K ultur. | Samstag, 31. Dezember 2016 | Seite 12 Belgischer Löwe schluckt Basler Plattenlabel Hat Hut Records verkauft seinen Katalog an die belgische Produktionsgruppe Outhere Music

Von Simon Bordier tis); seiner Passion für die Musik ging er in der Freizeit nach. Eine Begegnung Basel. Steht Werner X. Uehlinger vor mit dem -Virtuosen Joe McPhee in der Wahl zwischen Montreux und Wil- den USA brachte die Wende: Uehlinger lis au, dann geht er nach Willisau. «Das begeisterte sich für dessen Improvisati- Montreux Jazz Festival ist mir zu kom- onskunst, konnte aber keine Platten merziell», meint der Basler Plattenver- auftreiben. Bei einem Treffen spielte leger im Gespräch mit der BaZ. Beim McPhee dem begeisterten Schweizer kleineren Festival im Luzerner Hinter- Demobänder seiner Musik ab. Dabei land gebe es hingegen immer etwas zu musste er erfahren, dass den amerikani- entdecken. schen Verlegern die Improvisationen zu Diese Philosophie verfolgt Uehlin- radikal waren. Uehlinger konnte es ger seit über 40 Jahren auch mit seinem kaum zu fassen. Zurück in der Schweiz Plattenlabel Hat Hut Records. Der wollte er, der Nobody im Plattenbusi- Historisch bedeutsam. Cover von Name ist dem breiten Publikum kaum ness, es besser wissen: Praktisch ohne «Morton Feldman: Patterns In A Chro- ein Begriff. Doch im Bereich der Freien Vorkenntnisse gründete er 1975 Hat matic Field», eine Aufnahme von 1993. Improvisation und der Neuen Musik ist Hut Records und veröffentlichte als Ers- er quasi ein Gütesiegel: Wer seine Musik tes «» von Joe McPhee. Als Vorteil im Internetzeitalter bei Hat Hut unterbringen kann, findet Die Aufnahme schlug ein wie eine könnte sich erweisen, dass Uehlinger von Los Angeles über New York bis kleine Bombe – und wurde zu einem nicht einfach Musik veröffentlicht, son- Tokio Gehör. Erfolg. Über McPhee lernte er dann dern jede CD als «Gesamtkunstwerk» Jetzt, nach über 500 veröffentlich- Grössen wie und versteht. ten Schallplatten und CDs, bricht eine kennen. Ein Markenzeichen von Hat Hut neue Ära an: Uehlinger verkauft seinen Ein anderes wichtiges Ereignis war sind die schlicht gestalteten Cover, so historisch bedeutsamen Katalog – dar- Anfang der 80er-Jahre die Begegnung als gelte es dem Chaos der Musik mit unter sind Namen wie Joe McPhee, mit der Basler Pianistin Marianne Ruhe zu begegnen. Und: «Mindestens Anthony Braxton, John Cage oder Mor- Schroeder. «Sie hat mich auf Giacinto so wichtig wie die Musik sind die Liner- ton Feldman – an die belgische Produk- Scelsi, Morton Feldman, Galina Ustvols- Notes, die Begleittexte.» Durch sie näm- tionsgesellschaft Outhere Music. «Der kaya und viele andere zeitgenössische lich werde der Hörer an die Musik her- Schritt garantiert mir, dass das Œuvre Komponisten aufmerksam gemacht, angeführt. «Als Autoren kommen erhalten bleibt und noch besser welt- deren Werke man aufnehmen sollte.» Schriftsteller, Professoren oder Journa- weit vertrieben wird: sowohl physisch Seitdem bildet die Neue Musik neben listen infrage. Den Text erarbeiten sie als auch digital.» Outhere Music sei mit dem Jazz das zweite Standbein von Hat im engen Austausch mit dem Kompo- Niederlassungen in Brüssel, Paris, Köln, Hut. Über 146 Alben wurden in der nisten.» Der Trend gehe dabei wieder London und diversen Vertriebspartnern Sparte veröffentlicht. «Diese entstan- vermehrt weg von der CD hin zur Vinyl- sehr gut aufgestellt. den in Zusammenarbeit mit Radiostati- platte. Diese bietet nebst grossen onen wie vor allem HR,WDR und Sen- Gestaltungsflächen und Nostalgiege- Den Mythos erhalten der Freies Berlin.» fühlen einen weiteren Vorteil: «Platten Rund hundert Aufnahmen jährlich lassen sich nicht so einfach kopieren gibt die Outhere-Music-Gruppe in den Geringer Verkaufserlös und auf Youtube stellen.» Sparten Alte Musik, World Music, Jazz Mit dem Verkaufserlös allein liessen und Neue Musik heraus. Das bekann- sich die wenigsten Projekte finanzie- teste Label ist Alpha Classics. Hat Hut Jazz-Produzent aus Leidenschaft. 1975 erschuf Werner X. Uehlinger sein ren– weder im Jazz noch in der Neuen Scelsi-Festival Records soll nun als eines von mehreren Label Hat Hut Records aus dem Nichts. Foto Peewee Windmüller Musik. «Wenn ich von einer Aufnahme Labels weitergeführt werden. Outhere- 1500 Stück verkaufe, dann kann ich Basel. Am 7. und 8. Januar findet in der Music-Präsident Charles Adriaenssen das Programm von Radio AFN empfan- zen lässt. Für ihn ist es kein Schimpf- froh sein», meint Uehlinger. Mitte der Gare du Nord die vierte Ausgabe des erklärt in einer Medienmitteilung: Ueh- gen. Das war der Rundfunk für die ame- wort: «Als Kind war ich von Guggemuu- 80er-Jahre habe er rekordverdächtige Scelsi-Festivals statt. Es ist dem Kom- lingers Label sei ein «Mythos», und die- rikanischen Streitkräfte, die in Deutsch- sigen fasziniert. Heute spielen Fasnächt- 2000 bis 3000 Exemplare von «The ponisten Giacino Scelsi (1905–1988) sen gelte es «zu erhalten und weiterzu- land stationiert waren und mit Jazz aus ler ja relativ schön. Doch damals konn- Minimalism of Erik Satie» des Vienna und Zeitgenossen wie Luciano Berio, entwickeln». der Heimat versorgt wurden. Einer, der ten vielleicht zwei, drei aus der Gruppe Art Orchestra verkauft. «Aber diese Zei- Henri Michaux oder Morton Feldman Eine wichtige Rolle kommt dabei viel und gerne mithörte, war der junge Noten lesen, alle anderen machten, was ten sind vorbei.» Das Plattengeschäft gewidmet. Eine Schweizer Erstauf- Uehlinger selbst zu: «Ich habe von Werner X. Uehlinger. «Damals gab es sie wollten.» Stark in Erinnerung seien habe in den 90er-Jahren zu kriseln führung präsentiert das Festival mit Outhere Music den Auftrag bekommen, keinen Rock oder Punk. Der Jazz war ihm aber auch die Besuche im Kunst- begonnen. «Mit dem Aufkommen von Feldmans «Jackson Pollock» von 1951 weiterzuproduzieren», sagt er. Geplant die Musik der Jungen. Wir wussten, museum Basel geblieben: «Als Teenager Internetplattformen wie iTunes gings für zwei Celli und Film. Composer-in- seien zwölf bis 16 Neuerscheinungen dass sie vielen Erwachsenen nicht ging ich einmal wöchentlich mit mei- dann nur noch bergab.» In der Folge residence ist Barbara Monk Feldman, pro Jahr. Den Auftrag nehme er in sei- gefiel.» Dabei reichte die Leidenschaft nem Vater Bilder von Picasso, Kandin- war der Verleger zunehmend auf Dritt- die Witwe des Komponisten. Diverse nem eigenen Unternehmen Hat Hut durchaus tiefer als blosses Rebellen- sky, Jawlensky oder Marc anschauen. mittel angewiesen: Die UBS (früher Kompositionen von Scelsi, Feldman Records wahr, das mit dem Verkauf des tum: «Wenn in Zürich Duke Ellington Ich kannte die Museumswände mit der Bankverein), die Nestlé Fondation pour und anderen sind beim Label Hat Hut Katalogs nicht aufgelöst werde. spielte, mussten wir hin.» Zeit in- und auswendig.» l’Art und die deutsche Lufthansa zähl- erschienen. Im Hinblick auf das Festival Uehlinger wurde 1935 in Reinach Im Gespräch fällt hin und wieder das Als junger Mann arbeitete Uehlinger ten zu den Sponsoren von Hat Hut. An wird die Aufnahme «Morton Feldman: geboren. Im Haus der Familie konnte Wort «Kakofonie», das Uehlinger – ganz in der Marketingabteilung des Pharma- deren Stelle sind heute private Mäzene Patterns In A Chromatic Field» von man nach Ende des Zweiten Weltkriegs der Jazzer – wie eine kleine Bombe plat- konzerns Sandoz (heute Teil von Novar- und Stiftungen getreten. 1993 wiederveröffentlicht. bor Neue und alte Titanen Markus Lüpertz’ «Avantgarde der Kontinuität» im Antikenmuseum und in der Galerie Knoell

Von Annette Hoffmann stellung «Avantgarde der Kontinuität» Indem Markus Lüpertz seine Bron- auf Du und Du, als habe er die Nach- schen Proportionen. Die Oberfläche der suggeriert unmissverständlich, wo zebüsten und Statuen bemalt, klinkt er folge der antiken Künstler angetreten. Bronze ist aufgeworfen, geradezu knub- Basel. Von der Galerie Knoell aus kann Lüpertz ist, ist vorne und die Antike ein sich auf eine sehr intuitive Weise in die belig. Das sieht auffallend anti-heroisch man Markus Lüpertz’ «Daphne» vor selbstverständliches europäisches Kul- wissenschaftliche Debatte um die farb- Auffallend anti-heroisch aus. Ganz anders sind da die griechi- dem Antikenmuseum ganz gut erspä- turerbe. Und so hat er sich bei seiner liche Fassung der antiken Skulpturen Dabei stellen seine Werke anderer- schen und römischen Plastiken, zwi- hen. Die Monumentalfigur, sie ist drei- Intervention im Antikenmuseum nicht ein. Lüpertz malt Bärte blau, verpasst seits einen radikalen Bruch dar. Denn schen denen im Antikenmuseum einhalb Meter hoch, stellt aktuell so allein darauf beschränkt, ältere Arbei- einer Nase einen gelben Streifen oder Lüpertz interessiert sich nicht für den Lüpertz’ Arbeiten stehen. Jeder Muskel, etwas wie eine Verbindung zwischen ten zu zeigen, sondern liess sich von versieht einen Herkules mit roten heroischen, perfekten Körper. Seinen jeder Gesichtszug feiert das Idealbild der Galerie und dem Museum dar. einer rätselhaften Terrakottafigur einer Backen, als stehe er mit diesen Figuren Herkulesfiguren fehlen die harmoni- des schönen Körpers. Lüpertz’ Kooperation «Avantgarde der thronenden Frau um 400 vor Christus In der Galerie Knoell trifft man hin- Kontinuität» greift vom Museum auf die zur «Flora»-Serie inspirieren. Vermut- gegen das Lüpertz’sche Pathos an. Auf Galerie über. Anlässlich des 50-jährigen lich handelt es sich bei dem Exponat um einem 2016 entstandenen grossformati- Bestehens des Antikenmuseums Basel eine Grabbeigabe. gen Bild hat er vier Figuren in eine Land- ging man dort eine Zusammenarbeit Die Figur ist leicht nach hinten schaft gestellt, die ein Park zu sein mit dem zeitgenössischen Künstler ein. geneigt, die Füsse stehen sittsam neben- scheint, so wie die Figuren eher Skulp- Lüpertz ist kein Vertreter einer einander. Der Eindruck von Strenge, der turen als lebendige Körper sind. Sie sind Antike im Sinne von Johann Joachim auch mit Symmetrie erreicht wird, über- in ausdrucksstarken Posen festgehalten; Winckelmann. Weder edle Einfalt noch wiegt. Es scheint, als könnte sie so bis in ein weiblicher rückwärtiger Akt streckt stille Grösse finden sich hier. Die Körper alle Ewigkeiten sitzen. Fragen werfen den rechten Arm aus, eine männliche von Lüpertz’ Skulpturen, Bildern und die merkwürdigen Plaketten in Blumen- Figur ballt die Faust. Schwarze Linien Papierarbeiten drücken eine gewisse form auf, die auf Schultern und Armbeu- fügen sich zu abstrakten Zeichen. Der Dynamik und Vehemenz aus und sie sind gen platziert sind, auch auf dem Nabel Künstler übersetzt mal die Körperhaftig- bunt. Lüpertz’ monumentale Daphne ist und dem Rocksaum haften sie. Sind sie keit der Statuen in dunkle und auch ein nicht einmal das Opfer, zu dem der Schmuck, selbst eine Grabbeigabe? wenig raunende Schattierungen, oder Mythos sie machte. Zwar kann auch sie er lässt sie schemenhaft erscheinen, sich den Nachstellungen ihres unliebsa- Vermeintliche Göttin nicht ohne sie in seine ganz persönliche men Verehrers nur entziehen, indem sie Lüpertz, der diese vermeintliche Symbolik einzubinden. Die Titanen zum Olivenbaum wird– hinter ihrem Göttin als Gipsfigur nachbildete, hat die mögen von der Bildfläche verschwun- Rücken treiben schon die Äste aus –, merkwürdigen Scheiben zu prächtigen den sein, doch titanenhaft malen kann doch zu ihren Füssen liegt ein Kopf. Um roten Blumen erblühen lassen. Und man immer noch. diese Daphne ist ein bisschen Judith. Das auch die Haltung dieser bunt gefassten, wollte die Antike ihr nicht zugestehen. mit Wachs überzogenen Figur ist natür- Markus Lüpertz, «Avantgarde der Doch wen hat sie hier besiegt? Apollon licher. Er hat eine Flora geschaffen, die K ontinuität», Galerie Knoell, Luftgässlein 4, Di–Fr 13–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr. Ferien bis wohl kaum, also doch Leukippos, der sie wirkt, als sei sie von dieser Welt. Im 2. Januar. bedrängte, wie ein Nebenstrang des Antikenmuseum sind zudem Entwürfe www.galerieknoell.ch Mythos zu berichten weiss? und Zeichnungen mit Ansichten dieser Antikenmuseum Basel, St.-Alban- Markus Lüpertz erzählt die antiken Figur zu sehen, in der Galerie Knoell Bruch mit der Perfektion. Bemalte Büsten von Markus Lüpertz messen sich mit Graben 5, Di–So 10–17 Uhr. Bis 11. Februar. Geschichten weiter. Der Titel der Aus- dann weitere dieser Gipsfiguren. dem heroischen Körperideal der Antike. Foto Serge Hasenböhler © Pro Litteris www.antikenmuseumbasel.ch