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DEUTSCHE MANNSCHAFT „Uns muss man erst mal schlagen“ Ein kluger Innenverteidiger ist zugleich Sinnbild und Risikofaktor jenes Stils, mit dem Bundestrainer Jürgen Klinsmann Weltmeister werden will: Christoph Metzelder gilt als Profi der Zukunft, doch spielt er je wieder so gut wie in der Vergangenheit? Von Klaus Brinkbäumer

eutschlands Fußballer grüßen Am Anfang, das war in und gratulieren einander sehr und kurz vor der Abreise, saß da ein Dlässig. Sie führen die Fäuste auf- ruhiger und durchaus zweifelnder jun- einander zu, langsam, sacht und zart ist ger Mann in Badeschlappen und kur- die Berührung, es ist eine Geste aus zer Hose auf einem Hocker am Rande den Straßen New Yorks. Manchmal des Trainingsplatzes und erzählte seine grüßen und gratulieren Deutschlands Geschichte, die eine Geschichte von Fußballer aber auch nicht, es geht bei Extremen ist, welche wenige Fußballer dieser Geste ja um Respekt, und Re- jemals erleben. spekt muss man sich verdienen, auf der Erleben dürfen. Und erleben müssen. Straße und auf dem Platz. Es gibt ja deutsche Idole, dort hinten Es war ein Training Anfang der vo- in der Abwehr, wo heute Metzelder rigen Woche, es war kurz nach dem spielt, und diese Idole haben mit seiner 4:2 gegen Costa Rica, als ein Ball vor Laufbahn zu tun. 1986, er war fünf Jah- Ersatztorwart aufsprang, re alt, fand er vor dem Kindergarten in und Christoph Metzelder stand dort Haltern eines dieser Panini-Bilder im herum und sah den Ball an. Er zog Staub, es war ein Foto des Vorstoppers dann das rechte Bein an, drehte den Karlheinz Förster. Eines Haudegen. Unterschenkel nach außen, und mit der Christoph Metzelder begann zu sam- äußeren Seite seines Fußes traf er den meln, mit Panini-Alben lernte er lesen, Ball in der Luft und schob ihn an Kahn er wurde Stuttgart-Fan, Gladbach-Fan, vorbei. Ein cooles Tor. Christoph Met- begann zu spielen, wechselte in die zelder ist Verteidiger, er schießt selten Schalker Jugend, scheiterte, aber er Tore. Aber die anderen gratulierten wusste, das sagt er heute, „dass es nicht nicht, kein Fäustchen nirgends, und entscheidend ist, ob einer mit 14 oder darum ging Metzelder zu den Kollegen 15 Jugend-Nationalspieler ist, sondern Kehl, Friedrich, Borowski, Podolski, ob sich der Körper entwickelt und ob und holte sich seine Portion Lob. man durchhält“. Darum wechselte er Man kann eher nicht behaupten, zu Preußen Münster und spielte in der dass die Achtung vor deutschen Ver- Regionalliga für 530 Mark im Monat teidigern in den Tagen nach dem Eröff- gegen und Arne Frie- nungsspiel besonders ausgeprägt ge- drich, die in Kaiserslautern und Verl wesen wäre. den gleichen Umweg gingen wie er. Dann aber tat sich etwas in der deut- In Münster wurde er verdammt schen Mannschaft, denn manchmal schnell verdammt gut, Borussia Dort- geht das ganz schnell mit dem Respekt, mund kaufte ihn, und dort traf er ein manchmal wird in 90 Minuten aus ei- weiteres deutsches Idol, Jürgen Kohler, ner Mannschaft, über die die Welt ge- und „bevor der mich begrüßte, sagte er lacht hat, eine Mannschaft, der die mir, ich müsse mehr und härter arbei- Welt die Meisterschaft zutraut. Am ver- ten als alle anderen“, erzählt Metzel- gangenen Mittwoch, 22.55 Uhr, gerade der. Er arbeitete und verdrängte war das Spiel gegen Polen abgepfiffen Kohler, fuhr zur Weltmeisterschaft worden, begab sich die deutsche 2002, spielte mit, spielte gut, und Real Mannschaft auf eine Ehrenrunde, vor- Madrid wollte ihn kaufen, diesen jun- ne liefen der Kapitän Ballack und der gen, begnadeten Vizeweltmeister. Verteidiger Metzelder. Ballack nahm „Ich war erst 21, ich war naiv, ich Metzelder in den Arm und zog ihn an dachte, das geht automatisch 12 Jahre sich heran, aus einem Sorgenkind war lang weiter“, sagt er, denn junge Athle- wieder ein Kerl geworden. Wenn man also diesen Christoph * Von oben: , Christoph Metzelder, Per Metzelder, 25, durch die Vorbereitung Mertesacker und , dazu der Costa Ri- und die ersten zehn Tage des Turniers caner Paulo Wanchope am 9. Juni in München. begleitete, konnte man eine Wandlung beobachten, die letztlich für das ganze Deutsche Abwehrreihe*

Team steht. FOTOCREDIT Ein Steilpass durch die Gasse? 92 ten fühlen sich unverwundbar. Dann ka- men die Schmerzen an der Achillessehne. Er nahm Tabletten, wurde gespritzt, spielte, dann ging es nicht mehr. Zwei Jahre sind lang. Es gibt nicht viele, die nach zwei Jahren zurückkommen. Zwei Jahre lang war Metzelder verletzt, es war dieser Kreislauf aus Reha-Training, Balltraining, ein paar Spielen, neuen Schmerzen, neuer Operation und Reha- Training. „Es ist komisch, so etwas in der Situation eines Fußballprofis zu sagen“, sagt er, „aber für mich war das eine existenziel- le Situation. Die Frage war nicht mehr: wann. Die Frage war, ob ich jemals wieder spielen kann.“ Als er das verstanden hatte, trainierte er nicht gelassen, aber nicht mehr unter Stress, und irgendwann hielt die Seh- ne. „Es kann nichts mehr geben, auf dem Feld jedenfalls, was schlimmer wäre als das, was ich hinter mir habe“, sagt er, „ich erle- be das Spiel, ich genieße es.“ „Den großen Moment mitnehmen“, so würde Jürgen Klinsmann das nennen. Christoph Metzelder fuhr mit der Mann- schaft nach Sardinien, dann nach Genf, und dort saß er im Stade de Genève, und

er erzählte, „dass Jürgen Klinsmann mir FOTOCREDIT früh gesagt hat, dass er auf mich baut. Dass Verteidiger Metzelder (am Mittwoch gegen den Polen Ireneusz Jelen): „Ich genieße es“ ich nur gesund werden muss“. Und er be- richtete davon, dass ein Profisportler ler- gung des Leistungsprinzips. Natürlich wus- bal und mit sportlicher Leistung voranzu- nen müsse, „alles ins Positive umzuden- ste Klinsmann, dass sein Liebling „Metze“ gehen“. Der Kollege frag- ken“, alle Ängste zu verdrängen. einst sehr viel besser gespielt hatte. Und te am Donnerstag die Journalisten: „War- Es gibt Menschen im Tross der Mann- also sehr viel besser spielen kann. um wollen Sie immer ’ne Chefrolle haben? schaft, die Metzelder für ein wenig altklug Eigentlich. Wann? Es gibt auch Etagen mit mehreren Chefs.“ halten, weil er zum Beispiel sagt, „dass ich Er war wie Klinsmanns Mannschaft. Ein Und beide sagen, dass sie in den Tagen mich und mein Spiel sehr stark selbst re- Projekt und auch eine Drohung. Christoph nach dem stolprigen 4:2 gegen Costa Rica flektiere und sehr selbstkritisch bin“, und Metzelder war eine Idee. Ein Versprechen. gemeinsam vor DVD-Spieler und Fernse- so ein Satz bedeutet ja zuweilen sein eige- Das Problem der deutschen Abwehr ist her gesessen hätten und Fehler gesucht nes Gegenteil. Aber dieser Metzelder ist ei- eher simpel. Vier Spieler verteidigen auf ei- und gefunden und am Ende eine „ge- ner der interessanteren Gesprächspartner ner Linie, etwa zehn Meter meinsame Sprache“ gefun- in dieser Mannschaft. Wie , trennen sie; greift der Geg- den hätten. Oliver Kahn, , Sebastian ner über die linke Seite an, Man konnte das sehen, Kehl. Weil er ohne Furcht über Patriotis- rücken alle vier auf die Sei- am Mittwoch vergangener mus und Leichtigkeit reden kann. Weil er te. Vor ihnen stehen, eben- Woche in Dortmund. Die zuhört, nachdenkt, antwortet, fragt. Wel- falls auf einer Linie, die vier beiden Innenverteidiger cher Fußballer stellt schon Fragen? Mittelfeldspieler. Das Pro- rückten diesmal nicht so Jürgen Klinsmann ist ein Anhänger Met- blem der deutschen Ab- weit nach vorne, blieben zelders. „Christoph hat von Natur heraus wehr ist oder war oder ungefähr zehn Meter näher die Leaderrolle“, sagt Klinsmann. Das Pro- könnte auch in Zukunft beim eigenen Tor, und sie blem war in den vergangenen zwei Jah- durchaus wieder sein, dass standen dichter beieinan- ren, dass nicht besonders viele Menschen, es zwischen Mittelfeld und der, suchten Blickkontakt, nicht mal Dortmunder, dem Bundestrai- Abwehr eine zu große sie sprachen ständig mitein- ner in dieser Beurteilung folgen konnten, Lücke gab; dass die Vertei- ander und auch mit den denn die meisten hielten Metzelder für ein diger zu weit nach vorne Außenverteidigern Frie- Risiko. Sie hielten seinen Kollegen Chri- rückten, fast bis zur Mittel- drich und Lahm und mit stian Wörns für stärker und sahen sich linie; dass auch der Abstand und Michael

schon deshalb bestätigt, weil Metzelder im zwischen den Verteidigern FOTOCREDIT Ballack, die vor ihnen stan- eigenen Verein auf der Ersatzbank saß. zu groß wurde, weil der Vorbild Kohler den. Wenn einer der beiden Er saß da ganz zu Recht. Er sagt zwar, er eine zur Seite rannte und „Mehr und härter arbeiten“ eingreifen musste, lief der habe keine Schmerzen mehr und nicht ein- der andere nicht folgte. andere in seine Nähe, si- mal eine Scheu vor Zweikämpfen, „weil Da genügte dann ein Steilpass durch die cherte ab, und von vorne kamen Frings meine Verletzung nicht aus einem Unfall Gasse, es genügte ein Sprinter, und der und Ballack zurück; „wir müssen Dreiecke resultierte, sondern Ergebnis eines dege- deutsche Torwart war allein und verloren. bilden, und das haben wir gemacht“, das nerativen Prozesses war“, aber er spielte Metzelder sagt, dass „man eine defensi- sagte Metzelder hinterher. langsamer als früher. Ein bisschen tapsi- ve Disziplin als Gesamtmannschaft“ brau- In dieser Nacht sah Klinsmanns ger, vorsichtiger, steifer. Darum wirkte che und dass von ihm erwartet werde, Deutschland aus wie eine richtige Fußball- Klinsmanns Vertrauen in Christoph Met- „vielleicht auf Grund meiner Persönlich- mannschaft: Einmal eroberte Metzelder in zelder wie die Karikatur seiner Ankündi- keit, die Abwehr auch zu führen und ver- Bedrängnis einen Ball, und Förster oder

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Kohler hätten diesen Ball auf die Tribüne getreten, aber Metzelder spielte einen lan- gen Pass in den Lauf von Philipp Lahm, und schon griff Deutschland wieder an. Metzelder stand dann mit offenen Schnür- Selbstlos im Kopfbereich senkeln vor den Journalisten, er trug einen Rucksack auf dem Rücken, in der linken Die Spieler des DFB sind nett zueinander. Der Sieg gegen Hand hielt er eine Wasserflasche, eine Bordkarte für den Flug nach Berlin, mit Polen bestätigt die Lehren des Bundestrainers, der neue Geist rechts malte er Laufwege in die Luft, er überlagert alle Rivalitäten – zumindest bis zur nächsten Partie. sagte: „Wir sind ein Verbund. Uns muss man erst einmal schlagen.“ erlin, Berlin, wir fahren nach Ber- gegenüber den eigenen Kräften, auch das Und nun ist es Freitag mittag, vor 38 lin“, sangen die Fans, Deutschlands Zutrauen zum Bundestrainer selbst. Stunden hat Klinsmanns Deutschland die BSong vom Finale. Da mochte sich Wie ein religiöser Anführer hatte der Polen geschlagen, und jetzt sitzt Christoph auch nicht mehr ver- schwäbische WM-Projektleiter seine Glau- Metzelder auf schwarzem Leder in Raum schließen und winkte vom Spielfeldrand benssätze von der temporeichen Offensive 10 des ICC von Berlin. Er ist unrasiert, die launig in die begeisterte Glaubensgemein- und der Notwendigkeit von außerordentli- schwarzen Haare hat er vorn mit einem de. Er gehörte jetzt irgendwie dazu und cher Physis und Moral bis an die Grenze Hauch Gel zurechtgestrubbelt. Er erzählt vergaß sein gerade noch als trist empfun- zur Langeweile wiederholt. Jetzt sah er von der Welt der Nationalelf, in der es kei- denes Dasein beim Match gegen Polen. sich bestätigt, als er den Verteidiger Philipp ne Zeitungen gibt, nur „Bild“ fliege Der Bremer Mittelfeldspieler trug eine Lahm linientreu dozieren hörte, dass „Fit- manchmal herum, er erzählt von dieser blaue Weste über dem weißen Trikot, die ness sehr wichtig im Fußball ist“, und als Burg Klinsmann, in der sie nur die Spiele ihn als Reservespieler auswies und so kurz auch das Murren vor den arbeitsintensi- der anderen sehen, aber nicht hören, „was geraten war, dass sie ihn so adrett kleidete ven Trainingsstunden endete. von den Experten geredet wird“. Er sagt, wie ein Schlabberlatz. So nutzlos wie er Für die ganz Begriffsstutzigen erklärte dass er dieses Turnier liebe, das ja längst darin aussah, war sich Borowski gerade Klinsmann, wo die „wichtige Erkenntnis“ „ein viel größeres Ereignis ist als die deut- noch vorgekommen. Jetzt aber – beim Ritt angesiedelt sei: „im Kopfbereich“. Der sche Nationalmannschaft“. auf der Stimmungswoge im Dortmunder Schlüssel liege „in der Einstellung“. Er sagt auch, dass in dieser Welt ziem- Stadion – ließ er sich betören von der Eu- Die Überzeugung, dass man nur fest lich oft die Vergangenheit verklärt und die phorie um die deutsche Elf und fieberte dran glauben müsse und die verschworene Gegenwart durch Nörgelei beladen und seiner Einwechslung entgegen. Mannschaft prompt mehr zu bieten habe erdrückt werde. Er sagt: „2002 waren wir Die Stimmung, die Hoffnung, der so at- als die Summe aller manchmal durch- nicht so gut, wie wir bewertet wurden. In traktiv offensiv herbeigefightete Einzug ins wachsenen Einzelfertigkeiten am Ball, die- Wahrheit sind wir von einer Verlegenheit Achtelfinale – das alles verschmolz ver- ses Bewusstsein macht sogar schmerz- und in die nächste gestürzt, haben von Dreier- gangene Woche zu einer selig vereinigten hitzeresistent. „Wir haben Spaß, bei 30 auf Viererkette umgestellt und wieder Totalklinsmannschaft. Die Dramaturgie der Grad zu spielen“, sagt Klinsmann, eine zurück, das wurde Flexibilität genannt. Partie gegen Polen machte es möglich, dass „unglaubliche Energie bei uns“ spürend, Diesmal haben wir ein System, sind flexi- alle internen Zweifel an den Lehren des allen Ernstes. Und niemand widerspricht. bel und offensiv und wurden beschimpft.“ Bundestrainers mit einem Mal bis auf wei- Die Alles-super-Gläubigkeit wird Be- Dann trinkt er einen Schluck Wasser. Ist teres verschwammen. Es war, als hätte Jür- stand haben – bis zum nächsten Spiel. Denn still für Sekunden. Sagt: „Ganz schön ab- gen Klinsmanns Chefregisseur Urs Sie- der Teamgeist hat dort seine Grenzen, wo surdes Geschäft, manchmal.“ genthaler, der die Lehrvideos von den es gilt, den eigenen Marktwert zu steigern. Er tritt jetzt auf wie einer, der keine Stärken und Schwächen der Gegner so di- Dies umso mehr, als nun erste Finalträume Zweifel mehr kennt. So viel ist nicht ge- daktisch wertvoll zusammenschneidet, den sprießen: Den Ruhm erntet schließlich nur, schehen, da war nur ein Vorrundenspiel Abend zur Erleuchtung der letzten Skep- wer dann auf dem Feld steht. ohne Gegentor gegen Polen, und hier sitzt tiker eigenhändig inszeniert. In einem Konferenzsessel saß dieser ein anderer Mann als vor acht Wochen in Man brauche nur solche Siege, erläuter- Tage Tim Borowski, 26, vor einer Handvoll Dortmund; dieser Mann hier glaubt, er te Klinsmann ausländischen Reportern, Journalisten und räsonierte genervt über könne am 9. Juli Weltmeister werden. und „das Vertrauen wächst von Spiel zu die Umstände, die ihn einen Platz im WM- „Klar“, sagt er. „Natürlich.“ Spiel“. Gemeint war, neben der Sicherheit Team gekostet haben. Der lange Blonde FOTOCREDIT BEIDE ZUSAMMEN FOTOCREDIT Nationalspieler Metzelder (l.) im Billardzimmer des Schlosshotel Grunewald, Ballack (l.) beim Autogrammeschreiben: Flache Hierarchie

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