Die von Als Stadtdenkmal seit 20 Jahren Gesamt- anlage

Am 20. und 21.10. 2001 hat Bad Wimpfen mit Ausstellungen, Führungen und Vorträgen das Altstadt-Jubiläum „25 Jahre Stadtsanierung in Bad Wimpfen“ gefeiert. Aus diesem Anlass konnte die Denkmalpflege auch auf 20 Jahre Gesamtanlagen-Verordnung zurückblicken. Dazu hielt der Autor in Bad Wimpfen einen Vortrag, dessen Inhalt im Folgenden gekürzt wieder- gegeben wird. Richard Strobel

Die Altstadt von Bad Wimpfen am Berg (Kreis freilich bereits die 35. Das hängt damit zusam- ) ist seit 5. Juni 1981 Gesamtanlage men, dass es für Freiburg schon 1947 ein Denk- nach dem Baden-Württembergischen Denkmal- malschutzgesetz gab. Mit dessen Hilfe waren bis schutzgesetz, zu Recht (Abb. 1). Bad Wimpfen im 1981 27 Ortskerne als schützenswert ausgewie- Tal ist das nicht, zu Unrecht. sen worden, mit Meersburg am Bodensee als ers- Eine ausgewiesene, d.h. rechtskräftige, und eine ter Gesamtanlage. Leider konnte man sich in Bad im Ansatz stecken gebliebene Gesamtanlage ist Wimpfen nicht gleichzeitig für die Talstadt als Ge- jeweils auf ihren Erhaltungszustand hin zu be- samtanlage erwärmen. Ein neuerlicher Anlauf zur trachten, was im Folgenden kurz geschehen soll. Unterschutzstellung 1984, nach der Novellierung Flankierend war bereits 1980 eine Gestaltungs- des Denkmalschutzgesetzes mit Umwandlung satzung erlassen worden, sodass mit zwei In- der Verordnung in eine Satzung in Eigenverant- strumentarien dem Erhaltungsgedanken Rech- wortung der Gemeinden, blieb ebenfalls erfolg- nung getragen werden konnte, wie es später in los. Umso höher einzuschätzen ist die rechtzei- der „Ortsanalyse“ des Denkmalamtes vertreten tige Unterschutzstellung der Bergstadt und das wurde. bisher sehr erfolgreiche Wirken des Denkmal- Das Referat Inventarisation des Landesdenkmal- schutzes während der Sanierungsmaßnahmen in amtes hatte 1978 in Vorbereitung der Gesamt- dieser so geschichtsträchtigen Stadt. anlagen-Verordnung durch das Regierungspräsi- Es war damals 1978/80 gar nicht so einfach: Das dium Stuttgart die Vorarbeiten mit Begründungs- die Silhouette der Altstadt durchschneidende text und einem Listenentwurf zu erbringen. Für Mathildenbad warf mit einem Aufstockungs- Nordwürttemberg war es erst die zweite rechts- vorhaben düstere Schatten nach Norden, und kräftige Verordnung nach der Calwer Straße in der moderne Pfarrhof bei der Dominikanerkirche Stuttgart, in ganz Baden-Württemberg damals trumpfte gegen Süden auf (Abb. 2 u. 3), beides

1 Bad Wimpfen, Berg- stadt von Süden, 1978.

13 2 Blick auf den Pfarrhof, Georg Schäfer angefügt werden: „Eine Bevölke- bis ca.1960 Torhaus zum rung ehrt sich selbst, wenn sie die Kunstdenk- ehemaligen Dominikaner- male ihrer Vergangenheit ehrt.“ Wobei man das kloster. Ehren als Erhalten interpretieren darf. Der Stadthistoriker und Denkmalpfleger ebenso wie der Städte-Tourist und Mittelalter-Liebha- ber hat im Allgemeinen eine sehr komplexe Vor- stellung von den Objekten seiner Begierde la Rothenburg: die von der Schönheit und Unver- sehrtheit historischer Bauwerke, harmonisch auf- einander abgestimmt, alles von unübertroffener Proportionierung, von höchstem Stadtraum-Er- lebniswert, wie von selbst gewachsene Struktu- ren, von optimaler Brauchbarkeit bis heute und von selbstredender, keiner Erklärung bedürftigen Zeugnishaftigkeit für die hohe Kunst frühen Städ- tebaus. Dass dem so nicht ist in der Wirklichkeit, hier wie in vielen anderen ebenso stolzen mittel- alterlichen Altstädten oder barocken Residenz- städten, davon weiß jeder Liebhaber deutscher Stadtbaukunst ein Lied zu singen: Hochhaus, Kaufhaus und Parkhaus terrorisieren Altstadt- häuser wie in Ludwigsburg (Abb. 4) oder , Bauten in einer noch nahezu unverfälschten mit- Unmaßstäblichkeit und Betonbrutalismus ge- telalterlichen Stadt, die sich ihres Alters und Wer- gen kleinteilige, kunstvolle Denkmalhäuser, Zer- tes durchaus bewusst war. Einst Freie Reichsstadt, störung des früheren Gleichgewichts zwischen als hessische Enklave mit eigener Geschichte bis Denkmal als Großbau (wie Kirche, Schloss, Palais) ins 20. Jahrhundert, Pfalzstadt oben und Stifts- und Denkmal als kleinteilige Vielzahl (wie Bürger- stadt unten, ein wunderbar erhabenes Bild von und Handwerkerhaus, Scheuer und Stallungen), der Eindringlichkeit fast von Rothenburg, wie es Verkehrsbauten und Straßenschneisen zerschnei- schon 1898 im Vorwort des Inventars „Kunst- den die Altstädte wie in Esslingen. Dort ging denkmäler im Grossherzogthum Hessen, Provinz es so weit, dass sich der Denkmalpfleger an der Starkenburg ehemaliger Kreis Wimpfen“ von Ge- Straßenplanung beteiligte und womöglich, um org Schäfer bemerkt wurde: „Nimmt doch Wim- noch größeren Schaden zu vermeiden, den Ab- pfen am Neckar unter kunstarchäologischem bruch Dutzender von Altstadthäusern billigend und künstlerischem Gesichtspunkt mindestens in Kauf nahm beim Trassieren der nordwestlichen die gleich hohe Stelle innerhalb des Großherzog- Ringstraße. thums Hessen ein, wie beispielsweise das be- Es war sicher polemisch übertrieben, von der rühmte Rothenburg an der innerhalb des Nachkriegszeit als verlustreicher an Kulturdenk- 3 Pfarrhof und Domini- Königreiches Baiern.“ Es soll hier auch der wohl- malen zu sprechen als vom Krieg selbst. Ein Blick kanerkirche, 1978. bekannte Schlusssatz im genannten Vorwort von in die auswahlbedingt unvollständigen vier Bän- de „Schicksale deutscher Baudenkmale im Zwei- ten Weltkrieg“ bzw. „Kriegsschicksale Deutscher Architektur“ genügt. Was damals im 2. Weltkrieg verloren ging, ist qualitativ wie quantitativ gar nicht abschätzbar. Ein kleiner Ausschnitt aus der Stuttgarter Altstadt mit bis dahin nicht erkannter, beim ersten Angriff noch unverbrannter Haus- substanz des 14./15. Jahrhunderts in der Schul- straße (Abb. 5) diene als Beleg für tausend an- dere Fälle anderer Städte, erinnert sei nur an den wertvollen Fachwerkhausbestand von Heilbronn, Ulm, Pforzheim. Dabei hat man das berühmte Diktum Georg De- hios über Rothenburg ob der Tauber im Ohr: „Die Stadt als Ganzes ist Denkmal. Was wir sonst nur in abgelegenen Miniaturstädtchen gelegentlich finden,... das zeigt sich uns hier in einer begü-

14 terten und kunstsinnigen Reichsstadt mittlerer Größe: Erhaltung des alten Zustandes in uner- reichter Vollständigkeit und Dissonanzfreiheit.“ Heute wird gerade beim Blick auf das über alle Zweifel erhabene Stadtbild von Rothenburg ob der Tauber verdrängt bzw. vergessen, dass auch dort ein Viertel der Gebäude im 2. Weltkrieg zer- stört war (Abb. 6). Nach längst erfolgtem Wie- deraufbau zweifelt kaum ein Besucher an der Vollständigkeit des mittelalterlichen Stadtbildes und erst das Dokumentarfoto vermittelt einen oberflächlichen Eindruck vom tatsächlichen Sub- stanzverlust. Nur: Wen interessiert das von den Nostalgie-besessenen Besuchern, wenn nur das „Bild“, die Kulisse, stimmt? Kaum jemand fragt, wie viel daran wirklich noch alt ist oder was alles auf alt hingetrimmt ist. Und das unterscheidet, wenigstens heute noch, Bad Wimpfen von Ro- im ländlichen Hausbau einer gemischt bäuerlich- 4 Ludwigsburg, thenburg. industriellen Besiedlung des 19./20.Jahrhunderts. Holzmarkt mit Marstall- Verluste des Kriegs, aber eben noch viel mehr der Mit ihm hat der Denkmalpfleger ganz ande- Center, 1978. Sanierungswelle danach, die Unwirtlichkeit un- re Probleme als mit den Denkmal-Städten „von serer Trabantenstädte und Trostlosigkeit billiger mittlerer Größe“, wie alten Bischofs- und Klos- Siedlungsplanung hatten ein bis dahin unvorstell- terstädten, Pfalz-, Burg- und Residenzstädten, bares Denkmalpflege-Bewusstsein der 70er-Jahre Bergbau-, Markt-, Brücken- und Festungsstäd- in Politik und Gesetzgebung geschaffen, haben ten, die „klassischen“ Gesamtanlagen sozusa- die Vorstellung von der heilen alten Stadt noch- gen, von denen eine und zu den wichtigsten in mals gedeihen lassen. Eine gewaltige Sanierungs- Baden-Württemberg überhaupt zählend Bad welle und die wirtschaftliche Dynamik der Nach- Wimpfen ist. kriegszeit hatten alte Vorstellungen der trauten Was zeichnet nun diese alten, vom Krieg ver- Gässchen und schnuckeligen Häuser, der gedie- schonten Mittelstädte mit ihren Bürgerhäusern genen Fachwerkwelt und des unversehrten Haus- vor allen anderen, sozusagen den normalen Mit- bestands zum Einsturz gebracht, wörtlich wie tel- und Kleinstädten aus? Es sind drei Vorausset- übertragen. Da kam das Europäische Denkmal- zungen, die sie als Gesamtanlage darstellbar und schutzjahr 1975 sozusagen in letzter Minute mit erhaltenswürdig machen. einem bis dahin unvorstellbarem Umdenken pro 1. Eine Vielzahl, ja Mehrzahl von Kulturdenkma- Denkmalpflege, da kamen in allen Bundesländern len (und nicht nur vereinzelte) in großer Dichte, Denkmalschutzgesetze und die Aufstockung der die ganze Stadt ist Denkmal bereits mit ihrer Zuschussmittel in der Denkmalförderung, da ka- kleinsten Einheit und trotz Störungen. men die Gesamtanlagen-Vorstellungen endgültig 2. Eine parzellenscharf mögliche Umgrenzung zum Durchbruch, d.h. nicht das einzelne Bau- zumeist im Umfang der alten Befestigungswerke. denkmal wie Kirche und Schloss, Rathaus und Stadttor wurde als wichtig erkannt, sondern die ganze Altstadt mit ihren einzelnen Straßenzügen, Plätzen und Sichtbezügen. Die Gesamtanlagenausweisung ist als Möglich- keit gedacht gewesen, ganze Städtebilder unter Schutz zu stellen und sie als einziges Denkmal zu behandeln. Das barg natürlich auch Gefahren in sich. Einerseits wurde ganz schnell von der „Käse- glocke“ des Denkmalschutzes gesprochen, an- dererseits verwischten sich die Grenzen, wenn es um die sog. Stadtbildpflege ging und der ge- bräuchliche, aber höchst schwammige Begriff vom „Bild“ und seinem Schutz Schwierigkeiten machte. Heute scheint allerdings das Denkmalpflegegut 5 Stuttgart, Schul- in der Masse des historistischen Wohn- und straße nach Bombardie- Industriebaus in Großstädten zu bestehen oder rung vom 3. 3. 1944.

15 genannten Inventar von 1898 wird neben der extra behandelten , dem Wormser Hof, dem Hospital, dem Rathaus, den Brunnen und der Befestigung auf immerhin 16 Seiten dieser anonyme Hausbestand abgehandelt und mehrfach mit Abbildungen erläutert. Auch Wimpfen im Tal besitzt noch eine Fülle einfacher Baudenkmäler, die als notwendige Ergänzung zum Ritterstift, als bescheidene, gleichmäßige und doch individuelle Hintergrundsfolie sozu- sagen, vor der sich der prächtige solitäre Kir- chenbau erhebt, eine wesentliche Rolle spielen (Abb. 8). Die Begrenzung ist nicht nur aus denkmalschutz- rechtlichen Gründen Voraussetzung für die Aus- weisung von Gesamtanlagen. Sie ist es auch aus wissenschaftlichen und aufklärend-benachrich- tigenden bei der notwendigen Erläuterung des Schutzgutes. Darzustellen ist eine klare, unver- zichtbare Grenzziehung gegenüber jüngeren Schichten der Bebauung, gegenüber Bereichen ohne Denkmalwertigkeit und ohne Denkmale. In Bad Wimpfen bereitete die Grenzziehung keine Schwierigkeiten, da sich die Stadtbefestigung noch ganz deutlich abzeichnet und das Drau- ßen und Drinnen der Altstadt am Berg ebenso wie des ummauerten Stadtteils im Tal bestens ab- lesbar ist. Die Schichtung der Denkmale und ihre Kenntnis ist wiederum eine Frage eindringender Forschung und Kenntnisnahme der historischen Sozialtopo- graphie. Es ist nicht gleichgültig, wo der Kirchen- und Stiftsbezirk angesiedelt ist mit großzügiger Kurienbebauung, und es ist sehr aussagekräftig, die Ansammlung von Pfalzgebäuden, Adels- oder Patrizierhäusern hier, Handwerker- und Händler- häusern dort, von Kleingewerbetreibenden, land- wirtschaftlichen Anwesen, Unterschichten fest- zustellen und sie mit ihren baulichen Zeugnissen 6 Rothenburg ob der 3. Eine ausgeprägte Schichtung, Ordnung, Hier- zu bewahren. Tauber, 1945. archie der Denkmale in historisch gewachsenen Strukturen. 7 Karte von Bad Wimp- Die Mehrzahl an Kulturdenkmalen (Abb. 7) ist fen mit den 1978 er- Voraussetzung, um die Qualität der Gesamtan- fassten Kulturdenkmalen. lage zu sichern, ihre bevorzugte Stellung gegen- über normalen Städten mit Denkmalen zu beto- nen und sich ihrer hervorgehobenen Bedeutung als Denkmalstadt mit allen Konsequenzen der Pri- oritätensetzung zu vergewissern. Denkmalerhal- tung hätte in solchen Altstädten Vorrang zu ha- ben vor Neubau und gnadenloser Wirtschafts- förderung, vor bedingungsloser Verkehrsplanung und rücksichtsloser Stadtentwicklung. Auch das zur Unterscheidung von der sonstigen Normal- stadt mit Denkmälern. Bad Wimpfen am Berg 8 Bad Wimpfen im Tal besitzt eine Fülle von Kulturdenkmalen, gerade mit Ritterstift und meist auch im Hausbestand. Diese Häuser haben schon barocken Häusern. immer das Interesse der Historiker geweckt. Im

16 In Bad Wimpfen ist die Pfalz ein deutlich abge- Als Denkmale sind ja nicht irgendwelche oder gar grenzter Bereich, ebenso die beiden Kirchenbe- zeitgenössische Gebäude auszuweisen, sondern zirke um Stadtkirche und Dominikanerkloster. In- historische und in ihrer Geschichtlichkeit beurteil- teressant ist auch die Kartierung aller selbststän- bare. Das setzt die Kenntnis der Bauzeit und der dig bestehenden Scheuern, die sich wie ein Kranz Veränderungsperioden voraus. Häufig sieht man um den Altstadtkern und näher an der Stadtbe- den Fassaden nicht an, was drinnen steckt, denn festigung als an den Haupt-Wohnstraßen gele- Außen und Innen können durchaus divergieren. gen ausnehmen. Eine modernisierte Fassade kann noch sehr alte Sieht man sich heute in Bad Wimpfen um und Bausubstanz enthalten oder ein mit den Fassaden vergleicht Fotos der späten 70er-Jahre des stehen gebliebenes Haus kann im Inneren völ- 20. Jahrhunderts, kann summarisch festgestellt lig ausgekernt und damit historisch fast wertlos werden, dass sich die Gesamtanlagenschutz-Ver- geworden sein. Auf längere Zeiträume besehen, ordnung bewährt hat und dass von der Bergstadt ist das intakte, also nicht von Kriegszerstörungen aus auch die schützende Hand über die noch und Wiederaufbau geprägte Stadtgebilde trotz nicht festgelegte Gesamtanlage Talstadt gehalten eines gewissen statischen Beharrungsvermögens wurde. Zum Beleg mögen einige Fotos beitragen, ein fein bewegter Körper mit Abstoßungen und die Häuser und Straßenzüge mit den schönen Neuausblühungen. Nicht nur Baualtersringe im Fachwerkhäusern zeigen, die sich immer aufs Wachstum um die Städte, sondern auch Zell- Neue als das eigentliche Gut Wimpfener Stadt- erneuerungen im Inneren sind nüchtern zu kon- kultur präsentieren. statierende Fakten des Städtebauwesens. Gerade Im Pfalzbereich hat an der Jugendherberge die Stadtsanierung, der Anlass Ihrer Feier und Ak- freundliches Grün das etwas peinlich imitierte tivitäten, muss unter diesem Gesichtspunkt der Er- Fachwerk der 70er-Jahre überzogen; die Kraft neuerung und Verträglichkeit mit dem histori- des alten Fachwerkholzes kann immer noch an schen Bestand betrachtet werden. der Nordseite zum Neckar hin studiert werden Es stellt sich die Frage, wie komme ich los von ei- (Abb. 9). Die Scheuer Burgviertel 16 blieb in ih- nem nebulosen, stets wandelbaren „Leitbild“ der 9 Gebäude Burgviertel rer Zeugnishaftigkeit neben dem Blauen Turm bis Altstadt, dem reinen Erscheinungsbild? Sicher ist 21/23, Nord- und Süd- heute erhalten (Abb. 10), ein wichtiges Motiv im es doch allein die alte Frage nach den eigentli- fassade, 1978. Pfalzbereich, wo sich nicht der Abbruchvorgang chen Werten des historischen Städtebaus, sicht- wiederholte, wie 1980 beim Gebäude Schaf- bar nur an originaler Substanz mit Quellencha- gasse 6/8. Ein Blick in die Salzgasse abwärts zeigt rakter, also einzig und allein den Altbauten. Dazu farblich erneuerten, aber substantiell unverän- bedarf es der Kenntnis der unterschiedlich ge- derten Fachwerkbestand (Abb. 11). Der Spitalbe- schichteten historischen Bauten, und daraus folgt reich wurde saniert und enthält heute ein bemer- das Grundanliegen der Denkmalpflege, mög- kens- und sehenswertes Stadtmuseum mit vielen lichst viel davon im Original für die Anschauung originalen Spuren der Spitalvergangenheit (Abb. zu erhalten. Es gibt verschiedene Wege, diesem 13); erinnert sei an die Versuche der späten 70er- Grundbedürfnis nachzukommen, arbeitsinten- Jahre, bei Neubauten mit Fachwerkimitation das sive, aber, wie ich denke, lohnende. 10 Blick auf Burg- „Bild“ zu wahren wie bei den Bankhäusern in der Der intensivste, nur mühsam aufbaubare Weg ist viertel 16 und Schaf- Hauptstraße 77 (Abb. 14). der der Bauforschung, der Bauarchäologie. Prä- gasse 6/8, 1980. Bad Wimpfen im Tal hat seinen Hausbestand durchaus bewahrt. Als Beispiel diene die Haus- abfolge in der Corneliastraße mit dem Zustand 1978 und 2001 (Abb. 12 u. 15). Die alte Gegen- überstellung am Ortseingang im Osten mit dem Altbestand südlich und angepassten Wohnhäu- sern der 60/70er-Jahre nördlich kann noch einmal vergegenwärtigen, wie sich alte zu neuer Sub- stanz verhält. Hier hat sich das Umdenken mit verstärkter Hinwendung zur Substanzerhaltung bewährt und kann auch künftig als bester Garant für die Erhaltung der so wichtigen Altstädte Bad Wimpfen am Berg und im Tal gelten. Ein Hauptproblem ist das des Baualters und seiner Erkennbarkeit an Fassaden und in der Innenraum- gestaltung. Das Baualter und seine Kenntnis ist ge- rade bei der Beurteilung des Denkmalcharakters älterer Gebäude von entscheidender Bedeutung.

17 zise Bauforschung und restauratorische Untersu- Im Allgemeinen kann aber die Bauforschung chung am leer stehenden Bau vor der Sanierung nicht überall gleichzeitig tätig werden oder mit hat sich immer noch ausgezahlt. Richtige Pläne, Röntgenblick im Voraus die Alterswerte feststel- konsequente photographische und zeichnerische len. Deshalb haben sich in Altstädten mit dichtem Befunddokumentation und ausreichende Notate Denkmalbestand die Baualterspläne bewährt, die im Raumbuch lehren einen Bau von innen heraus inventarisierende Begehung voraussetzen. Sie und vom Keller bis ins Dachwerk, von der Außen- streben eine Kurzdokumentation durch Fotos haut bis zum Innengerüst verstehen. Sie sichern und Karteneintragungen der Bauphasen an, er- die Kenntnis des Baualters und der Bauabläufe, gänzt durch Studium der Bauakten und Literatur. belegen historische Qualitäten in Bauweise und Sie geben damit einen ersten Überblick über die Ausstattung, bilden Grundlage einer sichereren Haussubstanz. Es wird der Finger für den Planer Planung für die Sanierung. Die Bauforschung lie- gehoben, das Haus gibt wenigstens Teile seines fert im Stadtganzen Fixpunkte, die sich im Laufe Innenlebens preis und Keller und Dachwerk sind der Jahre verdichten können und dann der Kennt- häufig sehr gute Zeitindikatoren für einen ersten nis vom Baualter im Ganzen aufs Wertvollste die- Durchgang. Immer aber geht es um die vorhan- nen. Ohne die bauforscherischen Ergebnisse der dene Substanz, nicht um eine Aura oder einen Dendrochronologie und Gefügeforschung stün- Geist. So kann ein gotisch oder romanisch nach- den alle unsere Kenntnisse von der Stadt- und gebautes Haus als „Bild“ mit größter Anstren- Baugeschichte auf viel schwächeren Füßen, gäbe gung diesen mittelalterlichen Altstadtbild-Geist es viel mehr Hypothesen als gesichertes Wissen. beschwören wollen. Auf der Baualters-Karte wird In vielen Altstädten gibt es inzwischen wichtige es sofort entlarvt als Imitat der Moderne, als neue Erkenntnisse zum mittelalterlichen Haus- Denkmal ohne Eigenschaften. bau, so in Schwäbisch Gmünd, Tübingen, Ravens- Im Übrigen gibt es für Bad Wimpfen einen sehr burg, Schwäbisch Hall, Esslingen usw. Wertvolle frühen, eindrucksvollen Baualtersplan von 1922, 11 Die Salzgasse 1978 Ergebnisse in Bad Wimpfen brachten z.B. die Un- gezeichnet von Stadtpfarrer Otto Scriba, lithogra- und 2001. tersuchungen zum Spital und zum Haus Markt- phiert und gedruckt bei C. Rembold, Heilbronn 12 Gebäude Cornelia- platz 6, wo die Steinhaustheorie nach dendro- (Abb. 16), fehler- und lückenhaft, wie es für den straße 40, 1978 und chronologischen Untersuchungen korrigiert und Kenntnisstand damals verständlich ist, aber den- 2001. ergänzt werden konnte. noch von eindringlicher Aussagekraft. Maßgeb-

18 13 Das ehemalige Spital 2001.

lich war der Verein Alt-Wimpfen, dessen unglaub- nimmt. Es soll damit um Denkmalverständnis in lich weitblickendes, engagiertes Eintreten für die der Öffentlichkeit geworben und mehr Sicherheit Altstadt meines Wissens zu wenig bekannt ist in in der Beurteilung geschaffen werden. Es gilt der der Fachwelt. Grundsatz: Die Denkmalpflege ist nur so gut wie Weitere Baualterspläne gab es für Mannheim ihr Wissen um die Denkmale, sie muss auf gründ- 1899/1907, der heute wegen der Bombenzer- licher Kenntnis der Objekte beruhen. Man darf störungen Quellencharakter besitzt, oder für sich nicht von schönen, aber auch nicht von ent- Schwäbisch Hall 1975 mit Sicht auf Sanierungs- stellten Fassaden irreführen lassen, weshalb auf vorhaben. Eine Sonderform der gezielten Vorun- die mühsamen Innenbesichtigungen nicht ver- tersuchungen sind photogrammmetrische Fassa- zichtet werden kann. Vor Beginn aller Sanie- denabwicklungen ganzer Straßenfassaden, wie rungsmaßnahmen sollte eine Grundinformation es für Schwäbisch Gmünd durchgeführt wurde. über das zu schützende Kulturgut vorliegen mit Ferner der sog. Kellerkataster. Auch hier hat der rechtzeitigen Entscheidungsmöglichkeit zur Wimpfen mit dem Kellerplan des Pfalzbereichs ein ungemein wertvolles Planmaterial zur Verfü- gung gestellt bekommen durch die Arbeit der Herren Doll und Drixler, bekannt gemacht durch Robert Koch in Band 8 der Forschungen und Be- richte des LDA, Archäologie des Mittelalters 1983. Wieder einmal war Anregung und Finanzierung dieser Grundlagenvermessung durch den Verein Alt-Wimpfen erfolgt. Muss der Baualtersplan auf Sanierungsgebiete beschränkt bleiben, führt zum Denkmalüberblick und zur größtmöglichen Sicherheit in der Kennt- nis des Denkmalbestandes die Inventarisation. Die Inventarisation ist Grundlage für eine geord- nete Denkmalpflege, sei es mit der zeitbedingt flüchtigeren Listenerfassung und dem traditions- reichen Denkmalbuch, sei es mit der eindringen- deren Topographie, als deren Vorläufer in Baden- 14 Gebäude Haupt- Württemberg der Ortskernatlas gilt, sei es die straße 77, 1978. gründliche Fundamentalinventarisation, die ihren Anfang in Deutschland 1876 mit dem Inventar 15 Gebäude Cornelia- von Elsass-Lothringen durch Franz Xaver Kraus straße 59–55.

19 16 Baualtersplan Bad Wimpfen am Berg von Otto Scriba 1922.

bauforscherischen oder restauratorischen Unter- Geschichtsquellen in der Wirrnis der Nachbauten suchung. Das Risiko der noch zu entdeckenden und Kopien, ist die Fülle der substanziellen Zeug- Güter mit Innenausbau und Ausstattung sollte nisse in ihrer eigenen Aussagekraft. Seien wir begrenzt oder zumindest abschätzbar bleiben. doch stolz auf unsere Denkmale, die unverfälsch- Die Denkmalpflege muss sich durchaus unzeit- ten, Zeugnis ablegenden, nicht einer vergange- gemäß verhalten dürfen, wenn es darum geht, nen heilen, aber einer kunstsinnig-präsenten und standfest gegen die beliebige Verschiebbarkeit dinglich geschichtsgesättigten Welt. Sie ist es von Kunstgut und Baudenkmalen zu argumen- wert, möglichst unversehrt unseren Kindern er- tieren, gegen unbegrenztes Verschönern und halten zu bleiben, wofür man zu Recht keine Verjüngen, gegen den Trend zur Wandlungsbe- Mühe scheuen darf, glimpflich, umsichtig, wert- schleunigung, gegen Umnutzungen um jeden schätzend zu verfahren. „Eine Bevölkerung ehrt Preis. Nur im Insistieren auf den Substanz- und sich selbst, wenn sie die Kunstdenkmale ihrer Quellenwert bewahrt sich die Denkmalpflege Vergangenheit ehrt.“ Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Es geht nicht um Scheindenkmäler, Kopien und Kulissen; wir brauchen keine Disneyland-Altstädte. Das Dr. Richard Strobel kann man in Florida oder bei Paris viel besser. Was Werastraße 4 wir brauchen, ist die Klarheit unserer gebauten 70182 Stuttgart

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