. November 1981 und vom 3. Fe- bruar 1982. Ich würde Ihnen hier eine wenig selbstkritische Hal- tung bescheinigen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Was darin steht, ist zeitlos richtig. Dies wurde in ei- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ihre Redezeit ist ner Zeit ausgesprochen, in der es in Deutschland zu Ende, Frau Kollegin. 4,6 Millionen Ausländer gab. Heute gibt es etwa 60 Prozent mehr, nämlich 7,3 Millionen. Deshalb möge mir einmal jemand erklären, warum wir uns Ulla Jelpke (PDS): Ich komme zum Schluß. - Ich 1981/82 richtigerweise nicht als Einwanderungsland meine, man kann den Rechtsextremismus in diesem verstanden haben, uns aber jetzt als solches verste- Land nicht bekämpfen, indem man sich die Auslän- hen sollen. Deutschland ist kein Einwanderungsland, derinnen und Ausländer zum Hauptfeind macht, in- und mit der CDU/CSU und dieser Bundesregierung dem man sie zum Sicherheitsrisiko erklärt. Wir wol- wird es auch keines. len in diesem Land eine solidarische Gesellschaft, in der Menschen, die ausländischer Herkunft sind, die (Beifall bei der CDU/CSU) 21818 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Bundesminister M anfred Kanther Deutschland braucht kein Einwanderungsgesetz. gestellt, nämlich eine dauernde Entstellung, was Es hat zuviel Zuzug, den es nicht will. Rechtsstaatlichkeit angeht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS - Zuruf Und im übrigen - gefragt - sage ich Ihnen: In Fra- von der CDU/CSU: Entschuldigung, das ist gen der inneren Sicherheit und der Ausländerpolitik doch nur ein Teil der Wahrheit!) bekommen Sie zwischen CDU und CSU und dem In- nenminister kein Blatt Papier. Das war's. Schließlich soll in Nürnberg wider jede Vernunft die Ausweisung eines Krankenpflegers festgestellt (Beifall bei der CDU/CSU) werden, der Adoptivsohn von deutschen Eltern, ei- nes deutschen Ehepaares, ist, der seit 24 Jahren in der Familie lebt und dessen einziges Manko ein hai- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat tianischer Paß ist. Dieser bayerische Sonderweg jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir, Bündnis 90/Die sollte an bayerischen Grenzen halt machen, aber mit Grünen. Sicherheit nicht bundesweit gegangen werden. Nun lassen Sie mich eines sagen: Ich bin kein Cern Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Christ, sondern von der Geburtsurkunde her Muslim. Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich Aber das, was ich im christlichen Religionsunterricht möchte eines gleich zu Beginn klarstellen: Meine gelernt habe - ich habe da gut aufgepaßt -, was so- Fraktion ist nicht daran interessiert, das Thema „Zu- wohl im Alten als auch im Neuen Testament steht, sammenleben von Nichtdeutschen und Deutschen in das hat nun wirklich nicht sehr viel mit dem zu tun, der Gesellschaft" zu tabuisieren und aus dem Wahl- was den bayerischen Sonderweg ausmacht. kampf herauszuhalten. Das geht gar nicht. Wir wol- len Nichtdeutsche nicht in Watte packen. Das haben (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS sie gar nicht nötig. Aber wir wollen sachlich über das SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Thema diskutieren. Darin unterscheiden wir uns sehr Jetzt noch etwas zu den Punkten, die angespro- stark von Ihnen. chen worden sind. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Da sind Einwanderungspolitik: Es wird durch mehrmaliges wir gespannt!) Wiederholen nicht richtiger: Wir haben in diesem Hause und in dieser Gesellschaft zwei Formen von Der schwarze Peter Gauweiler - bisher eher Fundamentalismen. Die einen sagen: offene Gren- Schmuddelkind seiner Partei - stieg am vergangenen zen, jeder soll kommen können. Die anderen sagen - Wochenende quasi wie Phönix aus der Asche, um das hat die CSU jetzt noch einmal eindrücklich unter- der CSU die rechte Richtung zu weisen. strichen -: Niemand soll kommen können; wir verab- (Erwin Marschewski (CDU/CSU): Das war schieden uns von der Exportnation, wir verabschie- sachlich?) den uns von der Globalisierung, wir verabschieden uns von Europa. Das ist die CSU-Position. Ich möchte einmal ein paar Beispiele aus dem - Wir stehen in der Mitte. bayerischen CSU-Tollhaus zitieren, damit man sieht, worüber wir eigentlich diskutieren. In München sol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len die Eltern eines straffällig gewordenen Jugendli- chen gleich mit abgeschoben werden. Ich bin sehr Wir sagen: kontrollierte, geregelte Zuwanderung, gespannt, was die Gerichtsbarkeit dazu sagen wird. keine offenen Grenzen, aber auch keine „Schotten Es geht hier nicht darum, daß man straffällig gewor- dicht!" Wir sagen ja zu Europa. Wir sagen ja zur ge- dene nichtdeutsche Jugendliche anders behandelt meinsamen Politik. Es würde mich einmal interessie- als deutsche. Sie sollen genauso bestraft und behan- ren, wie der Bundeskanzler das mit seiner Europapo- delt werden wie andere Jugendliche, die bei uns ge- litik vereinbaren kann, was Sie am Wochenende an boren sind. Aber sie sind hier straffällig geworden. uneuropäischen, europafeindlichen Positionen ver- Ihre Eltern zahlen hier Steuern, also müssen sie auch abschiedet haben. nach deutschem Recht so behandelt werden wie je- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der andere Mensch dieser Republik. Alles andere kommt einer Verbannung gleich. Ich denke, das ge- Jetzt noch etwas zur doppelten Staatsbürgerschaft: hört sich in diesem Land nicht. Auch dazu lohnt es sich, einige nähere Betrachtun- gen zu machen. Gerade Sie in Bayern sollten bei die- Zweites Beispiel: Das bayerische Innenministerium ser Frage etwas bescheidener auftreten. Sie müßten möchte in Kempten eine 29jährige junge Dame, eine doch eigentlich wissen - ich glaube, das lernt man in Kurdias, die vier Jahre lang von ihrem Ehemann miß- Bayern in der Schule; ich habe gehört, do rt hat man handelt und geprügelt wurde, abschieben. Es er- recht gute Schulen -, daß die bayerische Landesver- kennt einen Härtefall nicht an. Jetzt darf ich zitieren fassung Ihnen sagt, daß Sie gleichzeitig bayerischer - man lasse sich das auf der Zunge zergehen -: Ein Staatsbürger sind. Das heißt: Sie, die Sie hier sitzen „Verlust eines wichtigen Gliedes, Verfallen in Siech und mit großer Vehemenz die Ablehnung der dop- tum, Lähmung oder Geisteskrankheit oder auch dau- pelten Staatsbürgerschaft wie eine Monstranz vor ernde Entstellung" konnte nicht festgestellt werden. sich hertragen, haben quasi eine doppelte Staatsbür- - Ich habe das Gefühl, am vergangenen Wochenende gerschaft. Vielleicht sollten Sie sich dazu einmal aus- wurde bei der CSU eine dauernde Entstellung fest lassen. Ich habe bisher nicht gehört, daß die bayeri- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21819 Cem Özdemir schen Staatsbürger - die wir hier herzlich willkom- daß man in den Genuß der bayerischen Staatsbürger- men heißen - große Probleme mit Identitäts- und schaft kommt. Wer sie einmal hat, gibt sie so leicht Loyalitätskonflikten haben. Ich glaube, daß die Bay- nicht wieder her. ern ganz gut mit ihrer doppelten Staatsbürgerschaft in Deutschland umgehen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜND Ich darf noch eines hinzufügen: Wir haben jetzt die NIS 90/DIE GRÜNEN]) Unionsbürgerschaft in Europa. Das heißt, die Bayern haben sogar, wenn Sie so wollen, drei Staatsbürger- - Doch, das ist so, und wir sind stolz darauf. Ich freue schaften. Auch das scheint ganz gut zu klappen. Also mich, daß ich hier auch Beifall von außerhalb der auch hier gilt: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit weiß-blauen Grenzen bekomme. Steinen werfen. Oder, um es biblisch auszudrücken: Ihnen geht es nicht um eine sachliche Auseinan- Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bru- dersetzung um Inhalte, sondern nur um eine politi- ders und wirst nicht gewahr den Balken in deinem ei- sche Show. Das Übelste dabei ist wohl, die CSU an genen. - Also auch hier etwas mehr Vorsicht, etwas den rechten Rand drängen zu wollen oder uns den mehr Realitätstauglichkeit! Vorwurf zu machen, wir hätten uns in den letzten Noch ein Letztes: Otto von Habsburg - meines Wis- Wochen im politischen Koordinatensystem irgendwo- sens CSU-Mitglied im Europaparlament - hat seiner- hin bewegt. Das ist lächerlich, das glaubt Ihnen nicht zeit auf Intervention von Franz Josef Strauß, um 1989 einmal jemand in den tiefstroten oder -grünen Gebie- ins Europaparlament gewählt werden zu können, ne- ten Deutschlands. Es stimmt einfach nicht! Das, was ben seiner österreichischen Staatsbürgerschaft noch die CSU - egal, in welcher Gliederung - in den letz- die bundesdeutsche bekommen, ten Wochen zu diesem Thema, aber auch zum Thema innere Sicherheit gesagt hat, haben wir in den letzten (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Jahren doch schon zigmal in allen möglichen Varia- GRÜNEN]: Die bayerische!) tionen gesagt; nur hören Sie oft zuwenig hin. damit er heute die CSU vertreten kann. Was bei Otto Wir haben von seiten der CSU wirklich keinerlei von Habsburg Rechtens ist, sollte auch bei Menschen Belehrungen darüber nötig, wie die Abgrenzung zu Rechtens sein, die in dieser Gesellschaft geboren wer- politischen Extremisten und zu radikalem politischen den und mit ihrer Geburt quasi schon zum Ausdruck Gedankengut auszusehen hat. Es soll uns erst einmal bringen, daß sie zu dieser Gesellschaft gehören. jemand nachmachen, wie wir uns in Bayern erfolg- reich mit dem Gespenst der Republikaner auseinan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - dergesetzt haben. Wir waren selbst erschrocken, als Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist sie 1989 mit 14 Prozent ins Europaparlament einge- doch Quatsch!) zogen sind. Wir haben nicht mit ihnen gekungelt. Jetzt komme ich wirklich zum Schluß. Sehr geehrte Wir haben nicht das betrieben, was die SPD in Sach- Damen und Herren, einen ernsten Satz lassen Sie sen-Anhalt betreibt: mich noch sagen: Die Bekämpfung des Rechtsradika- (Beifall bei der CDU/CSU) lismus - da sind wir uns in diesem Haus im Prinzip ja einig - ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Nur,- was die Kungelei, das Bemänteln, das Sich-von-denen- wir am Wochenende erlebt haben, ist der Abschied wählen-Lassen, das Spekulieren, daß man sie noch von der Bekämpfung des Rechtsradikalismus durch für mehr als nur für eine Duldung brauchen könnte. die CSU und damit auch durch die CDU. Das können Nein, wir haben klipp und klar gesagt, daß sie unsere wir uns in dieser Gesellschaft gar nicht leisten, da wir erbitterten politischen Gegner sind, von denen wir alle politischen Kräfte für diese Aufgabe brauchen. uns absetzen. Es gibt keine andere politische Kraft in Ich bitte Sie und fordere Sie auf: Kehren Sie zur Ver- Deutschland, die sich so entschieden von diesen Ex- nunft zurück! Bekämpfen Sie mit uns gemeinsam an- tremisten abgegrenzt hat. tidemokratische Tendenzen! Die CSU ist wie keine andere Pa rtei in der breiten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bevölkerung verankert. Das nennen Sie „CSU-Toll- haus", Herr Özdemir, wenn eine breite Mehrheit von deutlich über 50 Prozent diese Politik für richtig hält? Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Peter Ramsauer, CDU/ (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ CSU-Fraktion. NEN]: 14. September!) Sie beleidigen diese große Mehrheit der bayerischen Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Sehr geehrte Bevölkerung, wenn Sie das ernst meinen, was Sie sa- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- gen. legen! Die Bündnisgrünen betreiben mit der heuti- gen Aktuellen Stunde ein unwürdiges Schauspiel. Dann möchte ich noch darauf zu sprechen kom- Lieber Kollege Özdemir, ich habe von Ihnen wirklich men, daß ausgerechnet Bayern als ausländerfeind- mehr als das erwartet, was Sie in den letzten fünf Mi- lich bezeichnet wurde. nuten hier abgeliefert haben. Aber ich interpretiere (Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ es jetzt einfach einmal als Kompliment, daß Sie die NEN]: Das habe ich nicht gemacht!) Staatsbürgerschaft des Freistaates Bayern hier als Besonderheit herausstellten. Weil es eine Besonder- - Aber andere haben es getan, und Sie inzidenter heit ist, reißt man sich in Deutschland auch darum, auch. - Es gibt kein Bundesland in Deutschland, in 21820 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Dr. Peter Ramsauer dem Ausländer so sicher wie in Bayern leben kön- der Art und Weise, wie sie vorgetragen und interpre- nen. tiert werden, gibt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn der bayerische Ministerpräsident Edmund Wir meinen es in Bayern mit der inneren Sicherheit Stoiber sagt, daß die Betonung der Themen, die wir ernst. Genauso sicher, wie ein Deutscher und ein heute besprechen, eine Facette sei, mit der wir aus Bayer in Baye rn leben kann, kann auch jeder Auslän- manchem Stimmungstief herausgeholt werden, dann der in Bayern leben. Bei uns hat es nie eine Hafen- zeigt sich darin auch das wahre Gesicht dieses Men- straße und auch nie Chaostage gegeben. Als Auslän- schen. Wer nämlich so mit dem Schicksal unserer der würde ich mich fürchten, in ein Land wie Nieder- ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger um sachsen oder in eine Stadt wie Hannover zu gehen, geht, ihr Schicksal so mißbraucht und instrumentali- wo Chaostage stattfinden können. Warum hat Schrö- siert, der sollte sich im Grunde genommen schämen, der so etwas wie die Chaostage geduldet? Bis heute weil diese Vorgehensweise keine sachgerechte Aus- sind die Geschädigten noch nicht voll entschädigt. einandersetzung darstellt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was (Beifall bei der SPD) antwortet Ihr Kanzlerkandidat darauf? Schaut die Antwort so aus, daß er heute einen ehemaligen Ter- Ausländer, Asylsuchende und Aussiedler werden roristenanwalt als künftigen Innenminister bestellen im Grunde genommen zu Sündenböcken für eine will? Will er wirklich einen ehemaligen Terroristen- Entwicklung gemacht, die sie selbst nicht zu verant- anwalt zum obersten Hüter von Recht und Ordnung worten haben. Die objektiven Probleme der Arbeits- in diesem Land machen? Da wird auch den Auslän- losigkeit und der immer größer werdende Abstand dern in unserem Lande zu Recht angst. Aber in Bay- zwischen Arm und Reich gehen in der emotional ge- ern leben sie so sicher wie in keinem anderen Bun- führten Ausländer- und Asyldiskussion unter. Mit ih- desland. rem Parteitagsbeschluß zur Ausländerpolitik ver- Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bekämp- stärkt die CSU meines Erachtens die Argumenta- fung des Asylmißbrauchs, Ablehnung einer generel- tionsmuster rechter Gruppierungen, denen es nur len Doppelstaatsbürgerschaft, konsequente Verhin- darum geht, gesellschaftliche Minderheiten weiter derung illegaler Einwanderung und Kampfansage auszugrenzen. Deswegen bin ich der Auffassung, gegen Ausländerkriminalität sind keine rassistischen daß sachliche Auseinandersetzung not tut - auch bei Delikte, sondern ein Gebot der Vernunft für ein ge- dem schwierigen Thema der Ausländerkriminalität. deihliches Miteinander von Ausländern und Deut- schen in unserem Land. Gestatten Sie mir hierzu eine Bemerkung: Wir ha- ben immerhin 3,5 Millionen ausländische Mitbürge- Nachdem Ingolstadt verschiedentlich angespro- rinnen und Mitbürger, die länger als zehn Jahre in chen worden ist, möchte ich folgendes sagen: Die der Bundesrepublik Deutschland leben. 1,5 Millionen Ausländerpolitik, wie sie in der Vergangenheit von leben sogar mehr als 20 Jahre in der Bundesrepublik der CSU und der Bayerischen Staatsregierung immer Deutschland. Wenn man sich mit dieser Personen- betrieben und wie sie auf dem kleinen Parteitag der gruppe beschäftigt, dann muß man der Fairneß hal- CSU in Ingolstadt für die Zukunft formuliert- worden ber hinzufügen, daß bei diesen Menschen die Krimi- ist, ist von ganz praktischer Vernunft und ganz prak- nalitätsquote, gemessen an der Wohnbevölkerung in tischem Realitätssinn geprägt. Sie ist von einer A rt - Deutschland, unter dem Durchschnitt liegt. Wer über ich sage es noch einmal deutlich -, daß sie von der Ausländerkriminalität redet, der sollte auch einmal großen Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen wird. darüber reden. Die Kritik der politischen Linken daran ist ein geheu- chelter Aufschrei und Ausdruck welt- und men- Ich muß aber, ohne bestimmte Probleme verhehlen schenfremder Politik. zu wollen, auf folgendes hinweisen: Wenn man über organisierte Kriminalität redet, dann muß man wis- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sen, daß beispielsweise Ausländer, die keinen verfe- stigten Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat der Deutschland haben, überdurchschnittlich an organi- Abgeordnete Fritz Rudolf Körper, SPD-Fraktion. sierter Kriminalität beteiligt sind. Ich bin der Auffas- sung, daß es auch bei diesem Thema notwendig ist, trotz Wahlkampfs eine sachbezogene Differenzie- (SPD): Frau Präsidentin! Meine Fritz Rudolf Körper rung vorzunehmen. Damen und Herren! In einer bekannten Tageszei- tung war zu lesen - ich zitiere -: Ähnlich gehen Sie ja auch mit dem Thema der Ab- Die CSU legt aus vordergründig taktischen Grün- schiebepraxis um. Ich denke, daß das nicht in Ord- den die Lunte an ein Pulverfaß. Das in jedem nung ist, weil damit nur Emotionen geweckt werden. Land der Welt schwierige Problem des Zusam- Ich erinnere daran, daß beispielsweise das Auslän- menlebens von einheimischer und ausländischer dergesetz im Jahre 1997 zu einem Gesetz mit klaren Bevölkerung wird ohne Not in den Wahlkampf rechtsstaatlichen Regelungen und Instrumenten ge- gezerrt, um von den wahren Problemen abzulen- ändert worden ist. ken. Ich möchte eine persönliche Bemerkung hinzufü- Es ist wichtig, einmal darauf hinzuweisen, daß es ei gen: Für Kinder und Jugendliche, die in Deutschland nen Unterschied zwischen sachlichen Inhalten und geboren und aufgewachsen sind, sollte es meiner Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21821

Fritz Rudolf Körper Meinung nach ein unentziehbares Aufenthaltsrecht und Kriegsflüchtlinge pro Kopf der Bevölkerung auf- geben. genommen hat. Wir sind das Land mit den liberalsten Ausländergesetzen in Europa; sehen Sie sich doch in (Beifall bei der SPD und der PDS sowie der unseren Nachbarländern um. Außerdem sind wir im Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]) Vergleich zu unseren Nachbarn das Land mit den be- Wie im österreichischen Ausländerrecht sollte auch sten Integrationserfolgen. Wenn ich mir Frankreich in unserem Recht verankert werden, daß ihr Auf ent- oder Großbritannien anschaue, stelle ich fest, daß die halt nicht mehr zur Disposition steht. Wenn diese hier dort herrschenden Probleme wesentlich schärfer sind in Deutschland geborenen Kinder und Jugendlichen, als die, die wir haben. Diese beiden Länder wären die längst keine Zuwanderer mehr sind, straffällig froh, wenn sie nur unsere Probleme hätten. werden, ist das ein Problem unserer Gesellschaft und nicht der abgebenden Gesellschaft ihrer Eltern und Das ist doch kein Ergebnis, dessen wir uns hier zu schämen hätten oder vor dem wir uns gar verstecken Großeltern. müßten. Das ist ein Erfolg, sogar ein sehr beträchtli- Ich sage auch noch eines ganz deutlich: Für falsch cher Erfolg. Es ist ein Erfolg von uns allen - auch und unverschämt halte ich die Behauptung in diesem wenn die SPD jetzt wieder etwas anderes tut -, weil Papier, das wir heute besprechen, daß die SPD immer wir 1993 den Asylkompromiß gemeinsam beschlos- mehr Einwanderung wolle. sen haben. Es ist aber vor allem ein Erfolg der Union, denn wir waren die treibende Kraft in diesem Prozeß. (Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich! - Diesen Erfolg können wir festhalten, auch wenn die Gegenruf der Abg. Dr. Cornelie Sonntag- Zahl der Asylsuchenden in den letzten fünf Jahren Wolgast [SPD]: Das stimmt doch einfach um 75 Prozent zurückging. Dies zeigt, wir haben ei- nicht! Gucken Sie in unsere Anträge!) nen offensichtlichen Mißbrauch radikal gestoppt, die Nein, meine Damen und Herren, wir haben ein Ge- Ausländerkriminalität ist daraufhin merklich gesun- samtkonzept zur Steuerung der Zuwanderung und ken, die Steuerzahler sind deutlich entlastet worden, zur Förderung der Integration vorgelegt, gemäß dem und das Individualrecht der wirklich politisch Ver- sich eine Zuwanderung an den Integrationsmöglich- folgten und der Kriegsflüchtlinge ist erhalten und keiten in unserem Land auszurichten hat. Das ist, zum Teil sogar noch verbessert worden. wie ich glaube, die alles entscheidende Frage. Es be- steht nach meinem Dafürhalten nicht mehr die Frage, Daß Sie, Rotgrün, mit Ihrer Wischiwaschi-Asylpoli- ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder tik und -Ausländerpolitik keinen Erfolg haben, wis- nicht; sie ist durch die Fakten quasi gegenstandslos sen Sie ja zum Teil selbst. Ich denke an den jämmer- geworden. Wir haben 7,2 Millionen ausländische lich gescheiterten Versuch im baden-württembergi- Mitbürgerinnen und Mitbürger. schen Landtagswahlkampf - das wurde vorhin schon angesprochen - und an viele ähnliche unglaubwür- dige Selbstbefreiungsversuche. Eine noch schlim- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ihre Redezeit ist mere Quittung - nicht nur für Sie, sondern für uns zu Ende. alle - war das Ergebnis des Landtagswahlkampfes in Sachsen-Anhalt. Das ist überhaupt nicht verwunder- Fritz Rudolf Körper (SPD): - Von daher erledigt- lich, wenn man sieht, daß unklare und widersprüchli- sich diese Frage. Ich bin jedenfalls dafür, daß wir mit che Positionen artikuliert werden - zu welcher Posi- diesen Fragen sachbezogener umgehen sollten. Sie tion hat Ihr Kanzlerkandidat nicht schon ja und nein eignen sich nicht für wahlkampftaktische Zwecke. gesagt? -, die einerseits in ihrem Kern den Menschen das Gefühl von Aufgehobenheit und Klarheit neh- Vielen Dank. men und ihnen andererseits auch nicht das Gefühl (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne von einer zuversichtlichen Zukunft ihres ureigenen ten der PDS) Lebens vermitteln, denn die soziale und auch die wirtschaftliche Situation gerade in den ländlichen Bereichen von Sachsen-Anhalt ist mehr als düster. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das Wort jetzt dem Abgeordneten Heinz-Jürgen Kron- Ich selbst war Sozialamtsleiter und weiß noch zu berg, CDU/CSU-Fraktion. genau, wie entwurzelt und wie sehr auf der Suche solche Menschen sind. Ich weiß, wie sehr Menschen, die auf der untersten Sprosse unserer sozialen Leiter Heinz -Jürgen Kronberg (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Ich danke erst ein- stehen, oft hungrig nach einem Gefühl der Stärke, mal für die Worterteilung zu meiner wahrscheinlich der Geborgenheit und der erfolgreichen Führung vorerst letzten Rede in diesem Hohen Hause. sind, aber auch mit Schuldzuweisungen auf Grund ihrer eigenen, oft verzweifelten und aussichtslosen Ich verstehe die Aufregung der Oppositionsbank Situation zu kämpfen haben. in der Gänze eigentlich überhaupt nicht. Das Inter- esse läßt ja auch ziemlich nach. Waren es am Anfang Deswegen sage ich: Wer ein Land wie Sachsen wenigstens noch sieben Abgeordnete von Bünd- Anhalt zum Schlußlicht der Nation macht und wer nis 90/Die Grünen, so sitzt nun noch eine auf ihrem die Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten alleine Stuhl. Vielleicht fällt ihr ein, daß auch sie noch einen läßt, der braucht sich nicht zu wundern, wenn die Termin hat. Ich frage mich, warum wir uns hier über braunen Wölfe kommen, wenn Sie nicht einmal mehr Ausländerpolitik unterhalten. Deutschland ist bis ihre Schafspelze anziehen und mehr als genug Läm- heute das Land, welches die meisten Asylbewerber mer finden, die sie reißen können. Unsere parlamen- 21822 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Heinz-Jürgen Kronberg tarische - oder eher: unsere demokratische - Pflicht, rungsland. Ich habe zu diesem Thema schon zwei- vor allen Dingen vor dem Hintergrund unserer oder dreimal gesprochen. schlimmen historischen Erfahrungen, die wir mit die- sen Rattenfängern und Totschlägern gemacht haben, (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ist deswegen, solche rechten Töne durch eigenes NEN]: Sie haben schon zwei- oder dreimal Handeln überflüssig zu machen. gesagt, daß Deutschland kein Einwande rungsland ist!) Ich denke, daß die CSU in ihrem Papier einen ein- Es handelt sich um zwei Paar Schuhe. deutigen und auch nachvollziehbaren Standpunkt vertreten hat, der zugegebenermaßen in vielen Pas- Wer die Geschichte kennt, der weiß um die histori- sagen sprachlich eher volkstümlich als irgendwie an- sche Bedeutung der Einwanderung. Einwanderung ders wirkt. Aber die Menschen wollen klare Positio- fand in den letzten Jahrhunderten in schwach besie- nen; sie wollen kein Jein, und sie wollen auch kein delten Ländern dieser Erde statt, die ein Interesse Ja-aber. daran hatten, daß es gewollte Zuwanderung gab. Ich kann nicht verstehen, daß es in Deutschland irgend- (Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/ einen Menschen geben kann, der sich in diesem CSU] - Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: So dumm Sinne Zuwanderung erhofft und erwünscht. Die Dis- ist das Volk nicht!) kussion über Einwanderung hat nichts mit der Frage zu tun, ob es eine tatsächliche - zum Teil gewollte, Liebe Frau Präsidentin, meine Kollegen, damit ver- zum Teil ungewollte - Zuwanderung gibt. Diese Dis- abschiede ich mich von diesem Hohen Haus für - so kussion hat auch nichts mit Eichhörnchen zu tun, möchte ich einmal formulieren - dieses Jahrhundert denn vieles, was in dieser Republik feststellbar ist, ist nach acht äußerst interessanten Jahren, von denen noch lange nicht zum Kriterium zu erheben. ich sagen kann: Es waren nicht nur die lehrreichsten, es waren auch die schönsten Jahre in meinem Leben. Ich sage noch einmal: Dieses Land ist liberal wie Ich danke allen Kollegen für ihre Begleitung und Zu- kein anderes Land in Europa und in der Welt und hat sammenarbeit. Auf Wiedersehen im wahrsten Sinne ein sehr freizügiges Ausländerrecht. des Wortes. (Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) Ich danke. - Frau Jelpke, wer von diesem Rednerpult solche Sätze wie Sie heute spricht, ist überhaupt nicht we rt, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daß auf seine Zwischenrufe eingegangen wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Lieber Kollege Kronberg, ich möchte Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag zum Anlaß nehmen, Ihnen ganz herzlich Wenn hier gesagt wird, daß jemand, der ein Auslän- für Ihren Einsatz im Deutschen Bundestag zu dan- derthema behandelt, mit schuld sei an brennenden ken, und möchte Ihnen für Ihren weiteren Lebens- Asylbewerberheimen, dann ist das so dumm, daß ich weg alles Gute wünschen. - wirklich nicht darauf eingehen kann. Innenminister Kanther hat doch hier die Zahlen ge- (Beifall) nannt. Wenn sich der letzte SPD-Bundeskanzler bei damals über 4 Millionen Ausländern gegen ein Ein- Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zeit- wanderungsland Deutschland ausgesprochen hat, lmann, CDU/CSU-Fraktion. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Da waren wir noch nicht vereinigt!) Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Frau Präsiden- tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die kann man doch nicht in einer Zeit, in der wir 7,4 oder 7,5 Millionen Ausländer haben - interessanterweise heutige Debatte ist wirklich Ausfluß des bereits lau- bei 1,8 Millionen EU-Bürgern -, in der wir eine na- fenden Wahlkampfes, sonst würde man hier nicht hezu 60 Prozent höhere Ausländerquote in diesem nach Themen, die auf Parteitagen diskutiert wurden, und nach Papieren greifen, die in allen Parteien Ver- Land haben, so tun, als wenn der Beg riff Einwande- rungsland nun richtiger wäre. breitung finden. Ich wehre mich ganz entschieden dagegen, daß in Die Diskussion zum Thema Ausländer, die von mir der Auseinandersetzung um Ausländerfragen so ge- über viele Jahre verfolgt wurde, macht mir eines tan wird, als ob sich die CSU verändert hätte. Sie hat deutlich: Auf der einen Seite dieses Hauses gibt es es mitnichten. eine einseitige Betrachtung nach dem Motto: „Was können wir noch für Ausländer tun?" Auf der ande- (Gabriele Iwersen [SPD]: Aber die Realität ren Seite - das ist wohl das Problem - müssen die Re- hat sich verändert!) gierungsverantwortlichen entscheiden, welche Mög- Sie können alle die Punkte, die in dem Parteiaus- lichkeiten zur Eingrenzung des Mißbrauchs be- schuß genannt sind, über viele Jahre in unserer Pro- stehen. grammatik wiederfinden. Die Diskussion wurde nicht zum erstenmal an dem - Es ist auch eine Dummheit, zu glauben, die DVU Satz ausgerichtet, Deutschland sei ein Einwande Stimmen in Sachsen-Anhalt hätten ihre Ursache in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21823

Wolfgang Zeitlmann Fehlentscheidungen der Bonner oder gar der CSU- Wenn Sie in der Öffentlichkeit sagen wollen, wir Politik. müssen jeden Ausländer, der häufig straffällig wird, hier ertragen, tun Sie das bitte; völlig d'accord. Wir (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sagen das Gegenteil. Ich will Leute, die das Gast- NEN]: Sondern?) recht mißbrauchen, nicht hier haben. Übrigens bin - Für mich ist das sonnenklar: Wer Linksradikale, die ich da in der Gesellschaft Ihres Kanzlerkandidaten, Kommunisten, so behandelt, wie er sie behandelt, der ähnliches geäußert hat: Wer sich strafbar macht, braucht sich nicht zu wundern, wenn rechts etwas hat rauszufliegen. entsteht. Sie schaukeln sich gegenseitig hoch. Das ist (Zurufe von der CDU/CSU: Er redet aber doch überhaupt keine Frage. nur!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das wird vom Volk verstanden und wird sicher nicht Eine der strittigen Fragen in dem Papier, über die zu einer Radikalisierung in dieser Gesellschaft füh- man diskutieren kann, lautet: Ist es richtig - das hat ren. mit Sippenhaft überhaupt nichts zu tun; das Auslän- derrecht ist ja kein Strafrecht -, daß ein Minderjähri- Herzlichen Dank. ger, der nachweislich von allen sozialen Stellen als Mitglied einer freien Gesellschaft als völlig ungeeig- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. net betrachtet wird - er ist, glaube ich, in 60 Fällen Dr. [F.D.P.]) strafrechtlich in Erscheinung getreten, kann aber nicht verurteilt werden, weil er minderjährig ist -, auf Liebe Kollegin- Dauer zu dulden ist, Vizepräsidentin Michaela Geiger: nen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir dulden Sie doch auch hier!) Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- ordnung. daß das Ausländerrecht hier quasi ein Aufenthalts- recht gewährt? Es kann doch nur richtig sein, zu sa- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- gen: Wenn sich jemand so gegen das Gastrecht be- destages auf morgen, Donnerstag, den 28. Mai 1998, nimmt und die Eltern dazu beitragen, indem sie ihre 9 Uhr ein. Aufsichtspflicht verletzten, muß man sich fragen, ob er in diesem Land wirklich noch Platz hat. Die Sitzung ist geschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Schluß der Sitzung: 19.33 Uhr)

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21825*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hein rich L. Kolb auf entschuldigt bis Abgeordnete(r) die Frage des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) einschließlich (Drucksache 13/10757 Frage 1):

Antretter, Robe rt SPD 27. 5. 98* Welche Rüstungsgüter mit welchem Wert sind seit Beginn der laufenden Legislaturperiode von der Bundesrepublik Bahr, Ernst SPD 27. 5. 98 Deutschland an Indonesien geliefert worden?

Berger, Hans SPD 27. 5. 98 Seit November 1994 ist die Ausfuhr von Rüstungs- Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 27. 5. 98* gütern (Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter) im Wert von 128,5 Millionen DM nach Indonesien Fink, Ulf CDU/CSU 27. 5. 98 genehmigt worden. Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 27. 5. 98* Bei den Kriegswaffen handelte es sich vornehmlich um Marineschiffe aus den Beständen der ehemaligen Folta, Eva SPD 27. 5. 98 NVA sowie um Flugabwehrmunition in geringen Frick, Gisela F.D.P. 27. 5. 98 Stückzahlen.

Hasenfratz, Klaus SPD 27. 5. 98 Im Bereich der sog. sonstigen Rüstungsgüter kon- zentrierten sich die Genehmigungen auf Ausrüstun- Ilte, Wolfgang SPD 27. 5. 98 gen für Marineschiffe, Sende- und Empfangsgeräte Irber, Brunhilde SPD 27. 5. 98 für den Funksprechverkehr, Teile für Flugabwehrsy- Dr. Lischewski, Manfred CDU/CSU 27. 5. 98 steme und Munitionsteile. Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 27. 5. 98 Erfahrungsgemäß liegen die Werte der tatsächli- chen Ausfuhren erheblich niedriger als die Genehmi- Mosdorf, Siegmar SPD 27. 5. 98 gungswerte.

Neumann (Gotha), SPD 27. 5. 98 Gerhard Probst, Simone BÜNDNIS 27. 5. 98 90/DIE Anlage 3 GRÜNEN Rauen, Peter Harald CDU/CSU 27. 5. 98 Antwort Schenk, Christina PDS 27. 5. 98 des Parl. Staatssekretärs Joachim Günther auf die Fragen des Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick Schlee, Dietmar CDU/CSU 27. 5. 98 (PDS) (Drucksache 13/10757 Fragen 4 und 5):

Schmidt (Salzgitter), SPD 27. 5. 98 Welche Folgen wird die ausbleibende Wohngeld-Reform für Wilhelm die Haushalte mit geringem Einkommen in den westlichen Bundesländern haben, deren Mietbelastung selbst nach Wohn- von Schmude, Michael CDU/CSU 27. 5. 98 geldzahlung bereits bei 33 % liegt, vor dem Hintergrund des neuesten Mietenberichts, der ausweist, daß die Bestandsmieten Schütz (Oldenburg), SPD 27. 5. 98 gerade im unteren und mittleren Preissegment weiter gestiegen Dietmar sind und nach der Prognose weiter steigen werden?

Schumann, Ilse SPD 27. 5. 98 Wie groß ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Wohngeldempfänger in den östlichen Bundesländern, der Seehofer, Horst CDU/CSU 27. 5. 98 auch bei Weitergeltung der bisherigen Miethöchstbeträge vom Auslaufen bzw. der Kürzung der bisherigen pauschalen Ein-

Terborg, Margitta SPD 27. 5. 98* kommensfreibeträge betroffen sein wird und damit ab Januar 1999 praktisch mit Wohngeldkürzungen rechnen muß? Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 27. 5. 98

Dr. Wegner, Konstanze SPD 27. 5. 98 Zu Frage 4: Wetzel, Kersten CDU/CSU 27. 5. 98 Ohne die von der Bundesregierung im März 1998 vorgeschlagene Wohngeld-Reform, mit durchschnitt- Dr. Wittmann, Fritz CDU/CSU 27. 5. 98 * lichen Verbesserungen beim Tabellenwohngeld von

Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 27. 5. 98 40 DM pro Monat, bleibt die Wohnkostenbelastung einkommensschwacher Haushalte auf dem gegen- Zierer, Benno CDU/CSU 27. 5. 98* wärtigen Niveau. Ausweislich des vorliegenden Wohngeld- und Mietenberichts (Tabelle 26 auf S. 41) lag diese Belastung in den westlichen Bundeslän- dern Ende 1996 nach Wohngeld bei 29,5 %. Die mög- * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates liche deutliche Absenkung dieser Durchschnittsbela- 21826* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 stung ist durch die Blockadepolitik der SPD-Länder- regierung geht davon aus, daß sich unter Fortdauer finanzminister verhindert worden. der derzeitigen Bedingungen diese Spekulationen nicht erfüllen werden. Die Bundesregierung wird das Anliegen einer Wohngeldreform nunmehr in der nächsten Legisla- turperiode wieder aufgreifen.

Zu Frage 5: Anlage 5

Die Bundesregierung hat am 27. Mai 1998 eine Antwort Verlängerung sämtlicher Wohngeld-Sonderrege- lungen bis zum 31. 12. 2000 beschlossen. Es ist jetzt des Pari. Staatssekretärs Dr. Klaus Rose auf die Frage Sache von Deutschem Bundestag und Bundesrat, des Abgeordneten Frederick Schulze (Sangerhau- durch ein zügiges Verfahren zu gewährleisten, sen) (CDU/CSU) (Drucksache 13/10757 Frage 9): daß die notwendigen gesetzlichen Grundlagen in Kraft treten, damit die Wohngeld-Empfänger in den In welcher Form wurden bisher durch das Auswärtige Amt, neuen Ländern möglichst rasch Gewißheit über die das Bundesministerium der Verteidigung und das Bundesmini- ihnen ab 1999 zustehenden Wohngeldleistungen er- sterium der Finanzen Verhandlungen mit dem Königreich Bel- gien geführt, um eine mittelfristige Aufgabe des Truppen- halten. übungsplatzes Vogelsang durch die Belgier zugunsten eines alternativen Übungsplatzes zu erreichen?

Wie Bundesminister Rühe in der Sitzung des Peti- tionsausschusses des Deutschen Bundestages vom Anlage 4 12. November 1997 dargelegt hat, führt die Bundes- regierung keine Verhandlungen mit dem Königreich Antwort Belgien, um eine Aufgabe des Truppenübungsplat- zes Vogelsang durch die belgischen Streitkräfte zu des Parl. Staatssekretärs Bernd Neumann auf die erreichen. Fragen des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) (Drucksache 13/10757 Fragen 6 und 7): Der belgische Verteidigungsminister hatte in Be- antwortung eines Schreibens von Staatssekretär Wie ist der derzeitige Stand der Kostenentwicklung bzw. Ko- Dr. Wichert bereits am 22. Mai 1997 mitgeteilt, daß stenschätzung des geplanten Forschungsreaktors München H sich das belgische Parlament während des komple- (FRM II)? xen Ratifizierungsverfahrens zum Abkommen vom Treffen Berechnungen zu, daß sich die Gesamtkosten des ge- 18. März 1993 zur Änderung des Zusatzabkommens planten Forschungsreaktors München II (FRM II) auf eine Mrd. zum NATO-Truppenstatut ausführlich mit der Anwe- DM belaufen werden? senheit der belgischen Streitkräfte in Deutschland sowie der weiteren Nutzung des Truppenübungs- Zu Frage 6: platzes Vogelsang befaßt hat. Dabei hat er erklärt, - das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut in Bei dem Forschungsreaktor München (FRM II) absehbarer Zeit weder kündigen noch einem Revisi- handelt es sich um ein Vorhaben der Technischen onsverfahren unterwerfen zu wollen. Universität München. Für die belgischen Streitkräfte ist der Truppen- Zu den Kosten teilt das Bayerische Staatsmi- übungsplatz Vogelsang ein wesentlicher Faktor für nisterium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und ihre Einsatzfähigkeit im Rahmen der NATO und an- Kunst mit, daß sich die Gesamtkosten der Errich- derer internationaler Organisationen. Vor diesem tung des FRM II (Stand: November 1996; neuere Hintergrund hat das belgische Parlament der Ände- Kostenberechnungen liegen derzeit nicht vor) auf rung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppensta- 768 Millionen DM belaufen (inklusive Kosten für Er- tut zugestimmt. Das Abkommen ist am 29. März 1998 schließungsmaßnahmen in Höhe von 36 Millionen in Kraft getreten. DM). Die 1994 vom Bayerischen Landtag im Zu- sammenhang mit der Haushaltslage Bau geneh- Der Forderung zur Aufgabe des Truppenübungs- migten Kosten in Höhe von 720 Millionen DM platzes Vogelsang zu Gunsten eines alternativen (inklusive Kosten für Erschließungsmaßnahmen) Übungsplatzes kann demzufolge aus außen-, bünd- haben sich in der Zwischenzeit insbesondere auf- nis- und sicherheitspolitischen Gründen nicht ent- grund von zusätzlichen Anforderungen im Zusam- sprochen werden. Vogelsang ist zudem Teil des gel- menhang mit der Erteilung der 1. Teilgenehmigung tenden Truppenübungsplatzkonzepts, das 1993 vom ergeben. Deutschen Bundestag gebilligt worden ist. Ein Aus- weichen auf andere Plätze wäre mit nicht vertretba- Zu Frage 7: ren Nachteilen verbunden. Die Bayerische Staatsregierung teilt mit, daß keine Die Bundesregierung wird gleichwohl in diesem beleg- und belastbaren Berechnungen, die zu Ge- Rahmen gemeinsam mit der belgischen Seite kon- samtkosten in Höhe von einer Milliarde DM für den struktiv auf einen Interessenausgleich vor Ort hin- FRM II kommen, existieren. Die Bayerische Staats wirken.

Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21827 *

Anlage 6 Wie in den Grundlagendokumenten festgelegt, wird eine Fahrzeug-Familie aus 8x8- und 6x6-Fahr- Antwort zeugen benötigt. Die behaupteten erheblichen finan- ziellen und technischen Nachteile eines 8x8-Fahr- des Parl. Staatssekretärs Dr. Klaus Rose auf die zeugs entbehren einer seriösen Bewe rtung. Fragen der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) (Drucksache 13/10757 Fragen 12 und 13): Wieso waren die Angebote, die die beiden Bieterkonsortien TEAM International und ARGE GTK im Rahmen der Ausschrei- bung des europäischen GTK-Projektes am 1. April 1997 abge- geben haben, nicht vergleichbar, obwohl der Gegenstand der Anlage 7 Ausschreibung eindeutig ein 6x6 Fahrzeug der 25-t-Klasse war und die Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen unmißver- Antwort ständlich trilateral verbindliche Angebote forde rten? des Staatssekretärs Dr. Willi Hausmann auf die Warum behauptet das Bundesministerium der Verteidigung, Fragen der Abgeordneten Verena Wohlleben (SPD) das von ihm ausgewählte 8x8 Fahrzeug böte technisch/takti- sche und wirtschaftliche Vorteile, wenn durch diese Entschei- (Drucksache 13/10757 Fragen 14 und 15): dung die Notwendigkeit eines 6x6 Fahrzeuges erhalten bleibt Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Kinder vor der und das 8x8 Fahrzeug unter anderem erhebliche finanzielle Nutzung von sog. dating lines, die für Frauen kostenlos zu- und technische Nachteile mit sich zieht? gänglich sind, zu schützen und entsprechende Kontrollmecha- nismen wie ein Sprachtest für Frauen als Zugangskontrolle Zu Frage 12: schnellstens einzuführen sind? Gegenstand der Ausschreibung war ein 6x6-Fahr- Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um die aus solchen telefonischen Kontakten resultierende mögli- zeug, aus dem Varianten mit den Antriebsformeln che Gefährdung der Kinder schnellstmöglich zu beseitigen? 8x8 und 8x6 wirtschaftlich ableitbar sein sollten. Da- mit mußte beiden Anbietern klar sein, wie auch aus Zu Frage 14: den Angebotsunterlagen ersichtlich, daß eine Fahr- zeug-Familie aus 8x8- und 6x6-Fahrzeugen gefor- Die Bundesregierung hält die telefonischen Kon- dert war. In den Besprechungen mit der Indust rie taktvermittlungen durch Zusammenschaltung der für wurde klargestellt, daß 8x8-Fahrzeuge in die Bewer- Frauen kostenfreien Rufnummern mit kostenpflichti- tung gleichberechtigt einbezogen werden. gen Rufnummern unter Jugendschutzgesichtspunk- ten für höchst problematisch. Neugierige Kinder und Die zum 1. April 1997 abgegebenen Angebote Jugendliche können hierdurch in erheblichem Maße konnten nicht vergleichbar sein, weil Frankreich zwi- der Gefahr sexueller Ausbeutung ausgeliefert sein. schenzeitlich einen eigenen nationalen Wettbewerb gestartet hatte. Damit war zum 1. April 1997 davon Die Bundesregierung teilt daher die Auffassung, auszugehen, daß das Programm GTK vermutlich nur daß Kinder und Jugendliche durch wirksame Zu- noch bilateral mit Großbritannien fortgeführt werden gangskontrollen vor diesen potentiellen Gefährdun- könnte. Während ARGE ein bilateral verbindliches gen zu schützen sind. Angebot und ein trilaterales Schätzangebot abgege- ben hatte, weil die französische Amtsseite der- Firma Zu Frage 15: GIAT eine Beteiligung in einem deutschen Konsor- Nach der Liberalisierung des Telekommunikati- tium untersagt hatte, hatte TEAM International nur onsmarktes im Januar 1998 ist es angezeigt, auch auf ein trilaterales Angebot vorzuweisen. Die Ausschrei- den sich entwickelnden Markt Einfluß zu nehmen. bung mußte deshalb mit der 3. Änderung der Ange- Richtiger Ansatz ist der Weg der Freiwilligen Selbst- botsaufforderung vom 12. August 1997, insbesondere kontrolle. Im Oktober 1997 ist der Verein zur Freiwil- zugunsten der Wettbewerbsgleichheit für TEAM In- ligen Selbstkontrolle Telefonmehrwertdienste (FST) ternational, auf ein bilateral verbindliches und trilate- gegründet worden, der den Schutz der Verbraucher, ral optionales Angebot „geändert" werden. vor allem auch der Kinder und Jugendlichen sichern soll. Hierzu hat der Verein eine Beschwerdestelle als Zu Frage 13: unabhängiges Kontrollgremium eingerichtet. Die taktischen und technischen Vorteile eines 8x8- Im April 1998 hat Frau Bundesminister Nolte den Fahrzeuges sind eindeutig. Sie ergeben sich auch Vorsitzenden des Vereins schriftlich darauf hinge- aus dem technischen Vergleich der Angebote vom wiesen, daß eine nachhaltige Überprüfung der be- 1. Oktober 1997. Gegenüber dem 6x6-Angebot von stehenden Rechtslage ins Auge gefaßt werden TEAM war das 8x8-Angebot von ARGE GTK aber müsse, wenn der Weg einer Freiwilligen Selbstkon- auch wirtschaftlich vorteilhafter. trolle unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes nicht zu befriedigenden Ergebnissen führt. Das Bundesministerium der Verteidigung muß darum bemüht sein, eine insgesamt effiziente und In seinem Antwortschreiben vom 20. Mai 1998 kostengünstige Lösung für die Aufgabenerfüllung zu führt der Vorsitzende, Herr Kruse, aus, daß die Be- finden. Unter den 14 national benötigten Varianten schwerdestelle der FST (Freiwillige Selbstkontrolle des GTK befinden sich solche, die geringerer Nutz- Telefonmehrwertdienste) die Problematik der Chat last und geringeren Transport-Volumens bedürfen Dienste in seiner Sitzung am 29. Ap ril 1998 ausführ- und damit kostengünstiger als 6x6-Variante realisier- lich diskutiert hat. Nach zahlreichen Testanrufen und bar sein werden. Das wird im Gesamtkonzept be- der Aufforderung seitens der Deutschen Telekom rücksichtigt. AG, funktionierende Zugangskontrollen zu schaffen, 21828* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 seien mittlerweile gute Systeme bei den verschiede- sog. 58er Regelung (Ausscheiden mit 58 Jah- nen Diensteanbietern eingerichtet worden. ren, Abfindung und Arbeitslosengeld bis zum 60. Lebensjahr, ab dann Rentenleistungen), Am 4. Juli 1998 wird die Beschwerdestelle sich mit diesen Vorschlägen befassen und das Ministe rium Anwendung der bestehenden haushaltsgesetz- über das Ergebnis umgehend informieren. lichen Regelungen: Das vorgesehene Schutzkonzept ist nach Auff as - § 24 Abs. 7 HG 1998 (Personalausgaben können sung der Bundesregierung der richtige Weg. Aller- von der abordnenden Behörde bis zu 24 Monaten dings bleibt das Ergebnis der Beratungen am 4. Juni weitergezahlt werden, sofern die aufnehmende 1998 abzuwarten. Behörde spätestens 3 Monate nach Beginn der Abordnung eine verbindliche Übernahmeerklä- rung abgibt), - § 28 HG 1998 (Freie Planstellen und Stellen in der Bundesverwaltung sind vorrangig mit Be- Anlage 8 diensteten aus Überhangbehörden zu besetzen); die Dienststellen der Bundesverwaltung wurden Antwort in diesem Sinne angeschrieben, des Staatssekretärs Dr. Wi lli Hausmann auf die Fra- sog. „Rucksackvermerke", d. h. Versetzung der gen der Abgeordneten Leyla Onur (SPD) (Drucksa- Mitarbeiter mit gleichzeitiger Umsetzung der Plan- che 13/10757 Frage 18) stelle/Stelle zu anderen Behörden unter Ausbrin- gung eines personenbezogenen kw-Vermerks, Inwieweit sind die Überlegungen der Bundesregierung hin- sichtlich der Neustrukturierung der Zivildienstschulen gedie- Nutzung der durch die Einstellungssperre im Ge- hen, und inwiefern werden einzelne Standorte von Schließun- schäftsbereich des BMI entstehenden Vakanzen. gen betroffen werden? Eine Beteiligung der Grundstückseigentümer war Nach derzeitigem Stand der Überlegungen der weder beim Bau und Bet rieb der Anlage noch bei der Bundesregierung besteht - vorbehaltlich des Ergeb- Entscheidung über deren Schließung notwendig. So- nisses der Wirtschaftlichkeitsprüfungen - Interesse fern und soweit - wie von der Bundesregierung an- an einer Folgenutzung der Aus- und Fortbildungs- gestrebt - jedoch eine zivile Anschlußnutzung er- stätte des Auswärtigen Amtes in Bonn-Ippendorf so- reicht werden kann, muß die rechtliche Verfügbar- wie des BGS-Ausbildungsstandorts Bodenteich. Von keit über die in nicht bundeseigenen Grundstücken einer Verlagerung könnten - kumulativ oder alterna- liegenden Teile der Anlage sichergestellt werden. tiv - .die Standorte Braunschweig, Buchholz, T rier so- Die Bundesregierung wird zu diesem Zweck an die wie Waldbröl betroffen sein. betroffenen Grundstückseigentümer herantreten, so- bald sich eine zivile Anschlußnutzung der Anlage oder von Teilen der Anlage abzeichnet.

- Anlage 9

Antwort Anlage 10 des Parl. Staatssekretärs Dr. Manfred Carstens auf Antwort die Frage des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) des Parl. Staatssekretärs Hansgeorg Hauser auf die (Drucksache 13/10757 Frage 23): Fragen des Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Welche Regelungen sind bislang von seiten des Bundesmini- (SPD) (Drucksache 13/10757 Fragen 25 und 26): sters des Innern für die Beschäftigten des zur Schließung vorge- Ist die Bundesregierung zur stärkeren Bekämpfung der Steu- sehenen sog. „Regierungsbunkers" in Bad Neuenahr-Ahrwei- erhinterziehung bereit, zusätzliche steuerliche Betriebs-/Unter- ler fest vorgesehen, und erkennt die Bundesregierung eine Not- nehmensprüfungen als eine vereinfachte „Nachschau" in Er- wendigkeit oder Verpflichtung, die ca. 100 p rivaten Eigen- gänzung zu den bestehenden regelmäßigen Kontrollinstrumen- tümer der oberhalb der Bunkeranlage gelegenen Grundstücke tarien einzuführen, die im Anschluß an die Betriebs-/Unterneh- als Miteigentümer des Bunkers an allen die Schließung und mensprüfungen zu einem dem jewei ligen Steuerpflichtigen weitere Nutzungsänderungen betreffenden Entscheidungen zu nicht bekannten Zeitpunkt durchgeführt und damit gegenüber beteiligen? den bisherigen Prüfungen in erheblich kürzeren Interva llen ter- miniert werden könnten und die sich darauf beschränken, Folgende Regelungen sind für die Beschäftigten nachzuprüfen, ob die im Zuge einer „regulären" Betriebs-/Un- des bisherigen Ausweichsitzes der Verfassungsor- ternehmensprüfung getroffenen Feststellungen und gemachten gane des Bundes in Marienthal derzeit anwendbar: Auflagen von den Bet rieben/Unternehmen befolgt worden sind bzw. befolgt werden? übertarifliche Anwendung der Tarifverträge über Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß durch die Ein- den Rationalisierungsschutz mit den Elementen führung eines derartigen Prüfungsinstrumentariums die Steuer- Arbeitsplatzsicherung, Fortbildung, Vergütungs-/ ehrlichkeit und die Bedeutung der „regulären" Betriebsprüfun- Lohnsicherung und Abfindung sowie ergänzende gen gestärkt, die Zahl der überprüften Bet riebe/Unternehmen erheblich gesteigert und eine derartige „Nachschau" als ein ef- Regelungen (Pauschale Abgeltung bei Wechsel zu fizientes und schnell realisierbares Mittel zur flächendecken- einem an deren Arbeitgeber in eine Tätigkeit mit den Feststellung von Steuerhinterziehungen eingesetzt werden einer niedrigeren Vergütungs-/Lohngruppe), könnte, und wenn nein warum nicht? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998 21829*

Zu Frage 25: (Nürnberg) (SPD) (Drucksache 13/10757 Fragen 27 und 28): Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit, ein zusätzliches Kontrollinstrument in Form einer Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung von Un- Nachschau im Anschluß an eine Außenprüfung ein- ternehmen, die einen Standortwechsel - meist für Teilbetriebe - vornehmen, ohne daß dadurch in dem Gesamtunternehmen zuführen. Sie wäre dafür auch nicht in erster Linie mehr Arbeitsplätze entstehen, aber steuerfinanzierte Förder- zuständig, da die steuerliche Außenprüfung den Län- mittel, Zuschüsse, Steuervorteile oder Personalkostenzuschüsse dern obliegt. über die Arbeitsmarktförderung in Anspruch nehmen, wie das z. B. bei einem Nürnberger Unternehmen der Fa ll ist? Bei Großbetrieben ist die Kontrolle durch die An- Auf welche Größenordnung schätzt die Bundesregierung den schlußprüfung ohnehin gegeben. Bei den übrigen damit verbundenen Mitnahmeeffekt und die prozentualen An- Steuerpflichtigen ist dies Aufgabe des Innendienstes teile der aus der Subventionierung oder steuerlichen Begünsti- der Finanzämter. Ihm steht hierfür ein ausreichendes gung gewonnenen Vorteile an der jeweiligen Gesamtinvesti- rechtliches Instrumentarium zur Verfügung. Aller- tion, und wie gedenkt die Bundesregierung dieser Entwicklung dings ist auch die Beurteilung vom „grünen Tisch" entgegenzuwirken? häufig mit erheblichem Personalaufwand verbunden. Die Finanzämter müssen sinnvolle Schwerpunkte Zu Frage 27: setzen. Die Förderung von Unternehmen durch den Staat Eine Außenprüfung, auch in Form einer Nach- erfolgt zielgerichtet, in der Regel zum Aufbau neuer schau, ist sowohl für den Steuerpflichtigen als auch Beschäftigung, oft aber auch zum Erhalt der be- für die Verwaltung ein aufwendiges und personalin- stehenden Arbeitsplätze oder zur Überwindung tem- tensives Verfahren. Das dazu notwendige Personal porärer bzw. struktureller Schwächen. Die größte ar- sollte sinnvoller für die originäre Prüfungstätigkeit beitsmarktpolitische Wirksamkeit erzielt die staatli- genutzt werden. Bei Bedarf ist es möglich, eine er- che Förderung, wenn mit ihrer Hilfe Investitionen an- neute Außenprüfung anzuordnen, ggf. in Form einer gestoßen werden, die zu neuen Arbeitsplätzen füh- abgekürzten Außenprüfung. ren. Der Vorschlag einer Überraschungsprüfung er- Auch wenn es sich auf den ersten Blick nur um scheint auch unter rechtlichen und praktischen Ge- eine regionale Verlagerung von Arbeitsplätzen han- sichtspunkten nicht unbedenklich. Dem Steuer- delt, können subventionspolitische Ziele erreicht pflichtigen muß rechtliches Gehör gewährt werden, werden. Das gilt vor allem dann, wenn die Alte rna- des weiteren ist das Übermaßverbot zu beachten. tive zur Verlagerung der vollständige Verlust der Ar- Weiterhin ist Voraussetzung einer effizienten Prü- beitsplätze gewesen wäre. Insofern ist eine generell fung, daß der Steuerpflichtige Gelegenheit hat, die gültige Beurteilung subventionspolitisch beeinflußter Prüfung vorzubereiten. Unternehmensentscheidungen nicht sinnvoll. Zu Frage 28: Zu Frage 26: Eine aussagefähige Bezifferung steuerlicher Mit- Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß nahmeeffekte ist nicht möglich. ein generelles Prüfungsinstrument „Nachschau" die Steuerehrlichkeit stärkt. Die Bundesregierung- hat Die von der Bundesregierung auf den Weg ge- keine Anhaltspunkte dafür, daß Steuerpflichtige im brachte Steuerreform nach den Petersberger Steuer- nennenswertem Umfang aus den Ergebnissen einer vorschlägen sieht eine nachhaltige Absenkung der Außenprüfung keine Konsequenzen ziehen. Nur dies Einkommen- und Körperschaftsteuertarife in Verbin- würde eine derart personalintensive Kontrolle recht- dung mit einem umfassenden Abbau von Steuerver- fertigen. In Einzelfällen kann allerdings eine genau- günstigungen und steuerlichen Sonderregelungen ere Prüfung, ggf. auch vor O rt, angezeigt sein. Dies vor. Hätte der Bundesrat den Steuerreformgesetzen wird in den Ländern auch praktiziert. zugestimmt, wäre dadurch der mögliche Mitnahme effekt bei steuerlichen Fördermaßnahmen deutlich Nicht erkennbar ist, wie durch diese Kontrolltätig- reduziert worden. keit die Bedeutung der steuerlichen Betriebsprüfung gesteigert werden könnte. Auch die Prüfungsdichte Mitnahmeeffekte und reduzierte Wirksamkeit würde letztlich nicht intensiviert, da nur eine Kon- staatlicher Förderung sind unerwünschte Nebenwir- trolle der aus der vorangegangenen Außenprüfung kungen, die so klein wie möglich gehalten werden zu ziehenden Folgerungen durchgeführt würde. müssen, letztlich aber vom Staat in einer freien Wi rt Neue Erkenntnisse entstünden also nicht. Aus die- -schaft nicht vollständig vermieden werden können. sem Grunde eignet sich das vorgeschlagene Instru- mentarium auch nicht zur „flächendeckenden" Fest- stellung von Steuerhinterziehungen. Anlage 12

Antwort Anlage 11 des Parl. Staatssekretärs Hansgeorg Hauser auf die Frage des Abgeordneten Dietrich Austermann Antwort (CDU/CSU) (Drucksache 13/10757 Frage 31): des Parl. Staatssekretärs Hansgeorg Hauser auf In welchem Umfang hat das Land Schleswig-Holstein Lei- die Fragen des Abgeordneten Horst Schmidbauer stungen des Bundes aus dem Bundeshaushalt (z. B. Straßenbau, 21830* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mai 1998

Schienenwegeausbau, Gemeinschaftsaufgaben, Wettbewerbs- tastrophe 11 Millionen DM für Deichbaumaßnahmen hilfen etc.) in den Jahren 1994 bis 1997 nicht oder nicht termin- nach Brandenburg umgeschichtet. gerecht in Anspruch genommen? Bei der Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wi rt Im Bundesfernstraßenbau hat das Land in 1994 -schaftsförderung wurden aufgrund der Inanspruch- Ausgabemittel in Höhe von 6 Millionen DM zurück- nahme von Ausgabenresten in den Jahren 1994 bis gegeben. Es handelte sich dabei um zweckgebun- 1996 jeweils mehr Bundesmittel tatsächlich in An- dene Ausgaben für Verkehrsbeeinflussungsanlagen spruch genommen als für die einzelnen Jahre veran- und Fernmeldeanlagen. schlagt wurden. Der Sollansatz 1997 wurde um rd. Im Bereich des Schienenwegeausbaus werden 3,6 Millionen DM unterschritten, wobei die nicht in dem Land keine Ausgabemittel zugewiesen. Diese Anspruch genommenen Mittel zur Übertragung als Investitionsmittel werden nach Maßgabe des Bun- Ausgaberest angemeldet wurden. desschienenwegeausbaugesetzes direkt der DB AG zur Verfügung gestellt. Im Schiffsbaubereich wurden bei den Wettbe- werbshilfen im Bezugszeitraum mehrere Fortsetzun- Bei der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur kam gen und Aufstockungen des Programmvolumens vor- es im Bezugszeitraum in den Jahren 1996 Lind 1997 genommen. Davon wurden bei der 3. und 4. Fo rt zu nennenswerten Soll-Ist-Abweichungen. 1996 sind -setzung sämtliche Plafondmittel in Anspruch genom- von den zur Verfügung stehenden Mitteln 6,5 Millio- men. Bei der Aufstockung der 4. Programmfortset- nen DM nicht abgeflossen. 1997 wurden 16,6 Millio- zung nahm das Land 7,5 Millionen DM, bei der nen DM nicht in Anspruch genommen, davon wur- 5. Fortsetzung 6,15 Millionen DM der Bundesmittel den im Zusammenhang mit der Oder-Hochwasserka nicht in Anspruch.

-