Das Magazin mit unternehmerischen Visionen

Ausgabe 3 Juli 2020 Medienlandschaft Schweiz

durfte in dieser Not den gedruckten Medien zwischen Ballenberg und elektronischen Medien mit Steuermillio- und Silicon Valley nen unter die Arme greifen? Damit einzelne Matthias Zehnder von ihnen diese als Dividende an ihre Aktionäre Roger Thiriet 2 weiterreichten? Wie sollten Journalistinnen Medienschaffender Schriftleiter tribune und Journalisten mit den abstrusen Verlautba- [email protected] rungen der Verschwörungstheoretiker umge- «Journalistinnen und Journalisten hen? Produzierten sie gar selber «fake »? müssen heute Generalisten sein» Um solche und andere Fragen wurde engagiert Patrick Marcolli gestritten. Nicht nur in der Medienszene und Doch, es gab sie noch in den vergangenen nicht nur in unserem Land. 4 Monaten, die anderen Themen neben dem alles beherrschenden. Die Medien gehörten dazu, Die Redaktionskommission der «tribune» hat Vom Stadttambour zur «» und ihre Rolle im Zusammenhang mit der Pan- die aktuelle Diskussion zum Anlass genom- – wer finanziert unsere Medien? demie und deren Bekämpfung. men, den Fokus für einmal etwas weiter zu Roger Thiriet öffnen und den Zustand der Schweizer Medi- Sollten sie den Bundesrat in einer ausseror- enlandschaft aus verschiedenen Blickwinkeln 6 dentlichen Lage wie dieser bedingungslos unter die Lupe zu nehmen. Wie steht sie hier unterstützen, indem sie der Bevölkerung des- und heute da? Wer finanziert sie? Und wie geht Fakten zu Medien und Werbung sen Informationen unkritisch weiterleiteten? es ihren Hauptakteuren, den Journalistinnen in der Schweiz Oder hätten sie die Verlautbarungen vermehrt und Journalisten? hinterfragen sollen? Wieso brachen den meis- 8 ten trotz Einschalt- und Klick-Rekorden die Wir wünschen Ihnen aufschlussreiche Lektüre Einnahmen aus der Werbung weg? Musste und und einen angenehmen Sommer.

Jubiläumsstiftung des Bankhauses La Roche & Co Medien zwischen Ballenberg und Silicon Valley

Pressefreiheit» der Organisation Reporter bemarkt, also aus dem Geschäft mit ohne Grenzen figurieren 2020 Länder wie Anzeigen. Dieser Markt ist in der Corona- Nordkorea, Turkmenistan oder Eritrea am krise eingebrochen. Zeitungen haben zum Ende der Rangliste.4 Die Schweiz belegt Teil 80 Prozent ihres Werbeumsatzes ver- hinter den skandinavischen Ländern den loren. Sie sind deshalb in der Krise und Matthias Zehnder achten Platz. Sie befindet sich damit in verlangen vom Bund Unterstützung. Doch freier Medienwissenschaftler [email protected] der «weissen Zone» der Länder, in denen am Niedergang der Werbung ist nicht die Pressefreiheit vollumfänglich garan- bloss das Virus schuld. tiert ist. Mindestens auf dem Papier. In der Praxis aber ist es mit der Freiheit der Die Angebotsexplosion Medien in der Schweiz bald nicht mehr Bis in die 90er Jahre war eine Tageszei- weit her. Daran ist kein Despot schuld, tung wie die «Basler Zeitung» eine Art Die Schweizer Medien stecken in einer sondern der Markt. Den Schweizer Medi- Familien-Informationszentrale: In der Zei- Sackgasse. Ihre Businessmodelle funkti- en geht schlicht das Geld aus. Das hat nur tung fanden sich vom Kinoprogramm über onieren in der digitalen Welt nicht mehr. am Rand mit der Coronakrise zu tun. Die die Aktionen bei Coop und Migros bis zu Der Schweizer Markt ist viel zu klein und Pandemie hat die Probleme nur ver- den Todesanzeigen alle Informationen, die dazu noch kleinräumig fragmentiert. Wie schärft. Die Medienbranche in der Schweiz eine Familie brauchte. Wer in Basel etwas die Bauern hoffen die Medien deshalb auf leidet nicht einfach an einem vorüberge- bekannt machen wollte, kam um die Unterstützung durch den Bund. Wie in henden Schnupfen. Sie ist terminal «BaZ» nicht herum. Es gab gar kein ande- der Landwirtschaft besteht dabei die erkrankt. Der Grund: Das Businessmodell res Medium, das Werbung in die Haushal- Gefahr, dass die Schweiz ein Ballen- der Medien ist kaputt. tungen der Basler transportieren konnte. berg-Business zementiert. Doch es gibt Dann kam das Internet. Als erstes wan- einen Hoffnungsschimmer. Das kaputte Businessmodell derten die strukturierten Anzeigen ab, Die meisten Medien bedienen zwei Märk- also die Anzeigen für Stellen, Wohnungen, «Ohne Journalismus keine Demokratie. te, die sehr unterschiedlich funktionieren. Gebrauchtwagen und Bekanntschaften. In Und ohne Demokratie keine Freiheit.» So Da ist auf der einen Seite der Nutzer- den letzten Jahren ist auch die «Dis- beginnt das «Manifest» der Zürcher markt, also die Leser, die Zuschauer, die play-Werbung» abgewandert, die farbigen Onlinezeitung «Republik». Politiker aller Internetbenutzer. Dieser Teil des Marktes Flächen, die für etwas werben. Die Schwei- Couleur sind sich in dieser Hinsicht einig. hat in der Coronakrise so richtig abgeho- zer Zeitungen verlieren deshalb jedes Jahr «Freie und pluralistische Medien sind für ben. Die Zugriffe auf die Angebote der zehn bis 15 Prozent Anzeigenumsatz an die Demokratie unabdingbar», erklärte das Internet. Die grösste Werbevermark- etwa Ständerat Stefan Engler (CVP, GR) «In der Praxis ist es terin im Internet ist die Suchfirma Google: Mitte Juni im Ständerat.1 Ähnlich äussern Sie vermittelt solche Anzeigen global auf sich Politikerinnen und Politiker jedes mit der Medienfreiheit Millionen von Websites. Jahr am Tag der Pressefreiheit. «Demo- in der Schweiz bald kratie funktioniert nur mit freien Medien», Strategische Probleme erklärt etwa Bärbel Bas, Bundestagsab- nicht mehr weit her.» In der «Basler Zeitung» der 90er-Jahre geordnete der SPD.2 Und Thomas Bareiss, bildeten redaktionelles Angebot und Wer- Abgeordneter der CDU, doppelt nach: Medien im Internet hat Allzeithöhe beinhalte eine Einheit: Werbekunden und «Die Pressefreiheit ist für das Bestehen erreicht. Die Nachfrage nach journalisti- Leser lebten in der Region Basel. Im unserer Demokratie wie die Luft zum schen Inhalten ist stark. Internet ist das ganz anders. Der Anbieter Atmen für die Menschen.»3 Sätze wie Die Einnahmen aus dem Nutzermarkt einer Website weiss nicht, welche Werbe- diese richten sich am Tag der Pressefrei- machen aber nur etwa die Hälfte der Ein- schaltungen seine Leserinnen und Leser heit gegen Despoten und Diktatoren auf nahmen einer klassischen Zeitung aus. sehen. Das entscheidet der Werbevermitt- der ganzen Welt. Auf der «Rangliste der Die andere Hälfte stammt aus dem Wer- ler aufgrund der Interessen der Benutzer.

1 Als er am 18. Juni im Ständerat die Debatte über das Massnahmenpaket zugunsten der Medien eröffnete, zitiert nach dem Wortprotokoll der eidgenössischen Räte, vgl. https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=49413#votum2 2 Aus Anlass des Tags der Pressefreiheit 2016, zitiert auf der Website des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger BZDV; vgl. https://www.bdzv.de/pressefreiheit/zitate-liste/ 3 Ebenda. 4 Vgl. Reporter ohne Grenzen, Rangliste der Pressefreiheit 2020, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2020/

2 Entscheidend ist nicht mehr der Träger chen verheddert. Ihre gedruckten Ausga- befürchtet wird. Der Bund steht also vor der Werbung, der ist austauschbar gewor- ben verkaufen sie für teures Geld, ähnlichen Problemen wie bei den Bauern: den. Die Werbung richtet sich nach den verschenken dieselben Inhalte aber im Wie sorgt man dafür, dass der Markt trotz Interessen des Nutzers und erscheint da, Internet. Online setzen sie mit aufmerk- Bundesunterstützung spielt? Wie verhin- wo er gerade herumsurft. samkeitsheischenden, boulevardisierten Deshalb hat die «BaZ» im Internet plötz- Inhalten auf Reichweite – und wollen mit «Das Gratis- lich riesige Konkurrenz: Nicht nur die zum Teil denselben Inhalten im Print ein Tageszeitungen erreichen die Menschen, qualitätsorientiertes, zahlendes Publikum Schlaraffenland im sondern auch der Fahrplan der SBB, das ansprechen.5 Internet könnte uns Telefonbuch von Search und viele auslän- dische Angebote. Die Konkurrenz ist gross Warnung vor dem Medienballenberg teuer zu stehen – und sie ist global. Erschwerend kommt Die Medienbranche verlangt deshalb kommen.» dazu: Die Schweiz ist viel zu klein und viel Unterstützung. Die Frage ist, wie diese zu kleinräumig, als dass ein einziger Unterstützung ausgestaltet sein könnte. dert man, dass die Schweiz dank Bundes- unterstützung zu einem Medienballenberg wird, der lang vergangenen Techniken nachhängt und die Zukunft endgültig ver- schläft? Die politische Debatte darüber ist im Gang. Der Ständerat hat ein Stützungs- paket für Medien beschlossen, ausgerech- net zukunftsträchtige Onlinemedien davon aber ausgeschlossen. Jetzt liegt der Ball beim Nationalrat. Einen Lichtblick gibt es aber: Die Coronakrise hat dazu geführt, dass nicht mehr nur Politiker sich der grossen Bedeutung der Medien für die Demokratie bewusst sind. Auch immer mehr Nutzer schätzen freie und unabhän- gige Medien – und sind bereit, sich dies auch etwas kosten zu lassen. Denn eins hat die Krise gezeigt: Das Gratis-Schlaraf- fenland im Internet könnte uns teuer zu stehen kommen. Es ist Zeit, den Geld­ Büste von Anders Chydenius. Der finnische Pfarrer setzte sich 1765/66 erfolgreich für die Einfüh- beutel zu zücken. rung des Gesetzes über die Pressefreiheit in Schweden ein.

Anbieter auf ökonomisch vernünftige Ska- Klassischerweise unterstützt der Bund len im digitalen Markt kommen könnte. die Zustellung der gedruckten Zeitungen. Die ganze Deutschschweiz entspricht als Doch damit hält er den Strukturwandel in Markt gerade mal der Stadt Houston. der Medienbranche bloss auf. Besser Anders als Coiffeure oder Restaurants wäre es, das Geld würde nicht für die Ver- Matthias Zehnder haben die Schweizer Medienhäuser also teilung, sondern für die Produktion von ist freier Medienwissenschaftler, Publi- nicht einfach ein Corona-Problem. Sie Inhalten zur Verfügung gestellt. Davor zist und Berater in Basel haben schwerwiegende, strategische Pro- schrecken Politik und Verlage aber zurück, bleme und sie haben sich in Widersprü- weil eine Einflussnahme des Bundes

5 Vgl. Matthias Zehnder: «Die Aufmerksamkeitsfalle. Wie die Medien zu Populismus führen» Zytglogge Verlag, 2017

3 «Journalistinnen und Journalisten müssen heute Generalisten sein»

landschaft. Es gibt nicht nur weniger Zei- des Journalismus preisen unter dem Motto tungen, sondern auch weniger Fachjourna- «Jeder sein eigener Leitartikler». Aber in lismus. der Regel tummeln sich auf diesen Platt- formen vor allem Selbstdarsteller, die ein Passt die Definition von Journalismus, x-beliebiges Thema aufgreifen und weiter- Patrick Marcolli mit der Sie aufgewachsen sind, noch zum treiben, oft bis zum «Shitstorm». Als Medi- Chefredaktor bz basel heutigen Berufsbild? um – und demzufolge auch als Journalist [email protected] Im Grundsatz ja. Aber Journalistinnen – muss man eine Haltung entwickeln. Soll und Journalisten müssen heute Genera- sich fragen: Wie wichtig ist etwas? Was listen sein. Breiter aufgestellt als damals, bedeutet es für die Gesellschaft? Was wol- wo sie definierte Spezialgebiete wie «Neue len wir als Medium vermitteln? Welche 1990 ist Patrick Marcolli als Werkstudent Bücher» oder «Unglücksfälle und Verbre- Werte vertreten wir? Und damit meine ich bei der damaligen «Nordwestschweiz» in chen» pensumfüllend betreuten. Zudem nicht Ideologien, sondern journalistische den Kulturjournalismus eingestiegen sind die Informationsquellen so zahlreich Grundsätze. Vor diesem Hintergrund ist und dem Beruf bis heute treu geblieben. geworden, dass Journalismus nicht mehr man heute mehr Autor als früher. Ist es noch derselbe Beruf wie damals? den Anspruch erheben kann, einen voll- Und wenn nein, wie und warum hat er ständigen Überblick zu bieten, in keinem Wie äussert sich dieser Wandel bei- sich verändert? Eine Standortbestim- Medium. Davon ist der Print-Journalis- spielsweise im Produkt «bz basel»? mung mit dem Profi. mus besonders betroffen. Viele Menschen Wir wollen unseren Leserinnen und Lesern informieren sich nicht mehr beim Früh- Orientierung geben, Hintergründe und tribune: Herr Marcolli, weshalb sind Sie stück in der Zeitung über das Tagesge- Zusammenhänge verständlich machen. Journalist geworden? schehen von gestern. So ist man als Unsere Journalisten und Autoren unter- Patrick Marcolli: Aus Freude am Schrei- News- oder «Agenda»-Journalist eigent- scheiden zwischen Berichterstattung, ben! Einfacher kann ich es nicht sagen. Aufsätze – das war das Einzige, was ich in der Schule wirklich gerne gemacht habe. Aus dieser Freude an der Sprache wuchs früh schon das Interesse an geschriebe- ner und gedruckter Aktualität. Ich habe schon in jungen Jahren den «Spiegel» gelesen, die damalige «Weltwoche» abon- niert. Schreiben zwecks Informationsver- mittlung – das war, was mich interessiert hat. Deshalb habe ich mein gesamtes Arbeitsleben – mit Ausnahme eines Abste- chers in die Unternehmenskommunikati- on bei Herzog & de Meuron, wo es aber ja im Kern ums Gleiche ging – für das

Medium Zeitung gearbeitet. Hauk Alexander Foto: ©

Wie hat sich Ihr Beruf in den letzten lich immer zu spät. Zeitungen können Recherche und Kommentar. Und: Wir dreissig Jahren verändert? exklusive Aufmerksamkeit nur noch mit schreiben für Menschen, die diese journa- In erster Linie durch die technische Ent- eigenen Recherchen generieren. listischen Formen noch erkennen und wicklung. Meine ersten Artikel schrieb ich unterscheiden können. Als regionales auf der Schreibmaschine, zeichengenau, in Wie haben sich die Produkte im Journa- Medium beschäftigen wir zudem Kollegen, den vorgegebenen Formatrahmen. Heute lismus verändert? die in dieser Region leben, persönlich vom geht ein Text von der Tastatur mehr oder Ich sage es einmal sehr allgemein: Es Geschehen in diesem Umfeld betroffen weniger direkt ins Netz, zum Druck oder braucht heute mehr denn je eine Haltung sind und diesem Betroffensein journalis- «online first». Das ist die eine grosse hinter einem Produkt. Natürlich kann man tisch Ausdruck verleihen können. Früher Veränderung. Die andere – nicht weniger Kommentarspalten in den Online-Medien war der Journalist Berichterstatter; das wichtige – ist die Verarmung der Presse- und Social Media als Weiterentwicklung reicht heute nicht mehr.

4 In der zweiten Hälfte des letzten Jahr- berufliche Perspektive bieten. Der Wandel dieses Interesse wieder. Ich sehe das doch hunderts prägten Kollegen wie Hans- der Medien – auch der elektronischen und an den Zahlen unseres Online-Angebots: Rudolf Schäublin, Hans-Ullrich «-sten» sozialen – verläuft immer rasanter. Beizerwechsel oder Ladenschliessungen Christen und Gustav Adolf Wanner die an prominenter Lage werden am meisten Basler Zeitungslandschaft. Bekämen die Und wie lange gibt es noch die Menschen, angeclickt, auch von einem jungen Publi- bei Ihnen heute noch eine Stelle? die beim Frühstück ihre Zeitung lesen? kum. Vielleicht wieder? Ich mag das Wort Ich weiss nicht, ob da jemand eine halb- «Nostalgie» zwar nicht, aber ich bin wegs konkrete Prognose stellen kann. Zum Schluss die mediale Gretchenfrage: überzeugt, dass wir gerade als regional Die Abonnentenzahlen aller gedruckten Wie lange kann auf dem Platz Basel noch und lokal verankertes Medium in diesem Qualitätszeitungen stagnieren oder sind ein Duopol «bz basel»/«Basler Zeitung» Segment eine Aufgabe haben. Zwar ver- rückläufig, das ist ein offenes Geheimnis. existieren? ändert sich die Welt in einer derart atem- Wir können einfach hoffen, dass sich die So lange die beiden grossen Verlage noch beraubenden Geschwindigkeit, dass für Digitalversion unserer Arbeit bei der bereit sind und einen Sinn darin erkennen, Leserschaft durchgesetzt hat, bevor das in diese Produkte zu investieren. Oder «Journalist ist nicht auf Papier gedruckte und von Hand in sagen wir es mal so: Ich persönlich finde Briefkästen verteilte Produkt unrentabel es grossartig für die Stadt und für die gerade der Beruf mit geworden ist. Ich glaube aber nicht, dass Region, dass es hier noch zwei Zeitungen den sichersten die Zeitung ganz aus der Medienpalette gibt und ich kann nur hoffen, dass das verschwinden wird; sie wird eher zu noch lange so bleibt. Das ist für den Zukunftsperspektiven.» einem Nischenprodukt für Medienunter- gesellschaftlichen und politischen Dis- nehmen, die ihr Geld anderweitig verdie- kurs immer nur von Vorteil. Ebenso auch den zurück kaum mehr Musse nen – im Online-Bereich oder in bisher für unsere Arbeit als Zeitungsmacherin- bleibt. Diesem Wandel kann sich ein branchenfremden Feldern wie Events. nen und -macher: Wer keine Konkurrenz Medium nicht entziehen, sonst ist es Und irgendwo glimmt in mir aber auch kennt, macht ein anderes Produkt. Und chancenlos im Kampf um Aufmerksam- noch ein Fünkchen Hoffnung, dass sich nicht immer ein besseres. keit. Auf der anderen Seite bin ich über- nächste Generationen wieder fürs Papier zeugt, dass wir unseren Lesern hie und interessieren werden. Als die VHS-Kas- da auch eine Orientierung quasi nach sette aufkam, hat man auch gesagt, das rückwärts anbieten sollten. Ihnen in sei das Ende des Kinos. Erinnerung rufen, welche Werte früher wichtig waren. Dass es Konstanten gibt, Erhebungen weisen allerdings darauf auch in dieser Region. Und vor allem in hin, dass die Generationen Y und Z an den Patrick Marcolli, lic. phil. I dieser Stadt. klassischen Themen einer Qualitätszei- studierte von 1990 bis 1997 an der Uni- tung nur noch mässig interessiert sind. versität Basel Geschichte und Anglistik. Was sagen Sie jungen Menschen, die in Gerade was Politik betrifft, leben wir Jour- Von 1990 bis 1993 arbeitete er daneben frei für die Ressorts Lokales und klassi- den Journalismus möchten? sche Musik bei der damaligen «Nord- Angesichts des Stellenabbaus bei den tra- «Wer keine Konkur- schweiz». Nach einem Englandaufenthalt ditionellen Schweizer Qualitätsmedien ist renz kennt, macht ein schrieb er ab 1994 für die selben Res- Journalist ja jetzt nicht gerade der Beruf sorts der «Basler Zeitung» und ab 1997 mit den sichersten Zukunftsperspektiven. anderes Produkt.» für die «Basler Woche». Von 2000 bis Und trotzdem beginnt bei der «bz basel» 2003 war er bei der «BaZ» zuständig für im Sommer wieder eine Praktikantin. Eine nalisten nicht nur im lokalen Bereich in das 2003 eingestellte «Basler Magazin», zwanzigjährige junge Frau, die sich bei einer Blase, das sehe ich auch so. Wenn worauf er ins Lokalressort wechselte, einer Zeitung bewirbt? So, wie ich mir wir aber die Fragen, die in diesem Zusam- das er ab 2011 auch leitete. 2011 ging er für die «BaZ» als Deutschlandkorrespon- vorstellen kann, dass ein «-sten» heute menhang diskutiert werden, mit Lebens- dent nach Berlin, bis ihn 2014 Herzog & wieder gelesen würde, so nähre ich die welten verknüpfen können – Stichwort de Meuron-Architekten als Kommunika- optimistische Hoffnung, dass eine ge­- «Corona», Stichwort «Mieten» – oder tionsdirektor wieder nach Basel holten. druckte Zeitung wieder «sexy» werden den politischen Aspekt einbetten können Seit 2018 ist der heute 50-jährige Basler könnte. Aber es ist nicht viel mehr als in einen qualitativ hochstehenden Stadt- Chefredaktor der «bz basel». eine Hoffnung; als Chefredaktor kann ich leben-Teil – «Was läuft in der Konsumwelt, beruflichem Nachwuchs keine ungetrübte in der Gastronomie?» – dann wecken wir

5 Vom Stadttambour zur «Republik» – wer finanziert unsere Medien?

sich aber zu einer eigentlichen Goldgru- noch werbefreie Zone, zeichnete sich sie- be. Der Besitz einer auflagenstarken ben Jahre nach Aufnahme des regulären Tageszeitung kam nicht nur in der Sendebetriebs 1957 ab, dass die Konzes- Schweiz einer Lizenz zum Gelddrucken sionsgelder für die Finanzierung der teu- Roger Thiriet gleich, vor allem solange die elektroni- reren TV-Produktions- und Verbreitungs- Medienschaffender Schriftleiter tribune schen Medien Radio und Fernsehen noch kosten nicht ausreichen würden. Wiederum [email protected] keinen Anteil am rasch wachsenden versuchten sich die Verleger als Verhinde- Werbekuchen reklamierten. rer und bezahlten der SRG zwei Millionen Schweizer Franken jährlich, damit diese Keine Werbung im Radio … auf TV-Werbung verzichten möge. Trotz- Erste reguläre Radiosendungen wurden in der Schweiz im Jahr 1920 anlässlich der «Der Bundesrat will in Während der Covid19-Pandemie hat der Gründung des Völkerbunds in Genf ausge- Bund viele krisengebeutelte Branchen strahlt. Finanziert wurden diese durch die Zukunft 100 Millionen finanziell unterstützt, darunter mit Milli- Ausgabe von Empfangskonzessionen, von Franken jährlich onenbeträgen auch die Schweizer Medi- denen es 1920 im ganzen Land 155 zum en. Aber bleibt die öffentliche Hand, die Preis von 12 Franken gab. Sechs Jahre zusätzlich in die einen derart grosszügig füttert, nun von danach, als eine Radiogenossenschaft in Medienförderung den Zähnen der «Vierten Gewalt» unge- Basel den Betrieb aufnahm, waren es bissen? Und welche Medien kommen bereits 50'000. Dieser Boom beunruhigte investieren.» auch in pandemiefreien Zeiten nur noch die Zeitungsverleger, die im neuen Medi- mit Staatsgeldern über die Runde? Eine um eine Bedrohung ihrer Vorzugsstellung dem flimmerte am 1. Februar 1965 der Übersicht. in der Informationsvermittlung witterten. erste Werbespot über die Bildschirme des Ihre Lobby erreichte bei den Bundesbehör- Landes. Das Schweizer Fernsehen war Wenn die Basler Magistraten des 19. den, dass die neuen Marktteilnehmer damit das erste Medium im Land, das Jahrhunderts der Bevölkerung eine Mit- einerseits ihre aktuellen Sendungen stark sich sowohl über Konzessionsgelder des teilung machen wollten, beauftragten sie einschränken und anderseits die Nach- Bundes wie auch Einnahmen aus der einen besoldeten Stadttambour mit deren richtenbulletins exklusiv bei der «Schwei- Werbung – und später auch Sponsoring – Verlesen auf den Plätzen der Stadt. Bald zerischen Depeschenagentur» beziehen finanzieren durfte. Diese zweite Quelle verdienten sich die Ausrufer einen Extra- mussten – einem Unternehmen, das von spülte den SRG-Sendern im Lauf der batzen, indem sie nach den offiziellen den Zeitungsverlegern selber kontrolliert Jahre Milliarden in die Kassen und spru- auch private und kommerzielle Anzeigen wurde. Dank dem Radioboom – 1930 waren delte erst dann spärlicher, als private verkündeten. Doch bald wurden sie abge- 150'000 Empfangskonzessionen vergeben Medienunternehmer in den 1990er-Jahren – blieb ihnen schliesslich die radiofonische die separaten «Werbefenster» für das «Der Besitz Konkurrenz auf dem Werbemarkt erspart: Schweizer Publikum von deutschen Pri- Die Sendungen der 1931 gegründeten vatsendern wie Sat 1 und RTL lancierten einer Tageszeitung Schweizerischen Rundspruch-Gesellschaft und so erstmals im grossen Stil Schwei- war eine Lizenz zum konnten aus den Konzessionserträgen zer Werbebudgets ins Ausland flossen. der Hörerschaft finanziert werden und Gelddrucken.» sind bis heute werbefrei geblieben. Erst Abwanderung ins Internet mit der Zulassung privater Radiostationen Technische Innovationen waren es auch, löst von den aufkommenden Nachrich- im Herbst 1983 hielt die Radiowerbung die dunkle Wolken am Horizont der tenblättern, deren Herausgeber Inserate Einzug im Land. gedruckten Medien aufziehen liessen. Ins- gegen Bezahlung abdruckten. Dieses besondere die grossen Tageszeitungen, Verlagsmodell der Finanzierung durch … dafür im Fernsehen deren Beilagen für Immobilien- und Stel- Anzeigen, später ergänzt mit Abonnements- Anders beim Fernsehen, dessen Aufkom- leninserate in der Hochkonjunktur schwin- und Einzelverkaufserlösen, erwies sich men in den 1950er-Jahren nicht nur von delerregend hohe Erträge generierten, von Anfang an als solid. Spätestens im den Zeitungsverlegern, sondern auch vom realisierten zu Beginn des 21. Jahrhun- Zug des ökonomischen Aufschwungs elektronischen Schwestermedium Radio derts die rasche Abwanderung dieser nach dem 2. Weltkrieg entwickelte es skeptisch beobachtet wurde. Zu Beginn «Rubriken-Inserate» ins Internet. Parallel

6 zum Rückgang der Werbeeinnahmen ging Prozent der Schweizer Werbegelder ins abgegolten wird. Und auch die «SRG», bei Jahr für Jahr auch die Zahl der Abonnen- Ausland, meist zu globalen Giganten wie der prae corona die Sparschraube bereits ten zurück. Zwar versuchten die Verlage, Amazon und Google, abgeflossen sind, schmerzhaft angezogen schien, erhält diese Verluste mit bezahlten Publireporta- begannen auch die einst stolzen und künftig wegen des anhaltenden massiven gen, Advertorials, Paid Content und ande- unabhängigen Verleger die hohle Hand zu Werbeeinbruchs zusätzliche 50 Gebüh- ren aus presseethischer Sicht kritisch machen. Unter Berufung auf die System- ren-Millionen. beurteilten Mischformen zwischen Redak- relevanz ihrer Produkte forderten und tion und PR zu kompensieren oder betrie- erhielten sie vom Bund schon früh erste Fazit und Frage ben gleich ganze Inserateportale im Netz finanzielle Erleichterungen wie die Verbil- So hat, wie der Basler Medienethiker Phi- selber. Während Letzteres im Bereich der ligung der Posttaxen für die Heimzustel- lipp Cueni im Magazin «Link» der SRG Rubrikenwerbung oft erfolgreich war, lung ihrer Publikationen. Heute gibt der Deutschschweiz bilanziert, «die Schwei- gelang das Online-Kompensationsmanöver Bund bereits 50 Millionen jährlich zer Medienpolitik in kürzester Zeit eine im redaktionellen Bereich selten. Versuche für die indirekte Presseförderung aus, erstaunliche Dynamik aufgenommen. Die der Qualitätszeitungen, ihre journalisti- nämlich 30 Millionen für Zeitungen und Einsicht, wie wichtig Qualitätsmedien für schen Inhalte im Netz hinter eine Bezahl- Zeitschriften und 20 Millionen für die Mit- die Gesellschaft sind, ist gewachsen. schranke zu stellen, führten nicht zum gliedschafts- und Stiftungspresse. Im Ebenso das Eingeständnis, dass das reine gewünschten Erfolg. Und auch Werbeer- aktuell diskutierten Förderpaket, das Marktmodell für den journalistischen träge aus Online-Medien, sofern sie denn Medienministerin Simonetta Sommaruga Medienbereich nicht funktioniert.» Tat- überhaupt in der Schweiz verbucht werden im vergangenen Jahr dem Parlament vor- sächlich sind heute beinahe alle öffent- können, kommen bei weitem nicht mehr an geschlagen hat, will der Bundesrat in lich-rechtlichen und privaten Schweizer die Einnahmen aus den goldenen Zeiten Zukunft weitere 30 Millionen in die indi- Medienunternehmen auf die eine oder der Printmedien heran. rekte Presseförderung investieren und andere Art von Geldern der öffentlichen auch reine Online-Medien vermehrt Hand abhängig. Und damit stellen sich Hände offen berücksichtigen. neue Fragen, zum Beispiel, ob unsere In einer derartigen Klemme sind neue Qualitätsmedien so ihre Aufgabe als Finanzierungsideen oft die alten. Griffen in «Heute sind fast alle «Vierte Gewalt» im Staat und Kontroll­ Einzelfällen früher schon milliardenschwe- instanz der drei restlichen Gewalten noch re alt Bundesräte in den eigenen Sack, um öffentlich-rechtlichen unabhängig genug ausüben können. Oder serbelnde Publikationen wie die «Basler und privaten Schweizer ob sie über kurz oder lang wieder zu sub- Zeitung» am Leben zu erhalten, verdank- ventionierten Stadttambouren der Obrig- ten in den vergangenen Jahren auch die Medienunternehmen keit werden. Basler «Tageswoche», ihre Rechtsnachfol- von der öffentlichen gerin «Bajour» und zu einem guten Teil auch die Zürcher Online-Publikation Hand abhängig.» «Republik» ihre Existenz den offenen Hän- den vermögender Fördererinnen und För- Treiberin Corona derer. Allerdings bisher ohne durchschla- Dann kam Corona, und geht es nach dem Roger Thiriet, lic. phil. I, genden Erfolg dort, wo der mäzenatischen letzten Stand der eingebrachten Anträge hat an der Universität Basel Englisch, Initialzündung jeweils eine Eigenfinanzie- und laufenden Beratungen im Parlament, Französisch und Geschichte studiert. rung durch ausreichend Anzeigen und könnten am Schluss allein zur Abfederung Als Medienschaffender war er in den Abonnements folgen sollte. Die «TaWo» der Pandemiefolgen gegen 60 weitere vergangenen 50 Jahren als Moderator, mit ihrem Mix aus Print und Online ging Frankenmillionen einmalig in die Unter- Journalist, Redaktor, Autor und Produ- zent bei Radio und Fernsehen «DRS» wieder ein, und die «Republik» generierte stützung der Print-, Online und elektroni- (heute «SRF»), der «Basler Zeitung», bisher nicht genügend zahlende «Verle- schen Publikumsmedien fliessen. Von «Radio Basilisk» und «Radio EVIVA» ger», um ohne grössere Gönnerbeiträge diesem Geld profitieren nicht nur die Ver- tätig. Seit 1998 führt er sein eigenes weitermachen zu können. leger, sondern auch die meisten privaten Kommunikationsunternehmen ROGER Radio- und TV-Stationen sowie die einzige THIRIET TEXTE und war unter anderem Hände hohl verbliebene Schweizer Nachrichtenagen- von 2013 bis 2020 Präsident der «Stif- Angesichts der ernüchternden Erkennt- tur «SDA», denen damit unter entspre- tung Telebasel». nis, dass in den letzten zehn Jahren 50 chenden Auflagen ihr «Service au Public»

7 Fakten zu Medien und Werbung in der Schweiz

Der Verband SCHWEIZER MEDIEN dokumentiert die aktuelle Entwicklung in der Medienlandschaft und zeigt Marktveränderungen in den wichtigsten Mediengattungen auf. Bezüglich der Printmedien stellt er fest, dass die digitale Transformation in den verschiedenen Segmenten bereits weit vorangeschritten ist. Bei den elektronischen Medien lässt sich beim Vergleich der privaten Regionalsender mit der «SRG» und den ausländischen Werbefenstern feststellen, wie schwierig es für lokales Schweizer Privat-TV ist, sich auf dem Werbemarkt zu refinanzieren. Dieser – als wichtigste Ertragssäule der Medien – wird in der unten abgebildeten Grafik so dargestellt, dass lediglich Marktanteile von Medien mit publizistischen Inhalten ausgewiesen werden. www.bag.admin.ch

1429 29 058 Medienunternehmen Beschäftigte gibt es aktuell in der Schweiz zählt die Schweizer Medienbranche zurzeit

Entwicklung der Zeitungstitel und -auflagen seit 2019 Netto-Werbeumsätze 2018 mit publizistischen Medien

Total WEMF-beglaubigte Titel mit verbreiteter Auflage Anteile am Werbemarkt in Mio. CHF und Marktanteile in % Online 264 Mio 12,9 % 400 312 318 315 304 304 303 298 291 295 294 269 14 300 12 Radio ≙ 10 144 Mio 6,6 % 200 8 6 100 4 ≙ 2 2'183 Mio. Presse 0 Anzahl Titel 0 Auflage in Mio 1'009 Mio 46,2 %

2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 ≙ Fernsehen 766 Mio 35,1 % Anzahl Titel (linke Skala) Verbreitete Auflage (rechte Skala) ≙

Foto auf Seite 3: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Anders_Chydenius_statue.jpg

IMPRESSUM Nummer 3/2020, erscheint viermal jährlich.

HERAUSGEBER: Handelskammer beider Basel ([email protected]), Advokatenkammer Basel, Basellandschaftlicher Anwaltsverband ([email protected]) grosszügig unterstützt von der Jubiläumsstiftung La Roche & Co REDAKTION: Dr. Philip R. Baumann, lic. iur. Roman Felix, Dr. iur. Alexander Filli, lic. phil. I Jasmin Fürstenberger, MLaw Andrea Tarnutzer-Münch, lic. phil. I Roger Thiriet LAYOUT: Elmar Wozilka, Handelskammer beider Basel, Druck: bc medien ag, Münchenstein ADRESSE: «tribune», St. Jakobs-Strasse 25, Postfach, 4010 Basel, Telefon: +41 61 270 60 55, Telefax: +41 61 270 60 05, E-mail: [email protected] «tribune» ist eine offizielle Publikation der herausgebenden Organisationen für deren Mitglieder. Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Für Nichtmitglieder kostet das Jahresabonnement CHF 20.–.

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